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2.Nachdenken über die weiße Imagination

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Auch der Erfolg von Anta Helena Reckes Inszenierung von Mittelreich an den Münchner Kammerspielen im Jahr 2017, die programmatisch als sogenannte »Schwarzkopie«3 der Inszenierung von Anna Sophie Mahler angekündigt wurde, ist gekoppelt an rassistische Rückschläge und kolonial-stereotype Rezeptionen seitens Theatermacher:innen und Theaterkritiker:innen. So schrieb beispielsweise Bernd Noack in der NZZ:

Man kann einen modernen farbigen Film mittels Fernbedienung in einen schwarz-weissen verwandeln; dass man dadurch auch die Zeit und die Atmosphäre des Films und um einen selber herum ändert, bleibt eine Illusion. Wenn man nun im Theater aus Weiss Schwarz macht, erzielt man einen ähnlichen Effekt: die Umkehrung der Wirklichkeit – ohne wirkliche Wirkung. Regisseurin Anta Helena Recke kann kaum vermitteln, was diese Irritation eigentlich soll. Provokation? Im Publikum sitzt niemand, den die »farblich« augenfällige Umbesetzung auch nur im geringsten stören, gar empören würde. Inhaltlich? Es ergibt keinerlei Sinn, dass der alte Bauer nicht mehr die voralpenfrische rosige Hautfarbe hat; und dass der Chor der Flüchtlinge jetzt wie eine Gruppe Migranten aus unseren Tagen aussieht, trägt auch nicht unbedingt zum tieferen Verständnis dieser eigentlich rein deutschen Geschichte bei, die von Welt- und Nachkriegszeiten, von geplatzten deutschen Träumen, von in der BRD dumpf nachhallendem Nazismus, wachsenden Vorurteilen und sexuell übergriffigen Katholiken erzählt.4

Das Postulat der »Umkehrung der Wirklichkeit«, das Noack hier bemüht, ist in Wahrheit eine Verkennung der deutschen Realität, die nicht erst seit dem Anwerbeabkommen im Jahre 1955 nicht »weiß« (als soziale Konstruktion) ist. Die Verkennung (oder bewusste Unsichtbarmachung) der Existenz von Schwarzen Deutschen, aber auch deutschen Juden und Jüdinnen, Sinti:ze und Rom:nja und weiteren Ver-Anderten als Teil der deutschen Gesellschaft, wird mit der Forderung nach Authentizität des alten Bauern mit »voralpenfrische[r] rosige[r] Hautfarbe« zusätzlich untermauert. Wenn also mit der kolonial und patriarchal gefärbten Brille die Intention der Regisseurin nur als »Irritation« und »Provokation« gedeutet wird, dann deswegen, weil nicht nur der Theaterraum immer noch als weiß imaginiert wird.

Auch die Theaterkritikerin der Süddeutschen Zeitung Eva-Elisabeth Fischer, die sowohl über die Intention der Regisseurin wie auch der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung bzw. Empowerment- Bewegung Schwarzer Menschen genau Bescheid zu wissen scheint, reproduziert rassistische und koloniale Bilder und Stereotypen:

Recke erklärt die Hautfarbe wortreich zum Politikum der Aufführung: »In Mahlers Mittelreich-Fassung werden auch nicht-deutsche Körper thematisiert ... Da bin ich gemeint, weil ich den deplatzierten Schwarzen Körper habe« – ein Zitat, dass [sic!] einen fast 60 Jahre nach der stolzen Propagierung schwarzen Selbstbewusstseins mit dem Slogan »Black is beautiful« doch ziemlich irritiert. So schwarz sind sie dann ja auch wieder nicht, diese neuen sechs Körper und Gesichter. Dass man über die Farbschattierungen der Darsteller nachdenkt, hat mit zweierlei zu tun: Einerseits stellt sich ziemlich schnell heraus, dass deren Hautfarbe für das Bühnengeschehen völlig irrelevant ist. Denn eine ähnliche Familiensaga um Schuld, Verdrängung, Missbrauch, Flüchtlingsproblematik und Erbstreitigkeiten wäre, vom oberbayerischen Lokalkolorit, das von Mahler und folglich auch von Recke in ihrer 1:1-Einstudierung sorgfältig wegretuschiert wurde, einmal abgesehen, wohl überall vorstellbar.5

Während die Theaterkritikerin sich hier mit »Farbschattierungen« beschäftigt, die »für das Bühnengeschehen völlig irrelevant« seien, war »Hautfarbe« nie das Anliegen von Anta Helena Recke und der Inszenierung von Mittelreich. Im Gegenteil, in Interviews und in Artikeln verweist Recke darauf, dass es ihr um »das Schwarze Deutschsein«6 geht. Mit Schwarz ist eine politische und soziale Konstruktion in einem globalen Zusammenhang gemeint, die unter anderem auf die Dehumanisierung durch jahrhundertelange koloniale und epistemische Gewalt verweist.7 Schwarz (mit einem großgeschriebenen S) ist eine von »Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft, schwarzen Menschen, Menschen dunkler Hautfarbe und people of colo(u)r«8 gewählte Selbstbezeichnung.

Wenn nun die Theaterkritikerin das Schwarzsein (»So schwarz sind sie ja auch nicht«) und damit auch die Intention des Schwarzseins in Frage stellt, dann offenbart sich darin zum einen die Kontinuität der »Kolonialität von Macht und Wissen«9, indem Schwarze Menschen weiterhin als Objekte weißer Subjektivität imaginiert werden – die weiße Theaterkritikerin definiert anhand ihrer eigenen Vorstellungen, was schwarz ist und spricht den Performer:innen ihr Schwarzsein ab. Zum anderen wird sogar Schwarzes Deutschsein aus der deutschen Geschichte herausgedacht.

Dass diese Denkmuster nicht nur in der Rezeption vorzufinden sind, sondern in den eigenen Reihen – und in diesem Fall sogar im eigenen Haus –, schildert Anta Helena Recke in ihrem Text »Uh Baby it’s a white world«:

Als im Haus allmählich bekannt wurde, dass ich diese Aneignung auf die Bühne bringe, entgegneten einige: »Hey, ich hab’ gehört, dass du Mittelreich mit Flüchtlingen umbesetzen willst. Das ist ja lustig!« Zudem wurden mir im Castingprozess immer wieder wahllos Schwarze Menschen oder Geflüchtete oder Schauspieler*innen, deren Muttersprache nicht deutsch ist, vorgeschlagen. Das heißt, wenn man sagt, man besetzt Mittelreich mit Schwarzen Schauspieler*innen um, verstehen die Leute, man besetzt es mit Geflüchteten und Ausländer*innen. Hier zeigt sich das Unvermögen der weißen Kolleg*innen in der weißen Imagination selbst, sich einen Schwarzen Körper jenseits von Prekarität, Armut, Not, Exotik oder Flucht vorzustellen.10

Die weiße Imagination, in der Schwarze und weitere ver-anderte Subjekte nur eine ihnen zugewiesene Rolle und eine konkrete Funktion erfüllen, ist tief in den Strukturen des deutschen Theaters verwurzelt. Kritische Auseinandersetzung, wie sie beispielsweise durch die Theaterwissenschaftler:innen Katrin Sieg und Lisa Skwirblies geschieht, versucht diese strukturelle Asymmetrie aufzuzeigen, zu hinterfragen, aufzubrechen und neu zu denken.11

Ästhetiken der Intervention

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