Читать книгу MUSIK-KONZEPTE Sonderband - Josquin des Prez - Группа авторов - Страница 23
III
ОглавлениеJosquin war zu Lebzeiten, und dies schon als junger Mann, ein ungewöhnlich berühmter Komponist. So unzweifelhaft dieser Ruhm bereits um 1500 war, so fraglich ist doch, was man mit ihm verband. Dabei scheinen sich jedoch ganz andere, vielleicht sogar überraschende Parameter der Wahrnehmung abzuzeichnen, Parameter, die zu der späteren Hervorhebung des Kontrapunkts in einem scharfen Kontrast stehen. Der Dichter Gerhard Geldenhauer (1482–1542) schrieb auf den Tod des Komponisten eine Klage, die von Benedictus Appenzeller und Nicolas Gombert vertont wurde, wohl doch in einigem Abstand zum Ereignis selbst. Das Gedicht seinerseits hat zwar eine komplizierte Überlieferungsgeschichte, verbunden mit einer kleinen Unsicherheit bei der Autorschaftsfrage, doch wird Josquin dort als »musarum decus«, als Zierde der Musen bezeichnet, der Apollo jedoch nicht etwa durch Kontrapunkt beeindruckt habe, sondern durch das Singen eines süßen Liedes.16 Diese Betonung des ›Süßen‹, der ›dulcedo‹ lässt sich als »Eindringen und Besetzen des Innersten unseres Selbst« bezeichnen, als »Invasionsakt durch die ästhetische Form […] und den intelligiblen Gehalt«,17 mithin also als einen genuin neuzeitlichen Vorgang, der von der Idee einer Gründungsurkunde ebenso weit entfernt ist wie von der Vorstellung konstruktiver Artistik.
Will man solche Spuren weiterverfolgen, stößt man auf die zahlreichen Probleme, die sich im Blick auf Josquins Vita ergeben – schon wegen der Häufigkeit des Namens. Die Zeit in Italien (von 1484 bis 1504) ist vergleichsweise gut dokumentiert, die langen, gut situierten Jahre in Condé sind in vielem ungewiss und rätselhaft, auch im Blick auf musikalische Tätigkeiten und musikalische Produktivität. Die Fragen um den frühen Werdegang sind nach wie vor von zahlreichen Unsicherheiten überschattet. Dessen ungeachtet existieren hinsichtlich der Wahrnehmung und Wirklichkeit Josquins dennoch bemerkenswerte Zeugnisse. Der Dichter Serafino de’ Ciminelli dell’Aquila (1466–1500) befand sich ab 1484, gemeinsam mit Josquin, im Dienst des Kardinals Ascanio Sforza in Rom. Er begleitete sich selbst beim Gesang von Petrarca-Gedichten auf der Laute und schrieb zu Ehren des Musikers ein Sonett, in dem sein »sublime ingenio« gepriesen wird, auch seine Tugend (»virtù«). Die wechselseitige Bedingung von tugendhafter »humilitas« und Größe, »sublimitas«, zeichnen nach Marsilio Ficino die Größe eines Menschen aus, und darauf scheint sich auch Serafino zu beziehen, indem er Josquin als jemanden charakterisiert, der auf seine Weise, »a suo modo« durch die Welt ziehe.18
Immer wieder ist in der Forschung auf die erstaunlich gezielte Anwerbung Josquins für den Hof in Ferrara hingewiesen worden.19 Dieser Vorgang ist zweifellos außergewöhnlich, weil er einen wenigstens reduzierten Einblick in musikmäzenatische Entscheidungen um 1500 gewährt – denn jede Entscheidung für eine Person war stets eine gegen eine oder mehrere andere. Greifbar werden in den Rekrutierungsbemühungen die hohen finanziellen Vorstellungen Josquins, also ein sich materialiter abbildendes Selbstbewusstsein, sowie die Eigenart, die teuer verkaufte Leistung keineswegs auch selbstverständlich zu erbringen. Im Rahmen der Werbungen wurde vom Agenten Gian de Artiganova zugleich festgestellt, dass Josquin ›besser‹ komponiere als Isaac – doch gibt es keinen ausdrücklichen Referenzrahmen, worauf sich diese Einschätzung bezieht.20 ›Besser‹ kann die »suavitas« des Gesangs meinen oder die »sublimitas«, Fragen von Angemessenheit und Vielfalt, wohl kaum allerdings die vordergründige Beherrschung des Tonsatzes. Immerhin bestand eine klare Vorstellung von dem, was besser oder schlechter sei, es gab also einen ästhetischen Vergleich und ein ästhetisches Urteil. Einen solchen Vergleich stellt auch der apostolische Sekretär Paolo Cortesi (1471–1510) 1510 an, der in seiner Schrift über den ›wahren‹ Kardinal auch eine Passage zur Musik eingefügt hat. Dort vergleicht er Josquin, Obrecht und Isaac, bevor er zu einigen anderen Zeitgenossen übergeht. Der Ruhm gebühre aber zweifellos »Iusquinum Gallum«, der »praestitisse«, also vor allen ausgezeichnet sei. Der Grund dafür sei ›doctrina‹, was vielleicht am ehesten als ›vorbildliche Übereinstimmung von Norm und Form‹ verstanden werden könnte.21
Aus diesen wenigen Hinweisen werden wenigstens Indizien erkennbar, welche Parameter für eine vage Rekonstruktion der Wirklichkeit Josquins in Anschlag zu bringen sein könnten. Im Folgenden soll daher versucht werden, dies an drei, zweifellos kursorisch und schlagwortartig diskutierten, Beispielen zu tun. Es soll dabei bewusst versucht werden, denkbare historische Wahrnehmungsmuster in den Vordergrund zu rücken. Um wenigstens eine gewisse Systematik walten zu lassen, repräsentieren die folgenden Beispiele drei unterschiedliche Ebenen: die der Gattung, des einzelnen Werkes und der Überlieferung.