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Оглавление4 Gibt es einen Konditional im Deutschen? Konditional oder Futur Präteritum?
Im Deutschen wird der Konditional mit den Formen des Konjunktivs II (Konjunktiv Präteritum) von werden + Infinitiv gebildet. Dieser Verbalkomplex wird in der Fachliteratur mit unterschiedlichen Termini aufgeführt: Konditional, Futur Präteritum oder würde-Periphrase (Dudenredaktion 2005: 474). Auch im Deutschen befindet sich die Form folglich im Spannungsfeld zwischen Temporalität und Modalität, wie bereits die Terminologieproblematik verdeutlicht.
Im Deutschen kommt die Polyfunktionalität der würde-Form erschwerend hinzu, die Konjunktiv Präsens, Präteritum und Futur ersetzt, wenn sie morphologisch mit den indikativischen Formen zusammenfallen und keine anderen sprachlichen Mittel die durch die Konjunktivformen ausgedrückten Funktionen kennzeichnen (Helbig/ Buscha 2001: 172).
(41.a) Sie hat mir erzählt, seine Eltern leben auf dem Land.
(41.b) Sie hat mir erzählt, seine Eltern würden auf dem Land leben.
(Helbig/ Buscha 2001: 172)
Als Futur Präteritum versprachlicht die Verbalperiphrase ähnlich wie in den romanischen Sprachen ein Verbalereignis, das nachzeitig zu einer Referenzzeit in der Vorzeitigkeit ist, wobei Referenz- und Ereigniszeit vorzeitig zur Sprechzeit sind.
(42) Kolumbus entdecktePRÄT 1492 Amerika. Er würde lange Zeit denken, dass er einen neuen Seeweg nach Indien entdeckt habe.
Im Beispiel (42) wird der Betrachter in das Jahr 1492 versetzt und blickt in die Zukunft bezüglich Kolumbus’ Überzeugung. Der Sprechzeitpunkt liegt nach dem temporalen Anker, an dem der Betrachter verortet ist, und ist in einer Zeit verortet, wo man bereits weiß, dass Kolumbus Amerika und nicht Indien auf dem Seeweg erreichte. Aus temporaler Sicht unterscheidet man im Deutschen noch zwischen Konditional I (würde-Form (Aktiv)) (43) und II (würde-Form Perfekt (Aktiv)) (44) (Dudenredaktion 2005: 437):
(43) Sie würde dir meine Adresse nicht geben.
(44) Dann würde man Ihnen die Adresse gegeben haben.
(Dudenredaktion 2005: 437)
Die Verbalperiphrase erweist sich besonders dann produktiv, wenn „die uneingeleitete indirekte Rede (mit Konjunktiv Präs.) nicht von der direkten Rede mit Indikativ Präs. zu unterscheiden ist“ (Helbig/ Buscha 2001: 172). Ebenfalls wird die Form herangezogen, um die präteritalen Formen der unregelmäßigen Verben zu ersetzen, deren Verwendung diastratisch und diaphasisch als hoch markiert erscheint1 (45). Ein weiteres Vorkommen ist im Konditionalsatz, um potenzielle Bedingungen in der Vergangenheit (46) oder eine hypothetische Bedingung in der Gegenwart (47) zu versprachlichen.
(45) Wenn ich Zeit hätte, würde ich dir helfen. (vs. hülfe ich dir.)
(Helbig/ Buscha 2001: 172)
(46) Wenn er regelmäßig gelernt hätte, würde er bessere Noten im Zeugnis haben.
(47) Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich viel reisen.
In der gesprochenen Sprache ist eine Tendenz zu beobachten, dass die würde-Periphrase generell bevorzugt wird und auch die regulären Konjunktivformen der gesprochenen Sprache, mit Ausnahme des Konjunktiv Präteritums, immer stärker ersetzt (Helbig/ Buscha 2001: 172).
(48) An deiner Stelle würde ich ihn gefragt haben.2
Ähnlich wie im Spanischen und Portugiesischen kann der Konditional im Deutschen Höflichkeit ausdrücken und ersetzt in diesem Fall den Konjunktiv.
(49) Würden Sie mir (bitte) die Butter reichen?
Durch den abschwächenden Charakter des Konditionals ist die Höflichkeitspartikel bitte redundant (49), kann jedoch als Steigerung der Höflichkeit verwendet werden.
4.1. Konditional und der inklusive Ansatz von Leichter Sprache im Deutschen
Im Rahmen von inklusiven Ansätzen, die Menschen mit eingeschränkter Lesefähigkeit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen sollen, wird für das Deutsche in der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz aus dem Jahr 2011 (BITV 2.0) empfohlen, die Verwendung des Konjunktivs, aber auch der würde-Periphrase zu vermeiden (Bredel/ Maaß 2016a: 318)1. Im Fall des Potenzialis (50a) kann die Erfüllungsbedingung in Leichter Sprache durch eine Modalverbkonstruktion ausgedrückt werden, die zu erreichende Verbalhandlung kann als Folge der Erfüllungsbedingung mit angeschlossen werden (50.b) (Bredel/ Maaß 2016a: 320).
(50.a) Wenn Robert sein Abitur bestehen würde, bekäme er eine Lehrstelle.
(50.b) Robert muss sein Abitur bestehen. Dann bekommt er eine Lehrstelle.
(Bredel/Maaß 2016a: 319-320)
Außerdem wird empfohlen, den präteritalen Konjunktiv und die würde-Periphrase zum Ausdruck von Höflichkeit durch die Einfügung von bitte zu kompensieren.
(51.a) Könnten/ Würden Sie mir bitte das Salz reichen?
(51.b) Können Sie mir bitte das Salz reichen?
(51.c) Geben Sie mir bitte das Salz?
(Bredel/ Maaß 2016a: 320-321)
Die Fragen nach der Implementierung der Leichten Sprache und deren breiteren Auswirkung sind derzeit noch weitestgehend offen. Eine explizite Vermittlung alternativer Konstruktionen kann natürlich den verzeichneten Rückgang der Konditionalform zusätzlich beschleunigen. Die Berücksichtigung der Leichten Sprache ist vor allem wichtig wegen der starken Orientierung an der konzeptionellen Mündlichkeit und dem zugrundeliegenden Versuch, erkennbare Tendenzen als allgemein gültige Regeln zu formulieren.
4.2. Zwischenfazit: Konditional romanisch-germanisch kontrastiv
Im Vergleich zu den romanischen Sprachen weist der deutsche Konditional ein wesentlich breiteres Verwendungsspektrum auf: die Ersetzung der Konjunktivformen der geschriebenen Sprache durch die würde-Periphrase in der gesprochenen Sprache mit Tendenz zur Paraphrasierung, wie die Leichte Sprache verdeutlicht. Auch im Deutschen erfüllt die morphologische Form des Konditionals temporale und modale Aufgaben.