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2.2.1 Kein Widerspruch zwischen Glaube und Vernunft
ОглавлениеZwar betrachtet Dei filius die natürlichen und die übernatürlichen Erkenntnispotenzen vor dem Hintergrund des übernatürlichen Ziels, auf das Gott den Menschen hinordnet, als hierarchisch gestaffelte Vollzüge. Die Möglichkeit eines Widerspruchs zwischen einer glaubens- und einer vernunftbasierten Erkenntnis schließt das Konzil auf dem Boden der scholastischen Tradition jedoch apodiktisch aus, da wahre Erkenntnis, sei sie natürlicher oder übernatürlicher Provenienz, stets auf denselben Quell, auf den offenbarenden Gott, zurückgeht. Dies ist erkenntnistheoretisch insofern bemerkenswert, als das Konzil nicht nur – wie gesehen – auch für die natürliche Vernunft keine autonome, sondern eine letztlich gottgeschenkte Erkenntnis annimmt,32 sondern zudem im Blick auf den Glauben einen Rationalitätsanspruch voraussetzt, der nicht schon qua Kompetenzzuschreibung a priori ausschließt, dass überhaupt ein Widerspruch zwischen Glaubens- und Vernunftaussagen möglich ist.33
Vor diesem Hintergrund würde das Auftreten eines apparenten Widerspruchs zwischen Glaubens- und Vernunfterkenntnis nun aber implizieren, dass Gott täuscht bzw. sich widerspricht oder dass zwei Wahrheiten in einem irreduziblen Gegensatz zueinander stehen, was beides nicht sein kann (DH 3017). Wenn also trotzdem ein Widerspruch zwischen natürlich gewonnener Erkenntnis und Glaubensgehalten zu bestehen scheint, liegt es in der Sicht des Ersten Vaticanums daran, dass entweder eine nicht von der Kirche lehrmäßig bewahrheitete Glaubensdeutung oder ein Irrtum der natürlichen Vernunft vorliegt (DH 3017) – und in beiden Fällen, also explizit auch im Blick auf das Wirken von Philosophie und Wissenschaft, sieht Dei filius Recht und Pflicht des kirchlichen Lehramts zur Steuerung gegeben (DH 3018). Die Option einer schiedlichfriedlichen Koexistenz zwischen Glaubens- und Vernunfterkenntnis deutet sich schwach zwar in dem Zugeständnis spezifischer Methoden an profane (und nicht in grenzüberschreitender oder irrender Weise glaubensrelevante Aussagen verbreitende) Wissenschaften an (DH 3019) – ein solches Miteinander kann aber vom Ersten Vaticanum ganz offensichtlich nur als eine Gegebenheit zu den Bedingungen der kirchlichen Wahrheitsprüfungsinstanz gesehen werden.