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Einleitung: Vor und nach dem „Ende“ der Erkenntnistheorie

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Jeder Mensch strebt von Natur aus nach Wissen, schreibt Aristoteles im einleitenden Satz seiner Metaphysik. Die für unser Selbstverständnis so folgenreiche und zwingende Frage, was Wissen ist, ob wir Wissen haben können und wenn ja, von welchen Gegenständen, untersuchen gegenwärtig so viele Forscher wie nie zuvor. Das Interesse an Erkenntnistheorie – als Bezeichnung für ein Fachgebiet oder eine Disziplin in der Philosophie verstanden – drückt sich in der schieren Zahl von Publikationen, Konferenzen und workshops ebenso aus wie im Spektrum der Ansätze: Sie reichen von der feministischen Erkenntnistheorie, der evolutionären Erkenntnistheorie, der virtue epistemology, der social epistemology, der contextual epistemology, der formal epistemology bis zur „anarchistischen Erkenntnistheorie“.

Diese Entwicklung muss jeden verblüffen, der sich erinnert, dass R. Rorty in einer detaillierten und einflussreichen Studie zur Erkenntnistheorie der Neuzeit, Philosophy and the Mirror of Nature (1979), unter allgemeinem Beifall das Ende der Erkenntnistheorie diagnostiziert hatte. Sie sei durch Hermeneutik und Kulturanthropologie abzulösen. Rorty steht in einer langen Reihe pessimistischer Diagnostiker der Erkenntnistheorie, für die der Bankrott „traditioneller“ erkenntnistheoretischer Ziele und Methoden auf der Hand lag. Beispielhaft ist Heideggers Erwiderung in Sein und Zeit (1927) auf Kants Bemerkung über den ausstehenden Beweis für die ‚Existenz der Außenwelt‘ in der Erkenntnistheorie: „Der ‚Skandal der Philosophie‘ besteht nicht darin, daß dieser Beweis bislang noch aussteht, sondern darin, daß solche Beweise immer wieder erwartet und versucht werden.“ An die Stelle der Auseinandersetzung mit dem radikalen Skeptiker auf der Ebene von Theorie und Argument sollte ein ganz anders geartetes Programm treten: Zu „beweisen ist nicht, daß und wie eine ‚Außenwelt‘ vorhanden ist, sondern aufzuweisen ist, warum das Dasein als In-der-Welt-sein die Tendenz hat, die ‚Außenwelt‘ zunächst ‚erkenntnistheoretisch‘ in Nichtigkeit zu begraben, um sie dann erst zu beweisen“. In der analytischen Philosophie sprach J. L. Austin für viele, als er den Erkenntnistheoretikern – vertreten hier durch die Verfechter von Sinnesdatentheorien der Wahrnehmung – vorwarf, Schlüsselbegriffe wie „materieller Gegenstand“, „Sehen“, „Wahrheit“ oder „Wissen“ in einer Weise zu gebrauchen, die Scheinprobleme produziert oder konserviert. Sichtbar werde dieser philosophische Missbrauch der Begriffe durch den Vergleich mit ihrer soliden, herkömmlichen Verwendung in der Umgangssprache. Dem kritischen Philosophen bliebe daher nur eins zu tun, schrieb Austin im letzten Satz von Sense and Sensibilia (1962): „(to) dismantle the whole doctrine before it gets off the ground.“


Der logische Empirismus, in seinen vielfältigen Formen, teilte den Pessimismus hinsichtlich der Möglichkeit traditioneller philosophischer Projekte, insbesondere der Metaphysik. Er wies das transzendentale a priori ab und verwarf das skeptische Problem der Außenwelt, die Möglichkeit einer systematischen Täuschung eines Subjekts, das nur auf seine Wahrnehmungen für Wissen über seine Umwelt angewiesen ist, als echtes, geradezu die Erkenntnistheorie definierendes „theoretisches“ Problem. Wenn Aussagen einen empirischen Gehalt haben müssen (in der einen oder anderen Form), um als sinnvoll gelten zu können, dann konnte es sich dabei nur um ein Scheinproblem handeln.

Und doch war der logische Empirismus erkenntnistheoretischen Fragen gegenüber besonders aufgeschlossen. Mehr noch, er beanspruchte, auf die legitimen Fragen darunter schlüssige und definitive Antworten geben zu können. Sicheres Wissen, die „Fundamente“ oder Grundlagen, aus denen indirekt Wissen über die uns umgebende physikalische Welt – wenn überhaupt – deduktiv oder induktiv zu gewinnen ist, ist möglich: entweder aufgrund von Sinnesdaten des wahrnehmenden Subjekts oder auf dem Wege direkter Verifikation bestimmter common-sense-Sätze des Alltags. Materielle Gegenstände und ihre Beziehungen sind im Prinzip, so versprach Carnap im Logischen Aufbau der Welt (wie B. Russell vor ihm), darstellbar als „logische Konstruktionen“ aus Klassen von Sinnesdaten. Sicheres Wissen a priori ist möglich, wenn auch nur in Bezug auf analytisch wahre Aussagen, d.h. solche, die keinen faktischen Gehalt haben. Damit konnte die schwierige epistemologische Frage nach der Möglichkeit und Erklärung von mathematischem Wissen (Geometrie und Arithmetik), also von notwendigen Wahrheiten, im Zuge der Fortschritte der Logik nach Frege leicht beantwortet werden. An die Stelle transzendentaler Konstruktionen (Kant) oder intellektueller Intuition (Descartes) als Erklärungen mathematischen Wissens traten nun formale Axiomatik und definitorische Reduktionen. Für andere Formen epistemischer Skepsis als der hinsichtlich unseres Wissens von der Außenwelt, z.B. hinsichtlich des Wissens um das „Fremdpsychische“, erschienen die Theorie der „Kriterien“, konventionalistische oder behavioristische Ansätze vielversprechend. Der logische Empirismus mochte sich also nicht ohne Berechtigung als Fortsetzung klassischer erkenntnistheoretischer Projekte begreifen. Freilich mit anderen Mitteln: Die Analyse von Sprachformen in ihre syntaktischen, formalen, semantischen und pragmatischen Aspekte hatte die Erkenntnistheorie als grundlegende kritische Methode philosophischer Untersuchung abgelöst.

In späteren, „liberalen“ Formen des Empirismus (vor allem vertreten im Werk R. Carnaps) verlor die Idee des sicheren Wissens als Basis der Rekonstruktion der Welt ihre zentrale Stellung zugunsten der Vorstellung, dass die „Basis“ im Hinblick auf den Zweck sprachlicher Rekonstruktion und kritischer Klärung beliebig wählbar ist. Die Rekonstruktion der Wissenschaften verlangt eine relative Unterscheidung von Theorie- und Beobachtungssprache, nicht die Auszeichnung eines „fundamentalen“ sensorischen Vokabulars. Sie verlangt die Artikulation eines Kanons rationaler Methoden, Hypothesen durch Beobachtungen objektiv zu „stützen“ oder zu verwerfen, nicht Verifikation. Erkenntnistheorie in dieser Rolle untersucht nun vornehmlich die Bedingungen der Rationalität von Schlüssen und Methoden, nicht den Wissensbegriff. Probabilistische Konzepte sind dann das Mittel der Wahl, und so findet man diese Auffassung von Erkenntnistheorie im Zusammenhang mit Entscheidungstheorien und dem populären Bayesianismus wieder. Der Wissensbegriff selbst aber fällt beiseite, scheint er doch weder in der Praxis der Wissenschaften noch im modernen fallibilistischen Selbstverständnis der Wissenschaften eine Rolle zu spielen. Entsprechend grenzt auch K. Popper (Vorwort 1959 zur englischen Ausgabe der Logik der Forschung) das zentrale Problem der „Erkenntnislehre“ eng ein und formuliert es rein prozedural: als Aufgabe, das Wachstum und den Kenntniszuwachs der empirischen Wissenschaften methodologisch zu rekonstruieren.

Aber nicht jeder dem Empirismus nahestehende Denker folgte diesem Vorschlag. A. J. Ayers (und G. Ryles) Kritik an der Vorstellung, dass (propositionales) Wissen mit einem besonderen Bewusstseinszustand verbunden sei, der die Wahrheit des Geglaubten garantiere, erwies sich als ein Meilenstein auf einem anderen Weg als dem von Carnap eingeschlagenen. Der Zusammenhang zwischen einer Überzeugung und der Wahrheit ihres Gegenstandes ist – folgt man darin Ayer – vielmehr eine Sache sprachlicher Vereinbarung dahingehend, wie der Begriff Wissen verwendet wird: Von etwas Falschem kann man kein Wissen haben. Ayer artikuliert in der Folge einen Wissensbegriff als wahre Überzeugung, für die der Einzelne mit Recht Gewissheit beanspruchen könnte. Wissen ist demnach möglich, auch in den Wissenschaften und im Alltag. Ayers explizite Entkopplung von Wissen und einem Akt der Verifikation oder der Wahrheitsfindung von Seiten des Erkenntnissubjekts ist eine für die weitere Entwicklung des Gebietes folgenreiche Unterscheidung.

Der logische Empirismus, in dem das traditionelle erkenntnistheoretische Projekt fortlebte, war bei all seinem Einfluss auf die analytische Philosophie eine vergleichsweise kurzlebige intellektuelle Erscheinung. Zwei Entwicklungen trugen bekanntlich dazu bei. Die Arbeiten Th. S. Kuhns und P. Feyerabends in den 60er Jahren „schnitten“ den Empirismus (wie auch den „Falsifikationismus“) von der Wissenschaftspraxis ab. Der tatsächliche Verlauf der Wissenschaften schien sich unter historischer Feinauflösung keineswegs in ein rationales Methodenkonzept, weder ein induktives noch ein falsifikationistisches, fügen zu wollen. Damit wurde auch der Rückzug der Erkenntnistheorie auf rein analytische Untersuchungen der Bedingungen der Rationalität gegenstandslos. Kuhn, Feyerabend, N. R. Hanson und andere waren wenig geneigt, Erkenntnistheorie anders als in Form von Wissenschaftsgeschichte und Soziologie fortzuführen (Feyerabends „anarchistische Erkenntnistheorie“ greift dieses Thema in ironischer, sich ad absurdum führender Weise auf).

Auf philosophischer Seite säten W. V. O. Quine und M. White Zweifel an der fundamentalen, für eine informative kritische Rekonstruktion der Wissenschaften wichtigen Unterscheidung zwischen analytisch und synthetisch wahren Sätzen, einem der „Dogmen des Empirismus“. Entscheidend war jedoch, dass Quine gleichzeitig ein „holistisches“ und pragmatistisches Bild der Wissenschaften und einen umfassenden, radikalen philosophischen Naturalismus entwarf, der (wenn auch nicht mehr in der ursprünglichen Formulierung) sehr einflussreich wurde. Quines Naturalismus setzt die Idee um, dass es keine erkenntniskritische Autorität jenseits der Wissenschaften gibt, dass nichts ihnen begrifflich vorgelagert und empirischer Untersuchung entzogen wäre. Es gibt keine sicheren Erkenntnisfundamente, keine a priori wahren Aussagen und daher auch keine „first philosophy“ (eine Erkenntnistheorie mit fundamentalem Anspruch): Jeder Satz – auch ein mathematisches und logisches Axiom – ist im Prinzip in gleicher Weise revidierbar, wenn dadurch das Gesamtsystem unserer Überzeugungen an Prognosevermögen oder Einfachheit zugewinnt. Der „Zirkel der Begründungen“, der aus klassischer erkenntnistheoretischer Perspektive den naturalistischen Ansatz sofort untergräbt, wird pragmatisch aufgehoben: Die wissenschaftliche, systematische Untersuchung eines Gegenstandsgebietes beginnt provisorisch mit plausiblen Überzeugungen und Hypothesen (nicht mit erwiesen sicherem Wissen) und schreitet von dort fort. Erkenntnistheorie erscheint hier als interdisziplinäres Projekt von empirischer Psychologie, Biologie, Linguistik und anderen Wissenschaften, das die kognitiven Funktionen der Menschen, das Sehen, die Entstehung von Sprache und Weltbild untersucht. Handelt es sich dabei um eine konsequent weitergetriebene, aufgeklärte Fortsetzung des traditionellen epistemologischen Projekts (wie Quine oft zu sagen scheint) oder um einen radikalen Bruch und den skandalösen Versuch ihrer Substituierung durch „Psychologie“ (wie Kritiker meinen)? Die Frage darf hier offenbleiben.


In diesem für erkenntnistheoretische Anliegen wenig günstigen intellektuellen Umfeld kam der Anstoß für das erneuerte Interesse an genuin erkenntnistheoretischen Fragen aus unerwarteter Richtung. In einem kurzen Aufsatz beschrieb der sonst wenig bekannte E. L. Gettier (1963) drei konstruierte Situationen, in denen Urteilende kein Wissen haben, obwohl sie alle plausiblen Bedingungen an Wissen erfüllen: Sie wissen in diesen Situationen nicht, obwohl ihr Urteil über einen bestimmten Sachverhalt tatsächlich wahr ist und auch begründet scheint. Dieses kleine Rätsel für das Fachpublikum erwies sich nach und nach als lösungsresistent: Keine der zahlreichen vorgeschlagenen raffinierten Ergänzungen oder Alternativen zur „Standardanalyse“ des Wissens war und ist gegen neue Gegenbeispiele oder andere Einwände gefeit.

Dem singulären Aufsatz Gettiers allein die Wiederbelebung der Erkenntnistheorie zuzuschreiben wäre vordergründig. Tatsächlich hätten Gettiers Beispiele niemanden überraschen sollen, denn sie und die nachfolgende Diskussion brachten nur ans Tageslicht, dass für die schwache Lesart der Wahrheitsbedingung im Wissensbegriff („richtige“ Begründung eines Urteils anstelle von Verifikation) ein Preis zu zahlen ist.

Der philosophische Naturalismus (zunächst Quine’scher Prägung) erwies sich nun ironischerweise als wirksamer Resonanzboden für die Diskussion über die richtige Explikation des Begriffs „Wissen“. Einer der ersten Vorschläge forderte, als Bedingung an Wissen, eine kausale Beziehung zwischen Überzeugung und dem Sachverhalt, der der Gegenstand der Überzeugung ist. Diese zusätzliche Bedingung sollte deklaratives Wissen von anderen doxastischen Zuständen unterscheiden. Bestand diese kausale Beziehung, wenn etwa ein Gegenstand oder ein Sachverhalt wahrgenommen wird, dann sollte das Subjekt Wissen haben, gleichgültig ob es seine so gewonnene Überzeugung rechtfertigen konnte oder nicht, ob es wusste, dass diese kausale Abhängigkeit tatsächlich bestand oder nicht. Die Theorie ist ein Beispiel einer „externalistischen“ Auffassung von Wissen, der andere Ansätze folgten, z.B. die Zuverlässigkeitstheorien des Wissens (reliabilism). Externalistische Theorien des Wissens eröffnen radikale Möglichkeiten, z.B. die, dass ein Subjekt Wissen haben kann, ohne in der Lage zu sein, sein (wahres) Urteil zu rechtfertigen. Der Normativität von Wissensansprüchen kann so anscheinend nicht Rechnung getragen werden. Der Wissensexternalismus markiert einen dramatischen mehrfachen Bruch mit traditionelleren Auffassungen von Wissen.

Die Diskussion über die plausibelste Analyse propositionalen Wissens dauert an. Bis heute gibt es keinen Konsens über hinreichende und notwendige Bedingungen dafür, dass eine Person Wissen von einer Aussage hat (statt nur eine wahre Überzeugung). Inzwischen wird von einigen die Auffassung vertreten, dass der Wissensbegriff gar nicht in eine Anzahl erschöpfender Bedingungen explizierbar, sondern eine irreduzible Größe ist (T. Williamson u.a.).

P. Ungers Ignorance: A Case for Scepticism (1975) und B. Strouds The Significance of Philosophical Scepticism (1984) gelang es schließlich, die als überholt und erledigt geltende skeptische Frage wieder in ihr Recht zu setzen. Sie belebten eine alte, der Erkenntnistheorie eigene Debatte wieder. Stroud zeigte in detaillierten Studien zu Carnap, Wittgenstein und Quine, dass diese raffinierten Versuche, skeptische Fragestellungen auf verschiedenste Art als „sinnlos“ oder verfehlt zu erweisen, fragwürdig sind. Unger argumentierte in zwei Schritten dafür, dass niemand Wissen haben kann; einerseits könne nur, wer sich einer Sache gewiss ist, auch Wissen von ihr haben. Gewissheit ist demnach eine notwendige Bedingung für Wissen. Andererseits könne sich niemand irgendeiner Sache tatsächlich gewiss sein. Beide Prämissen begründet er anhand von Betrachtungen über die Verwendung von Begriffen wie „gewiss sein“. Neuere Theorien des Wissens (die „contextual epistemology“) reagieren darauf und stellen sich nicht nur die Aufgabe, den Wissensbegriff zu explizieren, sondern auch die Hartnäckigkeit der skeptischen Problematik in positiver Weise zu erklären. Beides scheint möglich, wenn man annimmt, dass die sprachliche Bedeutung von „Wissen“ bzw. Zuschreibungen von Wissen zu Personen mit dem Kontext variiert und nicht invariant ist. H. Putnam aktualisierte in Reason, Truth, History (1982) in einem ontologischen Kontext die älteste und faszinierendste aller skeptischen Möglichkeiten, das cartesische Szenario eines den Einzelnen in seinen Urteilen massiv täuschenden Dämons, durch sein sprichwörtlich gewordenes Gedankenexperiment eines denkenden und fühlenden „Gehirns im Tank“. Die Fachdiskussion über die Bedeutung und den Erfolg seiner „semantischen“ Widerlegung dieser Form der Skepsis dauert an.


Die „neue Epistemologie“, die in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Form annahm, ist in ihren Methoden und Ansätzen extrem heterogen. Das wiedererwachte Interesse am Problem des Wissens ließ keinen Aspekt der Fragestellung unangetastet. Gibt es doch Fundamente der Erkenntnis, unerschütterliche und zweifelsfreie Wahrheiten, von denen Wissen möglich ist? Der „erkenntnistheoretische Fundamentalismus“ findet inzwischen in einer „moderaten“ Form wieder Vertreter (R. Audi). Gibt es synthetisches Apriori-Wissen über die Welt bzw. ihre Strukturen? Nachdem diese Möglichkeit unter gewichtigen Einwänden im logischen Empirismus und im philosophischen Naturalismus ein für alle Mal begraben schien, wird ihr seit den Arbeiten von S. Kripke wieder Bedeutung beigemessen (L. BonJour). Sind „Wissen-dass-etwas-der-Fall-ist“ und „Wissen-wie“ zwei scharf getrennte Formen von Wissen, wie seit G. Ryle allgemein angenommen wird? Vielleicht ist die Unterscheidung hinfällig (T. Williamson, S. Hetherington).

Ein neues Merkmal zieht sich in der einen oder anderen Form durch viele Theorien: die Verwendung von „modalen“ Charakterisierungen von Wissen. R. Nozick, der neben anderen diese (externalistischen) Bedingungen einführte (1981), sah darin eine Möglichkeit, auszudrücken, dass sachhaltige Urteile eines Subjekts in angemessener („gesetzesartiger“) Weise mit den Umständen variieren müssen, damit von Wissen des Subjekts die Rede sein kann. Nozick konnte zeigen, dass eine Analyse von Wissen, die eine Forderung wie „wenn die Aussage p nicht wahr wäre, dann würde das Erkenntnissubjekt auch nicht die Überzeugung haben, dass p wahr ist“ enthielt, half, verschiedenste kritische Beispiele von Wissen und Scheinwissen (auch die Gettiers) unseren Intuitionen gemäß einzuordnen. Die Voraussetzungen für eine formal einwandfreie Semantik dieser irrealen Bedingungssätze hatten erst kurz zuvor D. Lewis und S. Kripke geschaffen. Mittlerweile sind zahlreiche andere modale Bedingungen zur Charakterisierung von Wissen vorgeschlagen worden.

Methodischer Ausgangspunkt vieler neuerer Untersuchungen ist die Annahme, dass wir tatsächlich zumindest in einzelnen Fällen Wissen im Alltag haben oder in Anspruch nehmen könnten. Einige Erkenntnistheoretiker betrachten dies nicht als Annahme, sondern als ein Datum und sehen ihre Aufgabe darin, zu erklären, wie wir in diesen Fällen zu Wissen kommen und wie sich Wissen in solchen Umständen von Situationen unterscheidet, in denen wir kein Wissen – sondern nur wahre Überzeugungen – haben. Häufig werden Argumente mit Hilfe von Beispielen und Szenarien geführt, die mittlerweile so verbreitet sind, dass sie in der einschlägigen Literatur unter Spitznamen wie „Tom Grabit“ (vgl. „Wissenstheorien nach Gettier“, für Details hier und an anderen Stellen siehe die Beiträge des Lexikons) kursieren. Je konstruierter diese Beispiele, die häufig Gegenbeispiele gegen die eine oder andere Explikation von Wissen sein sollen, umso schwieriger wird es zu entscheiden, ob sie die ihnen zugedachte Rolle auch erfüllen. Hier wird an die linguistische oder rationale „Intuition“ des Philosophen appelliert, die ihm zeigen soll, dass unter bestimmten Umständen Wissen vorliegt oder nicht, Begründungen fundiert sind oder nicht. Diese explizite Berufung auf Intuitionen – nicht als Beweis für eine Behauptung, aber durchaus als eine Art Beleg dafür – ist ein verbreitetes Vorgehen in epistemologischen Diskussionen. Aber auch empirische Methoden haben in der Erkenntnistheorie Einzug gehalten, nachdem bei vielen Epistemologen Berührungsängste vor der Psychologie, der Kognitionswissenschaft, der Biologie usw. geschwunden sind. Die methodische Vorgabe, Erkenntnistheorie sei eine Domäne apriorischer Reflexionen über die Verknüpfung und Inhalte bestimmter Begriffe, wird obsolet.

Der sprachanalytische Ansatz Ayers, Carnaps, Ryles u.a. ist in der Erkenntnistheorie weiterhin methodologisch lebendig: z.B. in der vielfachen Berufung auf sogenannte Moore’sche Sätze oder in der Idee, dass die Semantik des Wissensbegriffs von den Intentionen, Motiven und anderen Umständen der Sprecher und Zuschreiber von Wissen abhängt („contextual epistemology“).


Es ist Teil unseres Selbstverständnisses, Wissen in Anspruch nehmen zu können und Überzeugungen zu haben, die rational sind, und das nicht nur aus praktischen Erfordernissen heraus. Es ist ein natürliches und spontanes Streben, im Alltag und in den Wissenschaften, wie Aristoteles richtig gesehen hat. Wissen-Haben bedeutet, in einer privilegierten Stellung zur Welt oder zur Wahrheit zu stehen. Erkenntnistheorie ist der Versuch oder das Programm, in allgemeiner Weise zu erklären, ob und wie Wissen oder Rationalität für uns möglich ist. Die vergangenen Jahrzehnte haben in dieser Richtung enorme Fortschritte gesehen. Jeder der gegenwärtig diskutierten Ansätze und Vorschläge zu den diversen Teilfragen der Erkenntnistheorie ringt mit Schwierigkeiten: Sie sind ein beständiges Motiv weiterer Forschung. Kein stabiler Konsens ist erkennbar, aber unser Verständnis der Frage ist vielfältiger und raffinierter geworden. Wenn es ein zentrales Problem des Gebietes gibt, dann ist es vielleicht dies: unsere Intuitionen über Wissen und rationales Schließen mit einem naturwissenschaftlich geprägten Bild des Menschen in der Welt in Einklang zu bringen. In vielerlei Hinsicht steht die „neue“ Erkenntnistheorie der antiken Auseinandersetzung mit dem Erkenntnisproblem wieder näher als den Theorien Lockes, Kants oder Descartes’, die Rortys Angriffspunkt in Philosophy and the Mirror of Nature waren. Rortys Diagnose eines „Endes der Erkenntnistheorie“ war falsch, nicht weil sein historisierender Blick zu eng oder die vorgeschlagene Alternative („Hermeneutik“) zu wenig leistet, sondern weil das erkenntnistheoretische Interesse sich immer aufs Neue aus dem Alltag und den Wissenschaften speist. Erkenntnistheorie als autonome begriffliche Basis der empirischen Wissenschaften oder anderer philosophischer Disziplinen: Das scheint ein hoffnungsloses Projekt, darin haben die „Pessimisten“ der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wohl recht. Aber die Untersuchung des Erkenntnisproblems ist – wie die vielfältigen zeitgenössischen Ansätze zeigen – ein Projekt, das seit der Antike an Faszination nichts eingebüßt hat.

Lit.: Gettier, E.: „Is Justified True Belief Knowledge?“, in: Analysis 23, 1963. S. 121–123.

Heidegger, Martin: Sein und Zeit (1927), Tübingen: Niemeyer, 14. Aufl. 1977.

Nozick, Robert: Philosophical Explanations, Oxford: Clarendon Press, 1981.

Popper, Karl R.: The Logic of Scientific Discovery, New York: Basic Books Inc., 1959.

Putnam, Hilary: Reason, Truth and History, Cambridge: Cambridge University Press, 1981.

Rorty, Richard: Philosophy and the Mirror of Nature, Princeton: Princeton University Press, 1979.

Stroud, Barry: The Significance of Philosophical Scepticism, Oxford: Oxford University Press, 1984.

Unger, Peter K.: Ignorance. A Case for Scepticism. Oxford: Clarendon Press, 1975.

T. B.

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