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Kapitel 28 Menno bei Lütet Manninga
ОглавлениеWieder war ein Tag verstrichen, ohne dass Lütet Manninga eine Spur von seiner Pflegetochter gefunden hätte. Auch unter den angeschwemmten Frauen befand sich keine, die seiner Adda ähnlich gesehen hätte. - Gott Lob! - Trotzdem, er konnte sich nicht wirklich darüber freuen. Zu viele Möglichkeiten gab es, warum die See Adda vielleicht noch nicht freigegeben hatte oder es auch niemals tun würde. - Lütet Manninga wusste nicht, wie viele Wasserleichen er seit dem frühen Morgen angeschaut hatte. Grauen durchzitterte seinen Körper, wenn er an diese ekelhaft aufgeblasenen Körper, die zerschlagenen Gliedmaßen, abgerissenen Körperteile dachte, die manchmal ganz ohne Leib angeschwemmt worden waren.
Im Kamin flackerte ein schwaches Feuer, das kaum den Raum erhellte. Sollte Lütet noch erst Licht anzünden, ehe er sich zur Ruhe legte? Es lohnte wohl nicht. Nachlässig warf er seinen Mantel über ein Taburett. Er wollte noch ein Weilchen am Kamin sitzen, um alle Möglichkeiten zu überdenken. Ermattet ließ er sich in seinen Lehnstuhl fallen. Leise puffte der Torf; im rußgeschwärzten Kessel kochte behaglich summend das Teewasser. Vielleicht sollte er sich noch einen Becher Kräutertee aufbrühen.
Müde… Lütet Manninga schloss die Lider, nickte ein.
Schneewolken verhingen den Mond - stockfinster die Nacht. - Seit fast einer Stunde drückte sich eine Gestalt in den Schatten des Hauses. Jetzt huschte sie, ungesehen von den Bediensteten, zur Tür. Ein prüfender Blick nach rechts - nach links - niemand zu sehen. Rasch die Tür geöffnet. - Welch Glück! Manninga hatte den Riegel nicht vorgeschoben. Leise quietschend gab die Tür nach. Schattengleich schlüpfte die Gestalt ins Zimmer.
Vor dem Feuer sitzend, war Lütet Manninga gut zu erkennen. Die Dielen knarrten unter dem schweren Schritt des Eindringlings, der sich nicht einmal bemühte, dieses Geräusch zu vermeiden. Beide Hände unter seinem weiten Mantel verborgen, lehnte er sich mit dem Rücken an die zuschwingende Tür, rief den Häuptling an.
„Wa... was ist?” schlaftrunken Lütets Stimme.
„Wach erst mal auf, dann sag ich’s dir.”
Erst jetzt bemerkte Manninga, dass ein Fremder mit ihm sprach und er fragte ihn, wie er hereingekommen sei, was er wolle.
„Durch die Tür, wie jeder anständige Kerl ein Haus betritt. Ha, ha, ha!” lachte der Bursche keck und bleckte sein strahlendes Gebiß. „Zur Sache, Manninga. Weißt du, wer ich bin?”
Woher sollte Manninga das wissen? Das Gesicht des Mannes war nicht zu erkennen, lag im Schatten; die Stimme war ihm fremd. „Ich bin überzeugt, du wirst es mir gleich sagen.”
„Das will ich tun. Ich bin Menno Tammena, der Friedlose.”
„Aha, Menno der Friedlose. Und was willst du hier?” Der Häuptling schien gelassen, obgleich ihm keineswegs so zumute war. Solche Verbrecher führten stets etwas im Schilde. Dieser da verbarg unter seinem Mantel gewiss eine Mordwaffe.
„Nun, ich wünsche nichts weiter, als dass du diesen Zustand beendest. Nicht mehr und nicht weniger! Ich bin vogelfrei und will es nicht länger sein.” „Soll ich dir den Garaus machen?” Ironie troff aus Lütets Stimme und Menno erklärte ihm, dass er ihn dafür nicht benötige: „Vogelfrei zu sein, ist ein Zustand, der einem leicht das Leben kosten kann, wenn man nicht auf der Hut ist. Ich bin es leid, gejagt zu werden, von jedermann straflos umgebracht werden zu dürfen. Ich will meine Ehre zurück!”
„So? Weiter nichts? Wie denkst du dir das, Menno? Soll ich hingehen und sagen: ‚Ich habe diesem edlen Recken Unrecht getan. Er ist unschuldig wie ein Osterlamm, hat nur eben mal Eberhard Itzinga erstochen?‘ Oh, Verzeihung, du hast ihn ja nicht erstochen.”
„Richtig, ich habe ihn nicht erstochen. Sehr klug, dass du das verstanden hast. Und ich dachte schon, Klugheit ist das Vorrecht der Geistlichkeit. Im Übrigen bin ich im Besitze eines... sagen wir mal... Kleinods, das dir sehr am Herzen liegen dürfte.”
„Mir am Herzen liegt? Was soll das bedeuten? Du treibst Spott mit mir. Wart’, das soll dir schlecht bekommen!”
„Nein, kein Spott. Es ist mir bitter ernst.”
Eine Handbewegung forderte Menno zum Reden auf und dessen Hand schoss blitzschnell unter dem Mantel hervor. Lütet Manninga zuckte zurück, glaubte schon, der Friedlose werde ihn jetzt niederstechen... Irrtum! Menno hielt ihm einen blitzenden, kleinen Gegenstand unter die Nase. „Hier! Weißt du, wem das gehört?”
„Es ist zu dunkel; ich kann nicht sehen, was das ist. Lass mich erst Licht anzünden, damit ich deine Frage beantworten kann.” Aufspringend, griff Manninga hastig den fünfarmigen Kandelaber vom Kaminsims... Einen Moment dachte er daran, dass er jetzt eine gefährliche Waffe in der Hand hielt, verwarf aber die Idee sofort wieder, entzündete stattdessen die Kerzen am Torffeuer und stellte den Leuchter auf den Tisch. „Gib her!”
Nein, eigentlich wollte Menno das Kleinod nicht aus der Hand geben.
„Nun gib schon! Ich nehm’ es dir ja nicht weg!”
Zögernd kam Menno der Aufforderung nach. - Manninga glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Da kam dieser Friedlose, dieser Menno Tammena, daher und besaß einen Ring, Addas Verlobungsring! Unfassbar! Genauestens untersuchte Manninga den Ring, ließ den Stein im Licht funkeln. Kein Zweifel! Wo Menno den Ring her habe, fragte er mit belegter Stimme und fürchtete, dass Addas Leiche irgendwo angeschwemmt worden war und er deswegen…
„Nun, ich habe ihn einer gewissen Adda tom Brook vom Finger gezogen.”
„Vom Finger gezogen? So ist sie... tot?” Manninga erbleichte vor Schreck.
„Tot? Bin ich ein Leichenfledderer? Nein, als Tote wäre sie mir kaum nützlich; ich würde sagen - im Gegenteil. Sie lebt und erfreut sich bester Gesundheit.”
„Bester Gesundheit?”
„Na ja, ein bisschen mitgenommen, aber sonst unversehrt. Alles noch dran, ha, ha, ha!”
Misstrauen schien dem Häuptling durchaus angebracht und er fragte nach, wieso er ihm glauben solle. Schließlich hatte er in diesem Kerl einen Verbrecher vor sich, einen Mann, der für schuldig befunden worden war, den Häuptling Eberhard Itzinga aus niedrigen Beweggründen ermordet zu haben. Solch einem sollte er vertrauen?
„Was das anbelangt, wirst du mir schon glauben müssen”, spottete Menno.
„Wo ist Adda? Ich will sie sehen.”
Menno blickte ihn zögernd an, so als überlege er, wie Addas Aufenthaltsort am besten zu beschreiben sei.
„So sprich endlich! Und glotz nicht so dumm! Ich kann auch anders!”
„Du willst mir drohen?”
„Fasse es so auf. Ich habe Freunde, Freunde wie...”
„Die brauchst du nicht zu nennen. Deine Freunde kenne ich. Die können mir nichts anhaben; die nicht und du nicht, Manninga! Ich habe nämlich ein Pfand... Und ich habe auch Freunde. Also nicht so hastig und nicht in diesem Ton, bitte ich mir aus. Es ist mir - das kannst du glauben - zuwider, ein Geschäft daraus zu machen, aber mir bleibt keine andere Wahl, auch das kannst du mir glauben. Nun zu meinen Forderungen: Du wirst mir zurückgeben, was mir Rechtens zusteht - an Geld und Gut und Ehre, oder du siehst das Täubchen nie wieder. Das schwöre ich dir!”
„Man wird dich zu Tode jagen, Menno. Überlege es dir gut. Keno tom Brook versteht da keinen Spaß und der Allena, nun ja, sie ist seine Braut. Glaubst du, er sieht tatenlos zu, wie man ihm einen großen Happen Mitgift wegschnappt?”
„Du kannst mich nicht einschüchtern, Manninga. Es tun sich für mich viele Möglichkeiten auf... die Welt ist groß! Ich besitze ein Pfand, das mir ein glücklicher Zufall in die Hände gespielt hat. Vielleicht war es auch die Vorsehung, von der immerzu geredet wird. Wie dem auch sei, ich werde das Glück mit beiden Händen festhalten. Nie habe ich erwarten dürfen, solch einen Stich gegen dich und deinesgleichen ausspielen zu können. Jetzt, wo ich ihn habe, werde ich ihn zu nutzen wissen.”
„Und wenn ich nicht auf deine Bedingungen eingehe? Was dann? Was wirst du mit ihr tun?”
„Das magst du dir selber ausrechnen. Aber - da fällt mir ein - es gibt Leute, die kaufen hübsche blonde Mädchen. Sie würde prächtig einen Harem zieren. Sie ist stark und mutig und tapfer und schön obendrein. Das lieben die Sarazenen. Ein Weibchen wie die kann jeder Mann gebrauchen. Keine Träne hat sie vergossen bei all dem...” Manninga fragte nach, was das denn wieder heißen solle, was er ihr angetan habe und nahm eine drohende Haltung ein, obwohl er diesem mächtigen Kerl bei einem Handgemenge zweifellos körperlich unterlegen gewesen wäre.
„Angetan! Ich vergreife mich nicht an einer wehrlosen Frau, niemals! Nein, ich... habe ihr Leben gerettet”, erwiderte Menno Tammena langsam, jedes Wort auskostend.
‚Leben gerettet’, sagte er und Lütet Manninga schaute sein Gegenüber mit gemischten Gefühlen an. Einerseits froh, das Mädchen lebend und unverletzt zu wissen, das heißt, wenn man einem Erpresser Glauben schenken durfte; andererseits aber musste er zähneknirschend feststellen, dass Menno zumindest erst einmal unangreifbar schien und ihn in der Hand hatte. Mit einladender Handbewegung bot er seinem merkwürdigen Besucher an, Platz zu nehmen. Nein, das wollte Menno nicht, befand er sich doch in der Höhle des Löwen. Das ließ sich nicht übersehen, prangte doch das Manninga’sche Wappentier in Stein gehauen über dem prachtvollen Kamin. Ein Wink von Lütet Manninga und Mennos Leben war unter Umständen keinen grünen Hering wert. Ob ihm da sein kostbares Pfand weiterhelfen konnte? Kaum. Der Häuptling verfügte zweifellos über Mittel und Wege, selbst einen Stein zum Sprechen zu bringen. So zog Menno Tammena es vor, sich stehend ins rechte Licht zu setzen und von seiner Rettungsaktion zu berichten. Natürlich ließ er nicht aus, dass er den Deichschulzen aus dem Wasser gezogen hatte. Über alles aber lobte er Adda, total begeistert von Mut und Ausdauer und die Art, klaglos das Unvermeidbare zu ertragen. Nur eines verschwieg er, nämlich wo er sie jetzt verborgen hielt.
„Gut, Menno Tammena, ich werde deinen Fall den Geschworenen vortragen.”
„Den Geschworenen? Welchen? Denen, die ertrunken sind? Oder denen, die vor Hunger nicht in den Schlaf finden? Das bringt nichts! Ich bin unschuldig! Verstehst du das nicht, Häuptling?”
„Wer’s glaubt, wird selig”, höhnte Lütet Manninga, „wer backt, wird mehlig.”
„Du willst mir nicht glauben? Ich sage dir: ich habe nur die dämliche Lampe gehalten und den Weg gezeigt, nichts weiter! Den Itzinga habe ich nicht angefasst! Ich schwör’s! Auf die Bibel schwöre ich’s! Gib mir eine Bibel, damit ich schwören kann!” Erregt hob Menno die Schwurhand.
„Vor Gericht hättest du schwören sollen.”
„Vor Gericht? Das ich nicht lache! Feuerproben und dergleichen Folter können weder Schuld noch Unschuld beweisen. Glaubst du, ich wüsste nicht, wie so was vor sich geht, wenn ein Sündenbock von Nöten ist? Glaubst du, ich wüsste nicht, wie solche ‚Proben’ vonstatten gehen, wie solche Urteile zustande kommen?” Voller Bitterkeit stieß er das hervor.
„Du setzt wenig Vertrauen in unsere Gerichtsbarkeit, Menno. Wenn du so unschuldig bist, wie du vorgibst, warum bist du dann nicht zur Verhandlung erschienen?”
„Das sagte ich eben. Ich hielt es für klüger, mein Schicksal nicht abzuwarten wie ein Opferlamm.”
„Du meintest wohl, dich damit der Strafe entziehen zu können, Kerl? Des Mordes bist du angeklagt gewesen. Mit diesem Ausgang musstest du rechnen. Wärst du bei Gericht erschienen, dann...”
„...wäre ich jetzt tot und hätte dein Täubchen nicht vor dem ‚Blanken Hans’ retten können”, vollendete Menno den Satz. „Der Keddar hat es gewöhnlich sehr eilig, ein Urteil zu vollstrecken. Djudelt Itzinga, die in Wirklichkeit gar nichts sehen konnte, hätte mich an den Galgen gebracht. Und die Aussage von Adda tom Brook, die ebenso wenig sehen konnte, weil’s nämlich stockdunkel war, hätte mich aufs Rad geflochten. Nein, nein, ich hätte tausend Eide schwören und ebenso viele Eideshelfer bringen können, ohne meinen Kopf zu retten!”
Unruhig flackerten die Wachskerzen unter Mennos heftigen Atemstößen. Ihr Schein tanzte geisterhaft über die bleichen Männergesichter.
„Nun denn, du magst Recht haben oder auch nicht. Ich werde also deinen Fall nochmals gnädig prüfen lassen, Menno.”
„Häuptling! Ihr seid ein mächtiger Mann und reich dazu, wenngleich deine Burg in Westeel abgesoffen ist. Immer noch seid Ihr im Besitz großer Güter und Liegenschaften. Ich denke da zum Beispiel an dieses stolze Steinhaus hier und an die beiden Burgstellen Hamswehrum und Moordeich bei Norden. Dann gibt es noch zwei bei Osteel. Richtig? Gut, selbst wenn Eure Burgen zu Alhusen und Westeel nun abgesoffen sind, so seid Ihr doch immer noch ein unermesslich reicher Mann, gemessen an meinem jämmerlichen Besitz. - Aber niemand weiß das besser als Ihr, Manninga, wo ihr es doch gewesen seid, der mein Schiff und meinen gesamten Besitz eingezogen hat. Jetzt allerdings wäre ohnehin alles futsch. Wer weiß? Vielleicht verhungert das kleine Vögelchen inzwischen, das mir zugeflogen ist?”
„Was verlangst du, Menno, ein Scheffel Gold?”
„Nicht schlecht, warum nicht? Sagen wir... als Belohnung für meine wahrhaft ritterliche Tat oder besser... als Entschädigung für die hohen Kosten, die mir entstanden sind. - Ich verlange, dass das Urteil für nichtig erklärt wird. Öffentlich, an jedem Platz, an jeder Kirche soll das verkündet werden, Häuptling! Keine Einwände! Es ist nicht schwer, meine bescheidenen Forderungen zu erfüllen. In dieser Zeit, wo das halbe Land überschwemmt ist und die Menschen sich nur um sich selbst kümmern, fällt es niemandem auf, wenn du eigenmächtig handelst.”
„Ha, wie der kleine Jan sich das vorstellt! Du machst mir Spaß, Freundchen. Für mich allerdings liegen die Dinge anders. Gesetzt den Fall, ich hebe das Urteil tatsächlich auf, dann würde das bedeuten, dass ich wissentlich ein falsches Urteil gefällt habe. Weißt du nicht, was mir da droht? Sicher weißt du das, Menno. Ich sehe es in deinen Augen, dass du es weißt. Darauf steht die Amtsenthebung mit Schimpf und Schande! Darauf steht das Abbrennen meines Hauses! Darauf steht hohe Geldstrafe! Und das alles soll ich auf mich nehmen? Für dich? Für einen Mörder?”
„Ich bin kein Mörder, verdammt!” zischte Menno wütend.
„Das sagen alle“, grinste Manninga verächtlich.
„Aber ich, ich bin wirklich kein Mörder. Gerade das habe ich dir klar zu machen versucht! Bist du denn begriffsstutzig? Und welches deiner vielen Häuser sollte man abbrennen? Das Gesetz sagt nicht, dass alle Häuser des Richters in Schutt und Asche gelegt werden sollen, wenn er falsch geurteilt hat. In Frage kommt doch nur deine Burg in Westeel. Und von der dürfte ohnehin nichts übrig sein zum Abbrennen. Ich aber bin ein aufrechter Mann, und noch dazu ein Fahrensmann. Und ich brauche mein Schiff wieder! Was soll ich tun an Land? Meine Heimat ist die weite See und da will ich wieder hin. Gebt mir mein Schiff oder ein anderes dafür und Ihr seht mich nie wieder!”
Manninga sog scharf die Luft ein, blickte sein Gegenüber zweifelnd an. Er könnte diesen Mann gefangen nehmen und mit Gewalt Addas Aufenthaltsort aus ihm herauspressen. An Möglichkeiten fehlte es ihm nicht. Aber sicherlich hatte er Handlanger - wie alle Verbrecher, die Adda in dem Falle vielleicht töten würden. Zu groß die Gefahr. Das Beste wohl, auf die Forderungen einzugehen und sei es auch nur zum Schein. - Schwerfällig stand Lütet Manninga auf, um Schreibzeug zu holen.
„Keine Dummheiten, Häuptling. Ich bin nicht allein...”
„Nein, nein, ich sehe schon, mir bleibt wohl keine andere Wahl als gute Miene zum bösen Spiel zu machen”, brummte der missmutig und setzte sich an den Tisch. „Ich will das Mädel zurückhaben und zwar möglichst rasch und unversehrt. Ich stelle dir hier also einen Brief aus, der dich für unschuldig erklärt und unter meinen persönlichen Schutz stellt. Herolde sende ich morgen aus, ebenso wie ich dir morgen das Geld geben werde, damit du dir ein Schiff kaufen kannst. Zug um Zug - Geld gegen Adda tom Brook.” Eilig flog seine Hand über das Pergament, die Feder kratzte kaum leserliche Worte darauf. Aufmerksam verfolgten Mennos Augen das Geschreibsel, vortäuschend, des Lesens kundig zu sein.
„So, das dürfte ausreichen.” Lütet Manninga streute feinen Sand darauf, hob das Schriftstück auf Kinnhöhe, blies den Sand fort. Der sollte eigentlich Mennos Gesicht und vor allen Dingen dessen Augen treffen. Das gelang Lütet aber nicht, weil sein Gegenüber sich vorsichtshalber abwandte. Sorgsam rollte der Häuptling nun das Schriftstück auf, reichte es Menno über den Tisch, der es sichtlich erleichtert unter seinem Mantel verschwinden ließ. - Nun blieben nur noch die Auslösesumme und der Übergabeort zu klären. Nach einer Weile des Feilschens einigten sich die beiden Männer schließlich auf die Summe sowie Tag, Stunde und Treffpunkt. Am Ende des Ortes Norden, dem Fräuleinshof, wo das frühere Münzgebäude anno Domini 1264 in das Dominikaner-Kloster integriert worden war, sollte die Übergabe stattfinden. - Überzeugt von der Richtigkeit ihres Handelns, trennten sich die beiden Männer. Lütet Manninga, weil er Adda tom Brook damit nicht unnötig gefährdete und hoffentlich bald in seine Arme schließen würde, wobei er sich gleichwohl den Weg des Strafvollzugs offengehalten hatte. - Menno Tammena aber freute sich, weil er nach einem schrecklichen Jahr der Friedlosigkeit diesen Brief in seiner Tasche fühlte. Nun würde er bald wieder frei atmen können!
Dicke Schneeflocken rieselten zur Erde, als Menno Tammena das Steinhaus verließ. Während er mit dem Häuptling verhandelt hatte, war es richtig Winter geworden. Ein weiches Schneetuch erhellte die Nacht. Irgendwo klagte hohl ein Kauz, bellte ein Füchslein, heulten Wölfe. Der Schneeteppich dämpfte Mennos Schritt, verwischte rasch die Spuren seiner klobigen Holzschuhe. Bald verschwand seine Silhouette hinter einem dichten Vorhang weißer Flocken. Lütet Manninga öffnete das Fenster. Der nächtliche Frosthauch ließ ihn erschauern.