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DIE AUSSTELLUNG ALS FILM OHNE KAMERA

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Emanuele Coccia und Philippe Parreno im Gespräch mit Thomas Oberender

Thomas Oberender:

Philippe Parreno ist der Künstler der Ausstellung, die aktuell im Lichthof und im Erdgeschoss des Gropius Baus zu sehen ist. Und neben ihm sitzt Emanuele Coccia, Philosoph und Professor in Paris sowie Autor von Die Wurzeln der Welt. Eine Philosophie der Pflanzen. Als Philippe mit seinen Büchern auf mich zukam, war ich besonders von deinem Buch Das Gute in den Dingen. Werbung als moralischer Diskurs fasziniert. Es ist ein kleines Buch, das eine seltsame Perspektive auf den Kapitalismus wirft, speziell darauf, wie dieses System Moral schafft, indem es Werbung macht. Bevor wir über dein neues Buch und über die Arbeiten von Philippe sprechen, welche Idee steckt hinter Das Gute in den Dingen?

Emanuele Coccia:

Von Gegenständen über Pflanzen zu Menschen: Das Buch geht von dem Ort aus, an dem Werbung normalerweise erscheint, nämlich an Mauern, die wir sehen, und die eigentlich während der gesamten Geschichte – zumindest der europäischen Zivilisation – der Ort waren, an dem die Stadt ihrer eigenen Stimme Ausdruck verliehen hat. Formal geht es um ethische Systeme, um Götter und Geschichte, um die Pest und die Toten. Die Frage, die mich beim Schreiben begleitete, war: Was bedeutet es, dass auf denselben Flächen, auf die eine Stadt normalerweise ihre eigene Vorstellung von ethischen und moralischen Grundsätzen projiziert, jetzt in gewisser Weise nur noch Bilder von Gebrauchsgegenständen zu sehen sind? Die Werbung ist nicht nur ein kommerzielles Unternehmen. Mein Gedanke war, dass sie etwas Moralisches und Ethisches mit sich bringt: Die Moral ist in den Dingen. Darum ist es so wichtig, die Idee aufzugeben, Objekte zu produzieren. Eine besondere Eigenschaft von Philippes Kunst ist, dass du von Anfang an gesagt hast: „Ich betrachte mich nicht als Objektproduzent.“ Für Philippe ist klar, dass die zentrale Geste der Kunst nicht darin besteht, Objekte zu produzieren, sondern das Objekt zu installieren. Die Ausstellung ist in gewisser Weise ein Medium. So auch die Ausstellung hier im Gropius Bau.

Philippe Parreno:

Diese Arbeitsweise war nicht nur formal begründet, sondern hat eigentlich bei der Tatsache begonnen, dass ich mit anderen Künstler*innen zusammenarbeite – wir arbeiten immer in Kooperationen –, und wir glauben, dass es mehr um das Projekt geht als um die Objekte. Es geht darum, zusammen Ideen zu projizieren, und da wir Künstler*innen sind oder zu sein versuchen, entwickelte sich aus diesem Projekt eine Reihe von Ausstellungen. Aber es war ein Projekt, das auf objektbasierter Entropie fußte. Das lag daran, dass wir entschieden hatten, jede der Ausstellungen einzigartig und singulär auftreten zu lassen, sodass jede auf einen so speziellen Kontext und Inhalt reagieren würde, dass man sie kein zweites Mal produzieren kann. Und sie waren Ergebnisse eines Gesprächs zwischen den Akteur*innen der Ausstellung. Innerhalb dieser Projekte gab es zwar auch einige Objekte, die jedoch unklar, undefiniert waren, also nicht wirklich als solche gekennzeichnet. Ich meine damit, dass sie in einer komplexen Beziehung zu anderen Objekten standen, sodass keine klar benennbare Grenze zwischen den einzelnen Objekten gezogen werden konnte. Es ging von Anfang an immer um die Beziehung zwischen Dingen und Menschen.

TO:Philippe, du hast ein besonderes Verständnis von den Dingen entwickelt – und nennst sie Quasi-Objekte. Einerseits existieren sie physisch und wirken passiv, andererseits entwickeln sie ein Eigenleben, sobald sie Teil des menschlichen Verhaltens werden, das sie stark beeinflussen. Mit dieser Dimension beschäftigt sich auch dein Text The Speaking Stone. Das Quasi-Objekt, zum Beispiel dieser Stein, den wir in der Ausstellung zeigen, entwickelt eine Sprache, weil es eine Art Skript im Verhalten der Menschen aktiviert. Wie zeigt sich das in deiner Ausstellung?

PP:Das Quasi-Objekt ist ein Konzept, das ich von dem französischen Philosophen Michel Serres übernommen habe, der in seinem Buch Der Parasit eine Quasi-Objekt-Theorie entwickelt, in der es keine Objekte und Subjekte gibt, sondern ausschließlich kontextbezogen jemand zum Subjekt durch ein Verhalten bestimmt wird. Ich fand es nützlich als eine Form der Terminologie, um zu definieren, was ein Objekt ist und wann es unvollständig ist. Man kann also sagen, dass ein Objekt nur dann vollständig ist, wenn es benutzt oder aktiviert wird. Ein einfaches Beispiel ist der Fußball: Wenn man 22 Leute auf einem Platz ohne Ball versammelt, hat man noch kein Spiel. Und ohne Spiel kann man auch vom Ball noch nicht als Objekt sprechen. Erst wenn man den Spieler*innen den Ball gibt und er zwischen ihnen hin- und herläuft, wird es ein Spiel. Der Ball bringt die Handlung als Produzent des Spiels voran – und indem er gespielt wird, wird er als Objekt definiert. Ein anspruchsvolleres Beispiel für Objekte und Rituale ist der Körper.

EC:Die Art und Weise, wie du das Konzept des Quasi-Objekts verwendest, bringt noch einen anderen Aspekt ins Spiel, der äußerst interessant ist. Die Tatsache, dass es aktiviert werden muss. Das Beispiel des Fußballs zeigt genau das. Und es erinnert wiederum daran, was du vorhin sagtest: Dein Ansatz sei es, Projekte mit Menschen zu machen, nicht nur mit Objekten. Objekte, die in gewisser Weise ein Vorwand sind, um etwas viel Komplexeres zu schaffen, in das die Menschen ganzheitlich involviert sind.

PP:Die Zusammenarbeit mit all den Leuten war für mich sehr wichtig. Anfangs ging es darum, schneller zu sein. Wenn man Ideen austauscht, produziert man sie auch, während man spricht. Und dann hängt das Interesse auch mit den 1990er-Jahren zusammen: Gruppenausstellungen waren als Konzept für mich etwas Fantastisches, denn sie waren auf eine Art und Weise wie Filme, in der Künstler*innen mit anderen Künstler*innen und Objekten zusammen etwas aufführten. Ich erinnere mich, dass ich viel Zeit mit Pierre Joseph verbracht habe, der etwas sehr Interessantes feststellte: Wenn wir uns über eine Idee oder ein Projekt unterhielten, haben wir eigentlich in dem Moment angefangen, wo ich mir vorstellen konnte, was er beschreibt und wie es weitergeht. Deshalb musste er es dann nicht mehr tun, denn wenn es existierte, ohne dass ich es sah, dann war es damit real. In diesem Fall sagte er im Laufe unseres Gesprächs, dass es existiert. Die Dinge schweben also mit unterschiedlicher Intensität um diese virtuelle Idee herum. Sie können sowohl auf der virtuellen Ebene existieren als auch in der Vorstellung oder in der Realität. Sie oszillieren zwischen diesen drei Instanzen.

TO:Wenn ich mich an dieses Buch von Michel Serres erinnere, ist der Parasit eine Metapher für eine Person, die nur eine Beziehung zu Beziehungen hat. Andere Personen haben eine Beziehung zu Dingen oder Objekten, aber auch zu Ideen oder Ideologien. Im Sinne von Serres verlieren immer die Menschen, die an Dinge glauben und eine Loyalität zur Sache an sich haben, wenn sie in einen Konflikt mit Menschen geraten, die sich völlig anders verhalten. Ein Parasit ist nur der Beziehung selbst treu. Ich denke, das ist auch eine Entwicklung in deiner Arbeit: Du arbeitest mit Objekten wie mit Schauspieler*innen und inszenierst sie in einem Beziehungsfeld. Und dieses Feld ist wichtiger als die Objekte selbst. Damit gibst du der Ausstellung eine eigene Existenz. Es geht um mehr als die bloße Anordnung von Objekten.

EC:Das Quasi-Objekt ist durch seine Gleichzeitigkeit, Subjekt und Objekt zu sein, eine außergewöhnliche Veranschaulichung der extrem unterschiedlichen Stadien; es ist eine Art Produkt, aber zugleich eine Persönlichkeit. Aber diese Persönlichkeit sucht nach einer Aktivierung durch andere Menschen. Du lässt zum Beispiel in deiner Arbeit mit einem Manga-Charakter wie Ann Lee, den du von einer japanischen Firma gekauft hast, unterschiedliche Künstler*innen dieselbe Person reaktivieren. Das ist wirklich eine perfekte Veranschaulichung der poetischen Aussage, dass das Kunstwerk ein Werk in Beziehung ist, weil es beispielsweise ohne diese Beziehung zu anderen Künstler*innen nicht existiert. Du sagtest auch, dass es für dich wichtig war, das Leben eines Bildes oder das Streben eines Bildes zu überprüfen. Das ist einer der auffälligsten Aspekte deiner Kunst: Du zeigst immer wieder, wie schwierig es ist, eine Grenze zwischen Leben, Zeichen, Lebewesen und Objekten zu ziehen. In gewisser Weise ist das Werk auch eine lebende Person, nur nicht in menschlicher Form: diese Idee, dass das Leben etwas Schwebendes ist, das verschiedene Stadien und Körper durchläuft. Wir reinkarnieren von Zeichen zu Zeichen, von Körper zu Körper. Und die Kunst muss diese Fähigkeit des Lebens zeigen. Und im Fall der aktuellen Ausstellung ist es die Tatsache, dass alles vorbestimmt wird, der Rhythmus, der Atem, die Lichter, alles wird von der Hefe in diesem zentralen Bioreaktor entschieden. Die Hefe ist in diesem Raum das Gehirn von allem – das aber auch von den Menschen, die vorbeikommen, beeinflusst wird.

TO:Ich erkenne einen Zusammenhang zwischen euren Interessen: Ihr habt beide in eurer Arbeit den Versuch unternommen, ein Verständnis von animierten oder animierenden Objekten zu entwickeln, in denen sich das Leben in unterschiedlichen Körpern – technischen genauso wie pflanzlichen oder künstlerischen – realisiert und einen Systemzusammenhang herstellt, der wichtiger ist als das einzelne Objekt. Das ist wesentlich für euer Nachdenken über das Leben von Pflanzen und das Leben von Ausstellungen. Die vielen fliegenden Luftballon-Fische, die in Philippes Ausstellung einen Raum in ein Aquarium verwandeln und die Gäste dazu verführen, mit ihnen zu spielen oder zu tanzen und Tausende Fotos zu machen, sind dafür vielleicht ein schönes Symbol.

EC:Interessant ist die Idee der Immersion als ein Vorgang des Eintauchens. In gewisser Weise ist der Fisch eine Lebensform, die auf diesen Zustand der Immersion ausgerichtet ist. Ein Eintauchen ist immer etwas, bei dem sich die Beziehung zwischen dem Ort und dem Inhalt ändert. Der Fisch ist in das Wasser eingetaucht, zugleich ist es das Wasser, was den Körper ausmacht. Was ich in jeder Ausstellung, die ich von Philippe besucht habe, sehr stark fand, ist diese Verpflichtung der Besucher*innen, selbst ein sehr aktiver Teil der Ausstellung zu werden. Nicht im partizipatorischen Sinne, dass man etwas tun muss, sondern auf andere Art und Weise. Ich hatte zum Beispiel gestern und heute den Eindruck, dass man nach ein paar Minuten, wenn man von einem Raum zum anderen geht, nicht mehr weiß, ob man etwas anderes ist als diese Fische. Man ist einfach etwas, das in dieser neuen Landschaft schwebt.

PP:Was mich mehr und mehr fasziniert, ist der Begriff der Aufmerksamkeit. In den 1970er-Jahren definierte Godard die schwebende Aufmerksamkeit, was bedeutet, dass der Moment, in dem man keine Ordnung in den Dingen erkennen kann, ein Traum und eine Erinnerung an den Traum gleichzeitig existieren. Die eine Sache steht nicht vor oder über der anderen. Und ich glaube, dass eine Ausstellung ein Raum sein sollte, in dem die Aufmerksamkeit nicht von einer Autorität vereinnahmt wird, sondern in dem man sich treiben lässt und beginnt, Dinge miteinander zu verbinden, ein Bild mit einem Klang. Man kann auf eine Reihe von Synchronizitäten stoßen, aber es gibt keinen klaren Anfang und kein klares Ende. Mal ist es ein White Cube und mal eine Black Box, die flackert und nicht als Theater definiert ist, sondern als Kino. Die Ausstellung oszilliert zwischen verschiedenen Formen der Existenz, der Architekturkanäle. Wenn man im Kino ist, gehen plötzlich die Lichter an, und man merkt, dass es einen Ton gibt, aber man fragt sich, wo er herkommt. Und warum tut man das? Man achtet vielleicht auf die Klimaanlage oder die Luftveränderung, und dann bewegen sich die Dinge um einen herum. Und in der Ausstellung achtet man vielleicht auf die Tatsache, dass, wenn die Sonne im Westen ankommt, die Fische anfangen abzutauchen – die Temperatur ändert sich und demnach die Form. Und all diese Verkettungen der Dinge schaffen eine seltsame Logik für eine spezifische Form des Wahnsinns. Ich interessiere mich immer mehr für die Idee des Deliriums.

TO:Du hast in deinem Text Invisible boy über das Gefühl der Besessenheit oder des Deliriums geschrieben. Ich habe auch den Eindruck, wenn ich deinen Film The Crowd sehe, dass die Menschen, die er zeigt, im Bann von etwas stehen, das ich nicht sehen kann, das aber eine große Präsenz besitzt.

PP:Ich habe The Crowd vor vier Jahren gedreht und drei oder vier Mal neu geschnitten. Die letzte Version ist so etwas wie eine Art Ankommen. Wir sprachen über das Kollektiv und die Beziehung eines Bildes zu einem Kollektiv. In diesem Fall ist es eine Art Theaterstück, aber mit 300 Schauspieler*innen. Sie hören gemeinsam zu, sie werden gemeinsam still, sie beginnen, gemeinsam zu träumen. Sie flüstern zusammen, sie beginnen, zu summen, zu singen und zu tanzen. Irgendwann erschaffen sie sogar eine Stadt, indem sie sich bewegen, und die Sonne kommt herein. Es ist eine Art Theaterstück. Ich interessiere mich für Theaterstücke, für Film und Kino, weil es alles öffentliche Räume sind, in denen etwas passieren kann. Ich mag den öffentlichen Raum, aber ich will keine Fiktion erzählen. Ich will die Wahrheit erzählen, und das ist schwierig.

TO:In deinen Ausstellungen erzeugst du dieses Fließen von Situationen zwischen dem Geschriebenen und Ungeschriebenen, das dem Theater sehr ähnlich ist. Du schaffst szenische Settings und Bühnen – und bist ja offensichtlich auch fasziniert von der Arbeit visionärer Set-Designer wie Jacques Polieri. Deine Ausstellungen allerdings sind jede für sich einzigartig, da sie eben nicht transportabel wie ein Bühnenbild sind, sondern das Haus selbst als Akteur*in betrachten und in dein Stück integrieren. Für dich ist auch das Haus ein Quasi-Objekt. Deine Ausstellungen sind so gesehen Meta-Werke, etwas höchst Spezifisches.

PP:Genau, weil sie raumbezogen sind. Die Ausstellungen sind jeweils eine Lesart des Raums, dieses spezifischen Raums und dieser spezifischen Zeit. Als du nach einem Zeitraum gefragt hast, um die Ausstellung im Gropius Bau zu realisieren, war meine erste Assoziation eine Sommerausstellung. Im Sommer würde es in Berlin hell sein, im Sommer ist alles offen, die Leute gehen raus, die Parks sind voller Menschen. Also dachte ich, der Raum würde komplett mit Licht gefüllt sein. Das war die erste Entscheidung in einer Reihe verrückter Entscheidungen.

EC:In einem Text, der in der französischen Zeitung Libération veröffentlicht wurde, hast du diese schöne Idee einer Ausstellung als Film ohne Kamera formuliert. Was in gewisser Weise dem entspricht, was du über die seltsame Beziehung zum Theater gesagt hast. Ein Film ohne Kamera, das Leben als solches, in einen anderen Zustand versetzt. In diesem Text erwähnst du auch, dass das Prinzip einer Ausstellung das ist, was jedes Mal stattfindet, wenn man sie zeigt. Wenn man als Kind Fußball spielt, kommentiert man das, was man tut. Auch wenn man Philippe folgt, gibt es keine Unterscheidung mehr zwischen der Tatsache, der Person und den Kommentaren zu dem, was geschieht. Es gibt keine Hierarchien. Da das Physische immer Teil dieses Skripts ist, befindet man sich auf derselben Ebene. Die Hefe und die Marquise, beides kündigt einen Aspekt der Ausstellung an, aber sie sind zugleich schon Teil der Ausstellung innerhalb der Ausstellung. Das ist eine sehr präzise Definition dessen, was in einer Ausstellung passiert, die dem Theater oder dem Kino ähnlich ist.

PP:Mir gefällt auch diese Idee des untätigen Objekts, die ich in deiner Philosophie finde. Wenn man beispielsweise eine Ausstellung produziert, verwendet man einen Raumplan, der den Grundriss zeigt und in dem man die Exponate vorab platziert. Wenn man diese Schicht ausblendet, auf der sich die Architektur befindet, entfernt man sozusagen den Körper, und man hat nur noch die Organe. Ich habe angefangen, damit zu spielen. Für mich sind zwei Filme dieser Ausstellung in gewisser Weise wie zwei Augen dieser Kreatur. Dann hat man die Kabel, die die Venen und das Blut darstellen, das Verdauungssystem in Form des Aufzugsystems zwischen den Stockwerken. Und so weiter. Es beginnt zwar mit dem Raum, aber der Raum produziert seine eigenen Objekte. Es ist, als ob ich als Überträger da bin und nur die Werkzeuge zur Verfügung stelle.

TO:Deine Objekte machen oft Dinge präsent, die abwesend sind. Die Marquise beispielsweise ist wie ein Performance-Werkzeug, das normalerweise benutzt wird, um eine Ankündigung zu machen. Aber in deiner Ausstellung geht es nur um das Ding selbst. Ausstellungen sind für dich, hast du einmal gesagt, Gespräche zwischen Objekten, die es vermeiden, Symbole zu sein. Sie haben ihre eigene Schönheit, sie verfügen über eine eigene Komposition – und sie beginnen eine Art von Konversation, in der sie nicht unsere Worte benutzen. Das ist für mich etwas, das sich sehr vom Theater unterscheidet. Aber es gibt ein Skript. Du hast erwähnt, dass Norman Klein derjenige war, der den für deine Ausstellungen sehr erhellenden Begriff des „Scripted Space“ entwickelt hat. Was genau bedeutet der Begriff für dich?

PP:Ich habe ihn in dem Buch über die barocke Architektur gefunden, wo Klein schreibt, dass es im Barock einen Punkt gab, an dem man durch den Raum ging und das Durchgehen die Bedeutung der Position erzeugte. Die Dinge erscheinen und verschwinden, wenn man mit der Perspektive spielt. Was man für flach hält, hat eine Tiefe und so weiter. Ich mag diese fantastische Idee des Raums, die mit dem Scripted Space verbunden ist. Ich denke an das Trompe-l’Œil als etwas, das Zeit und Raum ist – also eine raumbezogene Form. Damit begann ich, den Ausstellungsbesuch als eine einmalige Erfahrung aufzufassen, indem ich die räumlichen und zeitlichen Grenzen mit den sensorischen Erfahrungen der Besucher*innen verflocht.

EC:In gewisser Weise ist es eine Verkomplizierung des barocken Modus des Trompe-l’Œil, des Scripted Space, weil es auch eine Scripted Time, ein Scripted Life ist. Interessant ist der Vergleich mit der barocken Architektur. Dass man zwei Elemente gleichzeitig einbezieht. Man baut keine Kathedrale oder einen Palast, sondern die Zeit ist mit einbezogen. Das ist vielleicht der Grund, warum eine Ausstellung irgendwann zu Ende gehen muss. Denn ja, einerseits ist sie ein Scripted Space, andererseits ist sie auch etwas ganz anderes. Die Frage ist: Was unterscheidet eine Ausstellung von einer barocken Kathedrale? Du beziehst die zeitliche Dimension mit ein. Diese Art der Einbeziehung beruht zusätzlich darauf, dass die Räume von uns beeinflusst werden, sodass wir Teil dieses besonderen Effekts sind; wir sind Teil dieser extrem seltsamen Kathedrale, die auf sich selbst basiert. Ich denke, dass du in Beziehung oder im Vergleich zum Barock noch etwas hinzufügst.

TO:Philippe, du verwendest oft Musik als ein abstraktes Kompositionsprinzip für die Organisation von Bewegungen in Räumen, manchmal auch in Verbindung mit Algorithmen. In deinen letzten Ausstellungen waren es Mikroorganismen, die einen wichtigen Einfluss auf das Skript hatten, um über die programmierten Veränderungen hin zu einer wirklichen Lebendigkeit des Ausstellungsorganismus zu gelangen.

PP:Es war genau diese Idee, dass die Mikroorganismen als Werkzeug funktionieren, um die Produktion periodischer Zyklen zu vermeiden. Ich wollte mit dem Zufall operieren. Dazu benutze ich die Hefe. Ich setze Samen, und die schicken dann ihr eigenes Verständnis davon zurück, sie bringen es ein bisschen durcheinander, und dann geht es wieder von vorn los. Das ist meine Art, mit der Zeit bestimmte Veränderungen zu erzeugen. Ich verwende seit drei Jahren dieselbe Hefepopulation. Sie imitiert ihre DNA, was wirklich faszinierend ist. Die Hefe war in der ganzen Welt zu sehen, in New York, dann in der Ausstellung in der Tate Modern und dann in Mexiko. Sie hat diese Welten und deren Kosmologien kennengelernt. Also hat sie begonnen, auf diese Welten zu reagieren, und indem sie reagiert und eine große Menge an Generationen produziert, beginnt sie zu mutieren. Sie ist gewissermaßen die Erinnerung an das, was in den letzten Jahren stattgefunden hat.

TO:Sie verhält sich für einen Moment wie in Mexiko.

PP:Ja, sie träumt von Mexiko.

EC:Das ist interessant, denn bei der Hefe handelt es sich um ein lebendiges Skript, das alles steuert. In gewisser Weise ist es so, als wäre das Skript der genetische Code. Aber auch das Skript selbst hat sein Eigenleben, das nicht exakt das gleiche Leben der Ausstellung ist. Das ist das Prinzip des Lebens, nein, der lebendigen Körper. Es ist interessant, es ist in gewisser Weise eine Mise en abyme. Im Christentum nehmen wir immer an, dass wir nur in diesem menschlichen und persönlichen Körper leben. Die Idee der Auferstehung ist, dass wir in einer sehr wesentlichen Weise mit dem Leben verbunden sind, und wir vergessen, dass wir sogar aus wissenschaftlicher Sicht eine Reinkarnation von Kühen und Elefanten sind. Selbst der einfache Akt des Essens ist eine Form der Reinkarnation. Ich habe heute zum Beispiel Huhn gegessen. Ich nehme das Fleisch des Huhns zu mir, und das Huhn nimmt meine Form an, reinkarniert in meinem Körper. In gewisser Weise denke ich, dass Philippes Praxis sehr eng mit der Idee der Reinkarnation verbunden ist. Das Interessante an dem, was du zeigst, ist die Vorstellung, dass das Leben eine Art Transformation ist: das Leben der Hefe, die das Licht und die Klänge kontrolliert. Das Leben ist nicht nur auf atomare Weise in diesem Körper existent, es geht durch viele Körper hindurch.

Emanuele Coccia ist Philosoph, Philippe Parreno ist Künstler und Filmemacher. Der Beitrag „Die Ausstellung als Film ohne Kamera“ basiert auf einem Gespräch mit Thomas Oberender, das im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung „Philippe Parreno“ im Gropius Bau 2018 geführt wurde.

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