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c) Retail-CBDC

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Unter Retail-CBDC wird digitales Zentralbankgeld verstanden, das für alle Wirtschaftssubjekte zur Verfügung steht. Bislang können die meisten Wirtschaftssubjekte Zentralbankgeld nur in Form des Bargeldes nutzen. Es mag sein, dass daher auch das Bestreben kommt, CBDC mit bargeldähnlichen Funktionalitäten auszustatten. Die Verwendung von Bargeld als Zahlungsmittel geht in den großen Volkswirtschaften tendenziell seit einigen Jahrzehnten zurück. Selbst in den Ländern, die als intensivere Bargeldnutzer gelten, wie Deutschland oder Österreich, spielt Bargeld nur noch eine untergeordnete Rolle. Allein am Point of Sale, also an den Kassen des Handels, werden stückmäßig noch die meisten Transaktionen in bar abgewickelt. Wertmäßig ist das auch dort nicht mehr der Fall. Berücksichtigt man, dass die am Point of Sale abgewickelten Transaktionen gemessen an allen Transaktionen einer Volkswirtschaft eher weniger bedeutend sind, wird klar, dass die Bedeutung des Bargeldes eher gering ist. Gleichwohl kommt Bargeld eine hohe emotionale Bedeutung zu. Diese dürfte sich weniger aus der Eigenschaft des Zentralbankgeldes speisen, sondern mehr noch aus der Fähigkeit, mit Bargeld einfach, bequem und anonym bezahlen zu können. Die Unterscheidung zwischen Zentralbankgeld und Geschäftsbankengeld ist nur von handlungsleitender Bedeutung im Falle einer krisenhaften Zuspitzung im Finanzsektor, die zur Flucht in das Bargeld führen kann zulasten von Bankeinlagen. In manchen Ländern ist Bargeld von elektronischen Zahlungsmitteln soweit verdrängt worden, dass es regional nur erschwert noch zu beziehen ist bzw. nur unter Bedingungen angenommen wird. Daher wird als Motiv für CBDC oft genannt, den Bürgern auch bei abnehmender Bedeutung des Bargeldes eine Form von Zentralbankgeld anzubieten.

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Auch die Diskussion im Euroraum konzentriert sich inzwischen wie in den meisten der bedeutenderen Währungsräume auf digitales Zentralbankgeld in der sog. Retail-Variante. Im Bericht der High Level Task Force des Eurosystems zum Digitalen Euro vom 2.10.2020 wurden die Fragen aufgeworfen, unter welchen Umständen und in welchen denkbaren Ausprägungen der Allgemeinheit digitales Zentralbankgeld angeboten werden könnte.28 Dabei werden als mögliche Motivation auch solche Szenarien ins Feld geführt, die unter anderem das Ziel haben, für Bürgerinnen und Bürger den Zugang zu ausfallsicherem Zentralbankgeld sicherzustellen, sollte Bargeld kaum noch genutzt werden. Allerdings bekennt sich das Eurosystem weiterhin zur Ausgabe von Bargeld, solange eine Nachfrage danach existiert. Ein anderes Szenario begründet die Notwendigkeit einer europäischen Alternative zu privatwirtschaftlich angebotenen Stablecoins oder dem digitalen Zentralbankgeld anderer Zentralbanken. Angesichts dieser Szenarien ist es wichtig, dass das Eurosystem sich analytisch, technisch und organisatorisch mit der möglichen Emission digitalen Zentralbankgeldes befasst, um gegebenenfalls vorbereitet zu sein.

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Die Sicherstellung des Zugangs zu Zentralbankgeld in Zeiten abnehmender Bargeldnutzung ist jedoch ein Ziel, das wenig zu tun hat mit den Möglichkeiten der neuen Technologien oder den Chancen programmierbarer Zahlungen an sich. Genau genommen ist es eher eine neue Variante der Debatte um Vollgeld, die seit den 1930er Jahren geführt wird.29 Einen einfachen Zugang zu digitalem Zentralbankgeld hätte man durch Kontoführung bei der Zentralbank auch vor DLT gewähren können. Bislang hat man sich grundsätzlich für das zweistufige Bankensystem mit einem beschränkten Zugang zu Zentralbankgeld in unbarer Form entschieden.

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Digitales Zentralbankgeld als Retail-CBDC wäre unter allen Formen digitalen Geldes die weitestgehende Variante mit den mutmaßlich gravierendsten Implikationen.30 Die Implikationen sind zu erwarten, wenn Retail-CBDC eine breite Verwendung im Zahlungsverkehr und möglicherweise auch in der Wertaufbewahrung erlangt und damit die heute dominierenden Einlagen bei Geschäftsbanken verdrängt. Eine hohe Akzeptanz ist naturgemäß das Ziel bei der Einführung einer neuen Geldform. Wenn sie der Bevölkerung auf breiter Basis Zugang zu Zentralbankgeld, gleichsam als Substitut für Bargeld, gewähren soll, muss sie auf breite Akzeptanz ausgelegt sein, also einfach und kommod in der Nutzung, technisch sicher und in den Kosten günstig, wenn nicht gar kostenlos für den gängigen funktionalen Bedarf der Privathaushalte. Einfach gesprochen: Retail-CBDC müsste so einfach und günstig wie Bargeld werden. Wenn das gelänge und gleichzeitig die technische Übertragung in einem von den Zentralbanken betriebenen oder beaufsichtigten Netzwerk mindestens so sicher erfolgte wie im heutigen Giro-System, dürfte sich Retail-CBDC als die überlegene Geldform am Markt durchsetzen. Die höhere Ausfallsicherheit als Geschäftsbankengeld weist es ohnehin auf. Der Schritt von der Nutzung des Retail-CBDC für Transaktionszwecke zur Nutzung als Wertaufbewahrungsmittel ist dann nicht weit. Daher kann in diesem Fall ceteris paribus mit einer weitreichenden Substitution heutiger Sicht- und Spareinlagen bei Geschäftsbanken durch Retail-CBDC gerechnet werden. Selbst die Bargeldhortung, die dem Diebstahl- und Verlustrisiko unterliegt, könnte teilweise zugunsten von Retail-CBDC aufgelöst werden.

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Eine solche Substitution brächte erhebliche Veränderungen für den Finanzsektor mit sich. Wie genau es sich verändern würde, hängt nicht zuletzt von den Reaktionen und Handlungsoptionen der Finanzinstitute und der Zentralbank ab. Klar ist, dass praktisch alle wichtigen Retail-Geschäftsbereiche der Banken dramatische Veränderungen erfahren würden. Dies gilt naturgemäß zuerst für die Rolle der Finanzdienstleister im Zahlungsverkehr; darüber hinaus für das Einlagengeschäft, bei dem die Banken gegen Retail-CBDC konkurrieren müssten. Die Art der Refinanzierung der Banken könnte sich ändern sowie auch die Refinanzierungskosten. Weiterhin wäre die Zentralbank direkt betroffen. Die geldpolitische Steuerung müsste umgestellt werden, wäre eventuell bei Retail-CBDC sogar direkter und wirkungsvoller. Die Auswirkungen auf die Finanzstabilität hängen von der neuen Bilanzstruktur der Geschäftsbanken ab. Im Falle einer Finanzkrise könnte die Existenz von Retail-CBDC allerdings einen potenziellen Bank-Run beschleunigen, da der Wechsel von Einlagen bei Geschäftsbanken zu Zentralbankgeld jederzeit und schneller möglich ist als heute mit Bargeld. Kurzum, Retail-CBDC könnte je nach Ausgestaltung umfassende Implikationen für das ganze Finanzsystem bewirken. Vor einer Einführung von Retail-CBDC müssen deshalb belastbare Analysen erfolgen. Es gilt zweierlei zu zeigen: erstens, dass und wie auch mit Retail-CBDC ein stabiles Gleichgewicht im Finanzsystem erreicht werden kann und zweitens, dass auch im Übergang von der gegenwärtigen Lage zum neuen Gleichgewicht keine unbeherrschbaren Risiken auftreten.

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Parallel zu der Frage, ob und warum Retail-CBDC eingeführt werden sollte und wie die damit verbundenen Risiken zu beherrschen sind, ist zu prüfen, wie es ausgestaltet werden müsste, um attraktiv für die Nutzung in allen denkbaren Situationen des alltäglichen Zahlungsverkehrs zu sein, ohne die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors signifikant zu beeinträchtigen und die Aktivität der Zentralbank über Gebühr, zulasten des Wettbewerbs und Geschäftsmodells privater Anbieter, auszuweiten.31

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Daneben stellen sich viele technische Fragen der Umsetzung, die derzeit in zahlreichen Experimenten erprobt werden. Dazu gehören neben der Wahl der technischen Basis die Fragen, ob token- oder kontenbasiert, ob verzinst oder unverzinst, wenn verzinst, ob potenziell auch negativ verzinst, ob kostenlos oder gebührenpflichtig, ob frei in der Nutzung oder beschränkt, ob nur für nationale oder auch für internationale Nutzung und so weiter. Praktisch alle diese Fragen sind noch offen, ihre Implikationen nicht voll erfasst.32

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Gerade die letzte Frage einer Emission von Retail-CBDC auch für die internationale Nutzung birgt in sich große Implikationen. Emittierte eine Zentralbank Retail-CBDC, das nur von Inländern genutzt werden dürfte, wäre es de facto für internationale Transaktionen nicht nutzbar und damit sogar weniger nutzbar als Bargeld. Gerade die Wirtschaft müsste angesichts des hohen Grades der internationalen Verflechtung auf eine internationale Nutzbarkeit bestehen. Wenn allerdings auch Personen anderer Währungsräume Retail-CBDC der heimischen Währung halten und nutzen dürfen, könnte dies mutatis mutandis ganz neue Dimensionen der Währungskonkurrenz einläuten. Eine einseitige Einführung von attraktivem Retail-CBDC könnte zu einer starken Nachfrage nach heimischer Währung führen, also eine Aufwertung bewirken und die Bilanz der Zentralbank erheblich ausweiten. Ein intensiv diskutierter Aspekt ist die Frage nach Nutzungsbeschränkungen. Um die Auswirkungen auf den Finanzsektor gering zu halten, könnte man Nutzungsbeschränkungen einführen, sodass beispielsweise die Bürger nur eine bestimmte Summe an Retail-CBDC halten dürfen und darüber hinausgehende Beträge schlechter verzinst würden. Solche Nutzungsbeschränkungen sind denkbar.33 Sie erinnern jedoch eher an ein stärker technokratisches Verständnis von Finanzen. Geld, dessen Nutzung in sich komplex ausgestaltet ist, dürfte zusätzliche Friktionen und Kosten verursachen, die wohlfahrtsmindernd wirken.

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Die Beantwortung der Fragen zur Ausgestaltung wird erschwert durch die unklare Zielformulierung, ob es eher um Bargeldsubstitution, um Programmierbarkeit, um Tokenisierung, um P2P-Transaktionen, um Vollgeld oder um andere Ziele geht. Je nachdem, welches Ziel konkret mit CBDC erreicht werden soll, müssten andere Gestaltungsoptionen gewählt werden. Daher muss die Frage des „Wie“ der Frage des „Warum“ untergeordnet werden.

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Konkret gibt es zwar eine Handvoll Retail-CBDC-Pilotprojekte, aber noch keine einheitliche Sicht auf die Gestaltungsvariationen.34 Realisiert ist der Retail-CBDC allein auf den Bahamas mit dem Sand Dollar.35 Die dortige Zentralbank verfolgt, ähnlich wie die Eastern Caribbean Central Bank mit einem ebenfalls sehr weit fortgeschrittenen Projekt,36 das Ziel einer besseren Anbindung der heimischen Wirtschaft, die über viele kleine Inseln verstreut ist, an das internationale Finanzsystem. Unter den größeren Währungsräumen ragt das Pilotprojekt der People’s Bank of China (PBoC) heraus.37 Seit 2014 arbeitet eine Arbeitsgruppe der PBoC zusammen mit Experten des Privatsektors an einer digitalen Variante des Yuan. Ziel ist die vollständige Digitalisierung des Zahlungsverkehrs, die eine leichtere Überwachung und Steuerung des Finanzsektors und der gesamten Wirtschaft ermöglicht. Ziel sollte die Einführung zu den Olympischen Winterspielen im Jahr 2022 in Peking sein. Die lange Entwicklungsphase trotz intensiver kombiniert staatlich-privater Bemühungen weist auf die hohe Komplexität der praktischen Umsetzung von Retail-CBDC hin.

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