Читать книгу Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa - Группа авторов - Страница 33
Die mehrsprachige Minderheit
ОглавлениеObwohl etliche Eltern Deutsch bzw. Dänisch als Muttersprache haben, erziehen sie ihre Kinder nicht zweisprachig. Simultane Zweisprachigkeit tritt in der Minderheit selten auf. Traditionell ist es Aufgabe der Minderheiteninstitutionen, bei den Kindern die Zweisprachigkeit aufzubauen. Die Kinder, deren Muttersprache Sønderjysk ist, erwerben Deutsch als Minderheitenzweitsprache in Kindergärten und Schulen. Gleichzeitig erwerben die deutschsprachigen Kinder hier Sønderjysk von den mundartsprechenden Kindern. Standarddänisch erwerben beide Gruppen über das Fach Dänisch in den Minderheitenschulen, wo sie sukzessive eine Mehrsprachigkeit ungeachtet von ihrer Muttersprache entwickeln.
Obwohl Standarddänisch noch immer nicht in großem Umfang als Muttersprache verwendet wird, wird es zu einem Kommunikationsmedium innerhalb der Minderheit. Bis vor kurzem galt es als eine Sprachform, die nicht zu einer deutschen, sondern zu einer dänischen Identität gehörte. Es wurde nur der dänische Dialekt Sønderjysk gesprochen. So hielten sich Minderheitenmitglieder an den Dialekt, wenn sie mit dialekt- oder standardsprechenden Mitgliedern der Mehrheit sprachen. Heute hat sich diese Sprachwahl geändert. Jetzt wechseln die Mitglieder der Minderheit zu Standarddänisch, wenn es in öffentlichen Mehrheitskontexten gesprochen wird, zum Beispiel bei Versammlungen, an denen die Minderheit und die Mehrheit teilnehmen, in der persönlichen Kommunikation oder in einer Arbeitsstelle in der Mehrheitsgesellschaft. Standarddänisch wird somit zur dritten Sprache der Minderheit. Dies kann als Ausdruck eines abnehmenden Glaubens an eine Übereinstimmung zwischen nationaler Zugehörigkeit und einer nationalen Standardsprache interpretiert werden.
Die Minderheit hat ein Kabarett namens Heimatmuseum, das alle zwei Jahre eine Vorstellung veranstaltet, bei der die Sprachsituation eine Rolle spielt. Im Jahr 2000 wurde ein Schauspieler gefragt, ob er seine Sprache gut genug beherrsche. Er antwortete mit “Ja, zumindest auf der Delegiertenversammlung vom Bund Deutscher Nordschleswiger“:
R: Aber du da, beherrschst du denn auch deine Sprache genug?
H: Aber sicher doch, ich spreche deutsch – wenigstens auf der Delegiertenversammlung. Da melde ich mich, stehe auf, stelle meine Frage auf Deutsch, setze mich dann wieder hin und diskutiere das Problem mit meinem Nachbarn – auf Sønderjysk.
Alle: Aber weshalb?
H: Weshalb? Weil man auf ‘ne Antwort doch gar nicht zu warten brauchst, denn irgend ein anwesender Lehrer hat sicherlich schon festgestellt, dass meine Fragestellung falsch war. Und dann fragt ein Pastor noch mal richtig, und das wird im Saal dann von der Versammlung geklärt. Als noch einmal: Deutsch im Stehen – Sønderjysk im Sitzen – Rigsdansk in der Firma. (Deutscher Volkskalender Nordschleswig 2004: 44)
Diese Satire veranschaulicht nicht nur die Verteilung und den Status der drei Sprachen, sondern spiegelt auch die Zugehörigkeit von Lehrern und Pastoren zu einer Gruppe von Menschen mit guten Deutschkenntnissen wider. Sie benutzen Deutsch bei ihrer Arbeit, und Deutsch ist für viele von ihnen die Muttersprache, weil sie in Deutschland geboren und ausgebildet wurden.