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3.2 Systematische Lauteinführung und -einübung mit Hilfe von Liedern
ОглавлениеIn der zeitgenössischen fachdidaktischen Literatur gab es eine Vielzahl methodischer Ansätze zu Ausspracheübungen, wobei besonders auf das musikalische Gehör verwiesen wird. Die Beispiele des Durakkords von Viëtor und Trautmann haben gezeigt, dass die Phonetiker der Musikalität der Sprache eine besondere Bedeutung zuschreiben und die neusprachliche Reformbewegung meiner Auffassung nach auch als „musikalische Reform“ bezeichnet werden kann:
Beim Klassenunterricht kann man – die beste Befähigung des Lehrers vorausgesetzt – nur mit denjenigen Schülern etwas Vortreffliches in der Aussprache leisten, welche ein feinfühlendes musikalisch empfängliches und empfindliches Ohr haben. Dieses Laut-recipierende Organ ist überhaupt viel wichtiger als die Laut-producierenden Organe und doch ist von dem Ohre und dessen Schulung bei den Phonetikern kaum die Rede. (Seitz 1889, 222 f.)
Marcus Reinfried unterscheidet hierbei „deux approches: une approche atomiste et une approche globaliste“ (Reinfried 1997, 190 f.), die „dans la pratique, pouvaient se succéder à l’intérieur d’une seule unité d’enseignement“ (ebd., 190). Reinfried definiert beide Ansätze wie folgt: „L’approche atomiste se basait sur la communication de sons isolés ou de mots qui servaient de modèles articulatoires. [...]. L’approche globaliste par contre partait d’un texte entier“ (ebd., 190 f.).
Typisch für den Beginn der neusprachlichen Reformbewegung war vor allem im Anfangsunterricht des Französischen die approche atomiste mit der Ausspracheschulung und Übung isolierter Laute. Im Rahmen des Phonetischen Vorkurses wurden in vielen Lehrwerken der neusprachlichen Reformbewegung die Sprechwerkzeuge in einem Schaubild abgedruckt (vgl. Engelke/Meyer 1929, 1).1 Karl Quiehl und Max Walter2 entwickeln dabei das Lautschema im Lehrer-Schüler-Gespräch an der Wandtafel und weisen „an der Lauttafel auf das Zeichen des Lautes“ (Quiehl 1887, 36) hin. Nach dem Vor- und Nachsprechen der Laute nutzen Engelke/Meyer zur Festigung und zum Einschleifen der vier Nasalvokale [œ̃], [ɔ̃], [ɛ̃], [ã] (Engelke/Meyer 1929, 2 f.)3 den C-Dur-Akkord ‚c-e-g-c‘ und kommentieren „On apprend mieux les voyelles nasales en chantant“ (ebd., 2 f.).4 Hierbei werden die vier Nasalvokale als isolierte Laute einzeln gesungen und schließlich im Refrain des bekannten Kanons Frère Jacques den Noten zugeordnet. Anhand von Karl Quiehls Veröffentlichungen lässt sich die Entwicklung der approche atomiste anhand des prototypischen Uhlandschen Volkslieds „Ich hatt’ einen Kameraden“ exemplarisch nachvollziehen. Fünf Jahre nach Viëtors „Trompetenstoß“ skizziert Quiehl auf dem Zweiten Allgemeinen Deutschen Neuphilologentag 1887 in Frankfurt am Main (vgl. Quiehl 1887, 33 ff.) erstmals nach einer Zusammenfassung der Vorzüge des Liedeinsatzes im französischen Anfangsunterricht den Einsatz der französischen Kontrafakturversion „J’avais un camarade“ zur Lautschulung und Festigung:
Als erstes zusammenhängendes Stück wähle ich ein Gedicht; ein solches prägt sich vermöge der gebundenen Form und des Reims besonders gut ein. Da die genaue Wiedergabe der Einzellaute zunächst die Hauptsache ist,5 so wird ein Lied singend geübt. Beim Gesange werden die Laute länger gehalten, was besonders den Nasalvokalen zu gute kommt. (Quiehl 1887, 37)