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Kapitel 10 Mein letzter Tag

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Es war ein ganz gewöhnlicher Tag. Na gut, ich gebe es zu. Dieser Tag war nicht ganz gewöhnlich. Es war mein letzter Tag an der Fachhochschule. Das Studium war bestanden und ich stand mit einigen Kollegen noch auf dem Parkplatz. Einige tranken noch einen Sekt. Wir verabschiedeten uns voneinander.

Vielleicht ist es wissenswert, Ihnen allen, soweit Sie selber nicht zur Polizei gehören, zu erzählen, dass in jedem Studienjahrgang auch Beamte des mittleren Dienstes dabei sind, die unter gewissen Voraussetzungen ohne Abitur in den gehobenen Dienst studieren.

Ich hatte vier Kollegen aus dem mittleren Dienst in meiner Studiengruppe. Alle Anderen waren wir Abiturienten und kamen entweder aus den verschiedensten Berufen oder teilweise direkt nach der Schule zum Studium.

Diese vier Kollegen waren schon einige Jahre als Polizeimeister, Obermeister oder Hauptmeister im Dienst gewesen. Nun wurden sie zu Kommissaren befördert.

Einer von ihnen kam an diesem Tag auf dem Parkplatz zu mir. Er wünschte mir alles Gute und verabschiedete sich wie die Anderen von mir. Aber dann fügte er noch etwas hinzu. Er sagte mir ganz ernst, dass ich ihn jederzeit anrufen könnte, wenn ich mal Probleme im Dienst bekommen sollte.

Ich hatte keine besondere Bindung zu diesem Kollegen, so dass sein Angebot etwas Bestimmtes ausdrückte. Ich wusste gleich, dass er darauf anspielte, dass ich Türke war. Die Art und Weise in der er mit mir sprach, seine Mimik und Gestik, sein Tonfall, einfach alles ließ mich das erkennen. Ich grinste ihn an und fragte: „Glaubst du, ich bekomme Probleme, weil ich Türke bin?“ Er sagte: „Ich weiß nicht, aber es kann schon sein.“ und dann betonte er noch einmal, dass ich ihn jederzeit anrufen könnte.

Ich bedankte mich und sagte ihm, dass ich schon damit klarkommen würde. Er nickte und sagte, dass er das auch glauben würde.

Wir verabschiedeten uns. Ich habe jetzt eineinhalb Jahre später eine E-Mail von ihm erhalten. Der Inhalt waren Grüße zu Weihnachten und ein Türkenwitz, dessen Pointe aus wahrscheinlich sendetechnischen Fehlern fehlte.

Im Endeffekt bin ich froh, dass es noch nicht so weit gekommen ist, ihn wegen dieser Thematik anrufen zu müssen. Bisher kam ich mit allem, was man so als Problem zu diesem Thema bezeichnen konnte, auch alleine klar. Ich habe ihm eine E-Mail zu Silvester geschickt, mit der Bitte mir die Pointe nachzusenden. Noch habe ich nichts erhalten…

Jetzt beim Schreiben frage ich mich gerade, was habe ich damals eigentlich empfunden, als er mir anbot, ihn wegen irgendwelcher Probleme anzurufen?

Anfangs war es ein bisschen Freude, glaube ich. Nicht darüber, dass ich jetzt jemanden hatte, der mir anbot ihn anzurufen. Nein, es war vielmehr die Freude darüber, dass ein Polizist, der schon länger im Dienst war, mir gegenüber das Thema nicht totschwieg. Er gab es quasi offen zu, dass es allein aufgrund meiner Nationalität dazu kommen könnte, dass einige Kollegen mir das Leben schwer machen könnten.

Ich verspürte so etwas wie Genugtuung. Nach meinem Empfinden wurde dieses Thema zu oft totgeschwiegen.

Wie ich schon mal erwähnte, hatte ich einige Jahre vor meinem Studium bei der Polizei ein anderes Studium begonnen. Ich studierte Wirtschaft, was ich dann nach einigen Semestern abbrach, da es mir von Anfang an keinen Spaß gemacht hatte. Ich bewarb mich dann bei der Polizei und bis zur Einstellung arbeitete ich in anderen Berufssparten.

Jedes Mal, wenn ich dann von irgendwelchen Vorgesetzten oder gleichgestellten Kollegen gefragt wurde, warum ich vor der Polizei einen anderen Weg eingeschlagen hatte und wann dann der Sinneswandel kam, antwortete ich immer mit der selben Geschichte.

Es war ja schon mein Kindheitstraum den Polizeiberuf zu ergreifen. Aber als ich dann nach meinem Abitur soweit war, waren meine Eltern dagegen. Sie hatten Angst, dass ich mit der Ausländerfeindlichkeit innerhalb der Polizei nicht klarkommen würde. Sie hatten Angst, dass ich ein Mobbingopfer werden könnte. Ich hatte mich damals auch nicht umfassend über das Studium informiert und wusste nicht, dass die Studierenden eine Besoldung erhielten. Hätte ich das gewusst, wäre ich wahrscheinlich gegen den Willen meiner Eltern zur Polizei gegangen.

Besonders mein Vater drohte mir damals den Geldhahn abzudrehen, wenn ich zur Polizei gehen sollte.

Ich gab klein bei und studierte Wirtschaft. Mehr als eine Lebenserfahrung war das allerdings nicht. Und so kam es dann, dass ich doch zur Polizei gegangen bin. Nach vielen Diskussionen, aber diesmal mit einsichtigen Eltern, die heute sehr stolz sind.

Die Kollegen und Vorgesetzten, die diese Geschichte hörten, taten fast alle immer sehr verdutzt. Nach dem Motto, wie kommen denn wohl deine Eltern darauf, dass es Ausländerfeindlichkeit bei der Polizei geben könnte…

Und dann wollten sie von mir meist eine Bestätigung: „Aber so ist es doch nicht, oder?“ Auf diese Frage habe ich Anfangs anders geantwortet als heute. Heute nenne ich den Kollegen einige Beispiele von Geschehnissen, die bei mir hätten Kummer auslösen können, wenn ich nicht so ein selbstbewusster, für die Mobbingopferrolle zu arroganter Mensch gewesen wäre.

Aber so war und bin ich nun mal. Zu genüge robust. Und das ist nicht nur eine Fassade, hinter der ich irgendwelchen Kummer verstecke.

Bis heute habe ich nur ein einziges Mal erlebt, dass ein Vorgesetzter aus dem höheren Dienst offen mit mir über dieses Thema sprach.

Es war ein ganz gewöhnlicher Tag. Ich war seit ca. zwei Wochen an meiner neuen Dienststelle. Unser damaliger Polizeiinspektionsleiter pflegte mit allen neuen Kollegen seiner Dienststelle ein persönliches Gespräch zu führen.

Ich ließ mir einen Termin geben und ging in sein Büro. Zunächst war es ein ganz allgemeines Gespräch, in dem er mir verklickerte, worauf er alles Wert legte und was wir alles zu tun und lassen hatten. Aber er kam dann auch auf die Frage, weshalb ich mich auf Umwegen für den Polizeiberuf entschieden hatte.

Ich erzählte ihm die Geschichte mit meinen Eltern und deren Angst vor Mobbing.

Seine Reaktion verblüffte mich.

Er sagte: „Ich will da nicht drum herum reden. So etwas gibt es leider bei der Polizei. Wir haben einige Kollegen, die ausländerfeindliches Verhalten an den Tag legen. Aber ich dulde es in keiner Weise.“

So eine Antwort hörte ich zum ersten Mal. Alle anderen meiner bisherigen Vorgesetzten sprachen entweder um den heißen Brei oder taten so, als ob das Problem nicht existieren würde. Zumindest nicht an ihrer Dienststelle.

Ich erklärte ihm, dass ich nicht so der empfindliche Typ war, der bei jeder Kleinigkeit, bei jedem Mal wenn das Wort Kanake fällt ein Problem damit hätte. Ich versuchte ihm meine Sicht der Dinge näher zu bringen.

Er war da aber sehr konsequent. „Ich dulde so etwas aber in gar keiner Form! Wenn ich so etwas zu hören bekomme, gehe ich dagegen vor.“, sagte er.

Ich merkte, dass er allgemein ein sehr souveräner Typ war. Ihm war es scheißegal, was andere denken würden. Er würde bei jeder Kleinigkeit eiskalt den Dienstweg durchziehen. Das hatte ich bei einer anderen Gelegenheit auch schon ganz anders kennengelernt. Aber dazu an späterer Stelle mehr.

Es war ein ganz gewöhnlicher Tag. Um genau zu sagen waren zwei Tage vergangen, nachdem ich das persönliche Gespräch mit meinem Polizeiinspektionsleiter hatte. Nun hatte ich einen persönlichen Termin mit einem anderen, mir vorgesetzten Beamten aus dem höheren Dienst, der auch alle neuen Kollegen unserer Dienststelle mal unter vier Augen sprechen wollte.

Auch dieses Gespräch verlief zunächst ganz allgemein. Doch irgendwann zum Ende hin, fragte er mich hinten rum nach meiner Religion und meiner Ansicht der Dinge. Ich sage „hinten rum“, weil dann im weiteren Verlauf klar wurde, dass er etwas ganz anderes wissen wollte.

Er fragte mich schließlich nach meinem Frauenbild. In diesem Moment hätte ich zwei Monatsgehälter darauf gewettet, dass er diese Frage keinem anderen meiner neuen Kollegen gestellt hatte. Das waren nämlich alles Menschen, die diesen wundervollen Planeten bei ihrer Geburt als Deutsche mit deutschen Eltern erblickt hatten. Bei denen war diese Frage nicht notwendig! Na, ich hätte auch drei oder vier Monatsgehälter wetten können. Das war ein sicheres Ding.

Nun wie war mein Frauenbild? Um es kurz zu machen, es ist so wie die westliche, emanzipierte Frauenwelt es sich wünscht. Also eher vorbildlich. Vielleicht nicht perfekt, aber doch vorbildlich.

Sofort wurde mir dann durch mein Gegenüber erklärt, warum er denn danach fragte. Vor einiger Zeit hatte er mal einen türkischstämmigen Kollegen gehabt, bei dem es leider vorgekommen war, dass er ein Verhalten an den Tag gelegt hatte, was man durchaus frauenfeindlich nennen konnte. Natürlich konnte man das als Vorgesetzter nicht dulden und daher wollte er mal schauen, was ich so zu dieser Thematik zu sagen hatte.

Einerseits brodelte es in mir und ich mochte sagen, dass es eine Frechheit war mich so etwas zu fragen. Als ob ich erst gestern von dem Baumwollfeld eines anatolischen Dorfes hierher über die Grenze geflüchtet wäre. Aber andererseits konnte ich meinen Vorgesetzten auch verstehen. Es ist ja nun mal kein Geheimnis, dass viele türkische Männer ein eher antikes Frauenbild haben. Und woher sollte er wissen, wie mein Vater, wie meine Familie mich in diesem Punkt erzogen hatte. Er trägt ja auch eine gewisse Verantwortung gegenüber den Frauen an unserer Dienststelle.

Nur darf solch ein Vorgesetzter auch nicht vergessen, dass es auch andere Problemfelder im dienstlichen Miteinander gibt.

Wie ist es denn? Hat er denn schon mal seine Leute in einem Vieraugengespräch gefragt, wie ihr Ausländerbild ist? Oder wie ihr Homosexuellenbild ist?

Nein. Hat er nicht. Wir sind zwar nicht viele Kollegen mit ausländischer Herkunft an meiner Dienststelle, aber ich war nicht der Einzige. Ich würde mir schon wünschen, dass Vorgesetzte ihre Fragen in dieser Richtung mit allen anderen Kollegen genauso abklären, wie mit mir die Frage zu meinem Frauenbild. Und zwar einfach pauschal im Vorfeld. Nicht erst dann, wenn man wegen einer Beschwerde sich dazu gezwungen fühlt. Sollte da jetzt jemand anderer Meinung sein, dann wünsche ich mir, dass ich genauso wenig pauschal zu meinem Frauenbild gefragt werde.

Der Bibuka - ...Deutscher, ...Polizist ...und doch nur ein Kanacke?!

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