Читать книгу Die Musik der Renaissance - Guido Heidloff-Herzig - Страница 12
1.2.3 Josquin und die italienischen Kapellen
ОглавлениеDie alles überstrahlende Figur der dritten Komponistengeneration ist Josquin Desprez, dessen Berühmtheit schon zu Lebzeiten außergewöhnlich ist, und dessen Biographie stellvertretend steht für die Verlagerung der Musikwelt aus dem franko-flämischen Raum nach Italien.
Auch Josquin stammt aus der an Musikern so fruchtbaren franko-flämischen Region. Er wird zwischen 1450 und 1455 in Saint-Quentin geboren und erhält seine Ausbildung vermutlich in Cambrai, wo er möglicherweise auf den älteren Dufay trifft. Seine Biographie ist reich an verschiedenen Stationen in verschiedenen Ländern und im Dienste unterschiedlicher Dienstherren, unter denen der König von Frankreich ebenso wie der Papst in Rom, das Haus Sforza in Mailand und der Herzog von Ferrara sind. Im Jahre 1504 begibt sich Josquin nach etwa 20 Jahren in Italien wieder zurück in seine Heimat, wo er sich in Condé-sur-l’Escaut niederlässt und als Probst der Kollegiatskirche Notre Dame bis zu seinem Tod im Jahr 1521 fungiert.
Dem Beispiel des französischen und burgundischen Hofes folgend, die mit ihren Kapellen eine friedliche Art von repräsentativer Machtdemonstration praktizieren, beginnen auch die italienischen Stadtstaaten Interesse für eigene Kapellen zu entwickeln. Dies führt gegen Ende des 15. Jh. zu einer immensen Nachfrage an guten Musikern und zu einem internationalen Transfermarkt. So erhält der flandrische Komponist Gaspar van Weerbeke (1445–1517), der in Diensten der Familie Sforza in Mailand steht, 1473 den Auftrag, die besten Musiker für die Mailänder Kapelle zu rekrutieren. Er reist zu diesem Zweck in seine Heimat und kann dort zwanzig neue Sänger für die Kapelle in Mailand engagieren.
Josquin ist eine Person, die von dieser Entwicklung stark profitiert. Sein Marktwert übersteigt den seiner Mitbewerber deutlich und er ist sich dieses Wertes auch durchaus bewusst.
Die päpstliche Kapelle in Rom
Die zunehmende Bedeutung, die die italienischen Kapellen zum Ende des 15. Jh. erlangen, ist besonders an der Entwicklung der päpstlichen Kapelle in Rom zu sehen. Nach der Überwindung der Kirchenspaltung durch das Konzil von Konstanz (1414–1418) installiert Papst Martin V. in Rom wieder eine päpstliche Kapelle, die von seinen Nachfolgern stetig erweitert wird. Seit den 1480er Jahren – in diesen Zeitraum fällt auch der repräsentative Neubau der Sixtinischen Kapelle unter Sixtus IV. – gehören ihr mit Josquin Desprez, Gaspar van Weerbeke, Marbriano de Orto die berühmtesten Komponisten ihrer Zeit an.
Kennzeichen der sogenannten Josquin-Generation (vgl. Tabelle 1, S. 17) ist die Europäisierung des Musikmarktes mit vielen musikalischen Zentren und einem regen Austausch von Personal und Musikalien. Mit der größeren Anzahl an Arbeitgebern erhöht sich auch die Zahl an Musikern, die die stilistische Bandbreite der Polyphonie weiterentwickeln und die auch in ihrer Musiksprache zu Personalstilen finden. Die Musikwelt wird größer und gleichzeitig individueller.
Stilistische Merkmale
In stilistischer Hinsicht stehen Josquin und seine Zeitgenossen für den Höhepunkt des konstruktivistischen Kontrapunkts mit seinen komplizierten Methoden der Kanonbildung und cantus-firmus-Verarbeitung, z.B. im Zusammenhang mit den vielen L’homme-armé-Messen. Aber auch die Entwicklung einer neuen Formsprache, die nicht mehr statische Strukturen wie cantus firmi oder Kanons als Formgrundlage benutzt, sondern die Form mit musikalischen Mitteln wie Biciniumbildung, Imitation, Sequenzbildung, musikalischen Steigerungsformen oder Reprisentechniken herstellt, ist eine Errungenschaft der Josquin-Zeit. Dazu gehört auch die Entwicklung eines engen Wort-Ton-Verhältnisses, bei dem die Musik den Affektgehalt des Textes widerspiegelt und von welchem ein entscheidender Impuls für ein neues Klang- und Stilideal ausgeht. All diese kompositorischen Impulse gehen vor allem auf Josquin selbst zurück, dessen musikhistorischer Einfluss kaum überschätzt werden kann.
Tab. 1 Die wichtigsten Komponisten der fünf Generationen der Renaissance in chronologischer Reihenfolge. Kursivlettern verweisen auf ungesicherte Daten. Nahezu alle stammen aus der Region, die das heutige Belgien und Nordfrankreich umfasst.