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Empirismus (wissenschaftstheoretisch)

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Unter E. verstehen wir die These, dass unser Wissen vollständig oder zu wesentlichen Teilen aus der Erfahrung stammt. Darunter muss man zunächst die vorsprachliche Erfahrung verstehen, die als aisthêsis (Corpus Hippocraticum – Deichgräber, S. 358; Aristoteles, De an. III 2, 3, 12, Parva naturalia 449a), ideas of sensation and reflexion (J. Locke), impressions and ideas (D. Hume), sensory data (B. Russell) oder als das Gegebene (früher logischer Empirismus) erscheint. Versteht man unter Erfahrung nur die sinnliche Wahrnehmung, dann wird der E. zum Sensualismus. Die Gefahr einer Vermischung mit rationalistischen Positionen taucht dann auf, wenn (wie bei J. Locke) auch innere Erfahrungen zugelassen werden, wenn (wie bei Aristoteles) die Genese von Teilen des Wissens auf die Tätigkeit des Verstandes zurückgeführt wird oder wenn (wie bei R. Carnap) die Ordnung des Wissens Sache des Verstandes bleibt. Verschiedene Spielarten des E. (naiver, klassischer, kritischer, radikaler, skeptischer, fundamentalistischer, logischer E. u.a.) ergeben sich aus unterschiedlichen Vorstellungen über das Zusammenspiel von Erfahrung und gedanklicher Bearbeitung und über die Bedeutung des Verstandes. Von einem methodologischen E. sprechen wir dann, wenn – wie in den Realwissenschaften – zwar apriorische Konstruktionen in Form mathematischer Modelle zugelassen werden, die (u.U. experimentell erzeugte) Erfahrung aber als einziges externes Kriterium für deren Güte angesehen wird.

Vorsprachliches Wissen ist individuengebundenes Wissen. Soll Wissen intersubjektive Geltung erlangen, so bedarf es der Verbindung mit einer Sprache, die i. d. R. aus verschiedenen Kategorien von teils deskriptiven, teils nichtdeskriptiven Ausdrücken sowie einer Grammatik für die Benutzung und Verknüpfung dieser Ausdrücke besteht. Der E. vertritt konsequenterweise den Standpunkt, dass alle einfachen oder zusammengesetzten Ausdrücke der Sprache, die nicht nur eine logische oder grammatikalische Funktion haben, auf Erfahrungen zurückgehen. Für grammatikalisch korrekt gebildete Verbindungen zwischen Ausdrücken (Sätze) gilt, dass sie entweder direkt auf Erfahrungen (oder Kombinationen von Erfahrungen) zurückgeführt oder durch logische Schlüsse aus anderen Sätzen, die diese Bedingung erfüllen, abgeleitet werden können. Unterschiedliche Auskunft gibt der E. auf die Frage, inwiefern die Grammatik der Sprache, die Regeln der Logik, die Axiome der Geometrie oder die Kalküle der Mathematik unter die Kategorie „Wissen“ fallen und ob sie aus der Erfahrung (J. S. Mill, W. V. O. Quine) stammen oder nicht (R. Carnap, B. Russell).

Frühgeschichte. Durch die gesamte griechische Philosophie, wie auch durch die von ihr geprägten europäischen Denktraditionen, zieht sich eine Kontroverse um das Verhältnis der sinnlichen (erfahrungsbasierten) zu den reflexiven (vernunftbasierten) Komponenten des Wissens. Piaton wies die Behauptung einiger Sophisten und Atomisten zurück, dass Erfahrung Wissen sei. Im Höhlengleichnis am Anfang des 7. Buches der Politeia ist die Erfahrungswelt nur das trübe Abbild der wahren Wirklichkeit. Erfahrung führt zwar zu subjektiv plausiblen Meinungen, aber nicht zu intersubjektivem Wissen, d.h. zu Wissen über das Allgemeine, die Ideen, die die wahre Wirklichkeit konstituieren.

Als Begründer des E. als Methode des Erkennens gilt Aristoteles. Grundlage des Erkennens ist bei ihm die aktuelle Wahrnehmung (aisthêsis), die sich als Erinnerung niederschlägt. Aus vielen ähnlichen Erinnerungen entsteht schließlich Erfahrung. Aristoteles besteht darauf, „daß die Erfahrenen mehr das Richtige treffen als diejenigen, die ohne Erfahrung nur den allgemeinen Begriff (lógos) besitzen. Die Ursache davon liegt darin, daß die Erfahrung Kenntnis des Einzelnen ist, die Kunst des Allgemeinen (…) aber am Einzelnen vorgeht.“ Dennoch führt Erfahrung auch bei Aristoteles nicht zum Wissen von den Prinzipien und den ersten Ursachen. Nach ihm „schreiben wir Wissen (eidénai) und Verstehen (epaíein) mehr der Kunst zu als der Erfahrung und sehen die Künstler für weiser an als die Erfahrenen, indem Weisheit (sophía) einem jeden vielmehr nach dem Maßstabe des Wissens zuzuschreiben sei. Und dies deshalb, weil die einen die Ursache kennen, die anderen nicht. Denn die Erfahrenen kennen nur das Daß (tò hóti), aber nicht das Warum (dihóti); jene aber kennen das Warum und die Ursache (aitía)“ (Aristoteles, Metaphysik, 1. Buch, 981a, 1994, S. 383f.). Zum höchsten Wissen (sophía) gelangt man nicht durch Verallgemeinerungen (epagôgê) von Erfahrungen, obwohl diese bereits Schritte auf dem Weg dorthin sind, sondern durch ein Vermögen des noûs in uns, der auf ein Wissen um seiner selbst zielt. Das Wissen um das logisch Nachgeordnete wird aus dem Wissen um die ersten Prinzipien abgeleitet; der umgekehrte Weg ist nicht gangbar. Diese Vorstellung, nach der die „mittleren Sätze“ aus den obersten gewonnen werden, wird später von F. Bacon als der falsche Weg zur Naturerkenntnis scharf kritisiert werden. Kritik. Der E. ist bereits sehr früh angegriffen worden. Sextus Empiricus nennt zehn „Tropen“ (Argumente), die zu diesem Zweck vorgebracht wurden. Sie beziehen sich auf die Unterschiedlichkeit der Lebewesen, die Verschiedenheit der Menschen, die verschiedene Beschaffenheit der Sinnesorgane, die Umstände des Beobachtens, die Perspektive des Beobachters („Stellungen, Entfernungen und Orte“), die „Beimischungen“ (etwa Störung des Beobachteten durch andere Prozesse in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft), die „Quantität und Zurichtung der Gegenstände“ und die „Relativität“ (der Wahrnehmung von etwas im Verhältnis zu seiner Menge oder Größe), das seltene oder häufige Auftreten (Gewöhnungs- bzw. Überraschungseffekte), die „Lebensformen, Sitten, Gesetze“, den „mythischen Glauben“ und die „dogmatischen Annahmen“ (Sextus Empiricus, Grundriss, 1. Buch, Abschn. 14, S. 102–130). Einige dieser Argumente wurden 1400 Jahre später von F. Bacon aufgegriffen. Bacon hebt vier Faktoren (Idole, d.h. Ursachen von Trugbildern) hervor, die das Erkennen auf der Grundlage möglichst unvoreingenommener Erfahrung behindern. Dies sind die Idole des Stammes (menschliche Natur), der Höhle (persönliche Einstellungen), des Marktes (durch Sprache, Kommunikation, Interaktion und Meinungsdruck erzeugte Vorurteile) und des Theaters (Zeitgeist, intellektuelle Moden, kulturelle Traditionen) (Bacon 1990, S. 99–145).

Neuere Ergebnisse zur Zuverlässigkeit der sensorischen Wahrnehmung und einer auf Letzterer beruhenden Wissenschaft haben zur Schärfung und Präzisierung dieser Argumente geführt. Weitere kritische Aspekte sind neu in den Blick gekommen. Man kann beides wie folgt zusammenfassen:

1. Die menschlichen Sinnesorgane erfassen nicht das gesamte Spektrum der von der Außenwelt angebotenen Informationen (Begrenzung der Sensitivität von Augen und Ohren auf biologisch selektierte Frequenz- und Amplitudenbereiche, die z.B. den Bereich der Radio- oder Gammastrahlung ausschließen). Lebewesen mit anderer sensorischer Ausstattung haben andere Basiswahrnehmungen (Fledermäuse und Delphine „sehen“ ihre Umgebung mit Hilfe einer Art Ultraschall-Radar, Haie können elektrische Felder orten, bestimmte Schlangenarten sehen nachts mit Hilfe von Infrarotaugen, einige Zugvögel orientieren sich am Erdmagnetismus etc. Das Facettenauge eines Insekts sieht anders als das Auge eines Säugetiers, während andere Tiere über ein System paralleler Seeröhren und wieder andere über gar keine optischen Sensoren zur Orientierung verfügen [Muscheln, Seesterne, Quallen]) (Waterman 1990). Viele Vorgänge nehmen Lebewesen nicht wahr, weil sie zu schnell oder zu langsam ablaufen. Die Wahrnehmung des Flügelschlags einer Fliege überfordert das Auflösungsvermögen beispielsweise der menschlichen Sinnesorgane. Andererseits sieht das nicht technisch aufgerüstete Auge des Menschen das Wachsen eines Baumes oder die Faltung eines Gebirges nicht, weil die Veränderung zu langsam erfolgt, um erkannt werden zu können.

2. Die Annahme, dass seine sensorischen Systeme dem Menschen die Welt unverhüllt, unverfälscht und in ihrer ganzen Fülle zeigen, wie sie ist, ist offenbar falsch. Die wahrgenommene Welt ist eine errechnete und konstruierte Welt (Neisser 1979; Gregory 1979; Hoffman 2000).

Die Wahrnehmungssysteme eines biologischen Organismus scheinen winzigen Fenstern in einer ansonsten geschlossenen Monade zu gleichen, die nur für kleine Ausschnitte des Spektrums überhaupt verfügbarer Reize durchlässig sind. Urteile, die nicht durch Informationen aus diesen „Fenstern“ gedeckt sind, können deshalb nur gedankliche Interpolationen und Konstruktionen dieser sensorisch mangelhaft ausgestatteten Monade sein.

3. Es gibt Vorgänge, die aus verschiedenen Gründen der menschlichen Aufmerksamkeit entgehen: Die Kapazität des Gehirns zur Verarbeitung von Informationen ist begrenzt. Vorgänge in der Umgebung des Menschen können seine sensorischen Systeme ab einer bestimmten Komplexitätsgrenze nicht mehr in Realzeit erfassen und begrifflich verarbeiten (Streufert/Streufert 1978; Hamilton/Warburton 1979). Die„Gegenwartsdauer“ dieses Wesens ist ebensowie das Auflösungsvermögen seiner sensorischen Systeme artspezifisch. Wesen mit längerer bzw. kürzerer Gegenwartsdauer und höherem bzw. geringerem Auflösungsvermögen haben eine andere Wahrnehmungswelt.

4. Die Aufmerksamkeit biologischer kognitiver Systeme in der Art des menschlichen ist gerichtet. Auch innerhalb der Kapazitätsgrenzen erstreckt sie sich nicht über die gesamte Breite des prinzipiell zugänglichen Wahrnehmungsfeldes, sondern pickt sich aus dem sensorischen Angebot jeweils das heraus, was für die ablaufenden Handlungen und Pläne des Individuums relevant zu sein scheint (Bruner 1974; Neisser 1979; Gregory 1990).

5. Wahrnehmung ist vom Wissen des Wahrnehmenden geprägt (Loftus 1979). Was er sieht, ist auch davon abhängig, über welche Beschreibungsmöglichkeiten er verfügt (Harnard 1987). Der Informationsgehalt der sensorischen Wahrnehmung ist nicht nur an das externe Reizangebot, sondern auch an die internen Verarbeitungsroutinen und Repräsentationsmöglichkeiten gebunden. Der Wahrnehmende analysiert eine Sachlage umso schneller und effektiver, je mehr er über das betreffende Gebiet weiß und je besser dieses Wissen systematisiert und vernetzt ist (Norman/Rumelart 1978; Schank/Abelson 1977). Viele Beschreibungsmöglichkeiten sind historisch-kulturell bedingt (van Dijk 1980). Wenn sich ceteris paribus das begriffliche Netz ändert, mit dem der Wahrnehmende die Tatsachen beschreibt, dann ändern sich auch seine Erfahrungen (Neisser 1979; Gregory 1979–↗ Wahrnehmung [Übersicht] 2.4.2).

6. Wenn als Erfahrung nur das gelten soll, was hier und jetzt wahrgenommen wird, dann ist schon die Erinnerung von Ego an ein Ereignis, dessen Zeuge er oder sie vor wenigen Minuten wurde, keine Erfahrung mehr (Kotre 1996). Der radikale Empirist oder Sensualist muss deshalb besondere Argumente für die Klärung des Status erinnerter früherer Erfahrungen finden.

7. Warum benötigt der E. überhaupt Erinnerungen? Das unmittelbare Erleben bezieht sich nur auf Partikulares. Jedes Empfindungselement ist einzigartig und streng genommen unwiederholbar (Tulving 1983). Schon beim zweiten Blick auf eine Landschaft oder auf eine Experimentalanordnung hat sich nicht nur der interne Zustand des Wahrnehmenden geringfügig verändert (Schank 1982), sondern auch der Gegenstand seines Sehens ist nicht mehr exakt derselbe. In Erinnerung an den Philosophen Heraklit könnte man diesen Umstand „Heraklits Problem“ nennen. Aus der Ungelöstheit von Heraklits Problem ergibt sich, dass das Allgemeine, also zum Beispiel die Gesetzmäßigkeit der Natur, nicht in den aktuellen Erfahrungen gegeben ist. Um zu Verallgemeinerungen zu kommen, wie die Wissenschaft sie sucht, braucht auch der Empirist den Vergleich der aktuellen Erfahrung mit vorangehenden Erfahrungen, die ihm jetzt aber nur noch als erinnerte Erfahrungen zur Verfügung stehen. Da Erinnerungen nur eine besondere Art von Empfindungen und alle Empfindungen einzigartig sind, ist die Verknüpfung von Erinnerung und aktueller Empfindung nur durch eine Abstraktionsleistung möglich, die über das aktuell Wahrgenommene hinausgeht (Schank/Abelson 1977; van Dijk 1980; Harnard 1987). (↗ Erinnerung)

8. Ein weiteres Problem für den radikalen E. ist der Status der Erinnerungen und Erfahrungen der anderen. Ego hat seine Erfahrungen und Erinnerungen, Alter die ihren (Neisser 1982). Um den radikalen E. nicht zum Solipsismus werden zu lassen, müssen die Erfahrungen von Ego und Alter kommensurabel gemacht werden können: mit Hilfe eines neutralen Mediums, mit dessen Hilfe Informationen unverzerrt an andere vermittelt werden können, bzw. durch einen Code, der zur zuverlässigen Entschlüsselung der von anderen erzeugten Signale geeignet ist. Wenn ein solches intersubjektives Kommunikationsmedium für den Empiristen nicht als angeboren angesehen werden kann (siehe Lockes Polemik gegen Descartes in der Einleitung von Enquiry concerning human understanding), taucht ein Folgeproblem auf: Wie kann der für die Informationsvermittlung benötigte Code an die Benutzer vermittelt werden, wo doch der Empfänger schon über einen solchen Code verfügen müsste, um diese Information richtig zu entschlüsseln? (↗ Wahrnehmung [Übersicht] 2.1.3.2).

9. Wahrnehmung und Erinnerung sind auch von den verfügbaren internen Verarbeitungsroutinen (kognitive „Software“) und von der „Verschaltung“ der zuständigen neuronalen Architektur (Parameter der kognitiven „Hardware“) abhängig (McCulloch 1988; Richards 1988; Churchland/Sejnowski 1992; Marr 1982). Wesen mit anderer neuronaler Architektur könnten der Welt eine dem Menschen nicht begreifbare oder zumindest nicht plausible Ordnung geben.

Empiristische Positionen. Der neuere E. sieht in Argumenten dieser Art keine transzendentalen Begrenzungen der empirischen Erforschung der Natur, sondern Besonderheiten der Situiertheit des Erkenntnissubjekts, die ihrerseits einer empirischen Erforschung zugänglich sind. Einige der Antworten lauten zusammengefasst wie folgt:

ad 1: Da die Welt für alles Leben, so unterschiedlich seine sensorische Ausstattung auch sein mag, dieselbe ist, werden exotische Wesen zwar in einer anderen Welt von Phänomenen leben als ein Mitglied der Spezies Mensch; dennoch können diese Wesen auf der Basis ihrer Wahrnehmungen auf unterschiedlichen Wegen die gleiche Mathematik, die gleiche Physik und die gleiche Chemie entwickeln wie menschliche Wissenschaftler (Churchland 1986, S. 65). Die Gesetze der Wissenschaft sind keine Beziehungen zwischen Wahrnehmungen, sondern zwischen objektiven Größen. Diese sind prinzipiell innerhalb beliebiger phänomenaler Weltausschnitte (das heißt auch von sensorisch vollkommen anders ausgestatteten Wesen) beobachtbar, weil sie durch natürliche Wirkungsketten mit den jeweiligen Wahrnehmungssystemen verbunden sind – wie immer diese geartet sein mögen. Jede Eigenschaft einer nichtfragmentierten Welt muss sich prinzipiell, direkt oder indirekt, über eine technische Aufrüstung der vorhandenen Sinnesorgane, d.h. über Indikatoren, erfassen lassen. Dass dieses Argument bestimmte nichttriviale Voraussetzungen macht, wird in Lockes Gedankenspiel über die Erkenntnissituation eines „Wurms in einer Schublade“ deutlich.

ad 2: Der Umstand, dass Lebewesen eine bestimmte kognitive Architektur mit dem dazu „passenden“ kategoriellen Raster zur Wirklichkeitserfassung aufweisen, ist kein zufälliger Tatbestand, sondern das Ergebnis einer evolutionären Selektion (Lorenz 1973; Riedl 1980). Die kognitiven Systeme jeder biologischen Spezies passen auf deren Welt, weil sie in einem langen Entwicklungsprozess für diesen Zweck optimiert wurden. Die Passung betrifft zwar nur eine Nische (die „Schublade“ dieser Spezies), aber diese ist ein Teil der ganzen Welt und infolgedessen mit ihr kausal vernetzt. Ob es einer Spezies über die Ausnutzung der hiermit implizierten Wirkungsketten möglich ist, die ganze Welt mit Hilfe ihres begrenzten primären Erfahrungsbereichs (ihrer „Nischen-Erfahrungen“) zu erkennen, ist eine entscheidende Frage, die seit Platon kontrovers diskutiert wird.

ad 3–5: Die Selektivität der Wahrnehmung, ihre kulturelle und soziale Prägung sowie die historische Konstitution menschlicher Begriffssysteme sind unbestreitbar, aber dies besagt nur, dass menschliche kognitive Systeme nicht alles gleichzeitig und in jeder möglichen Perspektive erfassen können. Es widerlegt weder die Existenz der erfassten Dinge und Beziehungen noch die prinzipielle Zuverlässigkeit der tatsächlich erfolgten Perzeptionen (Vollmer 1987). Der Aufweis von Sinnestäuschungen zeigt nur, dass sich die Träger dieser kognitiven Systeme irren können. Die Möglichkeit ihrer Erforschung zeigt jedoch auch, dass die Irrtümer nicht allumfassend sind und dass zumindest einige von ihnen korrigierbar sind.

ad 6–7: Unter biologischem Blickwinkel können Abstraktionsleistungen wie Kategorisierungen und Generalisierungen als komplexe Leistungen menschlicher Wahrnehmungssysteme betrachtet werden, die im Dienste des biologischen Überlebens stehen (Riedl 1980). Obwohl Generalisierungen von Wahrnehmungen methodisch gesehen als logisch ungültige Induktionen zu werten sind, werden sie von biologischen Wesen als natürlicher Bestandteil ihrer phänomenalen Welt erfahren.

ad 8: Die anderen Subjekte sind Teil dieser natürlichen Welt. Ihre Erfahrungen sind dem Wahrnehmenden in gleicher Weise zugänglich, wie er über Wissen über einen beliebigen anderen Teil der Welt verfügen kann: als seine Erfahrungen. Da der Wahrnehmende dazu seine eigenen kognitiven Mittel benutzen muss, weil ein intersubjektiv gültiger Kommunikationscode nicht existiert, können Fehler auftreten, die jedoch in der üblichen Weise (Versuch/Hypothese – Irrtum/Falsifikation – Fehlerbeseitigung – neuer Versuch/verbesserte Hypothese) korrigierbar sind (Glasersfeld 1996).

Es sind mithin Ergebnisse von empirischer Wissenschaft, die der moderne Empirist anführt, um auf die Einwände seiner Kritiker zu antworten. Er verweist auf die Psychologie und Physiologie der Wahrnehmung, die darüber aufklären, wie seine sensorischen Systeme funktionieren und wo ihre Fehlerquellen liegen. Er appelliert an die Psychologie und Physiologie des Gedächtnisses sowie die Theorie menschlicher Informationsverarbeitung, darüber zu informieren, wie sich aktuelle Empfindungen mit Erinnerungen zu Erfahrungen verbinden, wie Erinnerung funktioniert, wie zuverlässig sie ist und welche systematischen Fehlerquellen dabei eine Rolle spielen. (↗ Erinnerung) Er berücksichtigt die Evolutionsgeschichte, in der die Entwicklung der Sinnesorgane und ihrer Leistungen im Zusammenspiel mit neuronalen Prozessen gezeigt und die Entwicklung „festverdrahteter“ Wahrnehmungsund Denkschemata (biologisches Apriori) erforscht wird. In gleicher Weise fordert er empirische Aufklärung über den Prozess des Spracherwerbs, der Sozialisation und der intrasowie der interkulturellen Kommunikation. Im daraus resultierenden kritischen oder wissenschaftlichen E. bleibt die Erfahrung der einzige externe Prüfstein für die Güte einer Hypothese. Jedoch wird die Stärke der empiristischen Position von kontingenten Umständen abhängig gemacht, über die wiederum nur empirische Forschung Auskunft geben kann. Ein vitiöser Zirkel ergibt sich daraus nur für ein fundamentalistisches Begründungsprogramm.

Wissenschaft. Der neuzeitliche wissenschaftliche E. begann mit F. Bacon. In einem berühmt gewordenen Gleichnis fasst er seine Kritik an den bisherigen Erkenntnismethoden zusammen und verweist zugleich auf den richtigen Weg: „Die Empiriker gleichen den Ameisen; sie sammeln und verbrauchen nur. Die Dogmatiker, die die Vernunft überbetonen, gleichen den Spinnen; sie schaffen Netze aus sich selbst. Das Verfahren der Biene aber liegt in der Mitte; sie zieht den Saft aus den Blüten der Gärten und Felder, behandelt und verdaut ihn aber aus eigener Kraft. Dem nicht unähnlich ist nun das Werk der Philosophie; es stützt sich nicht ausschließlich oder hauptsächlich auf die Kräfte des Geistes, und es nimmt den von der Naturlehre und den mechanischen Experimenten dargebotenen Stoff nicht unverändert in das Gedächtnis auf, sondern verändert und verarbeitet ihn im Geist. Daher kann man bei einem engeren und festeren Bündnis dieser Fähigkeiten, der experimentellen und der rationalen, welches bisher noch nicht bestand, bester Hoffnung sein“ (Bacon 1990, S. 211 [Aphor. 95]).

Die empiristische Methode der neuen Wissenschaft wurde in der frühen Neuzeit vielleicht von niemandem mit größerer Kunstfertigkeit angewandt als von Galilei. Seinem Selbstverständnis nach war Galilei ein Anhänger der analytisch-synthetischen (lat. resolutiv-kompositiven) Methode von Aristoteles. Die Struktur seiner Argumentationsweise lässt sich wie folgt typisieren: Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist zumeist eine (tatsächliche oder behauptete) Beobachtung, deren Bedeutung und Erklärung kontrovers sind. In einem ersten analytischen Schritt trennt Galilei unter Zuhilfenahme theoretischer Gesichtspunkte die wesentlichen von den akzidentellen Teilen der beobachteten Naturprozesse. Sodann konstruiert er (vorzugsweise mit den Mitteln der Mathematik) ein Modell, das der Intention nach den inneren Mechanismus wiedergibt, der die Phänomene hervorbringt. Das mathematische Modell erzeugt im Erfolgsfall ein von allen Akzidenzien und Zufälligkeiten befreites „reines“ Phänomen. Wenn man beispielsweise die Mondphasen erklären will, dann kann man die kleinen Unregelmäßigkeiten der Mondoberfläche oder die Ausdehnung und Entfernung der Lichtquelle, also der Sonne, als Akzidenzien betrachten, die zwar für die Erklärung keine Rolle spielen, aber gewisse Besonderheiten des Phänomens verursachen (z.B. die gezackte Form der Grenze zwischen dem beleuchteten und dem unbeleuchteten Teil des Mondes, wie sie im Fernrohr erscheint). Mit der Konstruktion eines mathematischen Modells der relevanten Eigenschaften des Phänomens und seiner Ursachen ist der analytische (resolutive) Teil des Verfahrens beendet. Anschließend folgt der synthetische (kompositive) Teil, worin das tatsächlich beobachtbare Phänomen in all seiner Komplexität durch Anwendung des mathematischen Modells und unter Berücksichtigung seiner Komplizierung durch akzidentelle Umstände erklärt wird. Exemplarisch für Galileis Methode ist seine Analyse der Sonnenflecken (Galilei/Scheiner 2010) oder der Gestalt des Jupitersystems (Galilei 1980). Die so in ihrer Erklärungskraft bewährte Hypothese erklärt Galilei für „demonstriert“. Zwar kann es prinzipiell verschiedene Möglichkeiten geben, um die gleichen Phänomene zu erzeugen, doch Galilei besteht darauf, dass in vielen Fällen Differenzen gefunden werden können, die eine Entscheidung zwischen diesen Möglichkeiten erlauben. Am Beispiel des Streits zwischen Kopernikus, Aristoteles und Tycho widersprach er der Ansicht, man könne nach Belieben verfahren, solange die Phänomene gerettet werden. Absolute Wahrheit sollte man nach Galilei von der Wissenschaft jedoch nicht fordern.

Das wohl einflussreichste Werk der neuzeitlichen Wissenschaft und zugleich ein wirkungsvolles Verbreitungsmedium des Bacon’schen E. war I. Newtons Principia Mathematica. Motiviert durch seine Gegnerschaft zu den Cartesianern, in denen er eine Brutstätte spekulativen (= hypothetischen) Denkens sieht, fordert Isaac Newton in diesem Werk, auf Hypothesen zu verzichten und sich auf das zu beschränken, was durch Induktion aus Erfahrungen erschlossen werden kann. In den vier „rules of reasoning in philosophy“ am Anfang des dritten, synthetischen Teils der Principia Mathematica hat Newton seine methodischen Grundsätze zusammengefasst. Sie kodifizieren ein Ideal der Naturforschung, das von Bacon inspiriert ist und die Naturwissenschaft während der kommenden anderthalb Jahrhunderte dominieren sollte. Die vierte seiner ‚Regulae Philosophandi‘ lautet: „In experimental philosophy, propositions gathered from phenomena by induction should be considered either exactly or very nearly true notwithstanding any contrary hypothesis, until yet other phenomena make such propositions either more exact or liable to exception. This rule should be followed so that arguments based on induction may not be nullified by hypotheses“ (Newton 1999, S. 796). In Newtons Methodenkanon beginnt die Naturforschung mit Beobachtungen und schreitet auf der Grundlage einer Art Gleichförmigkeitsannahme zu Gesetzen fort, die keine Hypothesen mehr sind. Newton benutzt die Bacon’sche Rhetorik, doch die Methode selbst erfährt bei ihm eine wichtige Umdeutung. Als Praktiker weiß Newton, dass viele beliebig ausgewählte Phänomene weniger beweisen als ein einziges, gut durchdachtes Beispiel. In der Logik der Forschung steht dieses nicht am Anfang, sondern am Ende. Im Gegensatz zu Bacon versteht Newton unter Induktion nicht die möglichst vollständige Aufzählung und Auswertung von Fällen, die Verallgemeinerung ihrer übereinstimmenden Merkmale und den Schluss auf eine gemeinsame Ursache. Wenn Newton davon spricht, dass die Prinzipien der Naturphilosophie durch Induktion gefunden werden, dann meint er vielmehr die nach der Methode von Resolution und Komposition (Analyse und Synthese) verfahrende experimentelle Bestätigung eines auf der Basis mathematischer Suppositionen abgeleiteten Theorems – wobei der analytische Teil des Verfahrens die induktive Komponente ausmacht.

In seiner ersten Regel hatte Newton gefordert: „No more causes of natural things should be admitted than are both true and sufficient to explain the phenomena“ (Newton 1999, S. 794). Dass man nur wahre Ursachen als Erklärung anführen soll, erscheint als plausible Forderung. Da jedes hypothetische Moment das Fehlerrisiko erhöht, fordert der neuere E. des ausgehenden 18. und des 19. Jh.s (J. J. de Fourier, J. L. de Lagrange, C. G. Jacobi, W. M. Rankine, R. Mayer, G. Kirchhoff, J. C. Maxwell) sowie des beginnenden 20. Jh.s (G. Helm, W. Ostwald, B. Stallo, H. Poincaré, P. Duhem, E. Mach u. v.a.) konsequenterweise, auf die Suche nach Ursachen zu verzichten und sich in der Theorienbildung auf eine Systematisierung der erfahrungsmäßig (experimentell, instrumentell) gewonnenen „Daten“ zu beschränken. Die Grundsätze, durch die er sich dabei leiten lässt, sind Einfachheit und Sparsamkeit („Ockhams Rasiermesser“). Der Vernunft, der im antiken E. (Aristoteles, Stoa) zumindest noch die Aufgabe zugewiesen wurde, die Sinne beim Vorstoß zu allgemeinen Erkenntnissen anzuleiten, verbleibt im neueren E. nur mehr die Rolle eines Buchhalters der Phänomene.

Ganz im Geiste dieses Ideals hatte G. Kirchhoff 1877 der Mechanik die Aufgabe gestellt, „die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben“ (Kirchhoff 1877, S. 1). Bereits 26 Jahre vorher hatte R. Mayer, einer der Entdecker des Prinzips der Erhaltung der Energie in ihren verschiedenen Manifestationen, dem empiristischen Geist der Wissenschaft dieser Zeit vielleicht den vollkommensten Ausdruck gegeben: „Ist einmal eine Thatsache nach allen ihren Seiten hin bekannt, so ist sie eben damit erklärt und die Aufgabe der Wissenschaft ist beendigt […] Es müssen nämlich die nächstliegenden und häufigsten Naturerscheinungen mittelst der Sinnwerkzeuge einer sorgfältigen Untersuchung unterworfen werden, die so lange fortzuführen ist, bis aus ihr Grössenbestimmungen, die sich durch Zahlen ausdrücken lassen, hervorgegangen sind. Diese Zahlen sind die gesuchten Fundamente einer exakten Naturforschung […] Alle spekulativen Operationen selbst der glänzendsten geistigen Kapazitäten, die, statt von den Thatsachen als solchen Besitz zu ergreifen, sich über dieselben erheben wollten, (haben) bis jetzt nur taube Früchte getragen“ (Mayer 1851). Diese spekulativen Elemente, auf die der mathematische Physiker gleichwohl bei der Formulierung der Naturgesetze nicht verzichten konnte, waren willkürlich und austauschbar; nur ihre Systematisierungsleistung, ihre mathematische Eleganz und ihre deduktive Kraft konnten sie rechtfertigen.

Das hervorstechendste Merkmal des neuen E. des späten 19. Jh.s ist ein Anti-Realismus, der nicht mehr davon ausgeht, dass die von der Wissenschaft postulierten Theorien die innere Struktur der Wirklichkeit darstellen (Rey 1908). Dieser E. nimmt für sich nur noch in Anspruch, Modelle der Wirklichkeit zu konstruieren, die tatsachenadäquat sind; ob sie wahr sind, wissen wir nicht, da es viele Möglichkeiten der mathematischen Modellierung der gleichen Menge an Tatsachen gibt. Nach der berühmten Formulierung von H. Hertz machen wir uns „innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände, und zwar machen wir sie von solcher Art, daß die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände“ (Hertz 1910, S. 1). Nichts ist damit impliziert über das Verhältnis zwischen Bild und Gegenstand. Das Bild braucht den Gegenstand nicht darzustellen, es genügt, wenn es uns zu Folgerungen veranlasst, die empirisch zutreffen.

Die einfachen Tatsachen hatten ihren Abbildcharakter verloren. H. von Helmholtz hatte in seiner berühmt gewordenen Abhandlung über Die Tatsachen in der Wahrnehmung aus dem Jahre 1878 auf der Basis der sinnesphysiologischen Ergebnisse seines Lehrers J. Müller eine unaufhebbare Differenz zwischen Ding und Wahrnehmung konstatiert. Unsere Wahrnehmungen seien keine Abbilder, sondern Zeichen des Wahrgenommenen. „Denn vom Bilde verlangt man irgendeine Art der Gleichheit mit dem abgebildeten Gegenstande, von einer Statue Gleichheit der Form, von einer Zeichnung Gleichheit der perspektivischen Projektion im Gesichtsfelde, von einem Gemälde auch noch Gleichheit der Farben. Ein Zeichen aber braucht gar keine Art der Ähnlichkeit mit dem zu haben, dessen Zeichen es ist. Die Beziehung zwischen beiden beschränkt sich darauf, daß das gleiche Objekt, unter gleichen Umständen zur Einwirkung kommend, das gleiche Zeichen hervorruft und daß also ungleiche Zeichen immer ungleicher Einwirkung entsprechen“ (Helmholtz 1998, S. 153).

Der E. des ersten Drittels des 20. Jh.s (L. Wittgenstein, B. Russell, R. Carnap) zielte nicht nur auf eine Klärung der Methode der Wissenschaft, sondern auch auf eine Wiederaufnahme des epistemologischen Begründungsprogramms des E. Das neue Mittel, das diese Leistung ermöglichen sollte, war die formale Logik. In der Einsicht, dass zwischen unseren sinnlichen Eindrücken und den Gegenständen unserer Alltagswelt (von den Gegenständen der Wissenschaft zu schweigen) eine Lücke klafft, wollte Russell zeigen, wie von den unterschiedlichsten (aktuellen wie potentiellen) Wahrnehmungsperspektiven aller Individuen (in Anspielung auf Leibniz nennt Russell sie „Monaden“) ausgehend die Welt der intersubjektiven Objekte und Prozesse logisch konstruiert werden kann. Nach Russell sollte es ungeachtet des Umstandes, dass jede „Monade“ die Welt in einer für sie spezifischen Weise widerspiegelt, praktisch möglich sein, „Sinnesdaten in Reihen zusammenzufassen und jede dieser Reihen als einem ‚Dinge‘ zugehörig zu betrachten, insofern sie mit Rücksicht auf die Naturgesetze so reagiert, wie Reihen, die nicht einem und demselben ‚Dinge‘ zugehören, im allgemeinen nicht reagieren“. Dinge wären demnach „diejenigen Erscheinungsreihen, die den Naturgesetzen gehorchen“ (Russell 1926, S. 144f.). Um das empiristische Begründungsprogramm zu vervollständigen, sollten auch Raum und Zeit, die Naturgesetze sowie das Stetigkeitsprinzip und das Kausalprinzip als logische Funktionen von Sinnesdaten darstellbar sein. Inwiefern dies gelingen konnte, wurde in der weiteren Diskussion skeptisch beurteilt.

Diese Einschätzung trifft auch auf R. Carnaps unter dem Titel Der logische Aufbau der Welt (1926) publizierten Versuch der Erneuerung des fundamentalistisch orientierten E. zu. Auf der Basis eines einzigen Undefinierten Grundbegriffs, „Ähnlichkeitserinnerung“ genannt, wollte Carnap ein Konstitutionssystem aller Begriffe entwickeln, wobei jeder Begriff durch logische Deduktionsketten auf elementarste Begriffe zurückgeführt werden sollte, die Ähnlichkeitserinnerungen korrespondierten. Heutige Empiristen stimmen dem späteren Urteil Carnaps zu, dass die Forderung der deduktiven Rückführbarkeit aller Begriff auf das erfahrungsmäßig „Gegebene“ überzogen war und dass weniger strenge Ableitungsverfahren (z.B. Korrespondenzregeln) benutzt werden müssen. Im logischen E. der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jh.s war der theoretische Teil der Erkenntnis über ein (variables) System von Korrespondenzregeln mit den Beobachtungssätzen (der empirischen Basis) verbunden (Feigl 1970; Carnap 1973 Abschn. 23–24). Nur die empirischen Sätze galten als vollständig interpretiert, während die theoretischen Sätze nur eine partielle empirische Interpretation durch jene Beobachtungssätze erfuhren, mit denen sie über die Korrespondenzregeln verknüpft waren. Ein anderer Teil der Interpretation kam aus der Mathematik und durch Verknüpfung der theoretischen Begriffe untereinander. Der theoretische Teil der Wissenschaft bildete nach der Vorstellung von H. Feigl, C. G. Hempel und des späten R. Carnap ein begriffliches Netzwerk, in dem der empirische Gehalt nicht streng lokalisiert, sondern in gewissem Umfang verschiebbar war. Dies bedeutete, dass einzelne theoretische Sätze nicht mehr per se, sondern nur nach konventioneller Festlegung einer bestimmten Interpretation testbar oder falsifizierbar waren. Es war immer möglich, eine Inkonsistenz zwischen dem empirischen und dem theoretischen Teil der Erkenntnis durch eine Veränderung der Korrespondenzregeln, das heißt durch eine Reinterpretation und Readjustierung des theoretischen Netzwerks, an eine andere Stelle zu schieben. Zur Vermeidung von Beliebigkeit bei der Bildung theoretischer Begriffe machte der logische E. den Versuch, Signifikanzkriterien für solche Begriffe zu formulieren (Carnap 1974). Ungeachtet aller Bemühungen erwiesen sich diese Versuche als nicht voll zufrieden stellend und stießen ab den siebziger Jahren nur noch auf wenig Interesse.

Der heutige methodologische E. ist durch drei Forderungen gekennzeichnet: Zum Ersten durch die nach einer möglichst sparsamen Verwendung theoretischer Entitäten (Ockhams Rasiermesser), zum Zweiten durch die nach Überprüfbarkeit möglichst vieler (idealerweise aller) logischer Folgerungen einer Theorie und zum Dritten durch möglichst strenge empirische Tests aller Komponenten einer wissenschaftlichen Systematisierung, die über die schon bekannten Wahrnehmungsresultate hinausgehen.

Eine hochinteressante neue Entwicklungsrichtung könnte das empiristische Erkenntnisprogramm mit der Anwendung von Techniken der Computeranalyse und der Robotik auf Entdeckungsprozesse, insbesondere die Generierung von Regelmäßigkeiten aus großen Mengen von Daten nehmen. Bereits 1987 stellte eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Nobelpreisträgers H. A. Simon ein Computerprogramm namens BACON vor, das eine Reihe von Entdeckungen der Vergangenheit durch eine programmgesteuerte Computeranalyse der zugrunde liegenden Daten replizieren konnte (Langley et al. 1987). Andere Forschungsgruppen sind mit der Fortführung dieser Arbeiten und an ihrer Anwendung auf aktuelle Forschungskontexte beschäftigt (Schmidt/Lipson 2009). Eines der Hauptprobleme dieses Ansatzes besteht in der Auswahl der Algorithmen, die auf die Daten angesetzt werden, sowie in der Beantwortung der Frage, was überhaupt als zulässiges „Datum“ in den Prozess der Regelsuche eingehen darf (King et al. 2009).

Lit.: Aristoteles: Metaphysik, 1. Buch, 981a (übers. v. Hermann Bonitz), Reinbek: Rowohlt, 1994.

Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis (übers. v. Malte Hossenfelder), Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1968.

Bacon, Francis: Neues Organon (hg. v. Wolfgang Krohn), Hamburg: Meiner, 1990.

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Lexikon der Erkenntnistheorie

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