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In der Gesellschaftsschule

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Die konventionellen Formate verhalten sich im Vergleich dazu diskret. Wissenschaftlerinnen wie Isabelle Stengers oder Dorothea von Hantelmann haben in ihren Arbeiten die verborgene Pädagogik der Formate sichtbar gemacht. Sie untersuchen die Rolle des in Institutionen eingelernten Verhaltens bei der Herausbildung des modernen Subjekts. Teil dieser Überlegungen ist die Reflexion des Formats als des eigentlichen Erlebnisraums der Institutionen. Denn die institutionellen Formate bleiben stabil, hingegen sowohl seine Gäste wie auch seine Werke sich ständig ändern. Ausstellungen zum Beispiel können Gemälde und Skulpturen, Environments, Tiere oder Filme zeigen, aber was auch immer in ihnen zur Betrachtung kommt, wird nicht angefasst, nicht angesprochen und wird sich für die Dauer der Ausstellung auch nicht verändern. Jede Ausstellung braucht heute ungefähr die gleichen Bedingungen wie die letzte Ausstellung, zumindest aus Sicht der Leihgeber*innen und Versicherer – 20 Grad Raumtemperatur und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit. Denn um jedes Format hat sich ein komplexes System von Hilfsdiensten, Absicherungen und Routinen gebildet, das die schnelle und ununterbrochene „Bedienung“ des Formats sicherstellt. So wird auch im Theater jedes Stück davor geschützt, dass die Besucher*innen auf die Bühne gehen, ihre Meinung kundtun oder anfangen, untereinander zu sprechen, denn es hat sein Publikum an Sicht- und Verhaltensweisen gewöhnt, die der Epoche ihrer Veranstaltungen entsprechen. Und um die Aufführung herum ist ein System aus Aufsichten, Services und diversen Verträgen entstanden. Das Werk an sich könnte ohne Format gar nicht erscheinen, und ohne eine Institution könnte kein Format bewirtschaftet werden.

Das klassische Abendkonzert ist ein Format der Disziplinargesellschaft – Menschen werden eingeladen und terminiert. Für die Dauer der Veranstaltung werden sie eingeschlossen, dürfen nicht an der falschen Stelle klatschen und nur in den Pausen husten. Das klassische Konzert ist eine Zeremonie der Meisterschaft, und der Dirigent hat zwei Leiber, deren einer profan ist und schwitzt und deren anderer heilig ist – an dieser patriarchalen Struktur ändert auch eine Dirigentin am Pult wenig. Es ist die Sprache des Einen an die Vielen und auch der Genuss der Vielen an dem Einen – des Werks, der Spiritualität einer Verbindung, die über die Musik hinausführt und kollektiv erfahren wird. Im Ausstellungsparcours kann ich gehen, wie, wann und wohin ich möchte, aber nichts anfassen. Ich bewege mich in diesem etwas jüngeren Format als Individuum und lerne im Museum die Kunst einer sich selbst für objektiv haltenden Betrachtungsweise. Alles liegt so schön sauber und neutral vor mir, ein Fetisch mit zauberischer Wirkung, ein Ding, das Begehren auslöst und Macht ausübt. Die Öffnungszeiten überlassen es mir, wie lange ich am Ort dieser Nähe zum Begehrten bleibe, aber an jedem Fenster ist der Sensor einer Alarmanlage und in Sichtweite immer Personal. Formate, näher betrachtet, sind, ganz gleich, ob sie von Institutionen bereits adoptiert wurden oder nicht, immer Gesellschaftsschulen, immer freiwillige Trainingsstätten, in denen wir auf die Höhe des Neuen und seiner Sprache, Codes, Freuden und Tücken gelangen.

Formate sind Mittel – sie verbinden den Einzelnen mit der Fülle von Gefühlen und Ideen, die scheinbar in den Werken schlummern, indem sie diese sacht aufwecken und in einen Zusammenhang mit der Architektur eines Gebäudes, der Blickrichtung und Perspektive der Gäste bringen. Formate wollen nie, dass wir nur das Eine sehen. Formate wollen binden und verbinden. Sie wollen, dass wir länger bleiben als nur für die eine Sache, und sie unterscheiden sich vom reinen Theaterrepertoire, das auch eine Fülle von Werken in eine Nachbarschaft bringt, dadurch, dass die Form des Formats eine andere ist als die des Werks, genauer gesagt: Wenn Werke immer die gleiche Form haben, zum Beispiel immer nur in der Guckkastenbühne spielen, dann bildet sich vielleicht ein Spielplan, aber kein Format, das über die Veranstaltungsform hinausweist. Denn nur das Format überschreitet die singuläre Form des Werks und bildet eine eigene Form.

Genauso wie der nie verrinnende Strom neuer Stücke, Bilder, Skulpturen oder Kompositionen stoppt auch nie die Arbeit am Format, in dem sie erscheinen. Genau wie die Produktion der primären Werke ist auch die Entwicklung angemessener Formate eine zeitgenössische Leistung und Aufgabe. Temporäre Formate sind Vorverdauungsapparate dafür, was sich an Institutionen ändern wird – sie bringen die verschiedenen Weltstoffe entsprechend eines abweichenden Interesses oder Themas zusammen, um eine Erfahrung zu vermitteln, und dienen neuen Werken und Ideen, wenn diese aus den bekannten Ritualen hinausführen. Denn Formate, ob die unbemerkbar gewordenen Klassiker oder ihre temporären Begleiter, sind nützliche Vehikel, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit umzuleiten – vom Ritual und allem, was wir schon zu kennen glauben, auf das, was unerhört ist. Da Formate immer eine Gemeinschaft von Werken herstellen, können sie auch Aufmerksamkeit organisieren und von populären Stücken auf Unerwartetes lenken.

Nicht alles, was im Folgenden aufgelistet wird, war im strengen Sinne ein neues Format, manches Festival ist inzwischen selbst schon zur Institution geworden, manches auch eher eine klassische Themenreihe. Aber die vielen „Rahmensetzungen“ in den letzten zehn Jahren, die hier angeführt werden, sind doch mehr als nur Begleitveranstaltungen größerer Einzelveranstaltungen und bearbeiten in ihrer oft sehr spezifischen Struktur immer wieder andere Suchbefehle. Insofern sind diese Festspielformate der letzten zehn Jahre auch eine kurze Geschichte vergänglicher Erfindungen und der Abriss einiger großer Themen des vergangenen Jahrzehnts – Identitätspolitik, Digitalisierungseffekte und die Frage, wie das Weltbild des postfossilen Kapitalismus aussehen könnte. Denn neue Formate sind die Formate des Neuen.

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