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4 Infinite Verbalformen im DeutschenDeutsch

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Um eine fundiertere Hypothese darüber aufstellen zu können, ob Formen des bisher beschriebenen Konstruktionstyps als infinite Verbformen anzusehen sind oder der WortbildungWortbildung zugeordnet werden müssen, soll zunächst noch einmal kurz der Bestand der infiniten Verbformen im DeutschenDeutsch betrachtet sowie die Definition dessen, was (In)Finitheit ausmacht, ins Gedächtnis gerufen werden.

Grundsätzlich wird eine infinite Verbform normalerweise dadurch definiert, dass sie keine Personalendung aufweist.1Infinitiv Da nicht alle Sprachen über morphologische Markierungen am VerbVerb und damit über Personalendungen verfügen, ist dies natürlich keine völlig befriedigende Definition, denn für isolierenden Sprachen – die Bisang (2001: 1408) eben wegen der fehlenden morphologischen Markierungen am Verb als „non-finite languages“ bezeichnet – ist es kaum möglich, diese Definition anzuwenden. Aber die Unterteilung in finite und infinite Verbformen ist auch bei „finiten“ Sprachen, also flektierenden und agglutinierenden, aus verschiedenen Gründen nicht unproblematisch (cf. hierzu ausführlicher Hentschel 2009). Daher greift man für die Definition meist auf syntaktische Kriterien zurück, wie sie im Grunde dann wiederum auch in isolierenden Sprachen anwendbar wären: Ein Verb wird als finit angesehen, wenn es das Prädikat eines nicht abhängigen Satzes bildet (cf. Koptjevskaja-Tamm 1994: 1245). Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass Prädikate von Nebensätzen notwendig infinit sind. Ob sie das sind, muss jeweils im Einzelnen anhand von Eigenschaften überprüft werden, die für finite Verben konstituierend sind: dem Vorhandensein von Tempus-, Aspekt- und Modusmarkierungen (TAM), ferner einem Subjekt, das explizit geäußert werden kann, sowie der Kongruenz des Verbs mit diesem Subjekt (cf. z.B. Givón 2001: 25). Verbformen, die wie beispielsweise schnurrt in Die Katze schnurrt all diese Eigenschaften aufweisen, können als prototypische Vertreter der Kategorie „finites Verb“ angesehen werden. Das Gegenstück dazu, die prototypische infinite Verbform, wäre hingegen ein Verb, das keine einzige dieser Eigenschaften mehr aufweist und daher zu einem Mitglied der Wortklasse Substantiv geworden ist. Typischerweise ist das der Fall bei Formen, die durch WortbildungWortbildung aus einem Verb hervorgegangen ist, und ein Beispiel hierfür läge etwa in Untersuchung vor. Das ursprünglich zugrundeliegende Verb untersuchen hat im Ergebnis der Wortbildung sämtliche Merkmale der Finitheit verloren, es ist im Hinblick auf TAM unbestimmt, kann kein Prädikat bilden und auch weder Subjekte noch Objekte an sich binden. Dafür weist die so entstandene neue Form nunmehr nominale Eigenschaften auf und kann z.B. mit Determinatoren wie dem Artikel verwendet werden (cf. hierzu Givon 2001: 353).

Formen wie schnurrt und Untersuchung sind prototypische Vertreter der jeweiligen Kategorie, aber sie bilden nur die beiden Endpunkte einer Skala, und das Spektrum der Möglichkeiten zwischen diesen beiden Extremen ist groß. So ist der Konjunktiv der indirekten Rede zwar eine finite Form, die Subjektkongruenz und TAM aufweist, aber hier überlagert der Modus das Tempus so stark, dass diese ansonsten grundlegende Kategorie des VerbsVerb partiell außer Kraft gesetzt wird und es keinen temporalen Bedeutungsunterschied zwischen Präsens- und Präteriumsformen mehr gibt (cf. Sie sagte, sie habe Hunger vs. Sie sagte, sie hätte Hunger). Man kann darin durchaus so etwas wie einen ersten Schritt in Richtung Infinitheit sehen. Sehr viel näher an diesem Ziel sind aber natürlich Verbformen wie InfinitiveInfinitiv, Partizipien oder der sog. Inflektiv (auch als Lexeminterjektion oder gelegentlich als „Erikativ“2Referenz bezeichnet).

Inflektive wie seufz oder grins stellen im DeutschenDeutsch insofern eine Besonderheit dar, als sie keinerlei morphologische Markierungen tragen: Sie bestehen aus der nackten, endungslosen Verbwurzel. Sie lassen – ebenso wie alle anderen infiniten Verbformen auch – kein explizites Subjekt zu, wohl aber Objekte und Adverbiale, wie für bestimmte Formen von Chat typische sog. Sternchenformen wie *schweißvonderstirnwisch* (Pankow 2003: 104) deutlich machen. Demgegenüber sind InfinitiveInfinitiv und Partizipien, die man wohl als erste Beispiele für infinite Verbformen anführen würde, morphologisch stark markiert, da neben dem für alle diese Formen obligatorischen suffigalen auch einen präfigalen Bestandteil auftreten kann. Letzteres ist bei Partizipien der Fall (cf. z.B. gesprungen), von denen das deutsche zwei Typen kennt, die meist entweder nummeriert oder mit Tempusbezeichnungen als „Partizip Präsens“ und „Partizip Perfekt“ bezeichnet werden. Partizipien können typischerweise keine absoluten, sondern nur relative Tempora ausdrücken, im vorliegenden Fall also einmal Gleichzeitigkeit (Partizip Präsens), einmal Vorzeitigkeit (Partizip Perfekt; cf. hierzu ausführlicher Velupillai/Hentschel 2009). Obgleich sich die beiden Partizipien des Deutschen von Partizipien desselben Typs in anderen indogermanischen Sprachen nicht grundlegend unterscheiden, finden sich große Unterschiede in der Auffassung, wie diese Formen einzuordnen sind: In der deutschen Grammatikschreibung werden die Partizipien des Präsens teilweise nicht als Verbform, sondern als „durch WortbildungWortbildung als VerbenVerb entstandene Adjektive“ (Zifonun et al. 1997: 2205f.) aufgefasst. Allerdings ist die zur Begründung für diese Zuordnung angeführte Tatsache, dass Präsenspartizipien „nie als Teile periphrastischer Verbformen“ (ibd.) Verwendung finden, keine Besonderheit des Deutschen, denn auch das Englische, Französische, Russische oder das Lateinische – um nur einige Beispiele zu nennen – setzen ihre Präsenspartizipien nicht zur Bildung analytischer Verbformen ein.3Gerundium Wenn man diese Einschränkung ernst nimmt, wäre folglich zu überlegen, ob man die Grenze zwischen Verbform und Wortbildung nicht grundsätzlich neu ziehen müsste. Dies führt zu sehr weitreichenden Folgen, denn man müsste dann auch die Infinitive vieler Sprachen sowie auch die zahlreichen KonverbenKonverb, die in agglutinierenden Sprachen zu beobachten sind, neu als Ergebnis von Wortbildungsverfahren ansehen.

Da es InfinitiveInfinitiv sind, die den in diesem Beitrag zu diskutierenden Phänomenen zugrunde liegen, ist die Frage nach ihrer Einordnung hier natürlich von besonderem Interesse. Infinitive werden gemeinhin als Verbalnomina definiert, die dem Substantiv syntaktisch sehr nahe stehen oder auch funktional identisch mit ihm sind – also Formen, die sich relativ nahe am nominalen Ende der Skala befinden. Wendet man die oben zitierte Definition für das Vorliegen einer Verbform an, so können Infinitive im modernen DeutschenDeutsch aber problemlos als eine solche betrachtet werden, denn alle Infinitivvarianten, auch hochkomplexe analytische Formen wie betrogen worden sein, können zusammen mit werden eine analytische Verbform bilden (er wird betrogen worden sein). Aber das gilt natürlich keineswegs für alle indogermanischen Sprachen, und schon gar nicht über die Sprachfamilie hinaus; und auch für frühere Sprachstufen des Deutschen lässt es sich nicht ansetzen. Hat sich der Status der Form im Laufe der Sprachgeschichte geändert?

In diesem Zusammenhang muss als weitere infinite Verbform auch das GerundiumGerundium betrachtet werden, denn auch dieses ist – zumindest in der hier verwendeten Lesart des Begriffs4KonverbGerundium – ein Verbalnomen, das syntaktisch einem Substantiv gleichgestellt ist. Die Grenze zwischen dem so verstandenen Gerundium und einem InfinitivInfinitiv ist fließend, so dass die beiden Formen etwa im Englischen gelegentlich ohne Bedeutungsunterschied gegeneinander austauschbar sind5 oder sich wie im Lateinischen innerhalb eines Paradigmas gegenseitig ergänzen (cf. Rubenbauer/Hofmann 1995: 202). Dennoch kann man auch Unterschiede zwischen diesen beiden Kategorien aufzeigen, so etwa, dass ein Infinitiv stets ein implizites Subjekt aufweisen muss, ein Gerundium hingegen nicht. Verdeutlichen lässt sich dieser Unterschied auch im DeutschenDeutsch, wo in Abhängigkeit von der syntaktischen Umgebung in einem Fall ein implizites Subjekt gegeben ist, im anderen jedoch nicht: Während Infinitive in Infinitivsätzen regelmäßig ein mitverstandenes Subjekt aufweisen und damit noch etwas näher am VerbVerb sind, ist dies etwa bei einem als attributiver Genitiv eingesetzten Infinitiv eindeutig nicht der Fall. Letzterer ist damit bereits ein deutliches Stück näher am Substantiv und kann in diesem Sinne als Gerundium angesehen werden, cf.:

Wir bitten Sie, hier nicht zu rauchen (‚wir bitten Sie, dass Sie hier nicht rauchen‘)

vs.

das Laster des Rauchens (*‚das Laster, dass jemand raucht‘)

Dass es dieser Typ von substantiviertemSubstantivierung InfinitivInfinitiv sein könnte, der den hier zu untersuchenden Konstruktionen zugrunde liegt, wird durch die möglichen Erweiterungen mit einem Objekt als Determinans wie etwa das Laster des Zigarettenrauchens oder das Laster des Opiumrauchens nahegelegt, die auch im Register der konzeptionellen Schriftlichkeit möglich sind. Aber Konstruktionen wie beim fürs Mittagessen Gemüseschneiden oder das offen seine Meinung Sagen gehen hier offensichtlich noch einen beträchtlichen Schritt weiter und bewegen sich damit wieder in Richtung auf eine dem VerbVerb näherstehende Form, wie sie etwa KonverbenKonverb darstellen.

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