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2. Kirche und Nichtkatholiken

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Für die Minorität spielte eine große Rolle die Reaktion der Nichtkatholiken, vor allem der Protestanten, und dies in mehrfacher Hinsicht. Schwarzenberg befürchtete bei den Tschechen27 und Stroßmayer von Djakovo bei den Kroaten28, dass die Definition nationalistischen Abfallbewegungen von der katholischen Kirche Auftrieb geben würde – was sich sicher in beiden Fällen als unbegründet erwies. Häufiger wurde angeführt, dass die Situation der Verteidiger des katholischen Glaubens schwieriger sein würde. Sie wären, wie der irische Erzbischof Mac Hale von Tuam ausführte, in der Situation der Juden, die beim Neubau des Tempels die Kelle in der einen und das Schwert in der anderen Hand tragen mussten, zumal in Irland, wo die Priester darauf nicht vorbereitet und ohnehin mit Arbeit überlastet seien.29 Dieses Moment wurde besonders für die angelsächsischen Länder angeführt. Für die katholische Apologetik werde die Situation deshalb peinlich, weil genau jenes absolutistisch-papalistische Zerrbild des Katholizismus, von dem man sich immer distanziert und das man als Popanz abgetan habe, jetzt anscheinend bestätigt werde. Die katholische Apologetik habe sich gerade in England immer bemüht zu zeigen, dass die katholische Kirche kein Despotismus und keine Tyrannis sei, so führt Clifford am 25. Mai aus.30 Faktisch habe die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit in der Verkündigung keine Rolle gespielt. Ähnliches galt für die USA. Domenec von Pittsburgh31 und Whelan von Wheeling32 betonten, ebenso wie vorher schon Vérot von St. Augustine33, bisher habe die katholische Apologetik immer die Behauptung, die Katholiken glaubten an die Unfehlbarkeit des Papstes, als Unterstellung abgetan. Gegenüber den Protestanten, die uns die dunklen Seiten der Papstgeschichte vorhalten, hätten wir immer erwidert, als Katholiken seien wir nicht verpflichtet, zu allem zu stehen, was von Päpsten gesagt oder getan worden sei; denn der Papst bleibe vielmehr ein Mensch, der sündigen und irren könne; beides habe man auf eine Stufe gestellt. Die spezifisch ultramontanen Lehren würden dort mit „italienisch“ gleichgesetzt und schon aus nationalem Affekt abgelehnt. Nach der Definition müsste man nun sagen: Wir haben geirrt, wir sind zu Lügnern geworden! Noch schlimmer werde sein, dass die Protestanten sagen würden, die Katholiken hätten zu ihrer Glaubensregel etwas hinzugefügt; und damit entfalle jenes Argument der Konstanz unter Hinweis auf die Veränderlichkeit des Protestantismus, das bisher das stärkste Argument der katholischen Apologetik darstellte.

Eine besondere Rolle spielte im englischen Bereich der Eid der englischen Bischöfe vor der Katholikenemanzipation von 1829, dass unter anderem die päpstliche Unfehlbarkeit nicht katholische Glaubenswahrheit sei. War es ehrlich, nun, da die politische Gleichberechtigung der Katholiken errungen war, gleichsam die Katze aus dem Sack zu lassen? Auf das Problem dieses Eides hatte vor allem Clifford in seinen schriftlichen Bemerkungen zum Caput addendum hingewiesen.34 Die irischen Bischöfe Mac Evilly von Galway35 und Gilooly von Elphin36 erwiderten: Dieser Eid wird nicht zum Meineid, denn er traf damals zu: die päpstliche Unfehlbarkeit war und ist bis jetzt noch nicht katholisches Dogma, so dass seine Leugner noch nicht Häretiker sind. Im Übrigen müsse man, so Mac Evilly, der brutalen Realität ins Auge schauen: Was bei den Protestanten zähle, seien nicht moralische Faktoren wie guter Wille und Behebung von Missverständnissen, sondern nur Macht. Was die Katholikenemanzipation bewirkte, war einzig und allein, dass die Katholiken einen Machtfaktor darstellten. Wenn die protestantischen Regierungen könnten, würden sie noch heute die Katholiken unterdrücken; und wenn sie das Schwert der Verfolgung aus der Scheide ziehen wollten, bedürfe es dazu weder der Unfehlbarkeitsdefinition, noch würde ihre Unterlassung sie daran hindern.37

Diese gewiss von starkem anti-britischem Affekt gespeisten Ausführungen entbehrten sicher nicht jedes Fundamentes. Nur vereinfachten sie sicher einen Tatbestand, der nach handelnden Personen sehr zu differenzieren war. Was die damalige britische Führung betraf, so trafen sie in gewissem Maße auf den rabiat anti-katholischen Außenminister Clarendon zu, in keiner Weise jedoch auf den Premier Gladstone. Nur war eben gerade Gladstone – und hier stimmte das übliche Weltbild der Definitionsbefürworter nicht – Verfechter einer diplomatischen Aktion gegen die Unfehlbarkeitsdefinition, die er als Gefährdung seiner Versöhnungspolitik gegenüber den irischen Katholiken ansah, während Clarendon meinte, man solle hier die katholische Kirche in ihr eigenes Verderben laufen lassen.38 Die Ausführungen von Mac Evilly riefen auch am selben Tage den Protest Cliffords hervor: Wer so rede, habe keine Ahnung, wie die Katholiken in England und Nordamerika mit den Protestanten gesellschaftlich engstens zusammenleben und auf menschlich gute und vertrauensvolle Beziehungen angewiesen seien.39 Und die Geschichte Englands zeige, wie er an einigen Beispielen aufzeigt, dass maßloses und realitätsfernes Verhalten katastrophale Folgen für die katholische Sache gehabt habe; gerade die Katholiken Englands hätten die Erfahrung machen müssen, „dass die größten Feinde der Religion ihre maßlosen Verteidiger sind“40.

Was die Protestanten betraf, so lauteten die Hauptargumente der Majorität: Die Mehrzahl, zumal der liberalen Protestanten, seien durch viel fundamentalere Dissenspunkte von der katholischen Kirche getrennt als nur die päpstliche Unfehlbarkeit. Insbesondere Schaepman von Utrecht zeichnete hier am 31. Mai aus seiner niederländischen Erfahrung ein sehr dunkles Bild: Die lutherische oder calvinistische Orthodoxie sei praktisch tot, es herrsche bei den Gebildeten der theologische Liberalismus und Rationalismus, in den niederen Klassen religiöse Gleichgültigkeit einerseits, Sektenwirrwarr anderseits.41 Suchende und der katholischen Kirche gegenüber offene Protestanten aber – so wurde immer wieder argumentiert – suchen in ihr nicht Kontroverse und Pluralität, sondern Einheit, Eindeutigkeit und Sicherheit in den Stürmen der Welt; sie würden daher durch die Unfehlbarkeitsdefinition nicht abgestoßen, sondern angezogen, da sie diese als logische Konsequenz des katholischen Kirchenprinzips empfinden. Innerkatholische Kontroversen und Unklarheiten über das genaue Subjekt der kirchlichen Unfehlbarkeit schwächten aber das Argument der Einheit und hielten suchende Protestanten von der Konversion ab.42 Besonders imponierten hier die Ausführungen Mannings am 25. Mai, da er aus seiner eigenen persönlichen Erfahrung als Konvertit und vor allem, wie er zu Beginn hervorhob, aus der Sicht der katholischen Kirche „ab extra“, von den Nichtkatholiken und Protestanten aus, sprach.43 Als er sich zuerst als Protestant mit der katholischen Lehre von der Unfehlbarkeit der Kirche beschäftigt habe, sei seine Hauptschwierigkeit gerade ihre fehlende Eindeutigkeit und Bestimmtheit gewesen. Er habe nicht verstehen können, dass hier über ihr Subjekt Kontroversen bestanden und man nicht sicher wusste, welches Konzil ökumenisch sei. Er habe nicht verstehen können, wie weder der Papst ohne das Konzil noch das Konzil ohne den Papst unfehlbar wäre, und doch beide zusammen; nicht, wie die Kirche verpflichtet sei, dem Papst zu gehorchen, wenn er fehlbar ist, da sie dann im Falle eines Irrtums entweder aus der Wahrheit herausfällt oder sich gegen ihr Haupt erheben muss. Die päpstliche Unfehlbarkeit erschien zweifelhaft, da sie von Katholiken selbst bekämpft wurde, die konziliare Unfehlbarkeit, da Konstanz und Basel von den Gallikanern angenommen, von den Ultramontanen zurückgewiesen wurden; er habe kein Kriterium finden können, wodurch sich die ökumenischen von den nicht-ökumenischen Konzilien unterschieden. Die ganze Lehre von der Unfehlbarkeit der Kirche sei ihm durch diese Unklarheiten zweifelhaft erschienen. Aus seiner ganzen persönlichen Erfahrung als Konvertit und als Helfer bei anderen Konversionen könne er zweierlei sagen: 1. der einzige Grund zur Konversion sei die Unfehlbarkeit der Kirche; 2. nichts verunklare und stelle diese Lehre so sehr in Frage wie die Infragestellung der Unfehlbarkeit des Papstes und die daraus folgenden inner-katholischen Kontroversen.44 Die Protestanten in England betrachteten die päpstliche Unfehlbarkeit als notwendige logische Konsequenz der katholischen Lehre; der Gallikanismus dagegen werde nicht ernstgenommen: man betrachte ihn nicht als genuin katholisch, führe ihn allenfalls schadenfroh als Gegenargument an, dass es mit der vielgepriesenen Einheit der Katholiken doch nicht so weit her sei.

Mannings Behauptung, die Unfehlbarkeitsdefinition fördere gerade die Konversion zur katholischen Kirche statt sie zu behindern, blieb freilich nicht unwidersprochen. Connolly von Halifax45 und Whelan46 wiesen darauf hin, dass diese Erfahrung nicht repräsentativ sei: gegenüber den protestantischen Vorurteilen bemühe man sich, diese Lehre als frei und kontrovers darzustellen und ein Bild des Katholizismus zu vermitteln, das diesen Klischees widerspreche.

Ähnlich wurde beiderseits über die Wirkung hinsichtlich der Ostkirche argumentiert. Der melkitische Patriarch Jussef von Antiochien wies am 19. Mai darauf hin, einziges Fundament einer Einheit mit der Orthodoxie sei und bleibe das Florentinum sowie die Selbständigkeit der Patriarchate, die dort als Basis und Bedingung der Union ausgehandelt worden sei.47 Eine solche Union, so führte jedoch am folgenden Tage Maddalena von Korfu aus, sei aber in absehbarer Zeit illusorisch. Denn die griechische Kirche sei seit acht Jahrhunderten zu einem „sterilen und dunklen Zeugnis der göttlichen Rache“ geworden. Ihr geistiger und theologischer Tiefstand und die Verbindung der Orthodoxie mit dem griechischen Nationalismus machten jede Hoffnung auf eine Union zunichte. Die einzige Chance sieht er darin, dass der Säkularisierungsprozess und die liberalen Ideen auch die griechische Kirche in eine tiefgreifende Krise hineinziehen, aus der sie dann nur den Ausweg der Einheit mit Rom sehe. Wenn es aber zu einer Union kommen sollte, wäre die päpstliche Unfehlbarkeit deshalb kein Hinderungsgrund, weil die Griechen, wenn auch oft unaufrichtig, so doch nicht dumm sind: sie würden klar und messerscharf schließen, dass aus der Anerkennung des Papstes als Haupt der Kirche im Sinne des Konzils von Florenz die Unfehlbarkeit des Papstes als notwendige logische Konsequenz hervorgeht.48 Ganz andere Stimmen kamen jedoch aus Österreich-Ungarn. Bonnaz von Csanad bestätigte zwar die triste Situation speziell der griechischen Kirche, warnte jedoch vor Generalisierung: unter den Orthodoxen Ungarns, das heißt des heute rumänischen Siebenbürgen, sei die Situation besser und die Bereitschaft zur Einheit größer.49 Er und ebenso Vancsa von Fogaras50 betonten, die einzig mögliche Basis der Einheit sowohl mit den derzeitigen Unierten wie mit den Orthodoxen sei und bleibe das Florentinum.

Das Erste Vatikanische Konzil

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