Читать книгу Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb - Группа авторов - Страница 17

1.2.2 Formen von Mehrsprachigkeit

Оглавление

Bisher haben wir Mehrsprachigkeit nur auf eine Person bezogen, aber innerlich haben Sie als Leserin oder Leser sicher schon protestiert, dass es damit nicht getan sein kann. Schließlich hat Mehrsprachigkeit viel mehr Formen. Es gibt zum Beispiel Gruppen, die innerhalb einer Stadt oder sogar eines Staates eine eigene Sprache sprechen oder die vielen mehrsprachigen Staaten, die schon einmal ein halbes Dutzend Landessprachen haben können. Deshalb unterscheidet man in der Mehrsprachigkeitsforschung drei verschiedene Typen von Mehrsprachigkeit: individuelle Mehrsprachigkeit, territoriale oder gesellschaftliche Mehrsprachigkeit und institutionelle Mehrsprachigkeit (vergleiche Lüdi & Py 1984: 4). In der ersten Lerneinheit in diesem Band haben wir uns auf die individuelle Mehrsprachigkeitindividuelle Mehrsprachigkeit konzentriert, die üblicherweise als die Fähigkeit einer Person verstanden wird, mehr als eine Sprache auf einer gewissen Kompetenzstufe zu beherrschen.

Territoriale oder gesellschaftliche MehrsprachigkeitTerritoriale oder gesellschaftliche Mehrsprachigkeit bezieht sich hingegen stets auf mehrsprachige Gesellschaften, wobei Riehl (2013a) hier verschiedene Formen zur Unterscheidung aufführt:

 mehrsprachige Staaten mit Territorialprinzip

 mehrsprachige Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit

 einsprachige Staaten mit Minderheitsregionen

 Städtische Immigrantengruppen

Von einem mehrsprachigen Staat mit TerritorialprinzipTerritorialprinzip sprechen wir dann, wenn es sich um einen Staat handelt, der in mehrere Sprachgebiete eingeteilt ist (Territorialprinzip). Wie aus Abbildung 1.3 hervorgeht, ist hierfür die Schweiz ein gutes Beispiel, da sie als Staat vier Landessprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch, Rätoromanisch) besitzt und diese auf unterschiedliche Regionen im Land verteilt sind:

Abbildung 1.3:

Die Schweiz als mehrsprachiger Staat mit Territorialprinzip (FDFA, PRS 2015)

Ein anderer Fall von gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit liegt beispielsweise in vielen Ländern Afrikas vor. Hier spricht man von mehrsprachigen Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit. In Namibia beispielsweise (siehe Abbildung 1.4) ist zwar seit der Unabhängigkeit Englisch die offizielle Amtssprache, allerdings gibt es einen großen deutschsprachigen Anteil in der Bevölkerung und auch das Afrikaans ist immer noch als Lingua Franca allgegenwärtig. Die Muttersprachen der verschiedenen ethnischen Gruppen hingegen sind nur in den ersten Schuljahren der Elementarausbildung zu finden (weitere Informationen zu den verschiedenen Muttersprachen finden Sie auch im Ethnologue Projekt von Simons und Fennig (2017), das Sie im Netz unter www.ethnologue.com aufrufen können). Im Gegensatz zum Territorialprinzip sind die Sprachen in diesem Fall nicht auf unterschiedliche Regionen aufgeteilt, sondern im ganzen Land allgegenwärtig, denn hier spricht nahezu jeder mehrere Sprachen (daher individuelle Mehrsprachigkeit, siehe Riehl 2013a).

Abbildung 1.4:

Namibia als mehrsprachiger Staat mit individueller Mehrsprachigkeit (Digi-tal.ch 2007)

Die nächste Form von mehrsprachigen Gesellschaften, die wir uns ansehen wollen, sind einsprachige Staaten mit Minderheitsregionen. Dieses Phänomen kennt zweierlei Formen: Grenzminderheiten und isolierte Minderheiten. Grenzminderheiten sind beispielsweise Gemeinden, die außerhalb des eigentlichen Sprachraums, aber in unmittelbarer Nähe dazu, zu finden sind. Deutsche Grenzminderheiten gibt es in Südtirol, Ostbelgien, Dänemark und im Elsass. Isolierte Minderheiten hingegen, befinden sich nicht unbedingt an einer Grenze. Auch hier müssen wir wieder genauer unterscheiden. Zum einen gibt es die Minderheiten, die in nur einem Staat existieren wie das Bretonische, das es nur in Frankreich gibt. Zum anderen gibt es Sprachminderheiten, die in mehreren Staaten eine Minderheit darstellen, wie zum Beispiel die Basken. Und zuletzt gibt es noch die Minderheiten, deren Sprache in einem anderen Staat die Mehrheit bildet, wie zum Beispiel die vielen deutschen Sprachinseln, die es auf der ganzen Welt gibt, zum Beispiel in Italien, Russland, Australien oder in den USA.

Oft tritt Mehrsprachigkeit auch in Ballungszentren auf, in denen verschiedene Gemeinschaften zusammenleben und zusammenwirken. Gruppen von Einwanderern tragen üblicherweise zur Mehrsprachigkeit in großen Städten bei. Die städtischen Migranten siedeln häufig im gleichen Bezirk einer Stadt und sind Zwei- oder Mehrsprachensprecher und -sprecherinnen, weil sie die vorherrschenden Mehrheitssprachen erlernen müssen. Wenn, meistens in Großstädten, intellektuelle und kulturelle Eliten aufeinandertreffen, können wir jedoch auch eine andere Form von Mehrsprachigkeit beobachten – nämlich die Kombination der Mehrheitssprache mit internationalen Sprachen. Ein bekanntes Beispiel städtischer Migranten ist der New Yorker Stadtteil Chinatown, mit der größten chinesischen Gemeinschaft in Nordamerika.

Neben der individuellen und der territorialen Mehrsprachigkeit wollen wir nun noch auf die institutionelle Mehrsprachigkeitinstitutionelle Mehrsprachigkeit eingehen. Institutionelle Mehrsprachigkeit bedeutet, dass der Staat die Mehrsprachigkeit seiner Bürger gesetzlich anerkennt und diesen auch die Einsprachigkeit gewährt. Das bedeutet, dass in den staatlichen Institutionen mehrere Sprachen vertreten sind und die Bürger und Bürgerinnen sich in ihrer jeweiligen Sprache an sie wenden können. Dieses Phänomen ist vor allem dort zu finden, wo die Mehrheit der Bevölkerung eine andere Sprache als die Landessprache spricht.

Mehrsprachigkeit und Sprachenerwerb

Подняться наверх