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Sich fragen, wer man ist

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In wachen Stunden zählte er gerne seine Persönlichkeiten. Die ihn davon abhielten, authentisch zu sein. Die ihn zwangen, niemals sich damit zu begnügen, nur er selbst zu sein. Selbst? Wer ist das? Nur einer zu sein.

Zitat Ende.

Zitat ohne Zitierenden.

Dein Kopf sind tausend Nadelstiche. Doch dass dein Gesicht sich so fremd anfühlt, liegt auch daran, dass du was im Mund hast, Plastik, ein Schlauch, auch auf dem Gesicht, und nein, das ist gar nicht im Mund, das ist ein Schlauch in der Nase, ein dünner Schlauch durch die Nase in den Hals, aber der Schmerz im Rachen kommt wohl eher von einer Beatmungsmaschine, die dich, wer weiß, wie lange, geschunden hat. Luftröhrenschnitt. Der Begriff bohrt sich dir wie sein Gegenstand ins Fleisch. Sie haben dir, während du im Koma lagst, die Atemluft direkt durch den Hals in die Lunge geblasen. In die Lunge - und kaum denkst du 'Lunge', spürst du Schmerzen in der Brust. Schmerzen, die mit dem Atmen einhergehen. Hattest du was am Herzen? An der Brust? Lunge? Hast lange unter einer Armada an Maschinen gelegen, warst von den Maschinen durchdrungen gewesen, Schläuche, Kabel, Katheder, die dich genährt und beatmet haben, und in der Nase steckt immer noch so ein Ding. Luftröhrenschnitt, eine Vorstellung, die dich grausen lässt. Hals auf und ... du vermutest das nur, du weißt nichts, oder hat es dir die Ärztin erklärt, die sich jetzt anstelle der fremden Frau über dich beugt? Ärztin, immer erkennbar unter Tausend, die haben das gewisse Extra in ihrer Ausstrahlung, diese hier hat eine große Brille und das dünne Haar zu einem Dutt gebunden, ein bisschen ein Maustyp, Brillenschlange, Streberin, und sie nennt dich »Herr Petrović?!«

Schon wieder eine oder dieselbe Verwechslung, aber welcher Art? Erst Leon, jetzt Herr Petrović, abwarten, Thomas, warte einfach ab, die Hauptsache ist doch: Du lebst!

Die Ärztin macht irgendwelche Bewegungen vor deinem Gesichtsfeld, »Herr Petrović, Können Sie sich erinnern, wer Sie sind?«

Du nickst, ja ich kann, natürlich kann ich mich erinnern, wenn auch anders, als ihr hier alle vielleicht denkt oder erwartet, aber:

ICH ERINNERE MICH!

Die Ärztin pulsiert, scharf - unscharf - scharf ... Schneller als die fremde Frau, aber vielleicht haben sich deine Augen auch schon an die falsche Brille gewöhnt.

»Sagen Sie mir Ihren Namen!«, fordert Mausgesicht. Ihre Stimme ist anders als die der Frau, auch wie aus Glas, aber schriller, als würde Tonscherben aneinander reiben. »Herr Petrović?!«

Du konzentrierst dich auf den Brust-Lunge-Kehlkopf-Mund-Sprech-Apparat dieses Körpers, der beinahe ohne dein Dazutun aktiv geworden wäre, und du sagst, du flüsterst (aus Angst vor dem Klang der Stimme): »Thomas!«

»Bitte?«

»Thomas ...«, hauchst du, dabei klingt nicht einmal deine Flüsterstimme nach Thomas.

»Thomas ... eh ...« Sie schaut auf etwas in ihrer Hand, einen Papierbogen vielleicht, schaut dich wieder an, »Herr Petrović?! Sie sind Herr Petrović ...?«

Du schüttelst den Kopf, du deutest an, den Kopf zu schütteln, der Kopf ist so schwer oder so starr, dass das Kopfschütteln nur ein Zittern ist.

Die Ärztin sieht hoch, irgendwohin, wo dein Blick nicht folgen kann. Dann plötzlich das Gesicht der anderen Frau neben ihr, der Frau, die so warm deine Hand gehalten hat.

»Leon?« Ihre Glasstimme ist brüchig, zittrig, oh nein, weine doch nicht, »Ja ...?«, flüsterst du.

»Leon ... du ...«

Tu dir das nicht an, Thomas, verlier sie nicht, nicht auch noch sie, wer ist schon Thomas? Lass sie doch glauben, du wärst ...

»Leon ...«, flüsterst du. Es klingt falsch, so sehr falsch, aber etwas regt sich in Frau und Ärztin. Etwas Positives. Lass sie doch, nur für einen Moment, belass es dabei:

»Leon Pet ... Pedrovitsch!«

Sie wollen etwas anderes hören als Thomas, und du hast auf einmal Angst, Thomas preiszugeben, ihn zu verraten, als müsse (oder könne) sich Thomas in Leon Petrović verstecken.

»Petrović!«, sagst du noch einmal, und richtiger, mit einer Stimme aus tiefster Seele, wie sie einem fremder nicht klingen kann, aber das, DAS ist deine Stimme, neu, und hab keine Angst: Die Ärztin scheint damit einigermaßen klarzukommen, sie sagt nur: »Ja?«

»Leon ...«, wiederholst du. Warum auch immer das jetzt besser ist.

Ich bin Leon Petrović. Was ist das? Oder wer?

Die schöne Frau sieht dich an und ist glücklich. Dann verschwindet sie wieder. Aber sie bleibt im Raum. Und der Junge? Ist der auch da? Ist das ihr Sohn, ist das der Sohn - von ... Leon? Und sie ist Leons - Frau? Nein, das wäre zu absurd, wie auch immer diese Verwechslung zustande kommt, den eigenen Mann dürfte sie wohl noch erkennen, oder?

ODER?!!!

Die Ärztin mit der Tonscherbenstimme beginnt zu reden. Künstliches Koma, aus dem du erwacht seist, und dass eine Reha folgen würde, und dass du nicht der Erste wärst, im Gegenteil, die Sache hätte längst Routine. Und immer, wenn dir die Augen zufallen wollen, sagt sie, du sollst sie anschauen. Sie begreift so wenig wie die andere, dass es zu einer Verwechslung gekommen ist, dass du nicht der bist, für den sie dich halten. Oder bist du es, der nicht begreift, dass du nicht der bist, für den DU dich hältst? Begreifst du etwa selbst nicht, dass du gar nicht hier sein dürftest? Dass du gar nicht sein dürftest, gar nicht existieren?

Bin ich ich? Absurd! Nur dass dieser Körper mein ... nicht mein zu sein scheint. Beruhige dich Thomas, wie oft erlebt man das? Dass der Körper einem fremd wird? Bei jeder Grippe ist das so, und mit deinen 53 Jahren hast du schon einiges an Körperentfremdungen erlebt, erst vor zwei Jahren, als dich eine Infektion tagelang von rechts auf links gedreht hat, da ist das hier nichts dagegen, was also bitte, was also soll jetzt signifikant anders sein? Geschwollene Hände, Schmerzen in Brust und Kehle, der Kopf schwer und der Mund wie nach einem Zahnarztbesuch. Die Augen haben neue Sehschärfen, die Stimmen sind gläsern und das Licht? Selbst das Licht ist anders, anders, bloß wie anders? Unbeschreiblich anders.

Symptome, Thomas, Symptome, das hat man schon mal, immerhin bin ich gestorben.

Oder sollte es tatsächlich sein, dass?

Nein.

»Herr Petrović, wir ...«

Nein!

Du willst diese Ahnung nicht in einen Gedanken gießen, nicht in etwas Formuliertes, lass Ahnung Ahnung sein, denk dir das nicht aus, Thomas, mal dir das nicht aus, du bist Thomas, sie werden dir doch keinen neuen Körper verpasst haben, soweit ist die Technik doch noch gar nicht, deswegen hast du doch den Chip im Nacken, damit sie dich holen, holen, immer online, damit die deinen toten Körper holen, und wenn aber doch? Oder doch nicht? Doch nicht mehr zu gebrauchen gewesen, dieser tote Thomas? Was hat er denn gemacht, der Thomas, woran ist er denn gestorben?

Und was redet die eigentlich? Die Mausgesichtärztin? Sie will dir doch was erklären, aber du kannst sie nicht verstehen, in deinen Ohren nur das schrille Klirren, das sich kaum mehr nach Stimme anhört, und das immer lauter wird, oder du dir immer lauter einbildest, kann es denn tatsächlich sein, ist es tatsächlich möglich dass sie ... dass du ... falsch bist? Dass sie den Falschen von den Untoten erweckt haben? Nein, dass sie dich im falschen Körper erweckt haben? Im falschen Körper?!

Die Maus mit der Brille kommt dir nahe, viel zu nahe, deine Augen wehren sich gegen diese Nähe, erst verschwimmt sie, und dann plötzlich ist sie überscharf, ganz nah und scharf und perspektivisch so verzerrt, als sähe man sie durch ein Fisheye-Objektiv.

Was ist bloß mit mir geschehen? Was ist mit Thomas geschehen? Hatte ich wirklich einen Unfall? Ich, Thomas? Oder dieser Leon? Wurde Thomas als Leon wiederbelebt? Oder - in Leon? Was ist das für eine absurde Geschichte? Kaum aber hast du dir diesen Gedanken ausformuliert, diesen Gedanken zu Ende gedacht, da zerreißt sie dich wieder, die Angst, die panische, unbegreifliche, unfassbare Angst. Nicht das erste Mal seit deinem Erwachen, aber diesmal bleibt der Fall in die Ohnmacht aus, die Implosion der Sinne, du bleibst mitten im Absturz hängen, wie eine Fliege in einem Spinnennetz, aus Angst, du bleibst wach und in voller Wahrnehmung eines unerträglichen Entsetzens, das dieser Körper an deiner statt SPÜRT. Beklemmung, Atemnot und sich aufrichtende Härchen.

»Herr Petrović?« und: »Leon?«

Klirren. Scherbenstimmen. Was immer auch geschehen ist, du hast Angst davor, aber wovor? Angst, vor dem Zurück? Du willst nicht dahin ... wohin ... was ist das - zurück? Die Sprache lässt kein passendes Wort zu, es gibt kein Zurück, wohin denn auch?, zurück in den großen holografischen Ballon über dirselbst, mit dirselbst? Deine verzerrte Körperwahrnehmung, deine falschen Wahrnehmungen dieses fremden Körpers durch die Sinne dieses fremden Körpers helfen dir wie zwielichte Komplizen, trotz Panikattacke unauffällig zu bleiben, helfen dir, die körperlichen Reflexe der Angst nach innen zu kehren, sie zu unterdrücken, Herzrasen, Blutrauschen und Übelkeit, Reflexe, deren Ausbruch an die Oberfläche du unbedingt verhindern musst, doch mittendrin, während die Ärztin mit ihrer Scherbenstimme Löcher in dein Gehirn schneidet (meins?), fragst du laut: »Wo bin ich?«

Laut, du hast das furchtbar laut gesagt, hast diesen völlig fremden Körper dazu benutzt, es geradezu hinauszuschreien, sodass Mauskopf zurückgezuckt ist.

Wo bin ich?

Du hast nach dem Wo gefragt, nicht nach dem Wer.

Mauskopf lächelt, für sie ist das Wo ein Fortschritt gewesen, sie hat deine Erkenntnis, selbst falsch oder an falscher Stelle erwacht zu sein, nicht bemerkt, auch nicht, als sie dich beinahe aufgefressen hätte, hat nicht gemerkt, dass deine Frage nur das Geräusch eines Meteoriteneinschlags war, des Einschlags dieser Erkenntnis, existenziell falsch zu sein. Falsch!

Und - mein Gott - unwiderruflich!

Unwiderruflich? Unumkehrbar? Unheilbar krank? Unheilbar - Leon?

Sie tupft mit etwas deinen Mund ab, offenbar ist Speichel ausgetreten.

»Herr Petrović, Sie hatten einen Unfall ...« (ja, ich weiß, aber nicht ich, nicht ICH hatte einen ...!), »Sie sind hier im St. Barbara Krankenhaus, in der Unfallchirurgie, in der Intensivstation, es ist alles gut, Sie haben das überlebt, wir haben Sie wieder hingekriegt!« (Oder doch ich? Hatte ICH einen Unfall?)

Ein plötzliches Bedürfnis, mich aufzurichten, das sie abfängt: »Langsam, Herr Petrović, langsam ...«, schon der Versuch war schmerzhaft, aber auf eine eigenartig taube Art schmerzhaft, als wüsste der Brustkorb nicht so recht, wie er es dir mitteilen soll, dass da was gebrochen oder gerissen ist, und die Lunge, die pfeift!

»Ein Autounfall«, sagt sie, »Sie haben ... telefoniert, mit Ihrer Frau, beim Fahren, da ist es passiert.«

Meine Frau?

»Sie hatten mehrere Rippenbrüche und einen sehr tiefen Lungenriss, der hat einen Pneumothorax ausgelöst. Und der hat zu einem Mediastinal- und Hautemphysem geführt, das sich sehr schnell ausgebreitet hat, sodass ihr Herz versagte und Sie ... noch am Unfallort ... verst...«

»Was?«

»Herr Petrović, nichts ... alles wird gut, die Gesellschaft hat das verhindert, dass Sie wirklich gestorben sind. Sie haben Glück. Sie wurden reinkarniert. Sie sind nicht tot!«

Meine - Frau?! Du fühlst nach deinen falschen Fingern. Dieser Ring. Da ist ein Ring, ein einfacher, runder ... Ring! Ein Ehering.

Und dann sprichst du den zweiten vollständigen Satz deines neuen Lebens: »War ich denn ... tot?«

Diesmal sehr bewusst, gezielt, gewählt. Noch während du diese vier Worte sagst, spürst du, wie wenig du es bist, der die Worte sagt, wie wenig du es bist, der spricht, wie viel mehr du IHN sprechen lässt, diesen Körper, und dass das nicht nur Probleme mit den Stimmbändern sind, wegen der Narben oder Wunden, die die Intubation hinterlassen hat, wegen der über Tage oder Wochen andauernden Beatmung, oder der Operation an der Lunge. Nicht die gestörte Intensität der Schmerzen in Brust und Rachen machen dir bewusst, wie wenig das hier deins ist, nein, es ist der völlig fremde Klang deiner dieser dir uneigenen Stimme in deinen diesen dir uneigenen Ohren. Das ist nicht meine Stimme. Ist so wenig meins, wie der Name oder die Frau meins ist, nichts, aber auch gar nichts ist meins, und: Was ist mit mir geschehen nach oder bei diesem Unfall?

Die Mausfrau mit der großen Brille verzerrt sich selbst wie ein Cartoon in einem Kinderbuch, gleich beißt sie mich und deshalb will ich zurückweichen, den Körper wechseln, was natürlich nicht geht, man kann sich nicht einmal wegträumen oder wegschlafen, und zugleich - so wenig Meinigkeit auch von diesem Monstrum von Körper ausgeht -, zugleich simuliert er doch simultan deine Empfindungen und Gedanken. Oder simuliert er nur das, was die Frau ihm abverlangt? Ist es das? Nur das? Der Körper lächelt oder so ähnlich (das hatten wir schon), was sie irritiert, dein hässliches Lächeln ist nicht das Gebotene, also fragst du noch einmal, diesmal gebrochener, zugleich nicht wirklich Übleres mehr erwartend als die Fremdheit dieser Stimme in dir: »War ich tot?«

»Ja«, sagt Frau Doktor, du weißt nicht einmal ihren Namen, oder hatte sie sich vorgestellt?

»Herr Petrović, Sie wissen, warum Sie hier sind ...?«

DU sammelst Spucke, was geht (und eklig ist, es ist nicht deine Spucke, nicht DEINE!), du sammelst Worte (selbst bei denen bist du dir nicht sicher, ob es deine sind - aber von wo sonst könnten sie her sein?): »Ich hatte einen Unfall ...« (Fragezeichen? Ausrufezeichen? Punkt? PUNKT?!)

»Nein, Herr Petrović, ich meinte, WARUM Sie TROTZDEM hier sind, trotz Unfall ...?«

»Wa ... rum?« (diese deine nicht deine Stimme ist sehr männlich ...)

»Warum Sie - trotzdem Sie tot ... waren ... warum Sie TROTZDEM hier sind?«

»Ich bin bei der Gesellschaft ...« (gesprochen ohne nachzudenken).

»Ja, Sie sind bei der Gesellschaft - sind da versichert, die Gesellschaft kümmert sich darum, dass Sie nicht tot sind, nicht tot bleiben, sie wird dafür sorgen, dass Sie zurückkommen, dass Sie dank der Reinkarnation wieder ein normales Leben führen werden, IHR normales Leben, als wäre nichts geschehen, das versuche ich die ganze Zeit, Ihnen klarzumachen!«

Du schließt die Augen unter den Brillengläsern.

»Herr Petrović, wir müssen ein paar Tests machen.«

Augen bleiben zu. Du nickst. Genickbruch.

»Herr Petrović, bitte öffnen Sie die Augen!«

Du blinzelst, Mauskopf scharf, Mauskopf unscharf ...

»Erinnern Sie sich an Ihre Frau?«

Du nickst.

»Sagen Sie mir ihren Namen!«

Namen? Welchen Namen? Ich habe keine Frau. Nie gehabt. (Doch woher der Ring?) Franka ist falsch, denn Franka ist nicht meine Frau. Ich muss lügen, ich kann nicht lügen, nicht einmal das.

»Sie ist schön ...«, sagst du, nichtssagend, aber an diese Fremde denkend, die mit der Hand in deiner, und Frau Mauskopf nickt, schaut hoch, lächelt (zu ihr?), dann wieder zu dir, zustimmend: »Ja, das ist sie, können Sie sich an ihren Namen erinnern?«

Du strengst deine Augen an, deinen Kopf, kein Name, woher ein Name?, du schüttelst den Kopf des Mannes dieser gefragten Frau.

»Sylvie ...?«, fragt die Ärztin, »... vielleicht?«

Sie sieht wieder auf, dahin, wo - Sylvie - sein müsste.

Du lässt deinen Mannkopf leise sagen: »Sylvie ...«

»Sie erinnern sich?«

Du nickst. Lügst.

Lügst nicht. Ich erinnere mich doch, verteidigst du dich vor dir selber, vor wem selber, vor dem Mann, der du jetzt bist?

»Und Ihr Beruf, Herr Petrović? Was arbeiten Sie? Erinnern Sie sich ... nennen Sie mir Ihren Beruf!«

Du denkst an Häuser, du weißt ja deinen Beruf, aber dass du oder etwas Unbewusstes in dir den Mann verräterisch »Architekt« sagen lässt, lässt dich erschrecken.

Sie runzelt bilderbuchmäßig ihre Mäusestirn, schaut in ihre Unterlagen, Papierbogen oder Tablett-Display, dann sieht sie dich wieder an. Sie untergräbt ihren eigenen Test, als wolle sie die Sache beschleunigen, abhaken, und sagt: »Sie meinen 'Zimmermann'?«

Du nickst viel zu eifrig, diesmal tut der Nacken (Nicken kommt von Nacken!) wirklich weh! Bin ich etwa ein Zimmerer, mit meinen zwei linken Händen? Der Gedanke ist so komisch, dass du lachen musst, richtig hässlich lachen, sodass es überall wehtut, die ganze kaputte Brust zerreißt ein zweites Mal.

Die Ärztin scheint das falsch zu verstehen, deutet dein Lachen als die Wiederkehr einer Erinnerung, die du nie gehabt hast. Du willst sehen, ob dieser andere Körper die passenden zwei rechten Hände zu deinen verlorenen zwei linken hat, du hebst sie an, die Hände, die gar nicht geschwollen sind, doch, die linke ist blau angelaufen, aber du erkennst sofort die Injektionswunde, blau, rot, rote Punktwunden, und am Ringfinger der rechten Hand tatsächlich ein Ring, ansonsten sind das die reinsten Pranken, nein, ich übertreibe, es sind kräftige Hände, ja, aber nicht grobschlächtig, Hände mit Gefühl - und es sind gefesselte Hände. Sie haben deine Ellenbogen mit einer Mullbindenschlaufe am Bettgestell angebunden, du kannst sie kaum anheben, gerade so, dass du zwar die Unterarme bewegen und deine Hände ansehen, die Arme aber nicht erheben kannst, als müsse man das Personal vor deinen Schlägen schützen - oder dich vor dir selbst, oder auch nur davor, dich am neuen Kopf zu kratzen. Die Geste, die Art und Weise, wie du diese Hände vor dein Gesicht hältst (was trotz der Binden gerade noch geht), wie du sie betrachtest, die verrät dich, die hat dich schon verraten, das sind nicht deine, das sind eindeutig Tischlerhände, obwohl kein einziger Finger fehlt, trotzdem, in einem kurzen Moment des Klarsehens erkennst du ein paar Stellen, das könnten vernarbte Splitter sein, Holz, mit dieser Hände Arbeit, und ein goldener Ehering, und jetzt?

Die Hände fallen über dir zusammen wie ein Turm.

Der Zwilling

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