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2.2.2 Die ratio im Dienst der fides

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Die beiden Erkenntnisordnungen sind also durch die gemeinsame Quelle gewissermaßen an der Wurzel verbunden; ihr Zueinander beschränkt sich in der Sicht von Dei filius aber keinesfalls auf eine bloße Widerspruchsfreiheit. Vielmehr wird – in aller Kürze und vor dem Hintergrund eines theonomen Wahrheitskonzepts – durchaus auch dem Glauben eine erkenntnisfördernde Wirkung für die „menschlichen Künste und Wissenschaften“ zugeschrieben (DH 3019);34 insbesondere aber kommt der natürlichen Vernunft in der Sicht des Konzils eine wesentliche Funktion für den Glaubensvollzug zu.

Dabei denkt Dei filius zum einen an die weitgehend unstrittige Feststellung, dass die Vernunft durch ihre Rolle im Rahmen der Glaubensreflexion einer fides quaerens intellectum unersetzliche Dienste erweist. Das Konzil benennt zwei Wege, auf denen sich diese rationale Suche nach einem tieferen Verständnis der im Glauben bejahten Gehalte vollziehen kann: Dies ist zum einen die Analogie zwischen natürlicher und übernatürlicher Ordnung, die einen Zugang zu den Glaubensmysterien eröffnet, und zum anderen eine „aufgrund des Zusammenhanges der Geheimnisse selbst untereinander“ gegebene Erkenntnismöglichkeit (DH 3016) – eine Formulierung, die im Sinne der neuscholastischen „Spekulation“ als Anwendung der logischen Erkenntnisregeln auf die Ausdeutung der übernatürlichen Offenbarungswahrheiten zu deuten ist.35 Freilich: Trotz dieser vernünftigen Zugänge bleibt die menschliche Glaubenserkenntnis stets und unhintergehbar „von einem gewissen Dunkel umhüllt“ (DH 3016).

Für eine Deutung des Zueinanders von fides und ratio noch interessanter ist aber ein zweiter, grundlegender Dienst, den die Vernunft dem Glauben leistet: ihr Wirken im Kontext der Glaubensbegründung. Dazu formuliert das Erste Vaticanum: „[D]ie rechte Vernunft beweist (demonstret) die Grundlagen des Glaubens“ (DH 3019); schon der äußeren Gründe wegen wird daher eine „Gewissheit“ im Glauben als erreichbar angesehen (certiores faciat), die „sich auf eine unerschütterliche Grundlage stützt“ (firmissimo […]fundamento, DH 3014). Wie versteht das Konzil diese Grundlegung?

Zunächst liegt auf der Hand, dass es Dei filius hier um eine Zurückweisung von fideistischen oder traditionalistischen Deutungen der Begründungsstrukturen des Glaubens geht. Der Glaube gründet sich auch nicht auf ein bloßes Gefühl, sondern er ist „mit der Vernunft übereinstimmend“ (DH 3009), wenigstens der Möglichkeit nach, also rational legitimiert: ein obsequium rationabile.36 Zur Gewährleistung dieses Rationalitätsanspruchs wird nun ein bestimmter Fundierungsdienst postuliert, den die Vernunft der Glaubenszustimmung leistet: der Aufweis der Faktizität und der göttlichen Urheberschaft der im Christentum geglaubten Offenbarung. Dies erfolgt durch die Anführung „äußerer Beweise“ für die Offenbarung, konkret durch den Verweis auf „Wunder und Weissagungen“, die im Alten und Neuen Testament bezeugt sind und als „ganz sichere und dem Erkenntnisvermögen aller angepasste Zeichen der göttlichen Offenbarung“ bewertet werden (DH 3009) – in thomistischer Tradition: als beglaubigende „Siegel“37 von Gott. Zu diesen Beglaubigungszeichen zählt „wegen ihrer wunderbaren Ausbreitung, außerordentlichen Heiligkeit und unerschöpflichen Fruchtbarkeit an allem Guten, wegen ihrer katholischen Einheit und unbesiegten Beständigkeit“ (DH 3013) auch die katholische Kirche selbst „als Zeichen, das aufgerichtet ist für die Völker“ (DH 3013).

Auf das sich hier manifestierende Kirchenbild und das weitgehende Desinteresse des Konzils gegenüber inneren Glaubwürdigkeitskriterien wird an anderer Stelle wenigstens kurz noch einzugehen sein. Hier stellt sich jedoch zunächst – nicht zuletzt angesichts der in diesem Kontext nun erfolgten Verwendung des vorher vermiedenen Begriffs demonstrari – die Frage nach dem Charakter dieser rationalen Einsicht und ihrem Stellenwert für den regulären Glaubensweg. Und dabei ist neben der von Dei filius an sich zweifelsfrei ausgedrückten Überzeugung einer rationalen Begründbarkeit der Wahrheit der Offenbarung zugleich erneut ein praktischer Vorbehalt zu notieren: Denn die Konzilsväter „äußerten Skepsis gegenüber der faktischen Wirksamkeit der äußeren Kriterien und lehnten es ab, die rationale Überzeugung von der Offenbarungstatsache zur notwendigen Vorbedingung für eine verantwortete Glaubensentscheidung zu machen“38 – eine auf äußeren rationalen Kriterien beruhende Glaubensfundierung wird also, wie die Konzilsdokumentation zeigt, bei allem Erkenntnisoptimismus wenigstens für die Mehrheit der Gläubigen nicht als regulärer Teilschritt auf dem faktischen Glaubensweg, sondern eher als Thema der Theologie und zudem auch nicht losgelöst vom Gnadenwirken betrachtet.39

Stellt man diese praktischen Vorbehalte in Rechnung, so geht es dem Konzil hier im Letzten abermals um nicht mehr und nicht weniger als die „Voraussetzung dafür, daß der Glaube eine auch vor der Vernunft verantwortete Antwort des Menschen auf den Offenbarungsanspruch Gottes sein kann“.40 Gegen diese Deutung ließe sich freilich der Einwand anführen, dass eine rein hypothetisch mögliche Vernunftbegründung noch nicht die konziliar postulierte faktische Rationalität eines jeden vollmenschlichen Glaubensaktes zu sichern vermag; die Konzilsdokumentation verdeutlicht jedoch, dass man diese Vernünftigkeit des Glaubens – neben der theoretisch gesicherten prinzipiellen Möglichkeit eines natürlichen Aufweises – auch durch die allgemein angenommene vernünftige Unterfassung des übernatürlich induzierten Glaubwürdigkeitsurteils als gewährleistet ansehen konnte.41 Noch einmal anders formuliert: Die angezielte Rationalität des Glaubens kann auch durch eine erst auf der Basis der Offenbarung erfolgende Reflexion gesichert werden, da „Gott faktisch, um die Menschen desto stärker an die Offenbarung zu fesseln, die Dinge in der Regel so ordnet, daß die Menschen nur im Anschluß an die einmal gegebene Offenbarung alles das finden, was zur gesunden und normalen Entwicklung der Vernunft nothwendig ist“.42

Das Erste Vatikanische Konzil

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