Читать книгу Big Ideas. Das Klassische-Musik-Buch - Hall George - Страница 4

Оглавление

EINLEITUNG

Als wichtiger Bestandteil der menschlichen Kultur ist die Musik mindestens schon seit der Jungsteinzeit ein Merkmal jeder Zivilisation, wie Höhlenmalereien und archäologische Funde beweisen. Die Bezeichnung »klassische Musik« bezieht sich auf die kunstvolle, gehobene Musik der westlichen Zivilisation vom Mittelalter bis zur heutigen Zeit. Im weitesten Sinne deckt sie ein breites musikalisches Spektrum ab und nicht nur die Orchester- oder Klaviermusik, die sich so mancher darunter vorstellt. Dieses Buch zeigt auf, wie sich die klassische Musik als wesentlicher Bestandteil der europäischen Kultur entwickelte, sich über die ganze Welt verbreitete und ihre Zuhörer seit Jahrhunderten erfreut, überrascht und immer wieder Wandlungen unterworfen ist.


Kühne Sprünge

Die heutige Fülle an musikalischen Traditionen und Stilen, angefangen von mittelalterlicher Kirchenmusik und höfischem Minnegesang bis zur Avantgardemusik des 21. Jahrhunderts, entstand Schritt für Schritt, wurde jedoch immer wieder vorangetrieben von aufsehenerregenden Innovationen. Die ersten Opern zum Beispiel, die Ende des 16. Jahrhunderts aufgeführt wurden, revolutionierten sowohl die weltliche als auch die geistliche Musik. Beethovens Sinfonie Nr. 3, die »Eroica«, schockierte Anfang des 19. Jahrhunderts das Publikum mit einer völlig neuen Struktur und der Missachtung klassischer Konventionen ebenso wie 100 Jahre später die Uraufführung von Igor Strawinskys Le Sacre du printemps (»Das Frühlingsopfer«) in Paris.

Derartige Sprünge definieren die Hauptepochen der klassischen Musik – Alte Musik, Renaissance, Barock, Klassik, Romantik, Nationalismus, Moderne und Gegenwart –, die sich jeweils in viele weitere Stilrichtungen unterteilen und deren Grenzen häufig fließend sind.

»Musik ist der soziale Akt der Kommunikation unter den Menschen, eine Geste der Freundschaft …«

Malcolm Arnold Komponist

Die Rolle der Kirche

Wie auch andere Kunstformen wurde und wird die Musik von äußeren Einflüssen geprägt. Zu Beginn war dies vor allem die Kirche. Die westliche klassische Musik entstand in einem von der Kirche dominierten Europa. Der Klerus übte nicht nur beträchtliche politischer Macht aus, er war auch die einzige Bildungsquelle in der Gesellschaft. Die Musik diente nicht der Unterhaltung. Sie war Teil der Gotttesverehrung, bestand aus einem Kanon sakraler Gesänge und wurde von Mönchen ohne Instrumentalbegleitung gesungen.

Mehrstimmigkeit

Lange widersetzte sich die Kirche jeglicher Veränderung dieser einstimmigen liturgischen Gesänge. Deren Auf und Ab in der Melodie wurde in den Handschriften durch sogenannte »Neumen« (grafische Zeichen) angezeigt, bis der italienische Mönch Guido von Arezzo im 11. Jahrhundert eine exaktere Art der Darstellung von Tonhöhen erfand, die die Grundlage der heutigen Notation bildet. Parallel dazu entstanden die ersten, zunächst noch einfachen Formen der Mehrstimmigkeit. Die ersten namentlich bekannten Komponisten wirkten im 12. Jahrhundert im Umfeld der Kathedrale Notre Dame in Paris. Im Laufe der Zeit wurde die mehrstimmigen Vokalwerke immer komplexer und unterlagen auch einer rhythmischen Ordnung.

Mit der Geburt einer neuen kulturellen Bewegung, der Renaissance (1400–1600), begann die Macht der Kirche über Musik und Kultur zu schwinden. Weltliche Musik konnte sich durch die Erfindung des Buchdrucks in ganz Europa verbreiten. Die Musiker standen nicht mehr allein im Dienst der Kirche, sondern arbeiteten auch für mächtige weltliche Herrscher.

Allerdings verlor die Kirche ihre Macht über die Musik nicht ganz. Nach der Reformation strebte man im protestantischen Nordeuropa nach mehr Textverständlickeit, und auch die katholische Obrigkeit versuchte, die Komplexität der Polyphonie zu reduzieren. Der Musikstil wurde daraufhin einfacher, aber auch expressiver, harmonischer.


Musikalische Explosion

1610 verwendete Monteverdi in der Marienvesper Elemente dieses neuartigen Stils und beschritt damit neue Wege der Sakralmusik. Etwa zur selben Zeit kombinierte eine Gruppe florentinischer Intellktueller, die sich im Haus des Mäzens, Dramatikers und Komponisten Giovanni de’ Bardi traf, zum ersten Mal Musik und Schauspiel miteinander und erfand so die Oper. Sie begeisterte nicht nur die Aristokratie, die weiterhin als Förderer der Komponisten und Interpreten fungierte – auch im Bürgertum stieg die Nachfrage nach Oper und Musik im Allgemeinen, sodass schon bald Opernhäuser, Konzerthallen und öffentliche Theater errichtet wurden.

Im weiteren Verlauf der Barockzeit nutzten Komponisten wie Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel die Orchester, die ihnen ihre adeligen Gönner zur Verfügung stellten, um immer komplexere Werke zu schaffen. Die Musik des Hochbarock war besonders ausdrucksstark und oft kunstvoll mit Trillern und anderen Verzierungen ausgeschmückt.

Doch dann zog das Zeitalter der Aufklärung und der Vernunft herauf, und plötzlich wünschte sich das Konzertpublikum elegantere, ausgewogene und klare Musik, was zur klassischen Epoche führte, von der die klassische Musik ihren Namen hat. In kurzer Zeit etablierten klasische Komponisten wie Mozart, Haydn und Beethoven die musikalischen Grundformen des auch heute noch geläufigen Konzertrepertoires, einschließlich der viersätzigen Sinfonie, des Solokonzerts und des Streichquartetts. Musik zur privaten Unterhaltung, die sogenannte Kammermusik, wurde ebenfalls populär, da die wachsende Mittelschicht mehr Freizeit zur Verfügung hatte und Instrumente wie etwa das Klavier erschwinglicher wurden.

Die romantische Epoche

Trotz ihres anhaltenden Einflusses wurde die Klassik bald durch eine neue Strömung ersetzt: Als die Romantik mit ihrer Betonung des Individuums durch Europa schwappte, gewann Ausdruck die Oberhand über Klarheit. Die Komponisten trieben den klassischen Stil bis an die Grenzen und suchten in Kunst, Literatur, Landschaften und Erlebnissen nach Inspiration. Die Romantik war eigentlich eine deutsche Strömung, doch sie brachte auch in anderen Ländern eine Vielzahl nationalistisch gesinnter Komponisten hervor, die sich mit ihrer Musik von der österreichisch-deutschen Dominanz des musikalischen Ancien Régime distanzieren wollten. Russische und tschechische Komponisten integrierten folkloristische Elemente und Themen in ihre Musik, ein Trend, den später auch Komponisten aus anderen Teilen Europas übernahmen.

»Gibt’s Leidenschaft, die bei Musik nicht kam und wich?«

John Dryden Dichter

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts brachten die harmonischen Exzesse der deutschen Romantik die Fundamente der westlichen Musik zum Einsturz, deren Struktur auf den Harmonien der Dur- und Molltonarten basiert. Es folgte ein Jahrhundert, in dem die Komponisten nach einer völlig neuen musikalischen Sprache suchten. Zwei der einflussreichsten Strömungen jener Zeit waren die Zwölftontechnik, die Arnold Schönberg aufbaute und von Pierre Boulez und anderen in der seriellen Musik weiterentwickelt wurde, und die Aleatorik, bei der der Zufall als kompositorisches Mittel eingesetzt wurde.


Neue Einflüsse

Diese musikalischen Experimente fielen zeitlich mit der Entstehung des Jazz und später mit der explosionsartigen Ausbreitung von Pop- und Rockmusik zusammen, deren rhythmische Beats so anziehend waren, dass die klassische Musik viele Anhänger verlor. Doch die Populärmusik inspirierte die klassische Musik und hauchte ihr neues Leben ein, ganz zu schweigen von den neuen Möglichkeiten, die sich durch den technischen Fortschritt in den Tonstudios ergaben und die sich Komponisten wie Karlheinz Stockhausen gern zunutze machten.

Heute berücksichtigen viele Komponisten den allgemeinen Geschmack stärker als noch vor 50 Jahren, doch viele experimentieren weiterhin mit Elementen aus Video, Theater und Einflüssen einer globalisierten Musikwelt.

Die Elemente der Musik

Für ein besseres Verständnis der in diesem Buch beschriebenen Ideen und Innovationen ist es hilfreich, sich mit den »Bausteinen« der klassischen westlichen Musik vertraut zu machen, die zu einem großen Teil von mittelalterlichen Mönchen entwickelt wurden und auf altgriechischen Konzepten basieren.

Noten sind dabei das grundlegende Baumaterial jeder Art von Musik. Die Tonhöhe einer einzelnen Note, also wie hoch oder tief sie im Vergleich zu anderen klingt, wird in Buchstaben (C, D, E und so weiter) angegeben. Manchmal wird sie durch »Vorzeichen« ( oder ) modifiziert, die sie um einen halben Ton erhöhen oder erniedrigen.

Seit dem 17. Jahrhundert wird in den beiden Tongeschlechtern Dur und Moll komponiert. So kann etwa ein Stück in C-Dur oder in a-Moll stehen. Die Tonart regelt auch die Harmonie, wenn zwei oder mehr Noten gleichzeitig gespielt werden. Akkorde (das Zusammenspiel von drei oder mehr Tönen) könnten konsonant und harmonisch sein – oder aber dissonant und schrill. Durakkorde klingen tendenziell heiter und Mollakkorde eher traurig.

Ein Merkmal von Barock, Klassik und Romantik ist die Dur-Moll-Tonalität, bei der sich eine Komposition auf eine Tonart und einen Grundton als tonales Zentrum bezieht. Bewegt sie sich davon weg, wird Spannung erzeugt, bewegt sie sich darauf zu, wird die Spannung aufgelöst.

»Rhythmus und Harmonie finden ihren Weg zu den inneren Orten der Seele.«

Platon


Musikalische Formen

Verschiedene Musikstile betonen bestimmte Aspekte ihrer Struktur. Manche fokussieren sich auf die Melodie, vielleicht mit harmonischer Begleitung, wie es im Frühbarock üblich war, andere verwenden den Kontrapunkt, die Verflechtung von zwei oder mehr Melodielinien zu einer komplexen Mehrstimmigkeit, der Polyphonie, die eines der wesentlichen Merkmale der westlichen klassischen Musik ist.

Ebenso wichtig ist die musikalische Form eines Musikstücks. Es kann aus verschiedenen Teilen, vielleicht in gegensätzlichen Tonarten, bestehen. Zum Beispiel wird in der dreiteiligen »ABA«-Form ein musikalisches Motiv vorgestellt, gefolgt von einem zweiten Motiv und abschließender Wiederholung des Eröffnungsmotivs. Musikformen und Gattungen reichen von kurzen Kunstliedern, wie sie Franz Schubert und Robert Schumann populär machten, bis hin zu mehrsätzigen Sinfonien.

Für den Zuhörer zeigt sich der auffälligste Unterschied zwischen einer Renaissancekomposition und einer voll ausgearbeiteten Sinfonie des 19. Jahrhunderts im Klang der Instrumente, denn viele von ihnen wurden im Lauf der Zeit weiterentwickelt und manche neu erfunden.

Jedes Instrument hat sein unverwechselbares Timbre und kann allein gespielt oder mit anderen Instrumenten und menschlichen Stimmen kombiniert werden: von A cappella (Chorgesang ohne Instrumentalbegleitung) und Soloinstrumenten wie dem Klavier über kleine Kammerensembles wie dem Streichquartett bis hin zum kompletten modernen Orchester aus über 70 Musikern mit Streich-, Holzblas-, Blechblas- und Schlaginstrumenten und – seit etwa 1950 – auch mit elektronischen Klangerzeugern.

»Die Zeiten, in denen Musik für einen kleinen Kreis von Ästheten geschrieben wurde, sind vorbei.«

Sergei Prokofjew

Dieses Buch

Wie Komponisten aus diesen musikalischen Elementen verschiedene Gattungen der klassischen Musik entwickelten und welche Faktoren sie beeinflussten, wird in diesem Buch erklärt. Es präsentiert Meilensteine in der Geschichte der klassischen Musik: nicht nur die großen Komponisten und ihre Werke, sondern auch einige weniger bekannte, deren Musik exemplarisch für einen Stil oder eine Periode ist. Durch die chronologische Einordnung in den historischen Kontext lässt sich gut darstellen, wie sie ihre Gesellschaft und Kultur widerspiegeln.

Jeder Artikel konzentriert sich auf ein Werk, das eine besondere Entwicklung in der Musik darstellt, und erläutert dessen herausragende Merkmale und seine Bedeutung in Bezug auf andere Werke desselben Komponisten oder Stils. Am Ende des Buches befindet sich ein Verzeichnis weiterer bedeutender Komponisten und ihrer Werke sowie ein Glossar musikalischer Grundbegriffe.

Big Ideas. Das Klassische-Musik-Buch

Подняться наверх