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6 „Sensualistische“ Positionen der Reformbewegung um 1880
ОглавлениеDass die so genannte Parliermethode allerdings nicht allein weiblich konnotiert war, zeigt der hier nur skizzenhaft vorgetragene Rückblick weiter oben zum Fremdsprachenlernen in den Kreisen von Kaufleuten und Händlern. Sprachmeister waren zudem seit dem 18. Jahrhundert an den meisten Universitäten in Deutschland tätig. Mit dem Wachsen der wirtschaftlichen Bedeutung Großbritanniens im Zeitalter der Industriellen Revolution konnte Englisch dann bekanntlich im 19. Jahrhundert seine erste Verbreitung als Wahlfach an Schulen erlangen und wurde Mitte das 19. Jahrhunderts Pflichtfach an preußischen Real- und höheren Bürgerschulen (die Gymnasien schlossen sich in den 1890er Jahren an).
Die Reformbewegung der 1880er Jahre, wie die Etablierung des Englischunterrichts an höheren Schulen gewissermaßen eine Reaktion auf den Pragmatisierungsdruck der sich rasant verbreitenden Industrialisierung und Internationalisierung im späten 19. Jahrhundert, gipfelte in dem viel beachteten Traktat Viëtors Der Sprachunterricht muss umkehren von 1882. Sie stellte sich, wie Hüllen (1987, 32) es formulierte, gegen die vorherrschende „rationalistische“ Position und trat dagegen für eine „sensualistische“ Position ein. Sie betonte sprachpraktisches Handeln in kontextualisierten Lehr-Lernsituationen vermittels ‚direkter‘ Methoden, vor allem im Umgang mit Kommunikationsmitteln sowie durch Präsentieren bzw. Wahrnehmen und Üben (vgl. ebd.). In der propagierten direkten Methode erhielten Lexiskenntnisse einen größeren Stellenwert als Grammatikkenntnisse, der neue Wortschatz sollte idealerweise durch natürliche Interaktion angeeignet werden, unterstützt durch Bilder, Imitation und Realien. Die in fortgeschrittenen Lernphasen eingeführten abstrakten Wörter sollten beispielsweise nach semantischen Feldern gruppiert werden.
Über die Verwerfungen der Weltkriege und der Naziherrschaft hinaus ergab sich im Grunde genommen bis in die 1970er Jahre eine Gemengelage von drei konkurrierenden Verfahren: die Lektüre von Originaltexten der großen Literatur, welche wir im nächsten Abschnitt beispielhaft skizzieren werden; die Konversationsmethode mit praxisnahen Übungen; und schließlich konventionelle Formen einer Gedächtnis- und Grammatiklernmethode, die „über das Auswendiglernen von Vokabeln und Grammatikregeln auf Lernfortschritte“ setzte (Gehring 2004, 10).