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5 Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick: Der Konditional an der Schnittstelle von Tempus und Modus im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit
ОглавлениеDie kontrastive Betrachtung des Konditionals hat gezeigt, dass die morphologische Form in allen drei Sprachen polyfunktional ist, obwohl es durchaus große Unterschiede in der Verwendung gibt. So hat der Konditional im Spanischen, im Portugiesischen und sogar im Deutschen ähnliche modale Lesarten, in seiner temporalen Lesart ist er jedoch von größerer Relevanz in den beiden romanischen Sprachen. Dies gilt trotz der rückläufigen Tendenz zur Verwendung im temporalen Sinn, vor allem in der gesprochenen Sprache, die sich mittel- bis langfristig auch auf die geschriebene Sprache auswirken wird. Die vergleichsweise zum Konditional geringere morphologisch Komplexität des Imperfekts mag diesen Rückgang – auch im seiner modalen Funktion – im Spanischen und Portugiesischen erklären, wobei im europäischen Portugiesisch die morphosyntaktische Komplexität im Fall des synthetischen Konditionals in Kombination mit Klitika den Rückgang möglicherweise zusätzlich begünstigt. Dafür spricht eine stärkere Stabilität in der Verwendung des Konditionals mit modaler Lesart im brasilianischen Portugiesisch, eine Varietät, die die Mesoklise nicht verwendet.
Zur Versprachlichung von Höflichkeit wird der Konditional in allen drei Sprachen massiv verdrängt – am stärksten im Portugiesischen und hier in seiner europäischen Varietät. Interessant ist es hier, die Unterschiede zu beobachten: Im europäischen Portugiesisch setzt sich das Höflichkeitsimperfekt durch, eine kommunikative Strategie, die auch im Spanischen verwendet wird. Im brasilianischen Portugiesisch findet man die Ersetzung des Konditionals durch Präsens mit der Höflichkeitspartikel. Im Deutschen wiederum werden Modalverben eingesetzt, die ein eigenständiges Paradigma aufweisen und anders als im Portugiesischen oder im Spanischen hochgradig grammatikalisiert sind (siehe hierzu: Meisnitzer 2012).
Im Spanischen und im Portugiesischen kann der Konditional von durativen Verben bei einer von einem Verb in der Vergangenheit eingeleiteten Referenzzeit einen modalen epistemischen Wert aufweisen und Unsicherheit oder ungewisse Wahrscheinlichkeit versprachlichen. Und die präskriptive Grammatik sieht einen Konditional vor, wenn in der Protasis ein Imperfekt Konjunktiv im Portugiesischen oder ein Imperfekt Subjunktiv im Spanischen steht, obwohl in der gesprochenen Sprache im (europäischen) Portugiesisch der Konditional häufig durch ein Imperfekt ersetzt wird. Aus semantischer Sicht wird der Konditional in seiner modalen Lesart eingesetzt, um eine Überzeugung zu versprachlichen, wobei sich der Sprecher vom Wahrheitsgehalt der Aussage distanziert, und um Aussagen gemäß des Sprechers als wahr darzustellen, jedoch in einem hypothetischen Kontext, der von der Realität divergieren kann.
Im Deutschen zeigt der Konditional eine Tendenz, die Konjunktivformen der geschriebenen Sprache in einer Breite zu ersetzen, die im Spanischen und im Portugiesischen von dieser Verbalkategorie nicht geleistet werden kann. Gleichzeitig ist jedoch festzuhalten, dass das Deutsche nur über die würde-Periphrase verfügt, um Konditional zu versprachlichen, während im Portugiesischen und im Spanischen dem synthetischen Konditional eine analytische Form gegenübersteht. Eine funktionale Überlappung der Semantik des Konditionals wie mit dem Imperfekt im Spanischen und im Portugiesischen weist keine Form im Deutschen auf. Allerdings verfügt das Deutsche auch über kein vergleichbares relatives Tempus zur Versprachlichung von Ereignissen in der Vorzeitigkeit zur Sprechzeit. Auch im Deutschen wird die würde-Konstruktion in der gesprochenen Sprache teilweise paraphrasiert und in der Leichten Sprache gilt es, die Form zu vermeiden und zu umschreiben.
Der Konditional in seiner gegenwärtigen Entwicklung und unter Berücksichtigung der Tendenz, seine temporale Lesart aufzugeben, spricht für die zu Beginn des Artikels vorgeschlagene (mögliche) Unidirektionalität der Entwicklungslogik der Kategorien innerhalb des TMA-Komplexes: Aspekt > Tempus > Modus, die auch durch die Reihenfolge im Spracherwerb bei Kindern, durch die Beobachtung sprachgeschichtlicher Entwicklungen und durch das Studium der Genese von Kreolsprachen belegt wird. Die beobachteten Diskrepanzen zwischen gesprochener und geschriebener Sprache bezeugen möglicherweise den schnelleren Wandel in der gesprochenen Sprache und deren stärkere Permeabilität für Sprachwandel und Innovationen.
Ein Forschungsdesiderat wären systematische breit angelegte Studien zur Verwendung des Konditionals in der gesprochenen Sprache im Portugiesischen, Spanischen und Deutschen, deren Ergebnisse ebenfalls kontrastiert werden könnten.