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Johanna Zorn, Ulf Otto Einleitung

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Im Jahr 2000 nimmt Christoph Schlingensief die FPÖ beim Wort und spielt Big Brother mit Asylsuchenden: Auf dem Platz vor der Staatsoper steht im Rahmen der Wiener Festwochen ein Wohncontainer und jede Woche wird gewählt, wer abgeschoben wird. Darüber prangt ein Plakat mit der Aufschrift »Ausländer raus«. Es entsteht eine Kippfigur aus Kunst und Politik, die die bürgerlichen Werte in den Double Bind nimmt: Wer schweigt, stimmt zu, wer stört, versteht die Kunst nicht. Jeden Tag wird vor Ort, in der auflagenstärksten österreichischen Tageszeitung Krone und im ORF in heftiger Erregung um das Bild gestritten, das von Österreich um die Welt geht, während das Feuilleton genüsslich beobachtet, wie die individuellen und kollektiven Selbstinszenierungen in medialen Rauch aufgehen. Der Filmemacher Schlingensief zerrt das deutschsprachige Theater aus der ästhetischen wie politischen Provinzialität auf die Weltbühne und verleiht ihm das Pathos der Avantgarde. Auf den Container konnte man sich einigen, weil er als Vergleichsgröße eines Theaters der Intervention taugt, das anders politisch sein will, als es Postdramatik und Performativität gedanklich zugelassen haben.

Zugleich aber markiert dieser Container auf dem Opernplatz am Ende des 20. Jahrhunderts einen Moment, der nicht mehr der unsere ist. Die Geste der Entlarvung, die noch den Container umweht, hat einen schalen Beigeschmack bekommen (und Geschmack ist in der Ästhetik bekanntlich eine nicht unwesentliche Größe). Denn einerseits stellt sich die Frage, ob eine solche Demaskierung einer Neuen Rechten heute noch beikommen könnte, die längst die Maske hat fallen lassen und zugleich die demagogische Maskerade professionalisiert hat. Andererseits wiederum muss sich die künstlerische Maskierung, die zur politischen Demaskierung dient, inzwischen die Frage gefallen lassen, was sie für diejenigen bedeutet, deren Gesichter da als Maske dienen. Angesichts der zunehmenden Sorge um die natürlichen wie gesellschaftlichen Umwelten, stellt sich heute also auch an Interventionen grundsätzlicher denn je die Frage, was von ihnen bleibt, wenn der Zirkus weiterzieht.

Intervenieren – vom lateinischen intervenire (dazwischenkommen) – bedeutet, sich einzumischen: von außen kommend, örtlich und zeitlich befristet, in Situationen, die als krisenhaft definiert werden und durch das eigene Handeln zum Guten gewendet werden sollen. Notwendig sind Interventionen daher übergriffig, stellen Souveränität in Frage, erfordern Legitimation und setzen Institutionen voraus, die über Definitionsmacht verfügen: Oberkommandos, Zentralbanken, Seelsorger, die hier im generischen Maskulin stehen bleiben, um die patriarchale Geste, die dem Eingriff innewohnt, nicht zu verschleiern – und seit Ende des 19. Jahrhunderts auch Philosophen. Statt nur Interpretation fordert die elfte Feuerbach-These eben auch Intervention.1 Sie erschafft damit einen Linksintellektuellen, dessen J’accuse, das seinerseits eng mit der Konstruktion heroischer Männlichkeit verbunden ist, im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts poststruktural und postkolonial dekonstruiert, sich sowohl theoretisch wie praktisch in die distribuierte Artikulation von Dissens auflöst.2 Bei Maurice Blanchot bleibt ein radikales Nein, das auf eine Not reagiert, welche die Kunst zur Antwort nötigt.3 Ähnlich entfaltet die Kunst bereits bei Herbert Marcuse ihre »magische Kraft nur als Kraft der Negation«4, bei Adorno wiederum ist sie gar das fundamental Nichtidentische, das immer das emphatische »Es soll anders sein«5 ausrufen müsse. Wichtiger allerdings als diese theoretischen Positionen der ästhetischen Negation sind seit den 1960er Jahren häufig die Aktionen feministischer Performances im Umfeld der neuen sozialen Bewegungen, die dem Dissens und seiner Logik der Unterbrechung die Form geben.6

In der Kunst tritt die Intervention insofern zumeist in Opposition zur Repräsentation auf. Es ist das programmatische Übergreifen in das Terrain des (Sozio-)Politischen über die Dimension des Ästhetischen hinaus und damit das Überschreiten dessen, was gemeinhin als moderne Autonomieästhetik bezeichnet wird, das Interventionen auszeichnet. In avantgardistischer Tradition relativieren sie einen bürgerlichen Kunstbegriff, der das politische Potential der Kunst gerade in ihrer kategorialen Distanz zur Politik begründet sah, und verbinden mit dem Grenzübertritt nicht zuletzt die Hoffnung auf eine Erneuerung der Kunst.

Daher ist der Ein- und Übergriff der künstlerischen Intervention zuerst einmal Geste, stellt Haltung aus und ist auf die behauptete Wirksamkeit nicht angewiesen. Die Transgression der Dichotomie von Kunst und Politik ist zentral, bleibt aber temporär, so dass sie eher als ein Flirt mit der Überwindung dieser Trennung erscheint, dessen Attraktivität sich gerade aus der zeitweisen konfliktuellen, bisweilen konfrontativen Überlagerung der ästhetischen und politischen Sphäre ergibt.7 Mehr als fraglich bleibt insofern, ob der Anspruch einer künstlerischen Handlung auf »Realitätsproduktion« tatsächlich so simpel zu bewerkstelligen ist, wie es etwa das kuratorische Team der 7. Berlin Biennale 2012 rund um Artur Żmijewski nahelegte, indem es behauptete: »Wir stellen Kunst vor, die tatsächlich wirksam ist, Realität beeinflusst und einen Raum öffnet, in dem Politik stattfinden kann.«8

Denn einerseits lebt der Begriff der Intervention vom Auftrag zu Wirksamkeit, Direktheit und Transformation durch ein nunmehr explizit ins Feld des Politischen und Sozialen ausgeweitetes künstlerisches Tun, beschreibt andererseits aber ein Handeln, das notwendig im Feld des Ästhetischen verankert bleiben muss. So sind es letztlich die Ambivalenzen und Aporien der Sphäre des Ästhetischen selbst, des nur scheinbar fest umrissenen Felds der Kunst, die von Interventionen aufgestört und sichtbar gemacht werden. Das bedeutet zugleich, dass künstlerische Interventionen die Stabilität jener Institutionen, aus denen heraus sie operieren, geradezu voraussetzen.

Weil die Institutionen ihnen die Macht über die Verhältnisse, in die sie eingreifen, überhaupt erst verdanken, müssen sie notwendig zu ihnen zurückkehren, um überhaupt künstlerische Interventionen zu bleiben. Ein kurzer Blick in die Geschichte dezidiert politischer Theaterpraktiken illustriert diese komplexe Verwicklung von Distanzierung und Wiedereintritt in das Reich der Kunst: Erwin Piscator, der das politische Theater vom Begriff her erfindet, erträgt, aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt, die bürgerliche Schauspielerei, die sein Beruf war, nicht mehr und wendet sich stattdessen dem Agitprop zu. Damit stellt er sich zugleich in den Dienst der Partei, eröffnet mit finanzieller Unterstützung eines Industriellen nur wenige Jahre später die Piscator-Bühne und dadurch ein Theater, das die Welt wieder, wenn auch mit neuen Mitteln, abbildet. Ganz ähnlich halten es die historischen Avantgarden, deren programmatische »Aufhebung der autonomen Kunst im Sinne einer Überführung der Kunst in Lebenspraxis«9 hauptsächlich in den Stätten der Kunst verbleibt. Bereits vor ihnen ist es Richard Wagner, der im Geist der Revolution zwar das »große Gesamtkunstwerk«10 als das Kunstwerk der Zukunft erträumt, mit seinem ›Bühnenweihfestspiel‹ schließlich sogar an der Neuerfindung des Ritus arbeitet, letztlich aber doch (nur) Theater macht.

Die Strategien zur Überwindung der Trennung von Kunst und Leben sowie der Teilung in die Tätigkeiten des Vorspielens und Zuschauens zugunsten der Inszenierung von ›direkter Aktion‹ werden im Laufe des 20. Jahrhunderts vielfältig. Augusto Boals Programmatik, das Theater tatsächlich ›unsichtbar‹ zu machen oder, mehr noch, seine Methode des Forumtheaters will das Publikum tatsächlich zum aktiven Gestalter von szenischen Umwelten formen und zu gesellschaftlich verantwortlicher Handlungsfähigkeit ›erziehen‹.11 Im Living Theatre rund um Julian Beck und Judith Malina oder in der experimentellen Performance-Group von Richard Schechner tritt das Publikum ebenso aktiv in die Handlung ein und agiert exemplarisch gesellschaftliche Rollenzuschreibungen kritisch aus, ohne allerdings das Theater dabei zu verlassen. Marina Abramović und andere Vertreter:innen der Body Art, die sich nicht nur selbst ins Fleisch schneiden, sondern mit diesem Schnitt prekäre Präsenzen erzeugen, um sich der Repräsentation und Reproduktion vorderhand zu entziehen, setzen seit jeher alles daran, um ihr Vorkommen im kulturellen Gedächtnis medial zu garantieren.12 Die Interventionen im postdramatischen Theater seit den 1980er Jahren wiederum, die darauf zielten, den Einsatz des Theaters selbst ins Spiel zu bringen, erscheinen zunehmend als in sich selbst gefangen.13 Schlingensief schließlich, der wie bereits angedeutet, vielleicht am vorläufigen Ende einer Entwicklung steht, gründet mit Chance 2000 zwar eine echte Partei, treibt allerdings mit der zentralen Forderung, sich selbst zu wählen, ein intrikates Spiel um Selbstwirksamkeit und gesellschaftlichen Zugriff, das der Politik notwendig fremd und im Bereich der Kunst verankert bleiben muss.14

Die Dramaturgie der künstlerischen Intervention ist insofern der Heldenreise, dem Joyce’schen Monomythos, nicht ganz unähnlich.15 Den Auftakt bildet die Bestimmung eines Mangels und einer Aufgabe, der zum Überschreiten der Schwelle in eine Welt (außerhalb der Kunst) führt. Diese ist zunächst insofern fremd, als dass die bekannten Handlungsroutinen hier (in einem anderen Sozialsystem) nicht mehr gültig sind. Es folgt das Abenteuer, das sich als eine Reihe von Prüfungen gestaltet, in denen es gilt, dem und vor allen den Unbekannten (Aktanten) zu begegnen. Die Reise gipfelt schließlich in der Apotheose des maskulin konstruierten (Künstler-)Helden, der an diesen Begegnungen gewachsen ist. So steht am Ende die Rückkehr des gereiften Helden, dessen Schatz an (Welt-)Erfahrung schließlich die von ihm zurückgelassene (Kunst-)Welt in eine neue Freiheit führt. Es sind Berufung (Definition der Krise), Abenteuer (Kontingenz der Situation) und Heimkehr (Transformation des Systems), aus denen sich Interventionen zusammensetzen und auf die sie sich befragen lassen: Somit stellt sich, erstens, die Frage nach der diskursiven Politik und der epistemischen Gewalt, die mit der Bestimmung der Verhältnisse wirksam wird: Wie stellen Interventionen die Welt dar, in die sie sich einmischen? Zu fragen ist, zweitens, nach den Strategien der Kontingenzbewältigung: Verstopfen sich Künstler:innen die Ohren und schlagen das Gegenüber symbolisch tot, um Kurs auf ihrer ›Reise‹ zu halten und Autorität zu wahren, oder setzen sie die eigene Identität auf’s Spiel und verhalten sich insofern ver-antwortlich? Drittens schließlich steht die Frage nach dem, was bleibt und dem, was wird nach der Rückkehr, kurz: nach dem Wiedereintritt in die Kunst. Bringt das Ende der Weltläufigkeit also etwas anderes als Distinktionsgewinne und neue Grenzschließungen? Hat sich nachhaltig etwas verändert im Verhältnis von Kunst und Welt? Da Interventionen immer Transgressionen sind, wenn vielleicht auch nur temporäre, haben die Fragen, die sie provozieren, sowohl eine ästhetische als auch eine ethische Dimension. Vielleicht bestünde das eigentliche Potential der künstlerischen Intervention deshalb gerade darin, die Frage nach den Konsequenzen in jene Sphäre zurückzutragen, die maßgeblich aus der eigenen Konsequenzlosigkeit heraus operierte.16

Durch einen zeitgenössisch verstärkt politisch-aktivistischen Zu- und Angriff auf die Institution Theater wie umgekehrt durch die forcierte Ausweitung von Theatern hin zu gesellschaftskritischen Konfrontations- und integrativen Begegnungsräumen ist das Etikett der Intervention mittlerweile für ein institutionelles Selbstverständnis von Engagement attraktiv geworden. So können etwa institutionskritische Überschreibungs- und Aneignungsstrategien Gegenentwürfe zu normativen Repräsentations-, Besetzungs- und Wahrnehmungspolitiken vornehmen, indem sie dominante Funktionsweisen im »ästhetischen Regime« des Theaters offenlegen, das mit Jacques Rancière auf einer spezifischen »Aufteilung des Sinnlichen«17 beruht, die den jeweils geltenden Raum des Sicht- und Sagbaren bestimmt und nach außen hin abgrenzt. Der Begriff der Intervention im Theater kann sich dabei weder auf eine klar konturierte Theoriebildung noch auf eine Vielzahl an einschlägigen Referenzfiguren und -praktiken berufen, sondern markiert in einem recht breiten und ungefähren Sinn einen Anspruch auf Wirksamkeit.18

Eine erhellende Vergleichskonstellation eröffnet der Blick auf den Bereich der bildenden Kunst und der Performance, wo der Interventionsbegriff seit den 1990er Jahren zunehmend Verwendung findet. Er fungiert dort als lose Sammelbezeichnung für ästhetische Manifestationen, die sich dem Phantasma der unbeteiligten Kritik offensiv widersetzen und auf ein hohes Maß an Sichtbarkeit außerhalb der elitären Kunstschauplätze abzielen. Die von unterschiedlichen Kunstakteur:innen geforderte Inversion einer »depoliticizied celebration of surface«19 zugunsten einer Reklamation von gesellschaftlicher Wirksamkeit soll sich nunmehr in ›ergebnisoffenen Projekten‹ artikulieren. Im Bestreben, »künstlerische Praxis als ein gesellschaftliches Handlungsformat«20 zu performieren, gerät dabei der pragmatische Aspekt des Kunstgeschehens zunehmend ins Zentrum des Interesses.

Angesprochen sind damit aktivistische Kunstformen, die, wie im Portmanteau Artivismus deutlich angezeigt, eine wechselseitige Infizierung von Kunst und sozialer Aktion einfordern, aber auch der vielgestaltige Bereich von Kunst im öffentlichen Raum wie die unterschiedlichen künstlerischen Strategien der Subversion und Suspension einer weithin anerkannten symbolischen Ordnung. So fasst das Begriffslexikon zur zeitgenössischen Kunst (2006) »Interventionismus und Aktivismus«21 im gleichnamigen Eintrag auch zusammen und nennt das Aufbegehren gegen sexistische und rassistische Funktionsweisen kultureller Institutionen durch die Guerilla Girls oder die Plakataktionen des Kollektivs ACT UP (AIDS Coalition to Unleash Power), die »das homophobe Unbewusste der Staatsräson«22 offenlegten, in den USA der 1980er Jahre als einschlägige Beispiele. Diese Szene aktivistischen Intervenierens in politische und soziale Kontexte, zu der im internationalen Spektrum sowohl die seit den 1990er Jahren in Österreich tätige WochenKlausur zu zählen ist wie die seit 2011 aktive feministische Punkrockband Pussy Riot oder die 2013 als Standing Man titulierte Protestaktion von Erdem Gündüz, agiert ihrem Selbstverständnis nach »mit konkreten Zielsetzungen«23 und begreift künstlerisches Schaffen »nicht mehr als formale[n] Akt, sondern als Eingriff in unsere Gesellschaft«24. Eine etwas andere Facette des Wirkungsversprechens von direkten Eingriffen wiederum füllt das Spektrum der sogenannten »urbanen Intervention«25 aus, die kritische Praxis zuallererst als Thematisierung von unterhinterfragten Wahrnehmungskonditionen des öffentlichen Raums ausübt und Städte als Einschreibungsorte architektonisch-künstlerischer Brechungen nutzt, dabei aber durchaus stadtplanerischen Marketingstrategien zuarbeiten kann.

Die Intervention kann sich also auch im Bereich der bildenden Kunst weder auf ein geschlossenes Konzept im Singular noch auf eine klar konturierte Theoriebildung berufen. Dass es sich bei der Intervention um einen »überverwendeten, aber unterbestimmten Begriff«26 handelt, wie es im Untertitel des von Friedrich von Borries herausgegebenen Glossar der Interventionen heißt, liegt dabei nicht nur am heterogenen Ensemble von Ansprüchen auf Engagement, Transformation und impact, die er unter sich vereint. Widerstand gegen eine theoretisch und historisch konsistente Rahmung produziert die Interventionen inhärente Unterbrechungs- und Überschreitungslogik selbst.

Zentrale historische und ästhetische Anknüpfungspunkte für ein Verständnis sowohl von Kunst als sozialer Fuge (»social interstice«27) wie als Produktion von Dissens und Modus der Verschiebung liefern insofern eine ganze Reihe von künstlerischen Praktiken aus den Bereichen der bildenden Kunst und der Performance seit den 1960er Jahren, die Widerstand gegen die Vorstellung vom geschlossenen Feld ›Kunst‹ und der Fokussierung auf ihre Objekte leisten wollten: Der Auszug aus den hermetischen Räumen der Kunst im Zuge der Land Art und die Entdeckung von Städten als Bühnen für skulpturale Eingriffe der Public Art ersetzten ein statisches und ortloses Betrachten von Kunstobjekten im vermeintlich neutralen White Cube28 durch Konzepte des Ephemeren, des Unabgeschlossenen und der Ortsgebundenheit bzw. -spezifität. Bereits die dezidiert kapitalismuskritische Ereignisästhetik im Umfeld der Situationistischen Internationale (SI) entdeckte die Stadt als Ort, in den Spuren ästhetischen Handelns eingedrückt werden können. Die linksintellektuelle Bewegung um Guy Debord erprobte mit den Tätigkeiten des Dérive (zielloses Umherschweifen), des Détournement (Umlenken und -kontextualisieren von gegebenen Sinnzusammenhängen) und der Récupération (Rückaneignung der symbolischen Ordnung) eine Reihe an subversiven Gebrauchspraktiken urbaner Umwelt, die später ein breites Echo in den kommunikationsstörenden Techniken der Kommunikationsguerilla erfuhren.

Auch die aktivistisch grundierten Versuche der New Genre Public Art in den 1990er Jahren traten an, um einen Kontrapunkt zum unternehmerischen und apolitischen Ansatz der so bezeichneten Young British Artists um Damian Hurst zu setzen, und verpflichteten sich auf die ästhetische Kritik sozialer Handlungen.29 Das Anliegen, neue Kommunikationsräume zwischen Menschen und ihren urbanen Lebensräumen zu stiften, ging unterdessen über den im Zuge von Kunst im öffentlichen Raum bereits vollzogenen Ausbruch des Künstlerischen aus den Institutionen erheblich hinaus. Als Exempel einer mittlerweile selbst historischen Entgrenzung der Künste »im Zeichen der unmittelbaren Verwandlung der Lebenswelt in den ästhetischen Schwebezustand«30 legten sie den Fokus vom Kunstobjekt weg und stattdessen auf Prozessualität und Resonanz ästhetischer Kommunikation, um so die Ansprechbarkeit von Subjekten, das Affektgeschehen selbst ins Zentrum ihrer Aktionen zu rücken.

Mit Blick auf diese Tendenzen argumentierte Nicolas Bourriaud mit seinem Schlagwort der Ésthetique Relationelle (1998) für einen Paradigmenwechsel weg von der »assertion of an independent and private symbolic space« hin zu »human interactions and its social context«31. Als Exponent für dieses Kunstverständnis, das den Austausch zwischen Menschen als »everyday micro-utopias«32 deklariert, dient dem Kunstkritiker u. a. der Künstler Rirkrit Tiravanija. Mit dessen Aktion Untitled (Free) (1992), die nicht mehr als eine Einladung zum Essen in die 303 Gallery in New York war, wo der Künstler seine Gäste bekochte, ging aus der Perspektive Bourriauds Begegnung, gesellschaftliche Öffnung und damit eine Gestaltung politischer Öffentlichkeit einher. Die Kritik an dieser Vision von Teilhabe und Austausch entzündete sich in der Folge vor allem an der antikonfrontativen Ästhetik wie an der Nobilitierung jeglichen Prinzips von Interaktion zu politischer Emanzipation. So wendet Claire Bishop im Rückgriff auf die radikaldemokratische Position Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes ein,33 dass das Fehlen jeglicher antagonistischer Disposition zugunsten eines Austauschs von zwischenmenschlichen Gesten keineswegs dazu prädestiniert sei, gegenhegemonial zu wirken, sondern vielmehr für die Konstitution autoritärer Strukturen offen stehe.34 Das von Bourriaud artikulierte Vertrauen in das ästhetisch-transformatorische Potential des Entgegenkommenden und Geteilten unterschlägt in diesem Sinn die Existenz eines substantiellen »Unvernehmens«35, das als Spannungsmoment jegliches Zwischen-Menschen-Sein prägt.

Die notwendige Pluralisierung von vorhandenen Perspektiven und die Diversifizierung von Teilnehmer:innen am Kunstgeschehen kann dabei verstärkt durch Gemeinschaften thematisiert werden, die Nancy Fraser in kritischer Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas als counterpublics bezeichnet hat, in denen »members of subordinated social groups invent and circulate counter discourse«36. Die Erkenntnis allerdings, dass selbst widerständige künstlerische Haltungen gegen dominante Repräsentationslogiken des Ästhetischen und Funktionsmechaniken der »Kunstwelt«37 nicht zwangsläufig gegenhegemonial sein müssen, sondern wieder in institutionelle Selbstbefestigung rückübersetzbar sind, ging vor allem aus dem Betätigungsfeld der Institutional Critique in den späten 1980er Jahren hervor. Die damit aufgerufene Praxis des Intervenierens in die Konstitutionsbedingungen, Verfahrensweisen und Machtpolitiken von Kunstinstitutionen ist eng verbunden mit den Künstlerinnen Andrea Fraser, Louise Lawler und Martha Rosler. Hatten bereits Künstler wie Daniel Buren, Marcel Broodthaers und Hans Haacke in den 1960er und 1970er Jahren subversive Strategien entwickelt, um die ökonomischen Wertdiskurse des mächtigen Museumsdispositivs offenzulegen, so war die Institutionskritik der 1980er Jahre vor allem daran interessiert, das komplexe Netz von Bedingungen des Zustandekommens und Funktionierens des Kunstsystems zu analysieren und sich selbst in diesem Angriff nicht außen vor zu lassen. Die Institutionskritik basiert dabei nicht nur, wie Isabelle Graw darlegt, »auf der Grundannahme, Kunst könne etwas bewirken«38, sondern schreibt ihr ebenso »eine epistemologische Funktion«39 zu. Die zentralen Operationsbegriffe der Recherche, Dokumentation und Analyse reagieren entsprechend auf diese Überzeugung.

Ausgehend von der diskursiven Setzung liegt die paradoxe Situation der Institutionskritik mit Andrea Fraser darin, eben nicht von außen in ein distinktes Feld kommen zu können, »weil in die Inkraftsetzung von Verhältnissen zu intervenieren immer auch heißt, dass du selbst an ihrer Inkraftsetzung teilhast«40. Die unauflösbare »Ambivalenz der Institutionskritik«41 – wie jeglicher intervenierenden Praxis – fußt demnach auf einer zugrundeliegenden Spaltung, aufgrund der die Akteur:innen die Aufteilung in einen an der Institution partizipierenden und von ihr profitierenden Part einerseits und einen in diese Teilhabe eingreifenden Teil in actu reflektieren müssen.

Dieses punktuelle Panorama politischer Ambitionen im Bereich der bildenden Kunst und Performance seit den 1960er Jahren zeigt zweierlei: Zum einen eine auffallend unterschiedliche Interpretation politischer Kunst, die von der Erzeugung eines Höchstmaßes an Direktheit im aktivistischen Kontext bis zur konsensorientierten Auslegung von zwischenmenschlicher Begegnung und Inklusion reicht; und andererseits die unterschiedlichen künstlerischen Methoden, die allesamt Angriffe auf Konzepte der künstlerischen Geschlossenheit – ob des Werkes, der Institution oder der Handlungsräume und -weisen – sind. Und wie sich in den Beiträgen dieses Bandes zeigt, sind es ganz ähnliche Fragen nach der Schließung des Ästhetischen, die auch im Bereich der performativen Künste unter dem Begriff der Intervention verhandelt werden.

Ästhetiken der Intervention

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