Читать книгу Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb - Группа авторов - Страница 11
1.1.5 Sprachtrennung und Sprachwahl
ОглавлениеBei der Betrachtung von Mehrsprachigkeit aus kognitiver Sicht müssen zwei zentrale Aspekte berücksichtigt werden:
Wie trennen Sprecher und Sprecherinnen ihre Sprachen?
Wie wählen sie eine Sprache?
Psycholinguistisch gesehen sind das Trennen von Sprachen und die Sprachwahl unterschiedliche Aspekte desselben Phänomens. In der Literatur wurde eine Vielzahl von Annahmen darüber getroffen, wie mehrsprachige Personen ihre Sprachen auseinanderhalten. Frühere Annahmen wurden zugunsten von Modellen aufgegeben, die auf Paradis Subset-Hypothese (Teilmengen-Hypothese) (2004) basieren.
Die Subset-HypotheseSubset-Hypothese (Teilmengen-Hypothese) wurde auf der Grundlage von Erkenntnissen aus der Aphasieforschung bei Mehrsprachigen formuliert. Nach ihr bilden Wörter (aber auch syntaktische Regeln und andere strukturelle Phänomene) aus einer bestimmten Sprache ein SubsetSubset des Gesamtinventars aller beherrschten Sprachen. Diese Subsets werden durch die Verwendung von Wörtern in bestimmten Situationen gebildet und aufrechterhalten. Wörter einer bestimmten Sprache werden in den meisten Situationen zusammen verwendet, aber in Situationen, in denen Code-Switching regelmäßig vorkommt, können Sprecher und Sprecherinnen ein Subset entwickeln, in dem Wörter aus mehr als einer Sprache vorkommen. Das Konzept eines Subsets im Wortschatz ist sehr kompatibel mit aktuellen Annahmen zu konnektionistischen Beziehungen im mentalen Lexikon (vergleiche Roelofs 1992). Jedes Subset kann unabhängig von den übrigen aktiviert werden. Einige (zum Beispiel Subsets aus typologisch verwandten Sprachen) können erhebliche Überschneidungen in Form von verwandten Wörtern aufweisen. Ein Beispiel eines Subsets könnte die Sprache der Briefmarkensammler sein: Sie verwenden spezifische Wörter für unterschiedliche Arten von Briefmarken, für die Qualität der Tinte und des Papiers, für die Herstellungsverfahren der Briefmarken und so weiter. Einem Außenseiter fällt es schwer, ihnen zu folgen, aber für Insider handelt es sich dabei um eine Art von Sprache, die ihrer Sache dienlich ist. Ein weiteres Beispiel kann die Entwicklung von Ethnolekten, einer Mischvarietät, die in mehrsprachigen urbanen Milieus entsteht, sein (siehe Kapitel 7 in diesem Band). Weil die Mitglieder der Gruppe bestimmte Wörter und Ausdrücke zusammen verwenden, werden sie zum Bestandteil dieses Subsets. Für diese Sprecher und Sprecherinnen stammen Wörter nicht aus der einen oder anderen Sprache, sondern gehören zu dem neuen, eigenständigen Teilsystem.
Ein großer Vorteil der Subset-Hypothese ist, dass das Set der lexikalischen und syntaktischen Regeln oder der phonologischen Elemente, aus denen eine Wahl getroffen werden muss, aufgrund der Tatsache, dass eine spezifische Sprache beziehungsweise ein spezifisches Subset ausgewählt wurde, drastisch reduziert wird. Wir behaupten, dass die Subset-Hypothese erklären kann, wie Sprachen auseinandergehalten werden können, aber nicht, wie die Wahl einer bestimmten Sprache erfolgt. Die Aktivierung eines sprachspezifischen Subsets wird die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Elemente aus diesem Subset ausgewählt werden, ist aber keine Garantie dafür, dass nur Elemente aus einer Sprache verwendet werden.
Gemäß der Subset-Hypothese verfügen mehrsprachige Sprecher über Einträge in ihrem mentalen Lexikon, die Lemmata und Lexeme umfassen und die sich nicht fundamental von jenen einsprachiger Sprecher und Sprecherinnen unterscheiden. Innerhalb jedes Verzeichnisses finden sich Subsets für unterschiedliche Sprachen, aber auch für unterschiedliche Varietäten, Stile und Register. Es wird vermutet, dass in unterschiedlichen Verzeichnissen Verbindungen zwischen den Subsets existieren. Das heißt zum einen dass, Lemmata, die ein Subset in einer bestimmten Sprache bilden, sowohl mit Lexemen als auch mit syntaktischen Regeln aus derselben Sprache verbunden sind und zum anderen bedeutet es, dass phonologische Regeln mit artikulatorischen Elementen aus dieser Sprache verknüpft sind. Diese Verbindungen werden so hergestellt, wie sich auch Verbindungen zwischen Elementen auf der Ebene der Lemmata entwickeln. Dies soll im Folgenden anhand von zwei Wortnetzen veranschaulicht werden. Das erste ist einsprachig (deutsch) und bildet die Verbindungen zwischen dem Lemma Krankenhaus und anderen Lemmata ab:
Abbildung 1.1:
Einsprachiges Netzwerk
Hierbei handelt es sich um ein sehr kleines Netzwerk, in dem die Aktivierung von Krankenhaus zur Aktivierung von Krankenschwester beziehungsweise Krankenpfleger und nachfolgend Arzt beziehungsweise Ärztin und Untersuchung führt. Eine weitere Verbindung existiert zwischen Krankenhaus und Bett, da die Assoziation zu einer stationären Aufnahme stark ist und dies wiederum eine Übernachtung voraussetzt. Es könnte auch eine aktivierende Verbindung zwischen Arzt und Bett bestehen, was aber nicht notwendigerweise sein muss, da dies von persönlichen Erfahrungen abhängt: Es ist möglich, dass für den Einzelnen der Besuch eines Arztes oder einer Ärztin nicht direkt dazu führt, dass er in einem Bett liegt.
Bei Abbildung 1.2 handelt es sich hingegen um ein etwas komplexeres Netzwerk mit Wörtern aus zwei Sprachen, nämlich Niederländisch und Englisch, deren Wörter Verbindungen aufweisen. Beachten Sie, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Wörtern school gibt, die in den beiden Sprachen Kognaten (siehe Lerneinheit 4.2 im Band »Sprachenlernen und Kognition«) sind. Beachten Sie auch, dass teacher das Wort blackboard aktivieren kann, aber blackboard nicht unbedingt teacher aktiviert. Das bedeutet, dass zwischen Wörtern aus derselben Sprache Verbindungen entstehen, weil sie häufig zusammen verwendet werden, ebenso existieren Knotenpunkte zwischen Wörtern, die sich in den beiden Sprachen ähneln. Kulturspezifische Wörter wie zum Beispiel juf, was ursprünglich unverheiratete junge Frauen bezeichnete und in den Niederlanden heutzutage noch für Vorschullehrkräfte benutzt wird, finden zum englischsprachigen Netzwerk keine Verbindung. Das ist auf die unterschiedlichen Bildungskontexte zurückzuführen, die in den jeweiligen Ländern als Schule betrachtet werden. Eine detaillierte Beschreibung der Funktionsweise des multilingualen mentalen Lexikons finden Sie in Kapitel 4 im Band »Sprachenlernen und Kognition«.
Abbildung 1.2:
Mehrsprachiges Netzwerk
Wenn ein Subset im Wortschatz im Rahmen einer Gesprächssituation aktiviert wird, dann kann eine bestimmte Sprache aktiviert werden, aber auch ein Dialekt, ein Sprachregister, oder ein Sprachstil. Diese Subsets können sowohl top-down aktiviert werden (wenn ein Sprecher oder eine Sprecherin eine Sprache für eine Äußerung auswählt) als auch bottom-up (wenn die Sprache, die in der Umgebung verwendet wird, ein spezielles Subset triggert und aktiviert) (vergleiche de Bot 2004). Das Triggern erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen: Laute, Wörter, Konstruktionen, aber vermutlich auch Gesten können ein Subset aktivieren. Interessant zu beantworten wäre an dieser Stelle die Frage, in welchem Maße es in gewöhnlichen Konversationen eine bewusste Entscheidung ist, dass ein spezielles Subset verwendet wird. Die Forschung zu AkkomodationsphänomenenAkkomodationsphänomene (Street & Giles 1982) zeigt, dass Gesprächspartner und -partnerinnen ihre Sprechstile einander anpassen, allerdings erfolgt dies größtenteils unbewusst. Dasselbe kann auch in mehrsprachigen Situationen geschehen, in denen viele unterschiedliche Faktoren bestimmen können, welcher der am besten geeignete Sprechstil ist.