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2 Mönchische Sprachexerzitien oder kaufmännische Lexisbeherrschung?

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Wer sich Praktiken der Fremdsprachenvermittlung aus der historischen Perspektive annähert, stößt zunächst häufig auf die Vorstellung eines Jahrhunderte währenden uneingeschränkten Primats der Grammatik-Übersetzungsmethode. Deren Usancen werden entsprechend in gängigen Handbüchern und einschlägigen Einträgen in (Online-) Enzyklopädien ausgeführt. Dort, wie beispielsweise im Wikipedia-Eintrag zu dieser Sprachlernmethode, wird das Primat der Förderung analytisch-kognitiver Fähigkeiten bei der Übersetzung schriftlicher Texte sowie der Vermittlung umfassender lexikalischer Kenntnisse und grammatikalischer Systeme beschrieben (Wikipedia, Art. „Grammatik-Übersetzungsmethode“). Evoziert wird das Bild mönchischer Sprachexerzitien beim Übersetzen von Bibelpassagen in eine Fremdsprache sowie beim Auswendiglernen grammatikalischer Regeln – beispielhaft mit Hilfe der berühmten Ars Grammatica, die bereits im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung verfasst wurde. Bekanntlich bestimmte der Lateinunterricht bis ins 19. Jahrhundert und prägte bis ins 20. Jahrhundert hinein den Fremdsprachenunterricht in Europa und den europäisch beeinflussten Erdteilen. In Deutschland erfuhr die mit ihm verbundene Grammatik-Übersetzungsmethode erstmals entscheidend durch die neusprachliche Reformbewegung unter Wilhelm Viëtor gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre Infragestellung. Dennoch vollzog sich ein Paradigmenwechsel hin zum Lehren und Lernen der modernen Fremdsprachen als lebendige, in lebensweltlichen Kommunikationssituationen einzusetzende linguistische ‚Werkzeuge‘ im Grunde erst im Zuge der Kommunikativen Wende um 1970.

Die einseitige Perspektive auf die klösterliche bzw. von Jesuiten getragene Instruktion in der lingua franca des Mittelalters, verbunden mit Negativbildern des ,Einpaukens‘ von Grammatikregeln und stupidem Auswendiglernen von Vokabellisten, ist allerdings durch die weitere Perspektive auf eine parallel verlaufende Tradition der Fremdsprachenvermittlung zu ergänzen. Denn diese erfolgte nicht nur mittels beispielhafter Bibelpassagen, die in die jeweilige Muttersprache oder Zielfremdsprache übersetzt bzw. zurück übersetzt wurden und mit Hilfe derer induktiv oder deduktiv vor allem grammatikalische Regelhaftigkeiten gelehrt werden sollten. Vielmehr entwickelte sich in historisch unterschiedlich verlaufenden Schüben eine praxisorientierte, auf mündliche Kommunikationsfähigkeit setzende Tradition, welche auf Beherrschung von Lexis setzte. Diese ist vor allem auf dem Gebiet der durch das Mittelalter hindurch ansteigenden internationalen Handelsbeziehungen zu finden. Kaufleute, Fernhändler und im Seehandel tätige Unternehmer eigneten sich auf unterschiedlichste, oftmals autodidaktische Weisen vor allem mündliche Skills an, die sich vor allem auf aktive Sprachhandlung und dem jeweils eigenen Metier affine Lexikbereiche erstreckten. Vom Privattutorium durch Muttersprachler, die als reisende Lehrkräfte ihre Dienste anboten (‚Sprachmeister‘), bis zum geschäftsbezogenen Auslandsaufenthalt in der Kindheit oder Jugend zum Erlernen des metierbezogenen Sprachgebrauchs beim Handelspartner (‚Kavalierstouren‘) erstreckte sich die Bandbreite der Vermittlungskontexte, die von der Quellenlage her nur akzidentiell und schwierig zu erfassen ist (Glück 2002). Die von Helmut Glück durchgeführte Recherche zu Sprachbüchern der frühen Neuzeit belegt, dass diese fast durchgehend auf die funktionalen Bedürfnisse von Kaufleuten oder Handelsmaklern ausgerichtet waren (ebd., 88). Interessant sind dabei zur Lexis folgende Ausführungen:

Die Fremdsprachenkenntnisse, die ein Kaufmann braucht, sind spezieller Art. Es geht im Kern nicht darum, die andere Sprache vollständig zu erwerben, sondern darum, in ihr Gegenstände von Handelsgeschäften benennen und Handelsgeschäfte sprachlich bewältigen zu können. Dazu gehören u.a. Bezeichnungen von Handelswaren und ihre ggf. unterschiedlichen Qualitäten, die Grund- und Ordnungszahlen, Ausdrücke für Maße, Gewichte und Währungen, Farb- und Qualitätsadjektive sowie deren Komparation, Namen der Wochentage und der Monate, Rechtsbegriffe sowie einige Verben und deren Flexion. Die Kenntnis der Wortschätze anderer Domänen war sicherlich von Nutzen, insbesondere wenn sie Bezug zum Handel hatten, etwa das Transportwesen, die Nahrungsmittel, das Finden einer Unterkunft, religiöse Begriffe usw. (ebd., 88)

Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart

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