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4 Neue Suffixe durch Einfluss auf der Ebene der SilbenstrukturSilbenstruktur

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Die Schweiz beherbergt wohl die größte Suffixvielfalt des ganzen deutschen Sprachraumes. Dies wird im Bereich der Diminution besonders deutlich. Während beispielsweise im StandarddeutschenStandarddeutsch Verkleinerungsformen mit -chen und -lein gebildet werden, verfügt das Schweizerdeutsche über eine ungleich größere Palette, Diminutiva abzuleiten (Hofer 2012: 12). So gibt es neben dem üblichen und am weitesten verbreiteten DiminutivsuffixDiminutivsuffix -(e)li (Mätteli ‚kleine Matte‘, Hüsli ‚Häuschen‘) auch noch die vor allem im Berner Oberland, im Wallis, in der Zentralschweiz und in Graubünden vorkommenden Verkleinerungssuffixe -i (Öpfi ‚Äpfelchen‘), -ti (Tälti ‚Tälchen‘), -elti (Brüggelti ‚Brücklein‘), -etli (Alpetli ‚kleine Alp‘) und die typisch walliserischen bzw. walserischen Suffixe -ji (Lammji ‚Lämmchen‘), -si (Mundsi ‚Küsschen‘), -schi (Hundschi ‚Hündchen‘), -tsi (Manntsi ‚Männchen‘) und -tschi (Hüentschi ‚Hühnchen‘).

Wie erklärt sich nun diese Suffixvielfalt? Voraussetzung dafür ist der SprachkontaktSprachkontakt von Alemannen und Romanen, genauer frankoprovenzalisch sprechenden Menschen. Schauen wir uns die Entstehung dieser Suffixe genauer an (cf. Abb. 1): Ausgangssuffix all dieser DiminutivsuffixeDiminutivsuffix ist ahd. -ī(n). Verbindet sich dieses mit einem Wort mit ahd. -il-Auslaut, entsteht die Lautverbindung ahd. -ilīn (z.B. ahd. leffil ‚Löffel‘ - leffilīn ‚Löffelchen‘), die sich dann selbständig machen kann und als eigenständiges Suffix produktiv wird: Suffix ahd. -ilīn (z.B. in ahd. kindilīn).

Abb. 1

Suffixstammbaum (aus: Hofer 2012: 86)

Folgendes (vereinfachtes) Szenario der Entwicklung der walserischen DiminutivsuffixeDiminutivsuffix ist nun denkbar: Als die Alemannen vor dem Jahr 1000, aus dem Berner Oberland kommend, ins das romanisch sprechende bzw. von Romanen besiedelte Wallis (heutiges Deutschwallis) vorstießen (cf. Abb. 2), brachten sie auch ihr Suffix ahd. -ilīn dorthin. Das langjährige Neben- und Miteinander von Alemannen und Romanen im Wallis führte naturgemäss zu Interferenzen. Das Suffix ahd. -ilīn wurde im romanischen Mund zu altwalliserdeutsch *-(i)(n) und schließlich zu walliserdeutsch -ji gewandelt (Hofer 2012: 63): Der deutsch lernende Romane (wir befinden uns ja im späteren Deutschwallis) sprach das von den Alemannen mitgebrachte ahd. *huntilīn also als *hundijīn aus. Fällt das -i- später aus, ergibt sich heutiges walliserdeutsch Hundji ‚Hündchen‘.

Diese sog. -l-Palatalisierung betraf nun nicht nur das althochdeutsche Suffix. -ilīn, sondern allgemein die althochdeutsche Phonemfolge -il + Vokal (Haas 1983: 1112). Somit waren auch andere Suffixe davon betroffen, z.B. ahd. -ila, cf. ahd. distila f. ‚Distel‘ > walliserdeutsch Distja (cf. Moulton 1941: 41). Wieso nun diese Palatalisierung? Sie ist ein Resultat des Einflusses der romanischen Substratsprache, genauer des Frankoprovenzalischen (Moulton 1941: 32f. u. 41f.). Die Lautfolge -ilīn scheint nicht in die romanische SilbenstrukturSilbenstruktur zu passen. D.h. der deutsch lernende Romane passte diese Lautverbindung -ilīn der eigenen Silbenstruktur an, indem er das -l- vokalisierte. -l-Vokalisierung ist typisch für die romanischen Sprachen, man vgl. dazu postkonsonantisch in den Lautverbindungen cl, gl, pl, bl, fl, z.B. lat. flamma > ital. fiamma, und intervokalisch, z.B. lat. filia > frz. fille [fij] (cf. Meyer-Lübke 1890: 345–351, 435–439; Rheinfelder 1976: 200).

Abb. 2

Besiedlung der Schweiz (aus: Zinsli 1971: 49)

Das neue durch -l-Palatalisierung entstandene Suffix -ji ist wiederum Grundlage der meisten anderen Suffixe (cf. Abb. 1). Je nach Lautumgebung entwickeln sich daraus die typisch walliserischen bzw. walserischen Suffixe -si, -schi oder -ti (Letzteres nach -l-Auslaut, Genaueres dazu und zu den Suffixen, die hier nicht behandelt werden, siehe Hofer 2012: 45–82), je nach Region oder Intensität des Sprachkontaktes kann das Suffix -ji aber auch unverändert bleiben (Hofer 2012: 78). Daher finden sich auf engem Raum im Wallis mehrere Formen noch heute nebeneinander, z.B. Hundji neben Hundsi und Hundschi (cf. SDS III, 156).

Tritt das Suffix -ji an einen d-Auslaut an, ergibt sich die Lautfolge -dji-. Diese ist im Romanischen phonotaktisch nicht zulässig und führt zudem zu einem „schlechten“ SilbenkontaktSilbenkontakt (s. dazu weiter unten) und damit zu einer „schlechten“ SilbenstrukturSilbenstruktur. Phonotaktik ist der Bereich der Phonologie, der sich mit möglichen und unmöglichen Kombinationen von Segmenten in einer Sprache befasst: /pft/ z.B. ist im DeutschenDeutsch nur im Silbenauslaut (er hüpft), nicht aber im Silbenanlaut zulässig (Hall 2000: 60; Bussmann 2008: 528).

Die Romanen passen nun auch diese Lautfolge an die romanische SilbenstrukturSilbenstruktur an, indem sie den „schlechten“ SilbenkontaktSilbenkontakt und die phonotaktische Hürde beseitigen, und zwar mittels Assibilierung (auch Assibilation, zu lat. ad ‚hinzu‘ und sībilāre ‚zischen‘), einer Zischlautentwicklung u.a. zwischen Dental und -i/-j (Bussmann 2008: 64f.; Knobloch 1986: 182f.; Abraham 1988: 64). Dies führt dann nach Ausfall des -j- zu den neuen Suffixen schwzd. -si und -schi: Hund-ji > Hund-s(j)i > Hund-si bzw. Hund-ji > Hund-sch(j)i > Hundschi (Hofer 2012: 76, 79f.).

Man vgl. dazu ähnliche Assibilierungsfälle: lat. generatio > nhd. Generation [-tsion] bzw. frz. génération [-siõ]; oder die bernischen FlurnamenFlurname Bütschel < altfrankoprovenzalisch *pudzyol, assibiliert aus lat./roman. *podiolum ‚kleine Anhöhe‘, DiminutivDiminutiv von lat. podium ‚Erhöhung‘ (cf. BENB I/4, 767f.).

Die Suffixe -si, -schi und auch -ji sind also als romanisch-alemannische Interferenzerscheinungen zu werten, sie sind lautbestimmte Suffixe, die aus der Anpassung von für den Romanen fremden Lautverbindungen an die romanische SilbenstrukturSilbenstruktur resultieren (Hofer 2012: 79f., 83).

Solche eben beschriebenen Vorgänge (Verbesserung des Silbenkontakts, phonotaktische Vereinfachung) sind typisch für Silbensprachen. Sie tendieren dazu, die Silbe bzw. die SilbenstrukturSilbenstruktur zu optimieren. Als Silbensprachen gelten insbesondere die romanischen Sprachen, aber auch das Schweizerdeutsche (insbesondere das Walliserdeutsche) und das Althochdeutsche. Im Gegensatz dazu gilt das Neuhochdeutsche als Wortsprache (Nübling/Schrambke 2004: 281–286, 293–299; Nübling 2008: 17, 22–24; Szczepaniak 2007: 317–325). Es ist hier noch anzumerken, dass nicht jede Silbensprache alle möglichen Merkmale einer Silbensprache besitzen muss; auch kann eine bestimmte Silbensprache ein typisches silbensprachliches Merkmal aufweisen, welches aber andere Silbensprachen nicht notwendigerweise auch enthalten müssen (cf. Nübling/Schrambke 2004: 285).

Zur Analyse des „schlechten“ Silbenkontakts /d.j/ werden hier zunächst ein paar silbenstrukturelle Ausführungen benötigt. Eine optimale Silbe besteht aus einem starken Konsonanten (C) im Silbenonset (cf. Abb. 3), einem Vokal (V) im Silbennukleus (Silbenkern) und einer leeren Silbenkoda (Silbenauslaut, Silbenendrand). Dies führt also zu sog. CV-Silben wie z.B. [ta], die am leichtesten aussprechbar sind (Vennemann 1986: 33; Nübling 2008: 17).

Abb. 3

Sonoritäts- bzw. Stärkeskala (vereinfachte Abb. nach Nübling 2008: 15 u. Vennemann 1986: 36)

Vokale haben naturgemäß die größte Sonorität (auch Schallfülle: relative Lautheit eines phonologischen Segments, cf. Restle/Vennemann 2001: 1310; Bussmann 2008: 633). Je weniger sonor ein Konsonant ist, desto höher ist seine konsonantische Stärke.

Wenn man die Stärkeskala mit numerischen Werten versieht, kann man den SilbenkontaktSilbenkontakt /k1.k2/ berechnen (cf. Abb. 4).

Abb. 4

Stärkeskala mit numerischen Werten (nach Restle/Vennemann 2001: 1318)

Je größer die Differenz in der konsonantischen Stärke zwischen k2 und k1 ist, desto besser ist der SilbenkontaktSilbenkontakt (Vennemann 1986: 39–42; Hall 2000: 227; Restle/Vennemann 2001: 1317). Das heisst also, je grösser also k2 – k1 ist, desto besser ist der Silbenkontakt. Bspw. hat nhd. /hal.ten/ einen sehr guten Silbenkontakt: Das /t/ ist mit dem numerischen Wert 6 ist k2, das /l/ mit dem numerischen Wert 3 ist k1 (k2 – k1 = 3). Aneinandergereihte CV.CV-Silben wie */ta.ta/ haben den besten Silbenkontakt (6–0 = 6; unter Ergänzung des Werts Null für den Vokal /a/ in der Abb. 4).

Schauen wir uns das jetzt exemplarisch am schweizerdeutschen Suffix -schi an: /Hund.ji/ (-4 = sehr schlechter SilbenkontaktSilbenkontakt) > /Hun.dschi/ (1 = guter Silbenkontakt) > /Hun.tschi/ (2 = guter Silbenkontakt). Durch Assibilierung hat sich also der Silbenkontakt enorm verbessert (Hofer 2012: 80). Zudem wird dadurch die Silbengrenze zu Ungunsten der Morphemgrenze verschoben, was ein typisches Merkmal von Silbensprachen ist (Nübling/Schrambke 2004: 281f.). Es ist hier die romanische Segmentierung angegeben, da es eine romanische Entwicklung ist und /tsch/ im Romanischen als Silbenonset phonotaktisch zulässig ist. Im DeutschenDeutsch hingegen scheint dies nicht der Fall zu sein, cf. nhd. rutschen oder Bratsche, die als /rut.schen/, /Brat.sche/, nicht als /ru.tschen/, /Bra.tsche/ silbifiziert werden; die Lautfolge /tsch/ ist im Deutschen sekundär entstanden, cf. nhd. rutschen < spätmhd. *ruckezen, Intensivbildung zu nhd. rucken (Lexer II, 559; DWB VIII, 1568f.; Id. VI, 1856–1859), durch Vokalausfall, cf. ahd. diutisc > nhd. deutsch (Kluge 2002: 193f.; Starck/Wells, 1971–1990, 103), oder aus Fremdwörtern, cf. nhd. Bratsche < ital. viola da braccio, zu lat. brac(c)hium ‚Arm‘ (Kluge 2002: 146).

Durch die Verbesserung des Silbenkontakts und die Verschiebung der Silbengrenze sind die Voraussetzungen gegeben, erneut ein neues Suffix zu generieren, nämlich schwzd. -tschi, und zwar durch Verschmelzung von -d-/-t-Auslaut mit dem neuen Suffix -schi und anschliessender morphologisch falscher Ablösung (Hofer 2012: 75, 80): Hund-schi > Hun-dschi bzw. fortisiert Hun-tschi. Das Suffix kann sich dann verselbständigen und produktiv werden, z.B. SchafSchaf-tschi ‚Schäfchen‘.

Dieser eben beschriebene Vorgang (Verschmelzung und falsche Ablösung) ist in der Bildung von Diminutivsuffixen häufig (Hofer 2012: 60, 62, 236), cf. die Entstehung der Suffixe schwzd. -li (ahd. leffil-īn > leff-ilīn; ahd. -ilīn > schwzd. -(i)li; s. auch oben) oder schweizerdeutsch -elti (Stafel-ti ‚kleine Alphütte‘ > Staf-elti; das abgelöste Suffix -elti wird dann produktiv, z.B. in Brügg-elti ‚kleine Brücke‘).

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