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2.2.1 TransdifferenzTransdifferenz
ОглавлениеDie Begrenzungen und Widersprüche traditioneller Ansätze des interkulturellen Verstehens lassen sich – wie dargestellt – im Rahmen binärer Kulturkonzepte nicht aufheben. Meist scheitern sie an kommunikativen und kognitiven Vorbedingungen, die im Prozess des Verstehens eigentlich erst zu etablieren wären. Das begrenzt ihre Wirkungsmöglichkeiten bei der Umsetzung anspruchsvoller interkultureller Ziele. Die begrenzte Wirksamkeit binärer Systeme von Eigenem und Fremdem zeigt sich umso deutlicher dort, wo Bildungssysteme von authentischem Multikulturalismus und natürlicher Mehrsprachigkeit geprägt sind und die Berücksichtigung von variantenreicher authentischer Fremdheit konstitutiv für die Gesellschaft und das Bildungssystem ist. Das gilt vor allem für die Berücksichtigung der Mehrkulturalität und Mehrsprachigkeit als Gegenstände der Lehrpläne: Sie haben schließlich die Funktion, gesellschaftliche Verhältnisse – wie die ethnographische Zusammensetzung einer Bevölkerung und ihre Migrationsbewegungen – abzubilden. Das gilt aber auch als Bedingung des Lernens und der Wissensvermittlung: Allzu oft liegt Bildungssystemen – und damit auch dem Sprachunterricht – die Annahme zugrunde, dass die Schülerinnen und Schüler, also die Lerner, fremdsprachen- und fremdkulturunerfahren seien. Diese Annahme trifft heute aber zumindest im deutschsprachigen Raum nicht mehr oder nur auf einen Teil der Lerner zu. Lerner und Lehrkräfte leben heute zunehmend unter transkulturellen, multikollektiven Bedingungen, die sie reflektiert wahrnehmen oder unbewusst erleben. Umso erstaunlicher ist es, dass trotz dieser lebensweltlichen Realität in Bildungssystemen und Unterricht weitgehend unberücksichtigt bleibt, wie Menschen mit den durch Kulturen- und Sprachenkontakt auftretenden kognitiven Dissonanzen produktiv umzugehen haben.
Das Konzept der TransdifferenzTransdifferenz ist aus einer intensiven Auseinandersetzung mit diesem Kernproblem transkultureller Kommunikation entstanden. Die dargestellten Restriktionen und Widersprüche kulturhermeneutischer Ansätze vom Verstehen des Eigenen und des Fremden können damit – so das Ziel – überwunden werden. Der Normalität des Fremden als Katalysator für Lernen wird zur Geltung verholfen.
Lag zu Beginn der Entwicklung des Konzeptes der TransdifferenzTransdifferenz, das vor allem durch Breinig und Lösch (2006) geprägt wurde, der Fokus noch auf dem Verstehen, mit dem ähnlich dem Gadamerschen Konzept der Horizontverschmelzung (Gadamer 1975 [1960]) eine „Verflüssigung der Differenzen“ (Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005: 21) einherging, so rückten nach der Kritik an der Fokussierung auf das Verstehen auch Nichtverstehen und Missverstehen ins Blickfeld. Diese neue Ausrichtung machte es möglich,
die Aufmerksamkeit auf die Differenzen zu legen, womit wiederum eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zu einer ‚produktiven TransdifferenzTransdifferenz‘ gegeben war. (Allolio‑Näcke & Kalscheuer 2005: 21)
Dem Transdifferenzansatz geht es also wie der skeptischen Hermeneutik oder dem Modell des ethischen Universalismus darum, die durch die Dynamik der Figuration und Transkulturation entstehenden Differenzen anders zu denken, sie nicht auflösen zu müssen (vergleiche Allolio‑Näcke & Kalscheuer 2005).
In einem allgemeinen Sinn – und im Anschluss an die Bedeutung ‚quer, hindurch‘ der Vorsilbe ‚trans‘ – bezeichnet Transdifferenz all das Widerspenstige, das sich gegen die Einordnung in die Polarität binärer Differenzen sperrt, weil es gleichsam quer durch die Grenzlinien hindurch geht und die ursprüngliche eingeschriebene Differenz ins Oszillieren bringt, ohne sie jedoch aufzulösen. (Lösch 2005: 27)
Differenzen sind vorübergehende Erscheinungen, die instabil werden. Sie haben eine orientierungsstiftende Funktion, sollen in dieser Funktion erhalten bleiben und durch eine Komponente Transdifferenz ergänzt werden (siehe Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005: 17).
Mit der Begrifflichkeit von Differenz und Transdifferenz wird gleichzeitig versucht, die Unbestimmtheit und Veränderbarkeit kultureller Erscheinungen so zu fassen, dass die „dialogische Qualität von kollektiven Identitätsnarrationen“ (Hildebrandt 2005: 351) weder zu einer normierenden Synthese noch zu einer Auflösung von Differenzen, wie in der traditionellen interkulturellen Hermeneutik, führt. Insgesamt erfolgt hierbei eine „Umstellung auf ein dynamisches Identitätskonzept, in dessen Zentrum die Frage danach steht, ‚wer ich werde‘“ (Allolio-Näcke & Kalscheuer 2005: 18), und nicht, ‚wer ich bin‘. Die kontinuierlichen Austausch- und Änderungsprozesse von Kulturen führen damit zu einer Komplexitätssteigerung postnationaler Identitäten und ermöglichen trotz zunehmender Fragmentarisierung des Selbst die „Teilhabe an mehreren Kollektiv-Intersubjektivitäten“ (Hildebrandt 2005: 351).
Wie sich die Fragmentarisierung, das heißt die Komplexitätssteigerung und Veränderung im kognitiven Apparat, verstehen lässt, soll im Folgenden anhand eines Modells dargestellt werden, mit dem die Entwicklungen messbar und darstellbar werden.