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KAPITEL 5 Debüt in der ersten Liga
Оглавление1972, Halbzeitpause im Spiel Argentinos Juniors vs. Boca Juniors. Der elfjährige Diego betritt den leeren Rasen, und während der nächsten 15 Minuten führt er Kabinettstückchen mit dem Ball vor, ohne dass dieser ein einziges Mal den Boden berührt. Eine Show, die er regelmäßig bietet und mit der er die Zuschauer immer wieder aufs Neue begeistert.
1974 werden die Cebollitas nicht nur argentinischer Meister in ihrer Altersklasse, sie gewinnen auch die Trofeo Evita, einen nationalen Wettbewerb, der in Embalse ausgetragen wurde (und nicht in Río Tercero, wie in Maradonas Autobiographie fälschlicherweise behauptet wird). Danach verabschiedete sich die Mannschaft von Trainer Francis Cornejo, das Team ging in der U-14 der Argentinos Juniors auf, der jüngsten Altersklasse, in der Spieler beim argentinischen Fußballverband registriert werden konnten.
Jorge Cyterszpiler war inzwischen zum Mannschaftskoordinator aufgestiegen. Freitags, wenn Diego bei ihm an der Calle San Blas in der Nähe des Stadions übernachtete, spielten sie Scrabble oder schauten fern. Eines Nachmittags ging Cyterszpiler mit Diego in die Redaktion der El Gráfico, der größten Sportzeitschrift Argentiniens. Jorge wollte, dass die El Gráfico über die Mannschaft schrieb, vor allem aber wollte er, dass das Magazin über Diego berichtete und ihn auf die Titelseite brachte.
Seine Initiative zahlte sich aus. Die Zeitschrift schickte einen Journalisten samt Fotografen zu einem der Argentinos-Spiele. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte berichtete die El Gráfico über einen Spieler aus einer der unteren Ligen – so beeindruckend waren Diegos Fähigkeiten. Im Gegenzug musste Jorge dem Magazin versprechen, dass es die Exklusivrechte an einem Bericht über Diegos Debüt in der ersten Liga bekam, das aller Voraussicht nach in Kürze bevorstand.
Noch mit 14 lief er bei insgesamt fünf Spielen mit der U-16 auf. »Das Warten hat bald ein Ende«, erklärte Jorge der El Gráfico. Inzwischen schrieb man das Jahr 1975, und die Voraussetzungen waren perfekt. Die Profispieler streikten, sie verlangten bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Die Nachwuchsspieler mussten einspringen. Für Argentinos Juniors stand ein entscheidendes Spiel im Titelkampf gegen River Plate an. Austragungsort war das Stadion von Club Atlético Vélez Sarsfield, ein ebenfalls in Buenos Aires beheimateter Verein. »Vielleicht ist es schon heute so weit«, ließ Cyterszpiler das Magazin wissen.
Diego wurde für das Spiel ausgewählt – allerdings nur als Balljunge. Ein Vorstand von Argentinos, der die Partie im Stadion verfolgte, entdeckte Diego am Spielfeldrand, wo er auf einem Ball saß. Von den Rängen rief er zu ihm herab: »Diego, was machst du denn da? Wie willst du diesen Eseln auf dem Spielfeld den Ball zuspielen, wenn du nur rumhockst? Los, rauf aufs Feld, zeig ihnen, wie man Fußball spielt!« Diego lachte.
Die meisten Teenager sind eingeschüchtert, wenn sie Abweisung erfahren und vor verschlossenen Türen stehen. Nicht so Diego. Ihm begegneten zahlreiche Herausforderungen, aber er setzte alles daran, sie zu bewältigen. Er sollte an einigen Freundschaftsspielen für die dritte Mannschaft der Argentinos Juniors teilnehmen. Kurz zuvor war Juan Carlos Montes als Trainer für die erste Mannschaft eingestellt worden. Er sollte wieder Ordnung ins Team bringen und das kenternde Schiff bis zum Ende der Saison sicher in den Hafen steuern. Montes lud Diego ein, mit der Mannschaft zu trainieren. Trainingsort war der Platz des Club Comunicaciones, eines Vereins in Buenos Aires. Ricardo Pellerano, der Kapitän der ersten Mannschaft, wärmte sich gerade mit seinen Teamkollegen auf, als Diego zu ihnen stieß: »Er war viel zu dick angezogen und schwitzte ziemlich.« Zusammen mit drei anderen Nachwuchsspielern zog er sich in der Kabine für das Training um.
Als sie auf den Platz kamen, fiel Pellerano der kleine Kerl mitten auf dem Spielfeld sofort auf. Der erfahrene Profi musterte ihn amüsiert. Was dann jedoch passierte, blieb dem Kapitän in bleibender Erinnerung. Diego stürmte mit dem Ball in hohem Tempo über den Platz, stoppte abrupt, und noch bevor irgendjemand reagieren konnte, spurtete er weiter. Seine Gegenspieler ließ er weit abgeschlagen hinter sich.
»Er haute mich völlig von den Socken«, sagt Pellerano. »Es gab Spieler, die ihn nicht mochten und die kein gutes Haar an ihm ließen. Aber ich sagte ihnen: ›Wir werden uns um ihn kümmern. Ich habe den Eindruck, dass er anders ist als wir … und es kann sein, dass wir ihn brauchen werden.‹«
Das Training dauerte 90 Minuten, aber Montes war schon nach fünf Minuten klar, was für ein Ausnahmetalent er auf dem Platz hatte. Er erklärte Diego, dass er aufgrund seines Alters – er war inzwischen 15 – vorerst weiter für die dritte Mannschaft spielen müsse, aber gelegentlich auch in die erste berufen werde. Wenig später reiste die dritte Mannschaft mit der ersten für ein paar Freundschaftsspiele nach La Plata. Als Diego aus dem Bus stieg, ließ Montes ihn wissen, dass er beim nächsten Spiel als Ersatzmann für die erste Mannschaft dabei sein werde. Zuerst bekam er fünf Minuten Spielzeit im Match gegen Estudiantes, dann eine halbe Stunde beim Spiel gegen Atlanta. Bis zum offiziellen Debüt konnte es also nicht mehr lange dauern.
Im September 1976 hatte die U-18-Mannschaft ein wichtiges Spiel gegen Vélez, und man bat Diego um Unterstützung. Der Schiedsrichter machte sich bei dieser Begegnung durch ein paar fragwürdige Entscheidungen nicht gerade beliebt. Diego konnte sich eine spitze Bemerkung nach dem Abpfiff nicht verkneifen. »Sie sind ja ein echtes Ausnahmetalent. Sie sollten mal ein paar Länderspiele pfeifen.« Sein Zynismus wurde mit einem strengen Blick erwidert, aber bevor er in die Kabine ging, legte er noch einmal nach: »Sie sind eine echte Katastrophe!« Obschon das Spiel bereits abgepfiffen war, kassierte er für seine Respektlosigkeit eine rote Karte – und war damit für die nächsten fünf Spiele gesperrt. Der Meteorit war auf seiner Flugbahn empfindlich gestört worden.
Ein paar Wochen später erfuhr Jorge Cyterszpiler eines Montags von Juan Carlos Montes, dass Diego am darauffolgenden Mittwoch sein Debüt beim Heimspiel der Argentinos gegen Talleres de Córdoba im La-Paternal-Stadion geben dürfe, falls er am Dienstag beim Training überzeugen würde. Diego ahnte nichts von dieser Entwicklung. Vierzehn Monate war es her, seit Jorge der El Gráfico vom möglichen Einstand des Wunderkinds beim Spiel gegen River Plate erzählt hatte. Obschon er also schon einmal falschen Alarm geschlagen hatte, rief er erneut in der Redaktion an, und die Verantwortlichen erklärten sich bereit, die Deadline für ihre nächste Ausgabe nach hinten zu verschieben, um einen Bericht über das Spiel mit hineinnehmen zu können.
Diego machte sich sofort auf nach Villa Fiorito. Der Verein hatte für die Maradonas zwar eines der berüchtigten argentinischen chorizo-Apartments angemietet, die ihren Namen den langen, schmalen, würstchenförmigen Gebäuden verdanken, in denen sie sich befinden. Die nebeneinanderliegenden Wohneinheiten erreicht man über einen schmalen Gang, der außen am Gebäude vorbeiführt. Das Apartment der Maradonas lag an der Calle Argerich in Villa del Parque, nur wenige Blocks vom Argentinos-Stadion entfernt. Aber die Familie lebte mit all ihrem Hab und Gut immer noch in Villa Fiorito, darunter auch Mamá Dora, Diegos Großmutter, die keinerlei Interesse daran hatte, das Elendsquartier zu verlassen, und die nur mit einem Trick zu einem Umzug bewegt werden konnte.
Diego konnte vor Aufregung kaum sprechen, als er seiner Mutter von seinem bevorstehenden Debüt erzählte. Doña Tota fing an zu weinen, als sie davon hörte, und fiel ihrem Sohn um den Hals. Don Diego wandte seinen Blick ab und biss sich auf die Lippe. Daraufhin wischte sich Doña Tota die Tränen ab und schimpfte: »Schäm dich! Hast du nicht mitbekommen, dass dein Sohn für die erste Mannschaft spielen wird?«
»Kannst du dir das vorstellen …?«, erinnerte sich Diego später. »Es dauerte nur zwei Sekunden, bis ganz Fiorito davon wusste.«
El Pelusa erzählte es seinem Cousin Raúl und ging dann zu dem Menschen, der ihm seinen ersten Fußball geschenkt hatte: seinem geliebten Cousin Beto. Raúl und Beto hatten Diego gerne bei seinen Spielen mit der Jugendmannschaft zugesehen, sofern sie genug Geld für eine Fahrt mit dem colectivo-Bus zum Stadion aufbringen konnten. Jetzt lagen sich Beto und Diego in den Armen und konnten gar nicht aufhören zu weinen. In diesem Moment wurde Diego bewusst, welche Auswirkungen sein Spiel auf andere hatte. Er begriff, dass etwas Großes bevorstand.
Don Diego musste an dem Mittwoch im Oktober, an dem sein Sohn sein Debüt bei der ersten Mannschaft von Argentinos gab, arbeiten. Er hatte darum gebeten, früher Schluss machen zu dürfen, um sich das Spiel ansehen zu können, wartete aber noch auf eine Rückmeldung. Diego musste also allein zum Stadion fahren. Obwohl es an diesem Tag heiß und schwül war, trug er ein weißes Hemd und die einzige lange Hose, die er besaß: eine türkisfarbene Cordhose mit Schlag, wie Gauchos sie im Winter tragen.
Doña Tota begleitete Diego zur Tür. »Ich werde für dich beten, mein Sohn«, sagte sie.
Durch die offene Bauweise der chorizo-Häuser war es von einigen Fenstern aus möglich, in andere Wohnungen hineinzublicken. Claudia wohnte im gleichen Gebäude wie Diego und konnte ihn sehen, wenn er zum Training ging. »Ich tat so, als würde ich nicht bemerken, wenn sie mich beobachtete, aber ich hatte sie immer heimlich im Blick. Die ersten acht Monate habe ich sie jedoch zu nichts ermutigt«, schrieb er über 25 Jahre später in seiner Autobiographie, und so wurde aus seiner ursprünglichen Faszination für das Mädchen in der gelben Hose eine Geschichte, in der er das Objekt der Begierde ist.
Diego nahm zuerst den Zug und fuhr dann mit den Bussen 44 und 135 zum Stadion. Auf dem Weg dorthin traf er bereits einige andere Argentinos-Spieler. Die Mannschaft traf sich im El Rincón de los Artistas, einem Restaurant an der Ecke Av. Álvarez Jonte und Av. Boyacá in der Nähe des Stadions. Diegos neue Teamkollegen tauschten erstaunte Blicke, als sie den Neuen in seiner Cordhose erblickten. »Sie dachten: Der Kerl hat sich gründlich im Outfit vergriffen. Aber … so etwas wie Outfits besaßen wir damals gar nicht!«, erinnerte sich Maradona Jahre später.
Nach Montes’ Mannschaftsansprache und der Taktikbesprechung gab es für das Team Steaks mit Kartoffelpüree. Die Spieler munkelten etwas von einem Siegbonus, und Diego dachte: Dann wird der Auswechselspieler sicher auch etwas bekommen, und wenn ich aufs Feld darf, gibt es bestimmt noch etwas mehr. Er rechnete ein wenig herum. Ich werde mir ein paar neue Hosen kaufen, beschloss er. Nach dem Essen machte sich die Mannschaft zu Fuß zum La-Paternal-Stadion auf. Um 14 Uhr waren sechs Journalisten der El Gráfico vor Ort, darunter Héctor Vega Onesime, der den Spielbericht verfassen, und der Fotograf Humberto Speranza, der Aufnahmen machen sollte.
Spielbeginn war am frühen Nachmittag. Im Verlauf des Tages wurde es zunehmend wärmer, und die Luftfeuchtigkeit stieg. Die Zuschauer suchten sich ein schattiges Plätzchen, während sie darauf warteten, dass das Stadion geöffnet wurde. Zahlreiche Talleres-de-Córdoba-Fans saßen auf dem Bürgersteig und ließen Weinflaschen kreisen. Sie waren ganze 700 Kilometer von Córdoba aus angereist, um ihre Mannschaft anzufeuern. Aber es waren auch andere Interessierte da. Die Schar der Fans war ungewöhnlich groß. Womöglich hatte es mit dem vom Trainer in Umlauf gebrachten Gerücht zu tun, dass an diesem Tag ein ganz besonderer Spieler auflaufen würde. Der argentinische Fußballverband (AFA) zählte offiziell 7737 Zuschauer bei diesem Spiel. Möglicherweise waren aber mehr Fans im Stadion, denn viele schlichen sich ohne Ticket auf die Tribünen. Doch wie viele Zuschauer es auch gewesen sein mögen, die Zahl derer, die später behaupteten, an diesem Tag dabei gewesen zu sein, wird immer um einiges höher liegen.
Wie der Journalist Diego Borinsky herausfand, zählte auf jeden Fall der argentinische Nationaltrainer César Luis Menotti zu den Stadionbesuchern. Ein paar Tage zuvor hatte Montes sich mit ihm verabredet und ihm von einem 15-Jährigen vorgeschwärmt, der ein absoluter »Crack« (Champion) sei. Halb scherzhaft hatte der Nationaltrainer drauf geantwortet: »Na, wenn er wirklich so ein ›Crack‹ ist, warum holst du ihn dann nicht in die erste Mannschaft?«
»Genau darum habe ich mich heute mit dir getroffen«, hatte Montes entgegnet. »Am Mittwoch hat er sein Debüt.«
»Hey, Diego, dein Alter ist da«, brüllte jemand, als die Spieler auf den Platz kamen. Maradona quittierte diese Information mit einem dankbaren Lächeln.
»Als wir die Kabine betraten, war mir, als könne ich mit der Hand den Himmel berühren«, erinnerte sich Diego. Er war Teil des 16-köpfigen Kaders und trug auch das Trikot mit der Nummer 16. Voller Ehrfurcht hielt er es hoch, bevor er es anzog, sanft und geradezu liebevoll. Er versank fast darin, als er es überstreifte, sodass seine kleinen Beine noch kürzer und schmaler erschienen, als sie ohnehin schon waren. »In der Kabine, beim Aufwärmen, der Trainer hält eine Ansprache … man weiß nicht, ob man sich jetzt die Schuhe zuschnüren soll oder … es war alles neu für mich. Völlig neu.« Er war glücklich und angespannt zugleich, als er zum Warm-up auf den Platz und wieder zurück in die Kabine ging. Kurz darauf saß er schon auf der Ersatzbank – möglichst weit vom Trainer entfernt – und wartete.
Talleres de Córdoba dominierten die erste Halbzeit und gingen nach 27 Minuten in Führung. Kurz vor der Pause wandte sich Montes zu Diego um und blickte ihn mit hochgezogenen Brauen an. »Ja, ich bin bereit«, signalisierte ihm dieser, indem er seinem Blick standhielt.
Am 20. Oktober 1976 wurde Diego Armando Maradona zu Beginn der zweiten Halbzeit für Rubén Aníbal Giacobetti eingewechselt und gab sein offizielles Debüt in der ersten Liga. Er war der bis dato jüngste Spieler, der je in der argentinischen ersten Liga gespielt hatte.
Montes wies ihn an, so zu spielen, wie er es immer tat. Als Diego das erste Mal den Ball bekam, stand er mit dem Rücken zu seinem Manndecker, Juan Domingo Patricio Cabrera. Gefühlvoll spielte er ihm den Ball durch die Beine. »Sauber und schnell«, beschrieb Maradona die Szene im Gespräch mit TyC. »Ich hörte sofort das ›Ooooolé‹ aus der Menge, als wollten sie mich begrüßen.«
Diego, der seit Jahren mit Spielern auf dem Platz gestanden hatte, die älter waren als er, wusste, wie man den Tritten und Stößen Größerer auswich. Zu seinen Überlebensstrategien zählten Dribblings und vor allem das furchtlose Nachvornpreschen mit dem Ball. Vom Tag seines Erstligadebüts an wurde Maradona, weil er als großes Talent galt, immer wieder getreten und gefoult. Gegen die Schmerzen halfen Tabletten oder Injektionen. Von solchen Mitteln wird man leicht abhängig, weil sie oft die einzige Möglichkeit sind weiterzuspielen. Und zu spielen war alles, was für Maradona zählte.
Der einzige Journalist der Clarín, der das Spiel verfolgte, war Miguel Ángel Bertolotto. Seine Zeitung hatte keinen Tipp bezüglich eines möglichen Maradona-Debüts erhalten. Er schrieb: »Der junge Maradona brachte Bewegung in den Sturm. Das löste allerdings nicht das Problem des mangelnden Ballbesitzes in der Cordoba-Hälfte. Maradona bewies großes Talent, hatte aber niemanden, den er anspielen konnte.«
Das Spiel endete mit einer 1:0-Niederlage für Argentinos, und Diego zufolge war alles »sehr nett«. Viel später sagte er: »Unsere Gegner hätten mühelos 18 Tore schießen können.«
Héctor Vega Onesime schrieb in der El Gráfico: »Argentinos gingen mit ihrer schwachen Offensive unter. Daran konnte auch der eingewechselte talentierte und intelligente Maradona, ein ehemaliger ›Cebollita‹, nichts ändern.« Das Magazin bewertete seine Leistung mit sieben von zehn Punkten.
Ein paar Wochen später erzielte Diego nicht nur zwei Treffer, sondern gab auch noch zwei Vorlagen im Auswärtsspiel gegen San Lorenzo de Mar del Plata, das 5:2 für Argentinos endete. Die Mannschaft reiste mit dem Bus zurück. Alberto Pérez vom Vereinsvorstand saß dem schlafenden Maradona gegenüber. Neben ihm saß Reinaldo Mediot, ein Mann Ende sechzig und ebenfalls Vorstandsmitglied. »Schauen Sie sich diesen Jungen an«, sagte Mediot. »Nicht einmal er weiß, wie weit er es noch bringen kann. Ich werde vermutlich nicht mehr miterleben, wie er sein volles Potenzial entfaltet, aber Ihnen wird er noch viel Freude bereiten.« Diego war damals gerade 16 geworden.
Zwei Tage zuvor war er zum ersten Mal von César Luis Menotti in die Nationalmannschaft berufen worden und landete auf einer vom Nationaltrainer geführten Liste mit Spielern, die nicht ins Ausland transferiert werden durften. »Alles ging so schnell«, sagte Diego nur einen Monat nach seinem Debüt bei seinem ersten Interview mit Horacio Pagani von der Clarín. »Ich genieße das alles mit Bedacht, denn wenn ich richtig darüber nachdenke, werde ich verrückt …« An anderer Stelle in diesem Interview erklärte er, dass er sich seiner Meinung nach ganz gut geschlagen habe mit den zwei Toren und den drei Tunnels, die er gespielt hatte. »Wie bitte?«, fragte Pagani. »Du zählst die Tunnel?«
»In der ersten Mannschaft schon, weil ich bisher nur ein paar Spiele absolviert habe. Ich habe Cabrera von Talleres bei meinem Debüt getunnelt. Auch Gallego, aber der hat sich mit einem revanchiert. Am Sonntag habe ich Mascareño einen guten verpasst …«
Pagani schließt seinen Artikel mit der Feststellung, Diegos Geschichte sei »das Abenteuer eines kleinen Jungen. Ihn erwarten Gefahren. Aber sein Fußball lässt hoffen. Und der argentinische Fußball hat eine solche Hoffnung bitter nötig.«
»Mach dich auf etwas gefasst, Jorge, ich brauche dich.« Anfang 1977 bat Diego Jorge Cyterszpiler, ihn zu managen. Jorge wurde zum ersten Spielermanager im argentinischen Fußball und handelte noch im Mai desselben Jahres Diegos ersten Profivertrag aus. Es war ein logischer Schritt. Jorge kümmerte sich ohnehin schon um Diegos geschäftliche Angelegenheiten und hatte eine klare Vorstellung davon, was sie zusammen erreichen konnten.
Anderthalb Jahre später, mit 18, erneuerte Maradona seinen Vertrag bei Argentinos. Vereinspräsident Prospero Cónsoli erkannte Maradonas Wert und wollte seinem Starspieler etwas Gutes tun. Er verbesserte dessen Wohnsituation und organisierte ihm nach dem kleinen chorizo-Apartment ein zweistöckiges Sechszimmerhaus mit Patio und Dachterrasse, das noch näher am Vereinsgelände lag. Maradona war noch minderjährig, daher wurden die Urkunden auf seinen Vater, Don Diego, ausgestellt. El Pelusa teilte sich die 130 Quadratmeter Wohnfläche mit seinen beiden Brüdern und vier seiner Schwestern. Ana, die Älteste, war mittlerweile verheiratet und führte ihren eigenen Haushalt. An ihrer Stelle kam die Großmutter mit. Die Familie hatte einen Weg gefunden, sie zum Umziehen zu bewegen: Diego und ein paar andere versetzten der alten Dame einen Riesenschreck, als sie auf der Terrasse des Hauses in Fiorito vor sich hindöste, und machten sich dann ungesehen aus dem Staub – wobei sie gleich noch ein paar Habseligkeiten mitgehen ließen. Danach fand die Großmutter, es sei an der Zeit, sich dem Rest der Familie im neuen Heim anzuschließen.
Die einzige Toilette in der neuen Unterkunft befand sich über Diegos Zimmer, auf Höhe der Dachterrasse. Als im Slum aufgewachsener Schlingel nahm er nicht den Weg durch seine Zimmertür und über eine kleine Treppe nach oben, sondern kletterte zu seinem Zimmerfenster raus und hoch, um sich die paar Schritte zu sparen.