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Vorwort des Herausgebers

Das menschenverachtende System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hat seine schmutzigen Spuren hinterlassen. Was sich im Frühjahr 1933 noch als verfassungsrechtlich unbedenkliche Regierungsübernahme durch Adolf Hitler präsentierte, erwies sich bald darauf als schmerzlicher Einschnitt in die deutsche und europäische Geschichte. Durch deutsche Hand verschuldet, überzog unvorstellbares Leid Millionen Menschen, ganze Völker und Nationen. Dem Anspruch der Nationalsozialisten, alle politischen und gesellschaftlichen Prozesse, alle Bereiche des öffentlichen wie privaten Lebens in Deutschland mit ihrer wahnwitzigen Ideologie zu durchdringen, richtete sich auch gegen die Christen, gleich welcher Konfession. Die Rolle, die diese dabei einnahmen, war bestimmt von einem Ringen zwischen Anpassung und Widerstand, von Zustimmung und Verweigerung, Gehorsam und Ungehorsam. Zu leichtfertig, so erscheint es heute, haben sich die Kirchen nach dem ‚Ermächtigungsgesetz‘, dem im Reichstag lediglich die Sozialdemokraten ihre Zustimmung verweigerten, von ihrer anfänglichen Skepsis gegenüber der aufstrebenden Gefahr verabschiedet und sich um des Friedens willen zu arrangieren begonnen. Muss, obwohl sich viele Christen mit einer Identifikation des nationalsozialistischen Gedankengutes schwer taten, am Ende nicht die, am 18./19. Oktober 1945 von führenden evangelischen Christen zu Stuttgart formulierte Selbstanklage stehen bleiben, „nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt [zu] haben“1 und damit einhergehend die bittere Erkenntnis, dass der tatkräftige, durch ein mutiges Gewissen entschlossene Widerstand doch das Werk Einzelner2 blieb? Bleibt nicht einzugestehen, was die katholischen Bischöfe in ihrem Hirtenwort vom 23. August 1945 bereits schriftlich beklagten: „Viele Deutsche, auch aus unseren Reihen, haben sich von den falschen Lehren des Nationalsozialismus betören lassen, sind bei den Verbrechen gegen menschliche Freiheit und menschliche Würde gleichgültig geblieben; viele leisteten durch ihre Haltung den Verbrechen Vorschub, viele sind selber Verbrecher geworden. Schwere Verantwortung trifft jene, die auf Grund ihrer Stellung wissen konnten, was bei uns vorging, die durch ihren Einfluß solche Verbrechen hätten hindern können und es nicht getan haben, ja diese Verbrechen ermöglicht und sich dadurch mit den Verbrechern solidarisiert haben“3?

Während sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung zumeist dem Völkermord und der politischen Verantwortung der Deutschen, in neuerer Zeit auch der Verantwortung von Wirtschaft und Justiz widmet, ist das Bild der Christen jener Zeit bis heute unfertig geblieben. Weil immer noch offene Fragen nach dem Verhältnis zwischen Kirche(n) bzw. Christen und Nationalsozialismus im Raum stehen, suchen die Autoren dieses Bandes – denen für ihre Beiträge ebenso gedankt sei, wie der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für die Aufnahme des Buches in ihr Verlagsprogramm –, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, in ökumenischer Ausrichtung einige, für die Rolle der Christen im Dritten Reich wesentliche Aspekte zu klären. Wie entschieden gestaltete sich der christlich formierte Widerstand? Welche Position nahmen die katholischen Bischöfe ein, welche Papst Pius XII.? Welche Rolle spielten die evangelischen Kirchen, welche die altkatholische? Wie verhielten sich die sogenannten ‚Freikirchen‘? Haben die Christen am Ende doch versagt?

Der Leserin und dem Leser sei dieser Band als ein Mittel anempfohlen, sich kritisch mit der Rolle der Christen im Dritten Reich auseinanderzusetzen, gleichsam zu ergründen, wie schwierig es am Ende doch bleibt, sich aus heutiger, oftmals um politische Korrektheit bemühte Sicht ein Urteil zu erlauben und sich erneut mahnend zu vergewissern: Wer sich um des äußeren Friedens willen auf scheinbar kluge, in Wahrheit faule Kompromisse einlässt, wer sich vor Unrecht und Gewalt verschließt, wer den Kopf in den Sand steckt statt hinzusehen, wird womöglich zum Handlanger des Bösen und muss sich am Ende den Vorwurf der Mitschuld gefallen lassen. Was es aber heißt, sich der unwägbaren Gefahr zu stellen, schrieb Helmuth James Graf von Moltke in einem Brief vom 1. Juni 1940 mit Blick auf den im selben Jahr um ihn und Peter Graf Yorck von Wartenburg entstandenen Kreisauer Kreis. Sein Anspruch gilt auch für alle anderen Christen jener und aller Zeit:

„Zur Frage des Kopf-in-den-Sand-Steckens, was wir angeblich in Kreisau betreiben, habe ich folgendes zu sagen. Es ist unsere Pflicht, das Widerliche zu erkennen, es zu analysieren und es in einer höheren, synthetischen Schau zu überwinden und damit für uns nutzbar zu machen. Wer davor wegsieht, weil ihm entweder die Fähigkeit fehlt zu erkennen oder die Kraft, das Erkannte zu überwinden, der steckt den Kopf in den Sand. Ob man aber Einzelheiten in sich aufnimmt, ob man sie diskutiert, ob man sie am Donnerstag oder Freitag erfährt, ist vollkommen gleichgültig. Im Gegenteil die Sucht, die Einzelheiten zu erfahren, führt dazu, daß man darauf viel zu viel Gewicht legt und darüber die genau so wichtige Aufgabe übersieht, diese Tatsachen zu sublimieren und in ihr richtiges Verhältnis zu bringen. Wenn man hinter diesen Einzelheiten herjagt, dann hat man auch nicht die Kraft zu ihrer Überwindung. Daß die Fähigkeit zur Überwindung in einer friedlichen Atmosphäre grösser ist als in einer gehetzten, ist sicher, und jeder der um sich diese friedliche Atmosphäre zu verbreiten imstande ist, ist ein lebendiger Träger und Antreiber in der richtigen Richtung. Frieden ist etwas anderes als Complacency. Wer, um sich den äusseren Frieden zu erhalten, Schwarz Weiss sein lässt und Böse Gut, der verdient den Frieden nicht, der steckt den Kopf in den Sand. Wer aber jeden Tag weiss, was gut ist und was böse und daran nicht irre wird, wie gross auch der Triumph des Bösen zu sein scheint, der hat den ersten Stein zur Überwindung des Bösen gelegt.“4

Münster in Westfalen, November 2013 Philipp Thull

Anmerkungen

1 Die Stuttgarter Erklärung. Der endgültige Text, in: M. Greschat (Hrsg.): Die Schuld der Kirche. Dokumente und Reflexionen zur Stuttgarter Schulderklärung vom 18./19. Oktober 1945. München 1982, 102.

2 Vgl. P. Steinbach/J. Tuchel: Lexikon des Widerstands 1933–1935. München 1998; H. Moll (Hrsg.): Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts, 2 Bde. Paderborn 52010.

3 Hirtenwort der katholischen Bischöfe vom 23. August 1945, in: Gruber, Hubert (Hrsg.): Katholische Kirche und Nationalsozialismus 1930–1945. Ein Bericht in Quellen, Paderborn 2006, 507f.

4 H. J. Graf v. Moltke: Briefe an Freya. 1939–1945, hrsg. v. B. Ruhm v. Oppen. München 1988, 142f.

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