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4. Schlussbemerkungen
ОглавлениеZusammenfassend kann man sagen: Es liegen jeweils unterschiedliche Optionen und Prioritäten für das Verhältnis von Kirche und Moderne vor. Beide Seiten sehen die päpstliche Unfehlbarkeit und ihre Definition nicht nur als rein innerkirchliche Größe, sondern als eine Weise, wie die Kirche ihre Relation zur profanen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts bestimmt. Dabei liegt für die Majorität diese Funktion vor allem darin, Hort der Sicherheit, Eindeutigkeit und Festigkeit in einer Welt zu sein, in der sonst alles im Wandel und nichts mehr verlässlich ist. Sie hat „portus salutis“ zu sein, in welchem die Menschen „inter mundi tempestates“ sicher ruhen können.68 Die Menschen, ernüchtert von den Illusionen, ermüdet von der Gegenwart, voller Angst vor der Zukunft, erwarteten vom Papst Sicherheit.69 Auf der anderen Seite lag die primäre Option darin, wie es Greith ausdrückte, „pacis disruptae vincula cum publica societate religare potius quam rescindere“70, also es nicht zum schroffen Bruch und zur radikalen Antithese zwischen Kirche und moderner Gesellschaft kommen zu lassen. War die Majorität tendenziell geneigt, an einer Versöhnung mit der modernen Gesellschaft zu verzweifeln, da diese von einer eindeutigen Anti-Haltung gegenüber Christentum und Kirche bestimmt sei, deren Hauptobjekt wiederum der Primat sei, so ging die Minorität nicht von einer pauschal negativen Sicht aus, sondern sah bei allem Bedenklichen positive Elemente und christliche Fermente in ihr. Sie lehnte deshalb radikale Lösungen ab und forderte einen geduldigen Unterscheidungsprozess.
Beide Seiten verstehen ihre Option als Reaktion und Antwort auf die Herausforderung der Moderne. Auch die Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit ist grundlegend ein „Modernisierungsphänomen“ und nur von da aus ganz zu verstehen. Beide Seiten sehen gerade in dem Verlust fester Ordnungen und Orientierungen, in dem ständigen Wandel, das Spezifikum der Moderne; die Majorität meist noch radikaler als die Minorität. Die Antwort darauf sieht die Majorität in dem, was der Moderne gerade fehlt: dem Festen, absolut Eindeutigen. Die Kirche hat vor allem „Gegengesellschaft“, radikale Alternative zur „Welt“ zu sein. Die Minorität sieht die Heilung viel mehr in dem geduldigen Mitgehen und in einem Unterscheidungsprozess, der weder auf radikale Absonderung noch auf Angleichung hinausläuft, wohl aber davon ausgeht, dass auch die Kirche Teil dieser Welt ist. Es sind Mentalitäten, die sich auch heute nicht weniger gegenüberstehen; und nicht wenige Argumente wären austauschbar mit denen der innerkirchlichen Kontroversen der letzten Jahrzehnte, ob es sich um theologische Fragen wie die des Priestertums der Frau handelt oder um den Wandel der Sexualmoral.
1 Vgl. dazu die Überblicke bei Klaus Schatz, Vaticanum I 1869–1870 1. Vor der Eröffnung, Paderborn 1992, 213–277; Ders., Vaticanum I 1869–1870 2. Von der Eröffnung bis zur Konstitution ‚Dei Filius‘, Paderborn 1993, 209–215.226–264.
2 Kurienkardinal Patrizi am 14. 5. (Mansi 52, 40C/D), Dechamps (Mecheln-Brüssel) am 17. 5. (70B), Trucchi (Forlì) am 21. 5. (179).
3 Dusmet (Catania) am 14. 5. (ebd., 48D–49A), Moreno (Valladolid) am 19. 5. (127), Leahy (Cashel) am 21. 5. (169A/B), Raess von Straßburg (173C. 175f.), Trucchi (179D), de Preux von Sitten am 24. 5. (222f.), Mac Evilly (Galway) am 25. 5. (268f.), Gastaldi (Saluzzo) am 30. 5. (330C/D), Lynch (Toronto) am 23. 6. (862A), Keane (Cloyne) am 25. 6. (869A). – Das Argument wird bereits durch Willibald Apollinaris Maier, den Konzilstheologen von Bischof Senestrey von Regensburg, im Januar-Postulat für die Unfehlbarkeit vorgebracht (Ignatius von Senestrey, Wie es zur Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit kam. Tagebuch vom 1. Vatikanischen Konzil, herausgegeben und kommentiert von Klaus Schatz S.J. (Frankfurter Theologische Studien 24) Frankfurt a. M. 1977, 143); ebenso bildet es am 9.2.1870 in der Postulatenkommission ein entscheidendes Motiv, die Frage dem Konzil zur Entscheidung vorzulegen (Mansi 51, 689A, 692B).
4 Mansi 52, 176A/B.
5 Schwarzenberg (Prag) am 17. 5. (ebd., 99C).
6 Acta et decreta Sacrorum Conciliorum Recentiorum. Collectio Lacensis VII, Freiburg i. Br. 1892 (zit.: CL), 1332d.
7 Schwarzenberg am 17. 5. (Mansi 52, 99C), Simor (Gran) am 20. 5. (139–142), Ketteler (Mainz) am 23. 5. (204B/C), Domenec (Pittsburgh) am 3. 6. (428f.). Ebenso schon vorher Dupanloup in seiner Kontroverse mit Dechamps (CL 1334b–1335a. 1337b-1338c).
8 Mansi 52, 203C–204B.
9 So Kardinal Patrizi am 14. 5. (ebd., 41D–42A), Gastaldi (Saluzzo) am 30. 5. (330D–331A), d’Avanzo (Calvi) am 20. 6. (766B/C), Régnier (Cambrai) in einem Brief vom 15. 5. an seinen Klerus (CL 1415d).
10 So in seiner (anonymen, für die Konzilsväter bestimmten) Schrift: ‚Observationes quaedam de infallibilitatis Ecclesiae subiecto‘, Neapel 1870, 83–87.
11 So Gastaldi (Saluzzo) am 30. 5. (Mansi 52, 330B/C) und 2. 7. (1037C/D), Dusmet am 14. 5. (49B), Leahy am 21. 5. (165A), am selben Tage Trucchi (181f.) und Petagna von Castellamare (190A), Mac Evilly am 25. 5. (266).
12 So Schwarzenberg für hussitische Bestrebungen in Böhmen (ebd., 98B), Connolly (Halifax, Kanada) am 31. 5. (375A), Stroßmayer (Djakovo) am 2. 6. (403B).
13 Schatz, Vaticanum I 1869–1870 1, 275–277; Ders., Vaticanum I 1869–1870, Bd. II, 281–293.
14 Mansi 52, 51B/C.
15 Ebd., 53C–54A.
16 Ebd., 161f.
17 Ebd., 175A/B.
18 Ebd., 329A.
19 Ebd., 174A/B; ähnlich Petagna (190B).
20 Ebd., 254f.
21 Ebd., 277–279.
22 Ebd., 279D; ähnlich Vancsa (Fogaras, Siebenbürgen) am 2. 6. (384f.).
23 CL 1329f.
24 Mansi 52, 998f.
25 So Manning (ebd., 255B, ähnlich de Preux am 24. 5. (ebd., 222f.) und Gastaldi am 30. 5. (329f.).
26 So Raess am 21. 5. (Ebd., 174C/D), Cousseau (Angoulême) am 23. 5. (211–213). Mit der Priorität des katholischen Volkes und seinem Anspruch, vor Verwirrung geschützt zu werden und Klarheit zu erhalten, war bereits im Januarpostulat zur Vorlage der Unfehlbarkeitsfrage vor das Konzil argumentiert worden (Mansi 51, 647D).
27 Mansi 52, 98B/C.
28 Ebd., 403C/D.
29 Ebd., 150f.
30 Ebd., 275B–D.
31 Ebd., 426C.
32 Ebd., 870C/D.
33 In seiner schriftlichen Eingabe zum ‚Caput addendum‘ (Mansi 51, 1006B).
34 Mansi 51, 1032C/D; ebenso kurz Moriarty von Kerry (ebd., 1026B).
35 Mansi 52, 264A/B.
36 Ebd., 417A.
37 Ebd., 264f., ebenso 271f. (im nichtgehaltenen Teil der Rede).
38 Schatz, Vaticanum I 1869–1870, II, 288–290.
39 Mansi 52, 279B–D.
40 Ebd., 281C.
41 Ebd., 351f.
42 So Kardinal Patrizi am 14. 5. (ebd., 41B/C), Kardinal Cullen (Dublin) am 19. 5. (122A), Manning am 25. 5. (255–259), Mac Evilly (nicht gehaltener Teil der Rede: 270f.), Schaepman am 31. 5. (352C/D), Ballerini (lat. Patriarch v. Alexandrien) am 20. 6. (773D–774A), Lynch am 23. 6. (861C/D), Dorrian (Down-Connor) in nicht gehaltener Rede (1068C-1069A).
43 Ebd., 250f.
44 Ebd., 257B–258A.
45 Ebd., 375A.
46 Ebd., 871B/C.
47 Ebd., 133–137.
48 Ebd., 152f.
49 Ebd., 303f.
50 Ebd., 380–386.
51 Ebd., 77A/B.
52 Ebd., 221.
53 Ebd., 997B.
54 Ebd., 617B/C. Ähnlich Patrizi am 14. 5. (41C), Dusmet (49B/C), Salzano (Kurie) am 2. 6. (414A), schließlich Gasser am 11. 7. (1230C/D) und 16. 7. (1317B/C).
55 Schwarzenberg am 18. 5. (ebd., 99B); ähnlicher Vergleich bei Ketteler am 23. 5. (209A).
56 Ebd., 210D–211A.
57 So am folgenden Tag Salas v. Concepción (ebd., 237f.) und Rota v. Guastalla (248), am 30. 6. Ferré v. Casale (948C/D), am 1. 7. Payá y Rico v. Cuenca (981f.), schließlich in nicht mehr gehaltener Rede Kurienerzbischof Franchi (1064C).
58 Ebd., 948C/D.
59 Ebd., 396f.
60 Ebd., 863D–864A.
61 Ebd., 1317B/C.
62 M. A. Magendie, Sophismes de Mgr. Dupanloup dans la question de l’infaillibilité du Pape, Paris 1870, 38f.
63 Mansi 52, 233C–234B. Ebenso Lynch (Toronto) am 23. 6. (ebd., 861B).
64 Ebd., 414C/D.
65 Johann Wieser, Die Unfehlbarkeit des Papstes und die Münchener ‚Erwägungen‘, Graz 1870, 117–119. 123.
66 Mansi 52, 232C. Ähnlich Dechamps (71A/B) und Rota (244f.).
67 Ebd., 307B–D.
68 So Patrizi am 14. 5. (ebd., 41C).
69 So Dusmet am selben Tag (ebd., 49A).
70 Ebd., 999C.