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II. Out of Control

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Im Jahre 1996 erschien eine Vorlesungsreihe der linksliberalen amerikanischen Ökonomin Saskia Sassen unter dem Titel: „Losing Control?“ Der Untertitel „Sovereignity in an Age of Globalization“ verrät ihren Ausgangspunkt. Es hat einmal eine traditionelle Souveränität der Nationalstaaten gegeben, aber es gibt keine mehr. „State sovereignity, nation-based citizenship, the institutional apparatus in charge of regulating the economy, such as central banks and monetary policies – all of these institutions are being destabilized and even transformed as a result of globalization and the new technologies.“12 Sassen fragt, was aus diesen Insignien des Staates geworden sei, aus seiner Souveränität, aus der territorialen Exklusivität, aus der Staatsbürgerschaft seiner Bürger. Sie antwortet, dass große Teile der Souveränität auf supranationale Organisationen wie GATT oder WTO übergegangen sind, und dass mit der Globalisierung der Kapitalmärkte eine „economic citizenship“ entstanden sei. Eine profitorientierte Gesellschaft von globalen Spielern,13 deren neue Finanzinstrumente für den Fluss der globalen Kapitalströme die Kontrolle der Zentralbanken für die Geldmengenregulierung und die Investitionsanreize unterhöhlt haben.14 Fast scheint es so, als stünden wir wieder vor der Ausgangsfrage des John Maynard Keynes, nur unter verschärften Bedingungen. Wenn die globalen Finanzmärkte höhere Profite erbringen als Investitionen in die Produktion, dann wird die Entwicklung eines Landes das Nebenprodukt „of the activities of a casino“.15 Losing control?

Welche Kontrolle? Hatte sie jemals bestanden? Es gibt in Hegels Rechtsphilosophie den berühmten Übergang vom Staat in die Weltgeschichte. In 339 Paragraphen hatte der Meister das Kunstwerk seines idealen Staates mit Fleiß aufgebaut und das System der „substanziellen Sittlichkeit“ entfaltet, in dem die partiellen Interessen des Bürgers mit dem Allgemeinen in Übereinstimmung gebracht werden sollen. Und nun, im § 340, wird all das wortwörtlich aufs Spiel gesetzt – „ein Spiel, worin das sittliche Ganze selbst, die Selbständigkeit des Staates, der Zufälligkeit ausgesetzt wird.“ Nur der Trost, dass auch in diesem Spiel noch „Geist“ sei, kann Hegel sagen lassen, das Recht dieses Weltgeistes sei das höchste und die Weltgeschichte sei das Weltgerichte.16 Schon Marx hatte erkannt, dass dieser Weltgeist in Wahrheit der Weltmarkt ist.17 Auf Hegels Trost wird man daher verzichten müssen, wenn das Spielcasino mit Aktien und Derivaten sich als Weltgericht etabliert hat. Zugleich wird deutlich, dass das Bewusstsein, einem nicht kontrollierbaren Prozess unterworfen zu sein, sehr viel älter ist, als das Abschätzen der Folgen der Globalisierung. Grundlage bleibt die Nicht-Verfügbarkeit der Geschichte, und diese Einsicht ist in den Theorien der klassischen deutschen Geschichtsphilosophie von Kant bis Hegel in einer Prägnanz ausgedrückt, die manches gegenwärtige Verwundern über den Verlust der „Kontrolle“ obsolet erscheinen lässt. Die Geschichte im Zeitalter des Kapitalismus war nie unter Kontrolle der Menschen, darum ist ein Verlust nicht zu beklagen. Aus der Frage „Losing Control?“ wird dann die konstatierende Aussage „Out of Control“.

In Frage steht, was aus dieser nicht-kontrollierbaren Geschichte werden kann. Darauf weiß dieser Sammelband keine Antwort zu geben; er möchte nur einstimmen in eine Denkhaltung, mit diesem Prozess zu leben, sich an die Beleidigung des homo faber zu gewöhnen, dass er seines eigenen historischen Werdens nicht Herr ist. Nur eines kann nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts gesagt werden: Die Versuche, die Geschichte unter Kontrolle zu bringen, waren immer noch schlimmer als der unkontrollierbare Prozess selbst. Es geht offenbar darum, ein Denken zu entwickeln, das sich von Kontroll- und Machbarkeitsvisionen verabschiedet und es lernt, kleine Korrekturen an der Richtung des Geschehens vorzunehmen, sozusagen Reparaturen bei laufendem Motor.18

Out of Control

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