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2 Der Logische Empirismus des Wiener Kreises

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Humes Unterscheidung zwischen den rein logisch begründbaren und den empirisch bewährten Aussagen ist die historische Quelle des radikal antimetaphysischen Programms des Logischen E. des Wiener Kreises. Die Mitglieder dieses Kreises, dem u.a. M. Schlick, O. Neurath, R. Carnap und A. Ayer angehörten, verfolgten das ehrgeizige Ziel, dem E. im Lichte der großen Fortschritte, die in der Logik und Mathematik hauptsächlich durch G. Frege, L. Wittgenstein und B. Russell erreicht wurden, eine neue logisch präzise Gestalt zu geben. Ihr Programm war es, den E. durch logische Analyse zu erneuern und zu verteidigen. Das revolutionäre philosophische Programm des Wiener Kreises beruhte auf zwei grundlegenden sprachphilosophischen Thesen, zum einen der Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen (↗ Analytisch) und zum anderen der Verifikationstheorie der Bedeutung.

Eine analytische Aussage ist wahr oder falsch allein aufgrund der Bedeutungen der Wörter, die in ihr vorkommen, völlig unabhängig davon, wie es sich in der Welt verhält. Eine synthetische Aussage ist hingegen wahr oder falsch sowohl aufgrund der Bedeutungen der Wörter als auch aufgrund davon, wie es sich in der Welt verhält. „Junggesellen sind unverheiratete Männer“ ist das Standardbeispiel einer analytisch wahren Aussage, während „Junggesellen sind feige“ ein Beispiel einer synthetischen Aussage ist, in diesem Fall einer wohl falschen Aussage. Analytische Wahrheiten sind im Grunde Tautologien, leere Wahrheiten, ohne empirischen oder faktischen Inhalt, denn sie beschreiben keine Tatsachen in der Welt.

Diese fundamentale Unterscheidung sollte es den Logischen Empiristen ermöglichen, der gesamten Mathematik und Logik eine analytische Natur zuzuschreiben. Denn die notwendigen und daher a priori erkennbaren Wahrheiten der Logik und Mathematik wurden von den Logischen Empiristen mit analytischen Wahrheiten gleichgesetzt. Die Aussagen der Logik und Mathematik beschreiben demnach nicht die Welt, sondern stellen lediglich unsere konventionellen Entscheidungen dar, gewisse Symbole in bestimmten Weisen zu gebrauchen. Die Behauptungen der Logik und Mathematik gewinnen ihre Rechtfertigung aus rein formalen Gründen, durch den Beweis ihrer Ableitbarkeit mittels festgelegter Regeln aus festgelegten Axiomen und Prämissen. Die Logischen Empiristen schrieben der Analytizität eine explanatorische Priorität gegenüber der Apriorität und der Notwendigkeit zu. Denn der Grund für die Apriorität und Notwendigkeit einer Aussage liegt ihnen zufolge in ihrer Analytizität. Die Analyse der Sprache, die Klärung oder Explikation der Begriffe, rückte folglich in den Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Aktivitäten. Die Philosophie wurde zu einer Metatheorie, die sprachliche Darstellung zu ihrem eigentlichen Gegenstand.

Philosophen in der rationalistischen Tradition behaupten, dass wir apriorische Erkenntnisse besitzen, Erkenntnisse, die völlig unabhängig von der Erfahrung sind. Solche Erkenntnisse gewinnen wir, so wird oft hinzugefügt, durch ein besonderes Vermögen der reinen Vernunft oder rationalen Intuition. Die Logischen Empiristen machten geltend, dass die einzigen apriorischen Erkenntnisse analytische Wahrheiten betreffen und somit ohne faktischen Inhalt sind. Sie versuchten somit zu zeigen, wie der Beitrag der reinen Vernunft zur menschlichen Erkenntnis, in der Form der Logik und Mathematik, in einen empiristischen Standpunkt integriert und damit respektiert werden kann.

Die zentrale These des Logischen E. lautet, dass alle echten Aussagen entweder analytisch oder synthetisch sind; Letztere sind empirisch verifizierbar oder falsifizierbar. Darauf beruht die Formulierung seines berühmt-berüchtigten Bedeutungskriteriums, dem zufolge die Bedeutung oder der Sinn einer synthetischen Aussage aus der Methode ihrer Verifikation besteht. Mit „Verifikation“ meinten die Logischen Empiristen Verifikation durch die Beobachtung, die sie in einem weiten Sinn verstanden, so dass alle Arten sinnlicher Erfahrung eingeschlossen wurden. Die Erfahrung ist die einzige Quelle des Wissens und der Bedeutung. Verifizierbarkeit deuteten sie als prinzipielle Verifizierbarkeit, nicht als praktische. Und die meisten Logischen Empiristen verlangten keine zwingende Verifikation, sondern gaben sich mit der Möglichkeit zufrieden, beobachtbare Belege zu finden, die für oder gegen die betreffende Aussage sprechen.

Wenn eine synthetische Aussage prinzipiell nicht getestet werden kann, dann ist sie demnach sinnlos, ohne jegliche kognitive Signifikanz und daher weder wahr noch falsch. Eine dritte Kategorie von Aussagen, neben den analytischen und apriorischen einerseits und den synthetischen und aposteriorischen andererseits, erkannten sie nicht an. Insbesondere lehnten sie Kants Auffassung nachdrücklich ab, dass es Wahrheiten gibt, die sowohl a priori als auch synthetisch sind. Ein wissenschaftshistorisches Faktum gewann in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung: Die axiomatisch aufgebaute Geometrie des antiken Philosophen Euklid galt seit vielen Jahrhunderten als ein Paradigma absolut sicheren Wissens. Unter dem Eindruck der erfolgreichen Anwendung der euklidischen Geometrie auf die Natur in Newtons Physik stellte Kant die Behauptung auf, dass Euklids Geometrie sowohl synthetisch als auch a priori erkennbar ist. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten die Mathematiker dann verschiedene nichteuklidische Geometrien, aber sie erhoben nicht den Anspruch, dass ihre alternativen geometrischen Systeme tatsächlich die mathematische Struktur des realen Raum beschreiben, sondern verstanden ihre axiomatischen Systeme eher als abstrakte mathematische Theorien, deren Punkte, Geraden und Ebenen mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun haben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch wendete sich das Blatt. Einsteins revolutionäre Relativitätstheorie zeigte, dass eine nichteuklidische Geometrie den physischen Raum in der Tat richtig darstellt. Kants Theorie wurde also durch die wissenschaftlichen Fortschritte in der theoretischen Physik definitiv widerlegt.

Die Logischen Empiristen benutzten das Sinnkriterium, um einen Großteil der klassischen Philosophie als spekulative Metaphysik zu verwerfen. Sie verfolgten, mit einem geradezu missionarischen Eifer, das ehrgeizige Ziel, darzutun, dass viele Behauptungen, die die Philosophen bislang aufgestellt haben, weder analytisch noch empirisch testbar sind, und dass sich viele Fragen, die den Gegenstandsbereich der traditionellen Philosophie gebildet haben, als Scheinprobleme erweisen.

Ein Problem mit dem Kriterium der empirischen Signifikanz ist jedoch, dass es sich selbst zu widerlegen scheint. Die einzigen Aussagen, die diesem Kriterium zufolge einen Wahrheitswert haben, sind die analytischen und die empirisch verifizierbaren Aussagen. Das Kriterium selbst scheint aber weder analytisch noch empirisch verifizierbar zu sein. Es ist nicht analytisch, weil es nicht widersprüchlich ist, anzunehmen, dass Aussagen, die nicht verifiziert werden können, Aussagen z.B., die unsere moralischen und religiösen Überzeugungen zum Ausdruck bringen, wahr oder falsch sind. Und wie sollte man dieses Kriterium verifizieren können? Es ist jedenfalls keine empirische Verallgemeinerung der Weise, in der die Mitglieder unserer sprachlichen Gemeinschaft die Wörter „wahr“ und „falsch“ verwenden, denn viele Leute halten Aussagen für wahr oder falsch, die diesem Kriterium zufolge keinen Wahrheitswert besitzen.

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