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Einleitung Einleitung
ОглавлениеDas Johannesevangelium, das aufgrund seiner Stellung im Neuen Testament auch unter der Bezeichnung „Viertes Evangelium“ bekannt ist, ist ein Evangelium der Widersprüchlichkeiten und Gegensätze sowohl im Hinblick auf seinen Inhalt als auch auf die Reaktionen, die es bei seinen Leserinnen und Lesern hervorruft. Es erzählt die Geschichte des Gottessohnes, der Fleisch wird und einen schändlichen Tod stirbt. Dieser bedeutet zugleich aber auch seine Erhöhung, Himmelfahrt zu Gott und seinen göttlichen Triumph über die Mächte des Bösen. Es zeichnet eine beeindruckende Vision zukünftiger Rettung, die auf eine unerklärliche Weise zugleich schon gegenwärtig real ist. Viele, die das Evangelium lesen, lieben es wegen seiner transzendenten Sprache, die die Leserinnen und Leser aus den konkreten Augenblicken im Leben Jesu in die erhabenen Höhen des Kosmos führt. Andere empfinden sein Beharren auf der exklusiven Wahrheit seiner Botschaft und seine Intoleranz gegenüber anderen Weltbildern als problematisch.
Die Widersprüchlichkeit des Evangeliums erstreckt sich auch auf seine Beziehung zum Judentum. Es macht einerseits sehr intensiv Gebrauch von den jüdischen Schriften, sowohl in direkten Zitaten und Anspielungen als auch indirekt durch die Verwendung der in ihnen vorkommenden Personen, Motive und Geschichten, die dann im Lichte des Glaubens an Jesus Christus (als den Messias) und Sohn Gottes interpretiert werden. Das Evangelium enthält außerdem zahlreiche Parallelen zu Quellen aus der Zeit des Zweiten Tempels und der Rabbinen sowie Hinweise auf jüdische Praktiken. Höchst problematisch ist andererseits die Darstellung „der Juden“ (gr. hoi Ioudaioi) im Evangelium: „Die Juden“ sind demnach die Erzfeinde Jesu und seiner Jünger, sie sind blind gegenüber der Wahrheit, verfolgen Jesus unnachgiebig und sind federführend bei der Planung seines Todes. Wie sie sich gegenüber Jesus verhalten und wie sie dabei versagen, [an ihn] zu glauben, zeigt, dass sie ihr Bundesverhältnis mit dem Gott Israels aufgekündigt haben und stattdessen Kinder des Teufels sind. Deshalb wurde das Johannesevangelium sowohl als das jüdischste als auch antijüdischste der Evangelien bezeichnet.