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2.3 Wissen statt Glauben?

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Angesichts des – zum Mindesten theoretisch fraglos gegebenen – Erkenntnisoptimismus des Konzils drängt sich eine Folgefrage auf, deren Betrachtung noch einen weiteren Aspekt des Glaube-Vernunft-Verhältnisses gemäß Dei filius aufzudecken erlaubt: Würde nicht ein starker oder sogar rational zwingender Aufweis der Existenz Gottes und einer göttlichen Urheberschaft der christlichen Offenbarung die Spezifika des Glaubens als eines noetischen Vollzugs aufheben? Dies ist eine Frage, die sich die Theologen im Umfeld des Ersten Vaticanums durchaus gestellt haben; „wenn wir […] das Erkennen vor dem Glauben ein Wissen und nicht etwa ein Meinen nennen, weil es von Gewißheit begleitet ist“, so notiert der bei der Erarbeitung des letzten Schemas von Dei filius theologisch hauptverantwortliche43 Joseph Kleutgen, „so sieht man nicht, wie mit ihm die Freiheit des Glaubens bestehen könne“.44 Auch in den Konzilsaussagen ist diese Spannung wenigstens latent spürbar, sodass sich ein Blick auf die im neuscholastischen Denken anzutreffenden einschlägigen Lösungsstrategien nahelegt. Der vorgegebene Rahmen gebietet hier freilich den Verzicht auf eine Darstellung der Schulsubtilitäten und stattdessen die Beschränkung auf das hinsichtlich des heilsrelevanten Glaubens schulübergreifend geteilte Postulat einer willentlichen Unterwerfung des Menschen unter Gott – und damit auf die ethisch qualifizierbare Dimension des Glaubens.

Es ist nämlich mitnichten so, dass nach der Auffassung der neuscholastischen Glaubenstheologie ein rationaler, ja selbst ein zwingender Aufweis der Existenz Gottes oder einer von Gott beglaubigten Offenbarung schon den Glaubensakt im engeren Sinne fundieren oder vorwegnehmen würde, denn dieser wird gerade nicht als „durch einleuchtenden Beweis aufgenöthigtes Fürwahrhalten“,45 sondern vielmehr als willentliche Bejahung des rational bis hin zur Gewissheit vergegenwärtigten Gehorsamsanspruches Gottes konzipiert,46 stellt also einen ganzheitlichen und über die rationale Einsicht klar hinausgehenden Akt des glaubenden Menschen dar. Die Gegenprobe bietet der Verweis auf den Dämonenglauben,47 der zwar ein Wissen um Gottes Macht, ebenso aber auch eine willentliche Auflehnung dagegen einschließt und damit das Fehlen einer zwingenden Verbindung zwischen der Erkenntnis von Gottes Anspruch und einer Anerkennung desselben illustriert.48 Tatsächlich sieht auch Dei filius das Motiv des Glaubens nicht in „der vom natürlichen Licht der Vernunft durchschauten inneren Wahrheit der Dinge“, sondern in „der Autorität des offenbarenden Gottes selbst“ begründet (DH 3008), der der Mensch sich unterwirft. Und daher ist nach Scheebens Dafürhalten „von der ‚regelrechten Beweisbarkeit der Thatsache der Offenbarung durch äußere ganz sichere Zeichen‘, wie das Concil sie versteht, für den sittlichen und übernatürlichen Charakter des Glaubens nicht das Mindeste zu fürchten“.49

Damit ist ein weiteres Charakteristikum der Glaubensdeutung von Dei filius angesprochen: Gemeint ist die – angesichts der häufig und nicht zu Unrecht geäußerten Feststellung, dass die Verhältnisbestimmung von Vernunft und Glaube primär auf der Ebene noetischer Vollzüge durchbuchstabiert wird, zunächst vielleicht unerwartete – Tatsache, dass das Konzil seine Darlegungen zum Glaubensakt mit einer signifikanten ethischen Aufladung versieht. Der übernatürliche Glaube gilt dem Konzil als von Gott auferlegte Pflicht (DH 3012), zu deren Erfüllung die „vom Glauben erleuchtete Vernunft […] fleißig, fromm und nüchtern“ zu wirken hat (DH 3016). Auch die Zustimmung zum glaubenskonstituierenden Wirken der Gnade wird als ein freier Akt des Menschen qualifiziert (DH 3010). Daraus folgt in der Sicht des Konzils: Wer auf die Autorität des offenbarenden Gottes und der von ihm beglaubigten Kirche hin nicht glaubt, verfehlt sich, und zwar keineswegs nur rational (Raum für die Möglichkeit eines nicht schuldhaften Nichtglaubens im Einflussbereich der katholischen Kirche wird auch nicht in Ansätzen eröffnet). Und so klar sich diese ethische Qualifikation des Nichtglaubens in den Kontext der apologetisch-polemischen Haltung des Ersten Vaticanums gegenüber Atheismus und Agnostizismus einordnen lässt, sie bliebe angesichts des konziliaren Erkenntnisoptimismus doch prinzipiell unverständlich, wenn durch ein rationales Erkennen bereits die Essenz des Glaubensaktes vorweggenommen oder ersetzt werden könnte.

Das Erste Vatikanische Konzil

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