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3.Nachdenken über Anfänge und Diskontinuitäten

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Insgesamt sind die Diskussionen um rassistische und Ausschluss produzierende Strukturen im Theater (und anderen deutschen Kulturinstitutionen) nicht neu. Spätestens seit dem Erfolg des Ballhaus Naunynstraße, das mit seinem selbstgewählten Label »postmigrantisch« in den Mainstream der deutschen Theaterszene intervenierte, wird eine größere Repräsentation der Diversität der deutschen Realität gefordert. Trotz dieses sich langsam abzeichnenden Wandels zeigt sich die Abwehrreaktion von den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung wie von Intendant:innen deutlich, wenn es etwa beschwichtigend heißt: »Einen Schritt nach dem nächsten!«12

Denn wenn in diesem Beitrag in der Ausgangsfrage eine Verbindung zur Black Lives Matter-Bewegung gestellt wird, dann auch um auf die Verwobenheit von Politik und Kunst, Intervention und das reine Überleben in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft für Schwarze Menschen zu verweisen. Es geht darum, die Erfahrung von Schwarzen Menschen ins Zentrum zu stellen. Daher steht entsprechend weniger die Frage, ob oder wie die weiße Imagination Schwarzes Leben in ihrer Vielfalt zulässt, sondern wie durch Intervention und Aneignung, in diesen von einer weißen Imagination besetzten Raum (im wahrsten Sinne des Wortes) eingegriffen werden kann. Dabei – und das ist Teil der Kolonialität der Strukturen, – werden diese Interventionen durch hegemoniale Narrative immer wieder strukturiert, ausgesiebt, exkludiert, vergessen und geteilt, um sie beherrschbar zu machen.

Wenn der entscheidende Moment einer postmigrantischen (und postkolonialen) Intervention im deutschen Theater immer wieder nur auf 2008 datiert wird, weil das Ballhaus Naunynstraße in jenem Jahr unter dem selbstgewählten Label »Postmigrantisches Theater« neu eröffnet hat, dann werden damit zugleich die bereits lange existierenden Strukturen von BIPoC-Künstler:innen und Aktivist:innen aus der Theatergeschichte (heraus)gehalten. Dabei waren und sind Proteste und Interventionen immer wieder wichtige Momente für marginalisierte Gruppen, um sich gegen Vereinnahmung und Fremdzuschreibungen zu wehren und Interessen und Anliegen öffentlich zu vertreten. Der Protest der Jüdischen Gemeinde Frankfurt im Jahr 1985 gegen die Inszenierung von Rainer Werner Fassbinders Der Müll, die Stadt und der Tod am Schauspiel Frankfurt war in dieser Hinsicht essentiell. So konstatiert Michael Brenner in der Jüdischen Allgemeinen, dass für »das jüdische Leben in der Bundesrepublik diese Bühnenbesetzung einen entscheidenden Einschnitt« markierte.13 Zum ersten Mal, 40 Jahre nach der Shoah, traten wichtige Repräsentant:innen der Jüdischen Gemeinde in der deutschen Öffentlichkeit auf. So wurde bei der Veranstaltung EIN/AUSschlüsse und Selbstermächtigung im Kulturbetrieb, die 2017 als Teil des Akademieprogramms des Jüdischen Museum Berlin stattfand, auf die Wichtigkeit dieses historischen Moments des Aufstandes verwiesen.

Auch die historische Initiierung einer Afrodeutschen Frauenbewegung, die sich später in Form der Initiative ADEFRA e. V. – Schwarze Frauen in Deutschland institutionalisiert hat und mit dem Aufenthalt der Afroamerikanischen Poetin und feministischen Theoretikerin Audre Lorde an die FU Berlin ihren Anfang fand, war ein entscheidender Schritt in Richtung eigener Community-Strukturen, die über die die Schwarze Community hinaus von ebenfalls großer Bedeutung war. Lorde war Mitte der 1980er Jahre als Gastprofessorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien eingeladen, wo sie selbst explizit eine Einladung an Schwarze deutsche Frauen aussprach, an ihrem Seminar teilzunehmen. Bis dahin waren Afrodeutsche Frauen, so die Historikerin Katharina Oguntoye, als Schwarze weibliche Subjekte in Deutschland isoliert. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebenssituationen und -interessen, sei es als Schwarze Deutsche oder Afrikanisch-Deutsche oder Amerikanisch-Deutsche, beriefen sie sich nicht auf eine gemeinsame Identität als Schwarze deutsche Frauen.14 Die im Anschluss gegründete Bewegung ADEFRA verfolgte das selbstdefinierte Ziel, Räume für eine kollektive Auseinandersetzung mit Schwarzen Lebensrealitäten in Deutschland im Allgemeinen und mit den Existenzweisen Schwarzer Frauen in Deutschland im Spezifischen zu erschaffen. ADEFRA war angetrieben von Visionen einer Community, die einen Ort einer kollektiven Auseinandersetzung, der Wissensund Gesellschaftskritik und einer zugewandten, solidarischen Teilhabe für Afrodeutsche Frauen ermöglichte. Mit Methoden wie Theaterworkshops, Körperarbeit, kreativem Schreiben und Biografiearbeit wurden Grundlagen einer gemeinsamen Wissensgenerierung und -produktion durch eigene Selbst- und Lebensverhältnisse geschaffen. Damit deckten sie Themen auf, die in der offiziellen Geschichtsschreibung selten, und, wenn überhaupt, vorwiegend in den Fußnoten vorkommen.

Der marginalisierende Umgang mit Themen, in denen Schwarze Menschen als gesellschaftliche Handlungssubjekte zentrale Akteur:innen sind, führt zu einer Unsichtbarmachung ihrer gesellschaftlichen Beiträge. Diese Form der normalisierten, systematischen Nicht-Wahrnehmung bezeichnet die Afroamerikanische feministische Theoretikerin Patricia Hill Collins als »suppression«, ein vorsätzliches Vernachlässigen von Wissensbeständen und Wissensformen:15 »Black Women (intellectuals) create Black Feminist Thought by using their own concrete experiences as situated knowers in order to express a Black Women’s standpoint.«16 ADEFRA machte sich dies in der Aufarbeitung ihrer eigenen – Afrodeutschen – Geschichte zu eigen. Die Verzahnung von persönlichen Erinnerungen Afrodeutscher Zeitzeuginnen mehrerer Generationen sowie Gedichte, Interviews und Erfahrungsfragmente verknüpfen sich zu einer kollektiven Geschichte und leiten eine Schwarze feministische deutsche Geschichtsschreibung ein. Damit werden grundsätzliche Fragen über den impliziten wie expliziten Voraussetzungsreichtum von Historiografie aufgeworfen: Wie kann eine verdrängte und unsichtbar gemachte Geschichte ausgegraben und erzählbar gemacht werden? Aus wessen Perspektiven und Deutungen wird diese dann historisiert und innerhalb der deutschen Geschichtsschreibung kontextualisiert?

In dieser Tradition sind sowohl künstlerische als auch interventionistische Auseinandersetzungen einzuordnen. Sie sind Gegendiskurse zu hegemonialen Diskursen, die die koloniale Binarität (des Eigenen und Fremden) durch ein Hinterfragen aufbrechen und einen Diskurs der Selbstrepräsentation überhaupt erst ermöglichen. Nikita Dhawan und Maria Do Mar Castro Varela verweisen darauf, dass poststrukturalistische Ansätze das Feld der Repräsentation in Frage gestellt haben. Dies bedeute jedoch nicht, dass Repräsentation nicht möglich sei, sondern dass Repräsentationen als konstruiert und machbar verstanden werden müssen.17

Ästhetiken der Intervention

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