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1.1.4 Konsekutive Mehrsprachigkeit
ОглавлениеPoulisse (1997) betont, dass bei der Modellierung von konsekutiver Mehrsprachigkeit, bei der eine L2 zu einem Zeitpunkt gelernt wird, zu dem eine L1 bereits vorliegt, die folgenden Besonderheiten berücksichtigt werden müssen:
1 L2-Wissen ist normalerweise unvollständig. L2-Sprecher und -Sprecherinnen verfügen generell über weniger Wörter und Sprachregeln als L1-Sprecher und -Sprecherinnen. Das kann sie in ihren Formulierungen einschränken. Es kann dazu führen, dass sie Kompensationsstrategien anwenden oder dass sie Wörter oder Strukturen vermeiden, bei denen sie sich unsicher sind.
2 Die L2 ist weniger flüssig. Je nach Niveau und Kenntnissen der Lerner werden mehr Versprecher und Fehler gemacht. Theorien zu kognitiven Fähigkeiten, darunter Schneider und Shiffrin (1977) oder Andersons Modell zum adaptive character of thought (ACT) (1982), unterstreichen die Wichtigkeit der Entwicklung automatisierter Prozesse, die mühsam zu erlernen und schwer zu vergessen sind. Geringere Automatisierung bedeutet, dass der Ausführung spezifischer Aufgaben auf niedriger Ebene (also bei der Ausführung) mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Das führt zu einer Verlangsamung des Produktionsprozesses und zu einer größeren Anzahl von Versprechern, weil die begrenzten Aufmerksamkeitsressourcen für die Verarbeitung auf niedrigerer Ebene verbraucht werden müssen.
3 In der L2 sind oft Spuren der L1 zu finden. L2-Sprechern und -sprecherinnen steht in den meisten Fällen ein voll entwickeltes L1-System zur Verfügung und sie können, entweder beabsichtigt (funktionales Code-Switching) oder unbeabsichtigt (situationelles Code-Switching), zwischen den Sprachen wechseln. Ein Wechsel in die L1 kann beispielsweise von dem Wunsch motiviert sein, in Gesprächen Gruppenzugehörigkeit auszudrücken, an denen andere Mehrsprachige mit derselben L1 teilnehmen. Sie können auch unabsichtlich geschehen, wenn beispielsweise aus Versehen auf ein L1-Wort anstelle eines L2-Wortes zugegriffen wird. Poulisse und Bongaerts (1994) legen dar, dass solche unbeabsichtigten Wechsel in die L1 Substitutionen und Versprechern in monolingualer Sprache sehr ähneln (vergleiche die Diskussion solcher Phänomene nach Levelts Modell (1999) in Lerneinheit 4.1 im Band »Sprachenlernen und Kognition«; zu Code-Switching siehe auch Lerneinheit 5.1 in diesem Band). Sie werden je nach Sprachenkombination merken, dass Sie beim Wechsel von einer Sprache in die andere Mühe mit der normgerechten Realisierung bestimmter Laute haben, so zum Beispiel beim Rollen oder Nicht-Rollen des /r/ im Französischen oder Englischen oder eventuell bei der Positionierung von Adverbien und diskontinuierlichen Verbformen, und so weiter.
Poulisse (1997) behauptet, dass die unvollständige L2-Wissensbasis und das Fehlen von Automatisierung bei L2-Sprechern und -sprecherinnen mit bestehenden einsprachigen Produktionsmodellen, wie das von Levelt (1999), hinreichend erklärt werden können. Dagegen sei das Auftreten von L1-Spuren in der L2 für solche Modelle problematisch, was nach Paradis (1998) eine Anpassung bestehender Modelle erfordert.
Experiment
Suchen Sie sich einen einfachen Text mit circa 200 Wörtern heraus, der Ihnen in ihrer L1 und einer beliebigen, von Ihnen beherrschten L2 vorliegt. Nehmen Sie sich selbst dabei auf, während Sie den Text laut vorlesen. Versuchen Sie nun, den Sprachwechsel so durchzuführen, dass der Text zur Hälfte in der L1 und zur Hälfte in der L2 laut von Ihnen vorgelesen wird.
Fällt es Ihnen schwer? Warum? Erkennen Sie ein Muster in Ihrem Sprachwechsel? Was sind, hinsichtlich der Strukturen, Wortwahl und Geschwindigkeit sowie Fehlern, die wesentlichen Unterschiede zwischen der Umsetzung in Ihrer L1 und nach dem Wechsel in die andere Sprache?
Es ist anzunehmen, dass Muster der L1 in die L2 übertragen werden und, dass ähnliche Strukturen das Vorkommen von Code-Switching begünstigen. Sie konnten so vermutlich ein erstes Gefühl für die Permeabilität (Durchlässigkeit) zwischen den Sprachen entwickeln.