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Orgasmus technicus

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Es wird nicht gerne gesehen, wenn man die Abende alleine in seinem Zimmer verbringt, deshalb gibt es auf jeder zweiten Etage - eine Station umfasst immer zwei Etagen - eine Gemeinschaftsküche mit passabler Ausstattung und großem Esstisch. Die wird allerdings wegen der Möglichkeit, im zentralen Speisesaal auf Gesellschaftskosten zu essen, kaum genutzt. Dafür gibt es in der jeweils anderen Etage ein Wohnzimmer mit einem großen Fernseher, was das urmenschliche Bedürfnis nach familiärer Gemeinschaft nicht nur befriedigt, ersatzbefriedigt, sondern - als Teil eines übergeordneten Social-Engineering-Programms - regelrecht eingefordert. Was sich zum Beispiel darin äußert, dass man sich einigen muss, was gesehen wird. Zum Beispiel eine Casting-Show auf einem Privatsender oder - mein Favorit - die TV-Premiere von 'Transcendence' mit Johnny Depp. Andere Wünsche geraten alsbald ins Hintertreffen, am Ende zwei Fraktionen und dann das Unmögliche:

Du weißt plötzlich gar nicht mehr, was du wirklich sehen willst: die cineastische Übertreibung deiner eigenen Geschichte? Eurer aller Geschichte? Aber deiner ganz besonders? Die Bewusstseinsübertragung ins Externe, sprich in ein eigens dafür entwickeltes Computersystem? Ein Science-­Fiction-Motiv, das von der Wirklichkeit mittlerweile eingeholt worden ist, oder aber singende Kinder, die die Vergleiche deiner selbst mit Computerchimären aus 'Transcendence' vergessen lassen (ich hätte ohnehin nicht die Möglichkeit, die Welt zu vernichten, schade eigentlich)? Und obwohl du dir sicher bist, dass du den Thriller sehen willst, ich, Thomas, hasse Castingshows, obwohl also in deinem Kopf alles klar ist und du genau weißt, wofür du stimmen wirst, willst oder sollst, geschieht etwas Bizarres, beinahe Dämonisches: Im Moment der Abstimmung für die Castingshow erhebt sich plötzlich deine Hand in die Höhe. Nicht direkt gegen deinen Willen, du könntest nicht sagen, dass da eine Kraft gegen deine anwirkt, dass überhaupt ein Kräftemessen stattfindet, du beobachtest vielmehr passiv, aber schlichtweg entsetzt, wie sich plötzlich der rechte Arm hebt, im wahrsten Sinne des Wortes wie von Geisterhand bewegt, es geschieht, aber was? WAS geschieht? Leon? Bist du's? Willst du diesen Mist sehen?

Ob am Ende ausschlaggebend oder nicht, nun schaust du eine Castingshow, aus Verdrossenheit schaust du mit, auch, weil du Thomas endlich über Bord werfen solltest, du schaust also zusammen mit den anderen diesen Mist, der einen BERÜHREN soll, ein werbefinanziertes Kindercasting, Kinder, die Popsongs nachsingen und Herzen bewegen; was für eine Scheiße, denkst du (denkt Thomas), mit der man da an die Glotze gezwungen wird, von wegen Scheiße, diese Herrschaften verstehen ihr Handwerk, sie spielen die Klaviatur menschlicher Gefühlsreflexe beängstigend perfekt, sie bedienen sich deiner Gefühle mit geradezu verbrecherischer Kaltblütigkeit, dass es an Gewalt grenzt, an psychische, wenn nicht physische Gewalt, der sprichwörtliche Druck auf die Tränendrüse, der geschieht hier nicht zufällig, sondern wird systematisch aufgebaut, erhöht, perfektioniert, eine Gewalt, der man sich nicht entziehen kann, nicht mal abwenden kann man sich, will man sich, nein, man starrt gebannt auf diese süßen Wesen, die so echt sind, so authentisch, wie sie die bekannten Lieder interpretieren, wie sie die Herzen der Jury bewegen, auch die Jury ist ganz und gar authentisch, und erst die Backstage wartende Familie (Familie! Familie!), alle, alle sind sie hingerissen von ihren kleinen Engeln, die so unverdorben singen und sind. Im Zuschauersaal Standing Ovations, und jeder kleine Star »einzigartig«, wie er »uns verzaubert«, und so schwer die Entscheidungen, wo doch alle, alle wie sie da ihre Leben in die Waagschale der Musik werfen, es verdient hätten, es verdient hätten, es verdient hätten. Das pausbäckige achtjährige Mädchen, das es auch wirklich drauf hat, der babyspeckige Puerto Ricaner, der mit einer sprachlichen Eloquenz Kurzanalysen über die emotionale Welt der Jurymitglieder verfasst, dass es auch den zugeknöpftesten Intellektuellen schmelzen lässt, und die frühpubertäre Wiedergeburt eines amerikanischen Blumenkindermädchens, das die Welt »wonderful« macht, nur Thomas hätte sich dem widersetzen können, nur Thomas.

Aber du bist nicht mehr nur Thomas, man hat dich hingerissen und plötzlich fließen dir Tränen hinunter, die von einer deinen Brustkorb umklammernden Berührtheit herkommen, welche so peinlich wie echt ist und zugleich manipuliert bis in die Haarspitzen, und obwohl du es weißt und du immer immer immer ein rationaler Beobachter gewesen bist, oder gerade deswegen schockiert dich dieser Leon mit seinen Tränen. Du weinst, weil der inszenierte Kitsch aus medialer Massenmusik, falschen Authentizitäten und - zwar eiskalt portionierten, jedoch brühwarm ausgegossenen - billigen Emotionen deine Nerven überfällt wie ein schutzloses Dorf. Sitzt da und es fließt aus deinen Augen wie Nasenbluten; unvermittelt, plötzlich und so ununterdrückbar, dass du dich dahin retten must, bei einem mittelmäßigen Witz der Moderatorin lauthals zu lachen, damit das Nasse in deinem Gesicht notfalls als Lachtränen durchgeht. Dabei ist dir angesichts dieser ungeheuren Unkontrollierbarkeit dessen, was da als Gefühlsausbruch daherkommt, gar nicht nach Humor, du fühlst dich tausendmal schlimmer als bei Psycho-Jan, als wäre dieses abendliche Gemeinschaftsfernsehen der lang ersehnte wie befürchtete Lebenswirklichkeitsernstfall nach den enervierenden Stuhlkreismanövern in deiner Therapiegruppe. Nur vage nimmst du hinter dem Tränenschleier wahr, dass dein Lachen auch für die anderen vollkommen deplatziert ist, verschwommen bemerkst du um dich herum eine gewisse Versteinerung, man beobachtet dich, entweder, oder man bemüht sich, dich zu ignorieren, schaut stur in die Mattscheibe, und allen gemeinsam ist ihr Fremdschämen. Versinke, Leon, versinke doch!

Aber Leon kann nicht versinken, er ist wie ein Stück aufgescheuchtes Freiwild, in seinem Kopf trete und schlage ich um mich, als fiele ein Schwarm hässlicher Insekten über mich her, als wäre ich mit ihm, Leon, in ein Ameisennest getreten, und die geflügelten fliegen auf und attackieren mein Gesicht, während die anderen von unten an mir hochkrabbeln und sich in meinem Unterkörper festsaugen, sie dringen in alle Ritzen des Gesteins, das ich bin, und brechen die Quellen auf, Insekten, die mich zucken und heulen machen, Gottlob hast du oben ein Einzelzimmer, in das du mehr flüchtest als dich verabschiedest, erst beim Aufstehen bemerkst du überhaupt, dass du schon wieder neben Legi gesessen hast, und dein letzter Blick fällt (schon wieder) auf ihr immer noch nacktes, rosig-weiches Kunstbein unter dem kurzen Rock. Aber du haust kopflos ab, und ob sie dir nachsieht, weißt du nicht.

Du läufst, aus Angst, im Aufzug jemandem zu begegnen, die Treppen hinauf, heulst Rotz und Wasser und schämst dich vor - dir selber? Weine nicht, du Ernst der Seele - muss es nicht Angst der Seele heißen? Wer hat das gesungen, gedichtet, 80er Jahre, zu früh für Leon, der war da noch ein Kind, aber du kommst auch nicht mehr drauf. Die Zimmertür wirfst du zu und dich mit dem Rücken von innen dagegen, als müsstest du einen Verfolger aussperren, als wäre dir der Insektenschwarm noch auf den Fersen, aber das Einzige, was dich verfolgt, steckt tief, tief in dir.

Trotzdem beruhigst du dich, fast schlagartig, fast so, als hättest du tatsächlich die künstliche Aufgewühltheit auf dem Flur gelassen, und hier drin, in deinem Zimmer, bist du wieder du selbst.

Was macht dieser Kerl mit mir? Als wolle da wer dir diesen Körper wieder wegnehmen. Das vermeintlich unbewohnte Haus war nicht unbewohnt gewesen, die Bude war bereits voll, als du darin Asyl bezogen hast. Immer öfter denkst du das, oder hast du deinen eigenen dir fremden Clan mitgebracht?

Hier leben noch andere, die sich versteckt haben, im Untergrund des Bewusstseins, jenseits des Bewusstseins, denn wenn Thomas seine eigenen Persönlichkeiten zählt, tauchen manchmal welche auf, die er nicht zuordnen kann. Die die meiste Zeit unsichtbar bleiben, jenseits dessen, was du für Thomas - will sagen: für dich - oder für authentisch hältst, aber nichtsdestotrotz ist der Fremde in dir immer da. Er oder mehrere seiner Sorte. Wie viele Persönlichkeiten besaß Leon? Wie viele haben seinen Hirntod überlebt?

Das Zimmer ist mehr Hotel als Klinik, das Bett so, dass man sich ohne baumelnde Beine draufsetzen kann, ich setze mich also, stütze die Ellenbogen auf die Knie und das Gesicht in meine Hände, ich rieche mich, ich spüre mich, ich werde mit mir warm, so langsam und allmählich - und jetzt das! Ich atme mir in die Hand, spüre meinen Atem, beruhige mich darüber, meinen Atem immer wieder einzusaugen, und die Tränen trocknen und hinterlassen einen Salzfilm auf der Haut. Auch das Herz entspannt sich, und vor meinem inneren Auge sehe ich das aufreizend künstliche Bein neben mir. Was mich grinsen lässt, ich muss darüber lachen, halblaut, aber wenigstens nicht gespielt. Ich lache über mich, über das Absurde dieses Lebens, auch über meine Einzigartigkeit, die es eigentlich nicht geben dürfte, gegen die es sicher tausendfache Absicherungen gibt, aber nun ist es eben doch geschehen. Oder ... wer weiß denn schon, ob die Foren, die du im Internet besucht hast, nicht manipuliert sind, ob die Wahrheit nicht sogar von gewissen Mächten unterdrückt wird, wer weiß wirklich, wie oft so ein Fehler schon passiert ist? Wie viele der vielen Reinkarnierten sind bereits in fremden Körpern erwacht? Wie viele haben sich damit bereits abfinden müssen? Isoliert voneinander, und wie viele hat man dann doch oder noch rechtzeitig entdeckt und ... und was eigentlich? Dein Magen macht eine Eigenbewegung, die dich würgen lässt. Was und wie oft ist das schon passiert? Und was ist dann passiert?! Vergiss es.

Vergiss es, Thomas.

Leon!

Ich werde Leon sein, auch wenn ich diesen Planeten sturmreif schießen muss!

Mit diesem Gedanken ziehe ich ihn aus. Entkleide Leon wie einen anderen, was widerstreitende zugleich homophobe wie homophile Gefühle auslöst, ein süßer Ekel vor mir selbst.

»Fick dich!«, sage ich laut zu dem Mann im Spiegel, ich betrachte seinen hässlichen Pimmel und ziehe ihn lang. »Fick dich! Fick dich, fick dich, fick dich!«

Zum Schlafen liege ich auf dem Rücken. Obwohl ich nie auf dem Rücken geschlafen habe. Vielleicht aber nun, weil die lange Zeit der körperlichen Genesung an Schläuchen, Kabeln und Luftröhrenkathedern und der stachelige Sondenhelm mich daran zwangsgewöhnt haben, vielleicht aber auch, weil Leon einst auf dem Rücken geschlafen hat. Vielleicht aber auch, weil du auf dem Rücken am unbeteiligtsten bist, was diesen Körper betrifft. Katholische Nachtruhe, Hände auf der Bettdecke usw., davon träumen, wieder Thomas zu sein und es sich manchmal zu wünschen und manchmal froh zu sein, dass du es nicht mehr bist.

Ich denke an Sex, oft, und wie sich Leon bei Sex anfühlt, und ob es so sein wird, wie Legi ihr Bein fühlt. Ich stelle mir das taub vor, oder aber überreizt, schlecht kalibriert jedenfalls, immer wenn ich meinen Schwanz in die Hand nehme, hat mein Schwanz es nicht bemerkt. Dabei ist Schwanz, wenn auch nicht wirklich meiner, wenigstens ein echter. Wie erst wäre Sex in einem komplett technischen Körper? Ich stelle mir Manni vor, bei seiner nächsten Reinkarnation, erwacht als Hirn in einem Roboter - nein, selbst das Gehirn müssten sie gegen ein künstliches austauschen, von Manni will nichts weiterleben als nur sein Geist. Den es angeblich nicht gibt ohne Körper, aber solange alles Erdenkliche ein Körper sein kann, auch eine Maschine also, solange ist das egal, es wird auch dann Mannis Geist sein, wenn demnächst ein Stahlskelett über die Station stakst. Und wie sähe dann sein Penis aus? Wie eine Waschbeckenarmatur? Ein gebogener verchromter Wasserhahn mit rot und blau punktierten Drehreglerhoden aus Plexiglas? Oder wie ein echter Dildo? Und: Kann man sich das aussuchen? Quasi als Entschädigung für alles Durchgemachte? Wie lang und wie dick, ob mit oder ohne zusätzlichen Außenbordmotor? Und welche vibrations- bzw. umdrehungstechnischen (oder klitorisstimulierenden) Zusatzfunktionen hat so ein Kunstschwanz (ich stelle mir kleine Jungs vor, die gegeneinander Dildoquartett spielen: »Sechszylinderwechselgetriebe!« - »Acht!« - »Acht sticht!«). Du gehst ganz auf in Metastasen-Manni im neuen Gewand, sprich neuen Körper, sprich Kunstkörper. Doch obwohl die ersten Kunstmenschen so echt aussehen dürften, dass sie von biologischen kaum zu unterscheiden sein werden, so wie Legis Naturbeinimitat ihr echtes an Echtheit gar aussticht, ist in deiner Einbildung der neue Körper von Manni ein reines Edelstahlgerippe; mit Kugellagern und Scharnieren, Gelenkkapseln aus Plastik und hier und da kragen Kopfmuttern hervor, ansonsten innen hohl bzw. leer. Man kann bis zur Wirbelsäule durchgucken, die natürlich auch aus Edelstahl ist, mit Kabeln, hydraulischen Ölschläuchen und Gasdruckfedern behangen. Und sein Gesicht aus, sagen wir Kunststoff? Oder ein Styroporkopf, warum nicht gleich?, und das Elektronengehirn dahinter stellt sich vor, Sex mit Legi zu haben, zum Beispiel. Wobei er bzw. du dir Legi ebenfalls als Roboter vorstellst, ihr heute präsentiertes hautfarbenes Elastomerbein verbleibt dabei als einzig natürlich anmutendes Organ, der Rest von ihr ist Stahl wie bei Manni. Das geht so weit, dass aus ihrer Beinprothese unterhalb ihres Rocksaums ein stählerner Oberschenkel­ersatzknochen herauskragt, ein dünnes verchromtes Rohr ohne Fleisch, das mit einem ebenso fleischlosen Hüftgelenkscharnier verbunden ist, am Ende einer Querstange, die ihr Becken sein soll, an jedem Rohrende ein Hüftgelenk und ihr anderes Bein ist reines Metall. Und von der Mitte des Querrohrs geht eine weitere Stange senkrecht nach oben, das ist ihre Wirbelsäulenprothese, und darunter? Du revidierst das Bild, die Wirbelsäule geht nicht senkrecht nach oben weg, sondern in einem etwas 45-Grad-Winkel nach hinten und biegt sich erst dann nach oben. Das Querrohr selbst ist etwa sechs, sieben Zentimeter dick, und da, wo sich bei Manni der Armaturendildo und bei echten Frauen echte (echte?) Geschlechtsorgane befinden, hat sie nur eine kleine, rote Plexiglasdiode, die man durch Eindrücken zum Leuchten bringen kann. Du folgst den mit jedem Knopfdruck ausgelösten elektrischen Signalen, die verkabelt zum Kopf hin führen und sich dort dank einer wie auch immer gearteten Transformation in Computersex umwandeln. Zeitweilig bist du mehr sie als er, statt Mannis erforschst du ihr Elektronengehirn, das einzig dazu da ist, künstliche Erotik zu erzeugen, sie wahrzunehmen und zu echter zu machen. Energiewolken, elektromagnetische Wellenberge und -Täler, Spannung, Volt, Ampere oder auch ein flirrender Schwarm aus synchronisierten Entladungen, anstelle von Synapsen feuern unzählbar viele Nanotransistoren ihre Elektronen ab, im Takt, wie ein napoleonisches Schützenbataillon, was Lust erzeugt oder Lust ist, es lässt sie stöhnen, und es klingt wie der Singsang eines Synthesizers. Meine Aufmerksamkeit wandert also dahin, wo dieses elektrische Stöhnen herkommt, wo ihr Gesicht sein muss, aber ich erkenne nur eine blecherne Lamellenfläche ohne menschliche Züge (wozu auch?), die mich wieder wegschauen machen, nicht ohne mit dem Blick an ihren Brüsten hängen zu bleiben, die jede für sich aus rosafarbenem Plastik sind, mit dem Detaillierungsgrad ungefähr einer Schaufensterpuppe, Plastikbrüste, die auf den nackten, aus dünnem gebogenen Messingblech bestehenden Ersatzrippen nur lose aufliegen und allein über eine Art Strapse am oberen Ansatz mit dem, was wohl ihr Schlüsselbein sein soll, verbunden sind. Würde Legi sich bewegen, würden die Brüste wahrscheinlich herunterbaumeln.

Doch Manni, the fucking robot, will nun zur Sache kommen, und darum erfindest du Schamlippen für sie (für ihn). Die sind aus Weichgummi undefinierbarer Farbe, du stellst dir Gummiwürmer vor, wie man sie als Scherzartikel bekommt, weich und knetbar, sie fühlen sich wider Willen gut an und in deiner Fantasie hat Manni schon angefangen, sie auf seine Art zu berühren, und nun fehlt nur noch etwas zum koitalen Hineinkommen in diese Frau, ein nach innen gestülpter Schlauch oder Kanal, aber dir fällt nichts ein, da sind nur die zwei Lippenwürmer, die sich aneinander und um die Metallstange schmiegen, an den Enden schmal und in der Mitte dick, fleischig, sie sind neben der Beinprothese das einzig Fleischige an ihr, doch erst, wenn man sie mit etwas Maschinenfett einreibt, das Manni von einem Kugellager irgendeiner Stelle seines eigenen Skeletts abstreift, erst wenn die Schamlippenwürmer ganz weich und ölig sind, kann er sie auseinanderdrücken, und dann öffnet sich doch etwas, ein Loch in der Stange, und das Allererste, woran du denkst, sind scharfkantige Schnittränder, an denen man sich den Penis aufschlitzt, aber nein, der Rand ist umlaufend gummiert, natürlich, mach dir die Vorstellung nicht kaputt, und tatsächlich befindet sich darin, dahinter ein Hohlraum, dessen Ende der ersatzweise für dich mit seinen Metallfingern in sie eindringende Manni nicht erfühlen kann; obwohl ihr Becken nur ein normales Rundrohr ist, finden sie keine Rohrinnenwand gegenüber, da ist tatsächlich nichts. Quantenphysik, so was ist sicher möglich, von außen mag das nur ein Rohr sein, aber innen ist die Möse eine Welt für sich, von der du nichts weißt. Weder, ob sie dir eng ist oder weit, noch physisch oder leer, oder auch: kalt oder heiß? Du bemerkst, dass du Manni virtuell verdrängt hast und selbst Hand anlegst, sowohl im Kopf wie im wirklichen Leben, du hast darüber eine Erektion bekommen, dir selbst geschenkt mit deiner Fantasie, die zugegeben ein bisschen neben der Spur ist, aber während du dir ausmalst, die Robotervulva zu erforschen, erforschst du in Wirklichkeit deinen neuen Penis.

Vielleicht, um realistisch zu blieben, geht ihre Vulva statt in Quantenphysik doch lieber in die gegenüberliegende Wirbelsäule über? Deren Ansatz auf dem Rohr elastisch ist, also aus Kunststoff, was sie nach außen hin biegsamer macht und nach innen hin den Raum für echten Geschlechtsverkehr öffnet und zugleich begrenzt. Ein innerer fester Schlauch, so beschaffen, dass dieser neue Penis (nicht Mannis Dildo, sondern der in deiner Hand) passgenau hineingeführt werden könnte, dieser neue Penis, der es bislang so erfolgreich geschafft hat, sich dir zu entziehen. Einer mit Vorhaut, ich hatte keine, keine mehr, Thomas hatte seine irgendwann entfernen lassen, weil zu eng und aus dem reichlich bescheuerten Grund, damit Franka gefallen zu wollen, und im Übrigen gleich die Samenleiter mit abgeklemmt. Für Franka stand die Welt vor dem Aus, da hinterlässt man keine Kinder, hat sie gesagt, Franka, die eine Tochter hat und die an dir die Wiederholung dieses größten anzunehmenden menschlichen Fehlers verhindern wollte: Kinder in diese Welt zu setzen, und du bist ihr gefolgt, willig, warst eine Weile Ersatzpapa ihres Kindes und bist darüber kinderlos geblieben und nun aber hast du einen Sohn!

Und eine Vorhaut. Und eine gewöhnungsbedürftige Gurkenform, etwas bauchig und insgesamt länger als früher - ach herrje, soll man sich darüber freuen? Ich halte die Erektion am Leben, trotz oder gerade wegen der abstrusen Vorstellung von intermaschinellem Sex, von einer Sexmaschine, zu der ich Legi gemacht habe, eine Maschine, in deren auf die wesentlichen technischen Funktionen reduziertem Gegenstück einer Möse ich mentale Befriedigung suche, erfolgreich, obwohl in meinem Hinterkopf meine innere Schwester bereits unruhig wird, mein personifiziertes Gendergewissen, das ich versuche zu ignorieren, ich bearbeite meinen Schwanz mit der gebotenen Konzentration, gleichmäßig, geschäftig, was tatsächlich einiges bewirkt in Leon, du bemerkst Selbstähnlichkeiten mit deinem früheren Thomaskörper, in der Elektrifikation, aber da sind auch andere Empfindungen, da ist was mit den Brustwarzen: Thomas hatte nie ein Gefühl in den Brustwarzen gehabt, nie, aber der hier?, dein neues Gehirn empfängt jedenfalls Brustwarzensignale.

Und weil es Nacht ist, und weil du Zeit hast, und keine Maschine mehr dich überwacht, sondern umgekehrt nur noch du die von dir erdachten, gelingt es dir, dich darin zu entspannen in Bekanntem und Neuem. Du drückst in deiner Fantasie immer wieder und in immer engerer Folge Legis kleinen roten Knopf und versuchst einen Zusammenhang herzustellen zwischen seinem pulsierenden Leuchten, ihrem Transistorenstöhnen und den Stromstößen in dem Ding in deiner eigenen Hand. Du versuchst dich und deine halbwegs natürliche Lust mit der imaginär künstlichen zu verbinden.

Und dann fragst du dich plötzlich und ohne Not, wie es denn sein kann, dass du in diesem fremden Hirn einen Hinterkopf hast: Einen metaphorischen, und ob und warum überhaupt ich meine innere Schwester mitgebracht habe, die Schwester, die ich nie hatte, die eine ältere Schwester ist, fast wie eine Mutter, komischerweise kann ich mir keine innere Mutter vorstellen, da ist eine Sperre, also Schwester, Anstandsdamenschwester, die ihren Bruder zu einem anständigen Menschen erziehen will, immer noch, seit über 50 Jahren ohne Erfolg, die eigentlich ein bisschen froh sein könnte, dass ihr Bruder nun eine Familie hat (und es für sie vielleicht auch ist), also eine Frau hat, und er sich doch Sex mit ihr vorstellen könnte, wenn er nur wollte, und wenn schon das nicht - schließlich ist Sylvie für Thomas nur (nur? - oder noch?) so etwas wie eine Vernunftehe -, wenn schon das nicht geht, nicht übers Knie gebrochen werden kann, also wenn es schon eine andere sein muss, z.B. besagte Frau Legi, dann doch bitte in Gänze, als menschliches Wesen und nicht künstlich, weder als Verletzung noch als Möse, und du machst obendrein eine Maschine draus, aus ihr, eine Klitorisprothese, was man Objektreduktion von Subjekten nennt und von Infantilie oder Oralfixiertheit zeugt, und der Leonschwanz ist längst wieder erschlafft über diese Auseinandersetzung, noch lang, aber blutleer, ein leerer, faltiger Schlauch mit einem Kugelkopfende, das von Daumen und Zeigefinger hochgehalten wird, eine Art Ballon, der an schlaffen Häuten mit dem Körper verbunden ist, und der aber nicht wegfliegen würde, dieser fremde Penis ist bereits ohnmächtig, aber du hältst ihn fest, seinen Cockpitkopf, dessen Autopilot noch Signale sendet ans Hirn, wie ein Mantra »Mayday! Mayday!«, schwache, lustlose Luststöße von deinen Prankenfingern übertragen und sozusagen im Kreis geführt, Penis - Hirn - Daumen - Penis - Hirn - Daumen, aber die Signale werden schwächer, die Blackbox stirbt, und würdest du ihn loslassen, würde er hinabfallen, aufs Schambein plumpsen und dort liegen bleiben wie ein fauler Apfel an einem verwelkten Wurm.

Und so bemühst du dich nun halbherzig, dir Legi obenrum vorzustellen, du suchst ihr Gesicht, aber du erinnerst dich nicht. Wie war bloß ihr wahres Gesicht? Dabei kennst du sie seit Wochen, du weißt, wie es aussieht, wie sie über die Station humpelt, und nicht zum ersten Mal hat sie heute neben dir gesessen! So bist du, hast immer nur auf ihre nackten Schenkel gestarrt und kein einziges Mal in ihre Augen, und mit Franka wäre das nicht passiert.

Der Zwilling

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