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Kapitel 21 Das schlechte Omen

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Zum hundertsten Male erzählte Gevert von Elmeloh seine Flucht vom Schlachtfeld bei Blexen. Das war anno 1368 gewesen. Meistens achtete niemand auf ihn, weil er ständig betrunken war und alle ihn für durchgedreht hielten. Aber heute schenkte Adda tom Brook ihm ihre Aufmerksamkeit. Gevert bemerkte es mit Genugtuung und daher fiel sein Bericht besonders markig aus. - Eigentlich war Adda wegen einer anderen Sache in die Schenke gekommen: in ihrem Weidenkorb, sorgfältig zugedeckt in einer Tonschale mit etwas Wasser, zappelten drei lebende Aale. Momentan jedoch dachte sie nicht mehr an ihr Vorhaben, sondern war gefesselt von Geverts Bericht.

Vor fünf Jahren, so erzählte Gevert, habe er zu dem Aufgebot der Oldenburger und Bremer gehört, welches erschlagene bremische Seefahrer rächen wollte. Im Butjadingerland bei dem Dorf Koldewärf, unweit von Blexen, war dem Aufgebot war der Häuptling Boling mit seinen Mannen entgegen getreten und hatte den Strafzug erbarmungslos niedergemetzelt. Adda kannte die Geschichte bereits von ihrem Großvater, aber der hatte sie nicht halb so dramatisch erzählt. „Ich sage euch”, endete Gevert gewichtig, „ich sage euch, es ging nicht mit rechten Dingen zu. Ich bleibe dabei, dass uns der Schutzpatron der Kirche zu Blexen, der Heilige Hypolyt, mit seiner ehernen Streitkeule vernichtet hat. Ja, lacht nur, ihr denkt, ich bin nicht ganz bei Verstand, aber ihr seid nicht dabei gewesen. Der Heilige Hypolyt ließ seine Keule auf uns niedersausen. Wie sonst wohl sollte es dem Butjadinger Aufgebot möglich gewesen sein, unser ganzes mächtiges Heer, und das waren über 700 Oldenburger und Bremer Kampfgenossen, total zu zerschlagen?”

„Ihr hattet eure schnellen Stiefel vergessen! Ha, ha, ha!” höhnte einer der Zecher. Gevert beachtete ihn nicht, er sah nur Addas blaue Augen auf sich geheftet und glaubte, noch einen Trumpf draufsetzen zu müssen: „Ja, min Deern, so war das. Der Graf Konrad von Oldenburg und 11 bremische Ratsherren waren unter den Erschlagenen, denn niemand konnte entwischen, nur ich. Alle tot, meine Söhne, meine Freunde...” Das klang traurig, und seine Augen richteten sich blicklos in die Ferne: „Es war ein Sumpf. Das Schlachtfeld... ein blutiger Sumpf.”

Vielleicht hat er wirklich den Verstand verloren, dachte Adda. Das kann passieren bei solchen Verlusten. - Schwerfällig stand Gevert auf, torkelte trunken zur Tür hinaus, und Adda bemerkte, dass die Sonne bereits untergegangen war und der Tag in zartem Rosenlicht verdämmerte. Rasch ihren Weidenkorb ergreifend, schlenderte sie damit hinüber zum Kaminfeuer.

Einige Männer saßen bei Bier und Schnaps mit dem Rücken zur Feuerstelle. Gemessen an ihren hochroten Gesichtern, schienen sie bereits reichlich angetrunken zu sein. Sie redeten heftig aufeinander ein und steckten die Köpfe zusammen, als Adda sich näherte. Wie sie einigen Wortfetzen entnehmen konnte, ging es um die Kiellegung eines neuen Schiffes. Offenbar gelang es ihnen nicht, sich über die Kosten zu einigen.

Behutsam setzte Adda den Korb auf die Bank neben der offenen Feuerstelle, schaute sich aufmerksam um. Nein, jetzt ging es nicht. Man beobachtete sie.

Adda bemühte sich, ein gleichgültiges Gesicht aufzusetzen, aber der junge Mann, der vorhin schon immer so forschend zu ihr herübergeschaut hatte, fixierte sie ständig. Adda wurde langsam ungeduldig: Wenn er doch endlich gehen würde! Sie wollte noch vor der Dunkelheit auf der Manninga-Burg zurück sein, damit man sich dort nicht unnötig um sie sorgte. Geschickt setzte Adda sich so neben den Weidenkorb, dass ihr Körper ihn vor den Blicken des Fremden verbarg, öffnete behutsam den Deckel, warf einen Blick hinein. - Das bisschen Wasser, das sie in die Schale gegossen hatte, war auf dem Weg hierher offenbar herausgeschwappt. Die Aale sahen ziemlich tot aus. Mit sicherer Hand griff Adda einen der Fische zwischen Zeige- und Mittelfinger hinter den Kiemen. - Noch ein Blick zu dem jungen Mann. Der schaute gerade weg. - Mit rascher Handbewegung flog der Aal in die Glut. - Ein erneuter Blick zu dem fremden jungen Mann. Hat er etwas bemerkt? Anscheinend nicht. Rasch die anderen beiden Aale ins Feuer, den Korb nehmen und weg...

Frauke, die Schankmagd, kam gerade mit einem Arm voll Torfsoden von draußen herein. Viel fehlte nicht, und sie hätte die Magd umgerannt: „Ups! – Oh, Frauke, ich höre, du willst heiraten?”

Die Magd knickste: „Ja, edle Frau.” Mit großen, fast ängstlichen Augen blickte das Mädchen sie an.

„So komm, erzähle mir von deinem Bräutigam.” Vertraulich zog Adda sie mit sich zur Bank am Feuer. Frauke wagte es nicht, sich neben die Häuptlingstochter zu setzen, stand da mit ihrem Arm voll Torf und wartete ergeben auf Addas Fragen.

„Nun, Frauke, wer ist denn der Glückliche, der deine Hand gewonnen hat?” Das Mädchen wies mit dem Kopf hinüber zu dem Fremden und Adda bemerkte, dass der Blick seiner stechenden kleinen Augen sie schon wieder durchbohrte. „Was, dieses Rattengesicht? Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht kränken. Aber der junge Mann - ich bin erstaunt. Ein Fremder! Du kennst ihn schon länger?” Adda betrachtete Frauke aufmerksam. Sie schien aufgeschwemmt im Gesicht, dicker als sonst. „Du kriegst ‘ne lüttje Puppe?” fragte Adda direkt.

Frauke errötete und schüttelte energisch den Kopf: „Nein.”

„Lüg’ mich nicht an, Frauke.”

„Nein, ich lüge ja gar nicht.” „Doch tust du das! Ich sehe es doch!” „Nein, nein, ich bin nur etwas dicker geworden.”

„Eben drum. Sag die Wahrheit!”

Frauke wand sich verzweifelt.

„Nur keine Angst. Ich verrate dich nicht. Hast du dich mit dem da eingelassen?”

Stummes Kopfschütteln. Frauke wollte nichts sagen und durfte es auch wohl nicht. Sie musste ihre Schwangerschaft verheimlichen, wenn sie sich nicht dem Spott aussetzen wollte und der Verachtung und den Kirchenstrafen.

„Nein? Dann also mit dem da?” Das war mehr eine Feststellung denn eine Frage. Adda deutete hinüber zum Wirt, der sich gerade zu seinen Gästen setzte und die Becher neu füllte. Das war freilich einer, der einem jungen Mädchen den Kopf verdrehen konnte. Schlank, hochgewachsen von Gestalt, blond und blauäugig - aber er war schon verheiratet. Diesmal nickte die Magd, Tränen in den Augen. Unter diesen Umständen konnte sie nicht wählerisch sein, musste froh sein, überhaupt einen Mann zu finden, der sie heiraten wollte. Eine Frau mit einem unehelichen Kind wurde arg gestraft. Die Kirche kannte keine Gnade, verlangte, dass sie sich selbst anprangerte vor versammelter Gemeinde. Spott und Verachtung wurden über sie ausgegossen. Von allen verstoßen, würde sie zum willkommenen Freiwild für die Boshaftigkeit der ‚ehrbaren’ Mitmenschen werden. Und – an Absurdität kaum zu übertreffen - dem unehelich geborenen Kind würde es zeitlebens kaum besser ergehen. Ein schweres Leben stand Frauke bevor, ungleich schwerer noch als bisher.

„Nimm’s leicht, Frauke, auch ich kann mir meinen Gemahl nicht aussuchen. Das ist nun einmal das Los der Frauen. Wir armen Weiber müssen uns alles von den Männern bieten lassen und dann die Suppe alleine auslöffeln, die sie uns eingebrockt haben. Du wirst mit ihm...” Da ließ Frauke plötzlich schreiend die Torfsoden fallen. Die Köpfe der Männer flogen herum. „Da! Da!” kreischte Frauke. „Seht nur, im Feuer! Schlangen im Feuer!” Fassungslos wies sie mit der Hand auf die sich krümmenden Aale. Jetzt stieß auch Adda einen spitzen Schrei aus und warf sich blindlings in die Arme eines Mannes, der herbeigesprungen war, um zu sehen, was es denn so Entsetzliches gab. Es war niemand anders als der rattengesichtige Jüngling, der Adda die ganze Zeit über beobachtet hatte. Er grinste unverschämt, sagte aber kein Wort.

„Das bedeutet Unglück! Die Pest oder die Sturmflut oder sonst was Furchtbares!” kreischte Frauke außer sich.

„Ach ne! Das sind keine Schlangen, das sind Aale. Wie die da wohl ‘reinkommen?” fragte scheinheilig das Rattengesicht.

„Ein Wunder! Ein Zeichen des Himmels!”

„Nein, eine Warnung! Es ist eine Warnung!”

„Klar ist es das.“ Der Mann, der das süffisant sagte, drückte Adda genüsslich an sich. Hastig löste sie sich aus seinen Armen und trat einen Schritt zur Seite.

„Man muss die Hexe Hertje fragen, sage ich. Man muss zu Hertje schicken. Sie muss uns deuten, was uns erwartet!” sabberte ein zahnloser, alter Fischer. Man erging sich weiterhin in Vermutungen über die Herkunft der Aale und ihre tiefere Bedeutung. Der Wirt indes meinte, dass man die Aale salzen und verzehren solle und lud seine Gäste zu dem köstlichen Leckerbissen ein. Die Aale seien schön dick und fett, pries er den Schmaus an, und Brataal sei doch etwas außerordentlich Leckeres. Dem schlossen sich die Gäste grundsätzlich an, aber essen wollte denn doch niemand diese vermaledeiten Raubfische.

Still und leise stahl Adda sich mit ihrem Weidenkorb am Arm davon. Sie hörte noch, wie der Fremde sich erbot, ins Moor zu gehen, um die Wahrsagerin aufzusuchen. Ein Fremder! Ins Moor! Absurd!

Ungehalten schürzte Vrouwe Manninga die Lippen: „Was für törichte Dinge du tust, Adda. Mir scheint gar, du langweilst dich am Ende. Ich werde dich mehr beschäftigen müssen.”

Ein kalter Guss für die glückstrahlende Adda, die gerade voller Stolz über ihren gelungenen Streich in der Schenke von Westeel berichtet hatte.

Man saß gemütlich beim Abendessen. Es gab Austern mit Tunke und schwarzem Brot. An Addas unzufriedenem Gesicht ließ sich ihre Abneigung leicht ablesen. Sie mochte keine Austern, dann noch lieber Pfahlmuscheln.

„Erst kommst du zu spät und dann bist du auch noch wählerisch”, tadelte Addas Tante gekränkt und säbelte sich eine Scheibe Brot ab. Adda schwieg, strich sich die Löckchen aus dem Gesicht und schlürfte mit Unbehagen ihre Auster. Grässlich! Das Geschlabber! Nicht mal was für Schweine! „Ein Glück, dass es wenigstens keine Schnecken sind“, murmelte sie pikiert.

Als Kind fand Adda die kleinen schwarzen Stieläuglein so niedlich und die schön gemaserten Schneckenhäuser und deshalb war sie gern mit der Küchenmagd auf Schneckensuche in den Wald spaziert. Dort fanden sich in Gebüschen und auf feuchtem Boden eine Vielzahl von Schnecken, die mit ihrem hübschen Häuschen über den Boden krochen. Es waren immer dieselben Stellen, an denen sie fündig wurden, denn die Magd wußte genau, dass Schnecken sehr standorttreu sind. Der Herr Kaplan lehrte Adda später, dass diese Schnecken nicht nur im gesamten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu finden seien, sondern darüber hinaus sogar in den fernen kalten Nordländern, ebenso wie auch in den wärmeren südlichen Nachbarländern bis weithin in den Osten, dem Kaiserreich von Konstantinopel, den baltischen Ländern und dem Reich der Rus, also eigentlich überall in der Welt heimisch seien. Das interessierte Adda damals herzlich wenig, aber sie ahnte, dass der Herr Kaplan ihr den Genuß von Schnecken schmackhaft machen wollte, indem er ihr vorschwärmte, wie gesund sie doch seien, und dass der Herrgott mittels der Schnecken stets nahrhafte Speise für den Menschen bereithalte. Indes, des Kaplans flammende Rede nützte nichts. Sie konnte Adda nicht für den Verzehr von Schnecken erwärmen, und obgleich die Mahlzeiten – hier wie anderswo – einerseits recht bescheiden ausfielen, obgleich mengenmäßig umfangreich, so verschmähte Adda doch stets die „köstlichen“ Schnecken und beschränkte sich auf den Genuß von Brot mit Kräuerbutter, die stets dazu gereicht wurden. Üppig lebte man nur an besonderen Festtagen. Wohlfeil waren Meeresfrüchte und fanden fast täglich ihren Platz auf der Tafel und Austern gehörten rundweg nicht zu den Leckerbissen.

Missgestimmt warf Vrouwe eine leere Austernschale in die Tischmitte, wo sich schon ein kleiner Berg türmte. „Lütet! Sag du doch auch mal was. Oder hast du keine Meinung?”

Lütet warf eine leere Schale hinterher. „Hm, wieder keine Perle drin.“

„Perle! Ich hab dich was gefragt, Lütet!“

„Ich? Was soll ich dazu sagen? Ich denke, ich verstehe, was Adda damit bezweckt.” Er nickte ihr verständnisinnig zu. „Siehst du Vrouwe, das ist doch so. Die Leute sind abergläubisch, das verstehst du doch, nicht wahr? Das will Adda nutzen. Wenn ich ihnen sage, der Deich muss ausgebessert werden, schert sich kein Schwanz darum, wenn ich nicht gleichzeitig mit schweren Strafen drohe. Wenn aber Aale aus geheimnisvollen Gründen in der Glut zappeln, so heißt das ganz klar ersichtlich, ein Unglück steht bevor. Jetzt wird man zur hellsichtigen Hertje schicken und sie befragen.”

„Die lacht sich doch kaputt!“, meinte Vrouwe und bezweifelte stark, dass Hertje das Richtige aus den Vorfällen herauslesen würde.

„Aber klar doch, dafür ist gesorgt”, entgegnete Adda zuversichtlich. „Hertje wird ein großes Unwetter daraus deuten, das die Deiche fortreißt und das Meer ins Land spült.“

„Ha, Kindchen, ich verstehe, du buhlst um Anerkennung. Das soll dir gegönnt sein. - Auf gutes Gelingen!“ Fröhlich lachend hob Vrouwe den Bierkrug: „Het ghildt eele frye Fryse!“

„Eine durchtriebene kleine Verbündete ist sie, findest du nicht auch, Vrouwe?”, schmunzelte der Onkel. „Auf gutes Gelingen!“

„Dir gilt es, edler freier Friese!“, stimmte Adda fröhlich zu.

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