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8 Das neue Paradigma: Mentales Lexikon und Semantisierungstechniken

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Die audio-linguale Methode mit ihrem behavioristischen Ansatz sowie kognitive Ansätze und pragmatische Kommunikationstheorien à la Noam Chomsky, Dell Hymes und Jürgen Habermas mündeten, stark vereinfacht formuliert, in die pragmatische Kommunikative Wende der 1970er Jahre. Die Aufwertung lexikalischer Kompetenzen in den folgenden Jahrzehnten erscheint als eine logische Konsequenz des neuen praxisbezogenen Paradigmas, welches in Deutschland vor allem durch den Gießener Didaktiker Hans-Eberhard Piepho vertreten wurde. Die neue Aufmerksamkeit gegenüber und Berücksichtigung psycholinguistischer sowie zunehmend neurobiologischer Forschungen schlug sich in zwei eng miteinander verknüpften Konzepten zur Lexisvermittlung nieder. Es setzte sich die Vorstellung des ‚mentalen Lexikons‘ (Aitchison 1987; Wolff 2002) durch, als Metapher für die Aneignungs-, Memorisierungs- wie Anwendungsleistungen des Gehirns von Fremdsprachenlernern. Zugleich entwickelten sich vielfältige Konzepte ‚gehirnadäquater‘, kongenialer Vermittlungstechniken von Vokabular mit Hilfe einer breiten, systematisch einzusetzenden Palette von ‚Semantisierungstechniken‘ (vgl. im Überblick Doyé 1971; Quetz 2007; Hutz 2012).

Interessanter Weise wären heutzutage, im Zeitalter des Internets, Beschreibungen des mentalen Lexikons noch plastischer möglich: mit Verweisen auf virtuelle Sinnkonfigurationen von Hypertexten und Endlosverlinkungen. Anstatt der Metapher des Lexikons wäre in der Tat die bisweilen synonym verwendete Netzmetapher geeigneter, verweist diese doch auf das dicht geknüpfte, paradigmatisch und syntagmatisch sowie vielfach intrikat sich ausformende semantische Netzwerk, welches der Sprachbenutzer sukzessive aufbaut. Die Verknüpfungsleistungen gilt es zu fördern, indem bei der Einführung und dem ‚Umwälzen‘ von Lexis vielfältige lautliche, semantische, morpho-syntaktische und pragmatische Bezüge hergestellt werden. Möglichst alle Sinnesorgane sollten beteiligt werden, damit neue Lexis (kurz- oder besser) langfristig zur Verfügung steht.

Die Didaktik widmete sich so in Publikationen immer genauer durchdachten und differenzierteren Formen von altersadäquaten Semantisierungstechniken und verband diese mit Überlegungen zur systematischen Progression bei der Wortschatzarbeit (Bausch/Christ 1995; Kieweg/Kieweg 2002; Kieweg 2006; Quetz 2007; Hutz 2012). Erklärungstechniken wurden nach visuellen bis verbalen Möglichkeiten aufgeschlüsselt (vgl. Quetz 2007, 277), von ganzheitlichen Begegnungen mit konkreten Gegenständen über das Zeigen bis zu kontrastiven und erklärenden (definierenden bis ableitenden) Verfahren. Neue Ordnungsprinzipien ergaben sich durch die Beachtung unterschiedlicher Lernertypen und unterschiedlicher pragmatischer Bedürfnisse. Aufgegriffen wurden Ansätze zur Vermittlung von ‚Textbausteinen‘ (chunks) sowie zur Lernerautonomie, beispielsweise beim Einüben von Bedeutungserschließungstechniken und dictionary skills (vgl. Börner/Vogel 1993; Kieweg/Kieweg 2002, 7; Hutz 2012).

Zunehmend gerieten ausdifferenzierte Theorien zu Lernertypen in den Fokus, wie beispielsweise bei Maria Kieweg (1996), die Angebote auflistet für Lernertypen im Bereich visuelle, auditive, audio-visuelle, haptische, abstrakt-verbale, einsichts-und sinnanstrebende (kontrastive), kontakt- bzw. handlungsorientierte Präferenzen. Hinzu kommen neue Empfehlungen in Bereichen wie beispielsweise bildgesteuerte und bildgestützte Vokabelarbeit, gehirnadäquate Aneignung von Lern- und Memorisierungstechniken (Hutz 2012), Lexis-in-Kontext-Ansätze, Überlegungen zum aktiven oder passiven Wortschatz, den es am sinnvollsten für Schülerinnen und Schüler altersadäquat und zielgruppenkonform zu vermitteln gilt. Dazu kommt spielerisches, inzidentelles Erlernen und Anwenden neuer Lexis in vielfältigen realen und virtuellen Kontexten (Stichworte: Digitalisierung, Gameification, vgl. Grimm/Meyer/Volkmann 2015, Kap. 10). So kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass wesentliche Fragen der Lexisvermittlung weiterhin vor dem Horizont neuer Forschungsfragen wie Fremdsprachenfrühbeginn, Heterogenität und Inklusion sowie der digitalen Herausforderung diskutiert werden (vgl. Reinfried/Volkmann 2012) und teilweise in den gängigen Lehrbüchern Eingang finden. Zweifellos gilt nach wie vor eine Feststellung, welche Herbert Christ (1995, 48) bereits vor der Jahrtausendwende äußerte:

[…] Wortschatzvermittlung und Wortschatzlernen sind in jedem Augenblick des Fremdsprachenunterrichts gefragt; sie sind für alle Gegenstandsbereiche von Bedeutung, ob es sich um Literaturunterricht oder um Landeskundeunterricht, um interkulturelles Lernen oder um Grammatikunterricht, Unterricht in Allgemeinsprache oder Fachsprache, um das Erlernen von Korrespondenz oder Konversation handelt.

Bleiben dennoch eher kritische Beobachtungen aus dem gleichen Zeitraum bestehen? So konstatierte Peter Scherfer (1989, 193): „Spezifische Wortschatzübungen werden im Fremdsprachenunterricht eher stiefmütterlich behandelt“. Und im Jahre 1993 hieß es in einer Publikation zu Wortschatz und Fremdsprachenerwerb, dass sich die „‘Wortschatzwende’ noch nicht vollzogen hat“ (Schneider 1993, 89). Auch in jüngeren Publikationen wird – teilweise auf der Basis lokaler empirischer Untersuchungen – angedeutet, dass in der Unterrichtspraxis beim Vermitteln von Lexis noch deutlicher Optimierungsbedarf herrscht (Tschirner 2004; Hutz 2012; Grimm/Meyer/Volkmann 2015; vgl. auch Schmitt 2016, 15, vor allem zum Thema Aussprache als „Cinderella of language teaching“). Beklagt wird das Vorherrschen von Grammatikübungen in Schulbüchern, die Auffassung, Vokabellernen sei primär eine typische Hausaufgabe (Börner/Vogel 1993, 88), sowie die fortgeführte Tradition der starren ‚Vokabelabfrage‘ am Beginn der Stunde (Kieweg/Kieweg 2002, 27). Deutlich wird auch, dass die Vermittlung von Lexis eher im englischsprachigen Raum ein Forschungsthema bleibt (Schmitt 2000; Thornbury 2002; Nation 2008; vgl. für die Forschung in Deutschland Stein 2002; Tschirner 2004).

Angesichts dieser Gravamina erscheint es nach wie vor wichtig, auf die anhaltende Bedeutung der Arbeit am mentalen Lexikon hinzuweisen. Sie ist und bleibt eine Grundvoraussetzung für die Fähigkeit, pragmatische Kommunikationsstrategien zu verwenden und kommunikative Kompetenzen zu entwickeln und zu verbessern. Hierfür sollten die von der Fremdsprachendidaktik ausführlich vorgestellten und in entsprechenden Rezeptologien zur Verfügung gestellten Hinweise zum Lexislernen und zu Semantisierungsverfahren noch stärker beachtet und umgesetzt werden.

Fremdsprachenunterricht in Geschichte und Gegenwart

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