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3. Forschungsfeld visuelle Kultur
ОглавлениеDie Bildwissenschaft hat mit dem Bild ein Betätigungsfeld, das sie mit einzelnen Disziplinen und Praktiken von der Kunstgeschichte bis zur Computervisualistik teilt, und zu denen sie quer liegt. Für sie ist die Frage nach den Bildern in der visuellen Kultur entscheidend.
Kunstgeschichte
Dabei sind Bilder alles andere als ein neuer Gegenstand wissenschaftlichen Interesses. Die längste Tradition im oben vorgetragenen Verständnis von wissenschaftsförmiger Neugier auf das Bild hat wohl die deutschsprachige Kunstgeschichte, die, wie auch die anderen sog. Geisteswissenschaften, im 19. Jahrhundert als moderne Wissenschaft entstanden ist und als akademische Disziplin damals für einige Zeit zum internationalen Maßstab des Faches wurde. Ihre Wurzeln reichen jedoch bis in die Kunsthistoriografie der Antike zurück, die über die nachantiken Jahrhunderte hinweg bis in die Moderne im Kunsturteil von Gebildeten als Referenz für die Produktion und Bewertung von Artefakten diente. Spätestens seit Beginn des 15. Jahrhunderts wurde in Italien, vor allem in Florenz, der produktive Wettstreit mit den antiken Vorbildern gesucht. Die daraus erwachsende „selbstbewusste“ Kunst (Stoichita 1998), die sich zunehmend aus handwerklichen Kontexten emanzipierte und ihre medialen Möglichkeiten der Bildschöpfung reflektierte (Kruse 2003; vgl. dazu auch Kap. VI.1 Michelangelos David), führte zur Formierung eines Systems von Geschichtsschreibung, Wahrnehmungsdisposition und Urteilsbildung. Dieses System mit all seinen ideologischen Implikationen lieferte die Grundlage moderner Kunstgeschichtspraxis und bedingte auch die Ausbildung unterschiedlicher Schulen: eine Fokussierung auf die formale Gestaltungsweise eines Artefaktes als Sprache eines Kunstwerkes, auf die Biografie des Produzenten als Ausdruck des Außergewöhnlichen und auf die Kontexte, die diese Besonderheit ermöglichten. Mit Rhetorik, Ästhetik und nicht zuletzt der Geschichtswissenschaft machte die Kunstgeschichte zudem Anleihen bei anderen Feldern der Wissenstradition.
Der Gegenstandsbereich des Faches und damit der Kanon, an dem die Analysepraxis geschärft wurde, war so auch von einer ganzen Reihe von Ausschlüssen gekennzeichnet, die spätestens mit den grundlegenden wissenschaftskritischen Debatten seit den 1960er Jahren fachintern immer wieder problematisiert werden: Da ist zunächst der Kunstbegriff selbst, dessen eigene Historizität lange Zeit zu wenig berücksichtigt wurde und der mit der problematischen und häufig unhinterfragten Kategorie der Qualität zur Herausstellung der Elitenkultur aus dem umfassenderen Feld der visuellen Kulturen geführt hatte. Damit verbunden war die bis heute zu beobachtende Marginalisierung von Forschungen zur Institutionengeschichte – sei es zur künstlerischen Ausbildung, dem Mäzenatentum, der Sammlungs- oder der Wissenschaftsgeschichte, die aufgrund ihrer öffentlich wirksamen Ordnungen auch den Stellenwert der Bilder, die als Kunst bezeichnet wurden und werden, im Gesamtsystem gesellschaftlichen Selbstverständnisses zu verorten helfen. Und da ist der Künstler, dessen Charakteristik als männlich, weiß und christlich lange Zeit nicht nur unhinterfragt blieb, sondern dessen exzentrischer Position als genialer Schöpfer in einer christlich-fundierten Gesellschaftsordnung sich manche Kunsthistoriker eher epigonal anzunähern such(t)en, statt die Funktion dieser Sonderstellung zu analysieren. Kunstgeschichte selbst ist, nicht nur was ihre langlebige Blindheit für die Rolle von Frauen in der Kulturgeschichte betrifft, zudem keineswegs universell. Trotz der starken Verbundenheit mit der Antike beginnt ihr Gegenstandsbereich erst mit der christlichen Zeit und ist traditionsbedingt zudem im eigentlichen Sinne europäische bzw. eurozentrische Kunstgeschichte, was an einigen Orten heutzutage durch eine entsprechende Nomenklatur – Europäische, Ostasiatische etc. Kunstgeschichte – auch deutlich gemacht wird. Nicht zuletzt die Reflexion dieser Defizite hat dazu geführt, dass Kunsthistoriker neben ihrem analytischen Instrumentarium (vgl. Kap. III) wichtige und wertvolle Kenntnisse über Bildformen und deren Geschichte sowie zur Medien- und Materialgeschichte von Bildern und deren Gebrauch in das Projekt Bildwissenschaft einbringen (vgl. etwa das Jahrbuch Bildwelten des Wissens 2003ff.). Auch im Ausstellungsbetrieb finden sich derartige Kooperationen unter maßgeblicher Beteiligung der Kunstgeschichte.
Körper
Für die Bildwissenschaft kommt Konzepten des Körpers eine konstitutive Rolle zu. Eine ihrer Grundlegungen, vorgetragen als „Bild-Anthropologie“ (Belting 2001), macht den menschlichen Körper zum zentralen Bezugspunkt und Maß von Bildwahrnehmung und -vorstellung. Körper erscheinen in dieser Perspektive nicht nur als Gegenstand bildlicher Gestaltung oder selbst als Bild-Träger, etwa bei tätowierter Haut. Körper werden hier auch als Schnittstelle zwischen optischer Weltwahrnehmung und bildlicher Expression der Psyche gedacht, die als mentale Imaginationen existieren. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts hatte der Hamburger Privatgelehrte Aby Warburg mit Blick auf körpersprachliche Figurationen in der Renaissancemalerei, die antike Formen paraphrasieren, erkannt, dass Bildern zeitüberdauernde körperbezogene Erinnerungsfunktionen inhärent sind (Warburg 1998f.). Für die Bildwissenschaft ist diese These bei der Suche nach überzeitlichen Faktoren von Bildlichkeit von großem Interesse, denn „das Gedächtnis kümmert sich in seinem erinnernden Vermögen weder um Bildträger noch Hierarchien, weder um Gattungen noch Anlässe. Es registriert die Vergleichbarkeit der Formen und die Energien der ausgelösten Erregungen“ (Bredekamp 2007a, 179).
Vom Körper nehmen aber auch weniger an anthropologischen Konstanten interessierte als diskursgeschichtliche Ansätze ihren Ausgang. Ihnen gelingt es, „visualisierte Körperkonzepte“ (Lange 2007) neben der bildenden Kunst auch in Theater und Tanz, in den elektronischen Medien sowie in kunst- und kulturwissenschaftlichen Modellvorstellungen zu rekonstruieren. Daran schließen Fragen nach dem bewegten Körper in der Inszenierung und dem inszenierten Körper an, wie sie die Performanz-Forschung stellt (Fischer-Lichte 2004), wie sie aber auch in grundsätzlichen Überlegungen zur Wahrnehmung als körperlichem Akt vorkommen (Krämer 2004).
Medien
Neben der Kunstgeschichte gibt es nur eine neuere Disziplin, die den Bildern in einem elaborierten System von Theorien und Wissen einen genauen Platz anweisen kann. Das ist die Medienwissenschaft, die sich vornehmlich der Bilder in den Massenmedien moderner westlicher Gesellschaften angenommen hat. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren vor allem seitens der Praktiker eine Medien- und Bildkompetenz eingefordert und dabei auch entsprechende theoretische Überlegungen angestellt worden. Ihre Schriften erweisen sich immer noch von erstaunlicher Aktualität (vgl. etwa Moholy-Nagy 1986 [1936]). Heute verfügt die Medienwissenschaft über eine starke sozialwissenschaftliche Seite, auf der quantifizierende Forschung wie etwa zur Mediennutzung betrieben wird und die Bilder gezählt und gemessen werden. Daneben existiert ein ausgeprägt technik-orientierter Zweig, der die Aufzeichnungs-, Übertragungs- und Wiedergabesysteme als Apriori der Kommunikation ohne Ansehung der Inhalte erforscht (vgl. Kittler 2002). Medien „greifen also auf Daten, Welt oder Wissen in einer Weise zu, die in älterer Terminologie als Repräsentation oder Mimesis, in neuerer Terminologie und unter der Voraussetzung einer allgegenwärtigen Virtualisierung als Simulation verhandelt wird“ (Rieger 2001, 72). Solche ,harten‘ Perspektiven auf Medien stellen Grundbegriffe von Kunstgeschichte und Philosophie wie den Menschen als handelndes Subjekt seiner Geschichte in Frage und werden darum von der Bildwissenschaft gegenwärtig eher gemieden. Wenn Klaus Sachs-Hombach von philosophischer Seite den Versuch unternimmt, Bilder als kommunikative Medien zu beschreiben (Sachs-Hombach 2003), dann ist er ganz traditionell an einer vollständigen Auslegung des Bildes als „wahrnehmungsnahes Zeichen“ interessiert, also an den Funktionen der Referenz auf Realität und Wahrnehmung, des Bedeutungsaufbaus und der pragmatischen Nutzungssituation. Begriffe wie Medium und Körper werden in allen diesen Ansätzen ebenso wenig eindeutig verwendet wie der Bildbegriff selbst und sind deshalb nicht in der Lage, als stabiles Fundament einer Bildwissenschaft zu dienen.
Phänomene und Zeichen
Ohne Zweifel sind Bild und Sprache nicht identisch. Zu ein und demselben sprachlich formulierten Sachverhalt, etwa einem Bibeltext, kann es ganz unterschiedliche Illustrationen geben, wie umgekehrt ein Bild zu Texten unterschiedlicher Inhalte und Gattungen anregen kann. Allerdings ist strittig, ob diese Differenzen so essentiell sind, dass sie einander ausschließende Wahrnehmungen bedingen, bei denen das Bild als Phänomen unmittelbar wirkt, während die Sprache immer schon codiert ist. An dem einen Ende des Spektrums der Meinungen, für das in der Bildwissenschaft vor allem die Phänomenologie und hier vornehmlich die Schriften von Maurice Merleau-Ponty geltend gemacht werden, wird das Bild, und zwar nahezu ausschließlich das Kunstwerk, als eigenmächtiges Objekt in seiner affektiven Erscheinung betrachtet. Hier steht die Auseinandersetzung mit Wahrnehmung im Vordergrund. Naheliegenderweise wird diese Position vor allem von Wissenschaftlern vertreten, die mit einem kunsthistorischen und/oder philosophischen Hintergrund argumentieren (z. B. Boehm 1994b oder Wiesing 2005). Von Anderen, am anderen Ende des Spektrums, werden mit strukturanalytischer Perspektive Bilder als Ansammlung wiederkehrender, differenter Zeichen gelesen und mit Walter Benjamin die Notwendigkeit vertreten, z. B. „der Malerei eine vernünftige Kommunikation mit dem gesprochenen und geschriebenen Wort zurückzugewinnen“ (Benjamin 1974 [1936]b, 497). Solcherart ist etwa das Konzept des „Iconotextes“ (Wagner 1996) motiviert, das von einer grundsätzlichen Verflechtung von Bilddenken und Textwahrnehmung ausgeht.
Die Bildwissenschaft geht jedoch über diese Kontroverse um die imaginative Dimension, die Sprache und Bild zusammenführt, hinaus und zielt ganz konkret auch auf die Bildqualitäten der Notationssysteme. Insbesondere die Sprach- und Textwissenschaften haben lange Zeit die erstaunliche Vielfalt der Grapheme ihrer Schriften ignoriert. Doch in den konkreten Anweisungen zur Textproduktion in poetologischen Texturmetaphern (Greber 2002) ist die Sichtbarkeit von Texten längst bedacht. Wie die Notationssysteme von Musik und Körperbewegungen im Raum sind sie in der Bildwissenschaft ein Thema (Elkins 1999).
Wenn immer wieder die Verbindung von Bild und Zeichen bezweifelt wird, so liegt dies nicht zuletzt an der hegemonialen Geste der Zeichen- und Textwissenschaften, die versucht haben, die ganze „Kultur als Text“ (Bachmann-Medick 1996) zu lesen und damit kognitiv und logozentrisch zu erschließen. Die Semiotik ist jedoch selbst ein uneinheitliches Unternehmen, das zum einen nicht im Sinne eines linguistic turn alle Kulturäußerungen in Analogie zu den natürlichen Sprachen beschreibt, das zum anderen sich dem Bild nicht nur abstrakt-systematisch (Sonesson 1989), sondern oft ganz konkret (z. B. Marin 2005) nähert, um die Anteile der Zeichenprozesse in der Kunst (Bal/Bryson 1991; Calabrese 2003) und am Bild (Scholz 2004) zu beschreiben. Bildwissenschaftlich brauchbar sind semiotische Werkzeuge dann, wenn sie visuelle Artefakte auch jenseits einer Sinnstiftung durch Begriffe und einer Reduktion zum Kommunikationsmittel zu analysieren erlauben. Willkommen sind sie, wenn sie „sowohl die Kommunikationsfixierung als auch die Kunstfixierung der Bildwissenschaft überwinden helfen“ (Posner 2003, 18; vgl. Kap. V.1).
Neurowissenschaften
Neben Kunstgeschichte und Medienwissenschaft bemüht sich die Bildwissenschaft mit der Neurologie um eine dritte Säule, mit der ein ganz anderer Zugriff auf das Bild eingebracht wird. Die Gehirnforschung gibt Auskunft über das neuronale Geschehen optischer Wahrnehmung. Wenngleich die Messgeräte und die Bilder, die aus diesen Messungen entstehen, dem kulturellen Wandel unterworfen sind (Hagner 1997) und eine große Nähe zu anderen Bildformen ihrer Zeit zeigen, werden hier Erklärungen zur mentalen Bildproduktion erarbeitet, die bei aller Verankerung in kulturell geprägten Wissenssystemen (Daston/Galison 2007) dennoch Aufschlüsse über kulturübergreifende, biologische Dimensionen der Bilddefinition liefern. Konnte der Physiologe Hermann von Helmholtz im 19. Jahrhundert seine Forschungsergebnisse noch Kunst- und Kulturwissenschaftlern vorstellen und umgekehrt sich aus dem Kunstbetrieb Anregungen holen, hat die Spezialisierung in den Wissenschaften dazu geführt, dass heute die Verständigung zwischen den drei Säulen, will man nicht simple Kausalabhängigkeiten konstruieren, nur noch sehr schwer möglich ist. Mit der Bildwissenschaft als einer gemeinsamen Ebene, die mit Empirie, Kulturgeschichte und Ideologiekritik auch die historische Bildkritik verbinden kann, eröffnen sich hier Chancen einer für alle Seiten fruchtbaren Annäherung, die jenseits der disziplinspezifischen Forschungsinteressen liegen und mit Bildern und der Wahrnehmung ein gemeinsames Thema haben.
Betrachterinnen und Betrachter
Obwohl also Bildwissenschaft ihren Gegenstand mit anderen Disziplinen teilt, sind die Bilder doch ihr genuiner Gegenstand. Somit interessiert sie sich für die Besonderheit, die Bilder von allen anderen Gegenständen unterscheidet. Zentral für ihre Untersuchungen ist dabei die Frage geworden, wie durch Bildwahrnehmung und deren Bedingungen eine visuelle Sinnstiftung stattfindet (Boehm 2007). Da auch die Bildwissenschaft auf die natürlichen Sprachen als ihr Kommunikationsmittel angewiesen bleibt, hat sie das Paradox zu meistern, die Besonderheit ihres Gegenstandes sprachlich darstellen zu müssen, obwohl diese gerade in der Differenz zur Verbalsprache gründet. Eine Lösung besteht darin, dasjenige am Bild, was sich einer intermedialen Übersetzung – etwa in die Verbalsprache – als unübertragbar erweist, auf einer Metaebene zu beschreiben (Emden/Rippl 2005). Das kann über die Konstruktion eines (historischen) Betrachters in der Situation „vor einem Bild“ (Didi-Huberman 2000) versucht werden. Wie allgemein verständlich sind/waren Form und Gestaltung, wie beschaffen der Ort der Präsentation, wie seine Zugänglichkeit, die Wahrnehmbarkeit und deren Stellung im Affekthaushalt? Ist die Wahrnehmung von Frauen und Männern, die innerhalb der sozialen Ordnungen keine identischen Positionen einnahmen, gleichzusetzen oder zu differenzieren? Was kann als zeitübergreifende Disposition gelten, was ist kulturell fundiert? Die Systemtheorie hat den Einwand der Uneinsehbarkeit des psychischen Systems und der Unsichtbarkeit emotionaler Vorgänge vorgebracht (Luhmann 1997, 82). Wahrnehmbar wird erst eine Anschlusskommunikation, die immer, gerade wenn man auf Schriftquellen zurückgreift, Regeln folgt und quellenkritisch analysiert werden muss. Von daher werden weitere Fragen angestoßen, etwa nach dem Bildgebrauch als Selbstverständnis, als Konsum und Nachfrage oder als Investition in soziale Distinktion (Bourdieu 1982) genauso wie nach der Rolle von optischen Instrumenten wie Mikroskop, Teleskop oder Camera obscura, von bilderzeugenden und bildgebenden Geräten wie Laterna Magica, Panorama, Stereoskop, Fotoapparat, Filmkamera und -projektor, Computer. Letztlich stellt sich bei einer Analyse immer auch die Frage, inwiefern die Medialität und Materialität des Bildes die Imagination der Betrachter produktiv anregt (Mersch 2002) oder ob im Sinne einer geschlossenen Kommunikation das Bild nur als ein bereits festgelegtes Zeichen fungiert.