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1.5 Schizophrenie heute: Prodromalphase, Basissymptome und Selbststörungen

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Die phänomenologische Konzeption der Schizophrenie als basale Selbststörung steht in Einklang mit einer zunehmenden Fokussierung der Interventionen auf die Früherkennung und Prävention der Erkrankung; denn solche Interventionen sind ohne ein adäquates Verständnis des subjektiven Erlebens in präpsychotischen Phasen nicht denkbar.

Tabelle 1.1 gibt einen Überblick über die häufigsten Symptome in der sogenannten Prodromalphase (Vorläuferphase) schizophrener Erkrankungen, durchschnittlich fünf Jahre vor der ersten Psychose. Viele der Symptome sind mit einem hohen Leidensdruck und einer funktionalen Einschränkung der Betroffenen verbunden. Dies führt dazu, dass im Mittel bereits zwei bis vier Jahre vor einer Erstaufnahme der soziale Abstieg der Betroffenen beginnt. Eine frühe Behandlung im Prodromalstadium ist daher auch mit der Hoffnung auf eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs verbunden (Häfner 1995).

Viele dieser Prodromalsymptome finden sich in ganz ähnlicher Form in der EASE wieder. Dies ist nicht überraschend, da die Inhalte der EASE maßgeblich durch das Basissymptom-Konzept von Huber (Huber 1966, 1983; Huber und Gross 1989) sowie die dazugehörige Bonner Skala für die Beurteilung von Basissymptomen (BSABS, Gross et al. 1987) beeinflusst wurde. Huber ging in seinem einflussreichen Früherkennungsansatz von hirnorganischen Abweichungen bei Menschen mit Schizophrenie aus, die ihren psychopathologischen Ausdruck in Form feiner, selbst wahrnehmbarer Defizite finden. Erst sekundär kommt es, laut Huber, beim Fortbestehen ungünstiger Lebensbedingungen oder Bewältigungsmechanismen zu produktiv-psychotischen Symptomen.

Tab. 1.1: Prodromalsymptome schizophrener Erkrankungen nach einer Literaturübersicht von Yung und McGorry (1996). Mit Sternchen* gekennzeichnet: am häufigsten beschriebene Symptome in retrospektiven Erstepisoden-Studien


SymptombereichSymptom

Nuechterlein und Dawson (1984) unterscheiden in ihrem Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modell zwischen sogenannten »state-« und »trait-Merkmalen«:state-Merkmale sind nur in bestimmten Stadien einer Erkrankung (Prodrom, manifeste Erkrankung, Remission) deutlich ausgeprägt, trait-Merkmale hingegen zeigen ein dauerhaft erhöhtes Ausprägungsniveau. Vulnerabilitätsfaktoren und auch Basisymptome weisen nach dieser Konzeption trait-Charakter auf, da in ihnen eine generelle Anfälligkeit für schizophrene Erkrankungen zum Ausdruck kommt.

Auch phänomenologische Psychopathologen gehen davon aus, dass die schizophrene Vulnerabilität in einer trait-artigen Störung des basalen Selbsterlebens oder des »minimalen Selbst« besteht (Sass und Parnas 2003; Parnas und Sass 2011; Fuchs 2012; Fuchs und Röhricht 2017). Die Konzeption der Selbststörungen hat ihren Ursprung in Berichten von Beschwerden, die sowohl Jahrzehnte vor der ersten akuten Episode als auch im Vorfeld schizophrener Rezidive auftreten können. Die Arbeitsgruppe um Josef Parnas und Louis Sass entwickelte daraus ein umfassendes psychopathologisches Modell, dass sich aus dem Basisstörungskonzept von Huber, aus Konzepten von Phänomenologen wie Maurice Merleau-Ponty und Michel Henry sowie von Psychiatern wie Eugène Minkowski und Wolfgang Blankenburg speist ( Kap. 1.3).

Danach lässt sich die Grundstörung der Schizophrenie, wie bereits erwähnt, als eine Schwächung des basalen Selbsterlebens beschreiben, die zunächst das präreflexive, selbstverständliche In-der-Welt-Sein erfasst. Dieses wird gewöhnlich vermittelt durch eine transparente, im Hintergrund aller Erfahrungen fungierende Leiblichkeit. Als Ursprung der veränderten Selbstwahrnehmung bei schizophrenen Erkrankungen gilt daher auch eine fehlende Verkörperung des Selbsterlebens (disembodiment) (Laing 1960/1990; Stanghellini 2004; Fuchs 2005, 2020; Kap. 2). In der Schizophrenie scheint das präreflexive, implizite Selbstsein, die Einbettung des Selbsterlebens in den Leib in unterschiedlichem Ausmaß verloren zu gehen. Der gelebte Leib trägt und vermittelt das alltägliche In-der-Welt- und Mit-anderen-Sein nicht mehr in selbstverständlicher Art und Weise. Gewohnte Handlungssequenzen zersetzen sich und müssen nun eigens geplant oder gezielt »gemacht« werden. Die sonst durch den Leib automatisch vermittelten Lebensvollzüge verlieren ihre »Meinhaftigkeit« und damit auch ihre Transparenz (Fuchs 2015).

Zugleich lösen sich integrale Wahrnehmungsgestalten auf, störende Details treten in den Vordergrund, und die wahrgenommene Welt verliert zunehmend ihre vertrauten Sinnbezüge. Schließlich werden auch die Beziehungen zu anderen fragwürdig, und die selbstverständliche Teilnahme an der gemeinsamen Lebenswelt und ihrem »common sense« misslingt (Stanghellini 2000; Thoma und Fuchs 2018). Soziale Interaktionen mit anderen können für Betroffene zunehmend belastend oder bedrohlich werden. Vergeblich versuchen sie, diese verschiedenen Formen von Entfremdung und Selbstverlust durch zwanghafte Selbstbeobachtung, Hyperreflexivität und bewusste Steuerung des eigenen Tuns zu kompensieren.

In der akuten Psychose steigert sich die zuvor noch schleichende Entfremdung zum Erlebnis der Selbstentmächtigung. Nun treten den Betroffenen die entfremdeten Bruchstücke des eigenen Wahrnehmens, Denkens und Handelns wie von außen gegenüber, als scheinbar von anonymen Mächten ausgelöste Empfindungen, gesteuerte Bewegungen, eingegebene Gedanken oder – bei noch weitergehender Entfremdung – als akustische Halluzinationen (»Stimmen«). Die sogenannten »produktiven« Symptome der akuten Psychose (Ich-Störungen, Beeinflussungswahn, Halluzinationen) stellen demnach Externalisierungen vollständig entfremdeter und als solcher nicht mehr erkannter Eigentätigkeiten dar, die sich den Betroffenen von außen her entgegenstellen. Damit ist die phänomenologische Konzeption der Schizophrenie, wie sie den hier vorgestellten Interviews zugrunde liegt, im Überblick skizziert.

Selbst- und Welterleben in der Schizophrenie

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