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„Er steht allein im Garten“, der die Zeit nicht kennt - „The modern Jesus in the USA“

Der Stellvertreter Gottes, der uns in der Welt und sowohl bei Gott vertritt, damit sein Wort und die frohe Botschaft ein Maßstab für uns seien und die Hoffnung auf das Reich Gottes nicht schwindet: Wir sehen Jesus, als einen Menschen an, als eine konkrete Person, die vor über 2000 Jahren in Form eines Wanderpredigers gewirkt haben soll. Wir kennen ihn als einen Menschen, der uns unsere Sünden bedingungslos vergibt und sein Körper letztendlich am Kreuz verlosch und ein gewaltiges Gewitter von Gott kam und die Menschen riefen: „Dies war wahrlich der Sohn Gottes.“17

So kennen wir ihn, einen gnädigen, heilenden Wanderprediger, der auch viele Wunder tat, um genau diese göttliche Stellvertretung zu legitimieren. Und dabei ist er nicht zu den Menschen in die Herzenstür getreten, die schon einen starken Glauben hatten, sondern zu denen, bei denen der Glaube schwach war.

In einem Buch, das ich über den Sinn des Gebetes gelesen hatte und mir von einem Pastor vor dem Theologiestudium geschenkt wurde (Danke!)18, wurde gesagt: Beten bedeutet, Jesus zu seiner Not zu lassen und in dem Sinne kam Jesus zu den Menschen, die Not am Glauben hatten und ihn nicht fanden. Dabei machte er keinen Unterschied bei dem Menschen, der Not hatte, in Aussehen, Nation oder Abstammung. Ein Jesus für alle Menschen, ohne ein Vorurteil gegenüber dem Menschen selbst. Doch kennt dieses Bild von Jesus die Zeitlichkeit, in der sich die von Menschen geschaffene Geschichte zeigt und mitprägt? Während einer Seminarstunde zeigte sich mir ein anderes Bild, über einen neu verkörperten, der Gesellschaft angepassten Jesus. Ich deutete das als eine neue Form von Passion, ein neues Leiden, nämlich eine Anpassung und Verfälschung, aufgrund des Wandels in eine moderne Gesellschaft. Diese ist heutzutage längst nicht mehr wie die Zeit des Neuen Testaments, die die heutigen Möglichkeiten der Globalisierung und Digitalisierung nicht kannte, und das Jesus-Bild eine Art Leiden durch das unaufhaltsame Fortschreiten erfährt.

„The modern Jesus in the USA“, der moderne Jesus in den USA, die so genannte elektronische Kirche, wohl eine neue Kunstform dieses Bildes, welche die wahre Geschichte nicht mehr kennen.19

Ich will von keinem Jesus sprechen, der vor dem Computer sitzt oder das alltägliche Leben dort mit begleiten soll, aber in dieser Kirche wird ein Jesus verkündigt, der nicht mehr der Jesus ist, den wir kennen, sondern ein Trugbild, das die Menschen der Mittelschicht und ihre Bedürfnisse anspricht, aber alle anderen, die nicht dieser Schicht angehören, vergisst und somit die Taten von Jesus auf eine neue Weise deuten, wie ein „zweites Evangelium“.

Wo bleibt noch die Verantwortung vor der wahren Geschichte und dem wahren Jesus? Gibt es diesen überhaupt noch, wenn sich der Glaube immer weiter verselbständigt und die Bildungslücke dort immer größer wird? Sollten die Vertreter dieser Kirche die Verantwortung vor der Welt vergessen haben und vor Gott, das wahre Evangelium und ein wahres Bild zu verkünden?20 Hat Gott sie etwa, als Wächter ihrer Taten, vergessen und das Gott nicht mehr durch die Kirche handelt, sondern der Mensch an diese Stelle tritt? So zeigt sich mir diese Kirche, die fähig ist, den eigenen Glauben zu verfälschen und das dies kein Jesus mehr für mich ist, der an meine Tür des Herzens klopfen darf, wenn er meine Mitmenschen allesamt vergisst und eine soziale Grenze zieht? „Er steht allein im Garten“…von Judas verraten und verkauft. Steht er nicht auch heute, durch diese Kirche, in einem Garten, der die Zeit nicht kennt und von den Verantwortlichen „verraten“ wird? In dem Sinne, dass man ihn manipuliert hat?21

Die folgende Meditationsform ist öfter vorgekommen. Wir sollten z.B. einen Bibeltext in eine Situation hineintragen oder eine Situation in einen Bibeltext: Was erinnert mich woran? Dazu zählten auch persönliche Exkursionen und intensive, lebenskünstlerische Betrachtung der Umgebung. Ich bin gerne zum Strand, in den Wald oder in die Kirche gegangen. Diese Text-Kontext-Übung kann helfen, Gedanken für die Predigt, einen Unterrichtsentwurf usw. zu finden, auch um die gegenwärtige Lebenswelt zu betrachten, um diese auf die Tradition zu übertragen, z.B. Anknüpfungspunkte in der homiletischen Großwetterlage zu finden. Welche Ereignisse prägen die Hörer, die Schüler oder andere Menschen zur gegenwärtigen Zeit? Gibt es menschliche Grundkonstanten und Ähnlichkeiten zu den biblischen Texten? Diese wechselseitige Grundbewegung zwischen Lebenswelt und Tradition ist in der Theologie ganz entscheidend.

17 Kritisch muss diese Meditation betrachtet werden, weil sie 1. durch ein "wir" einen Hörerkreis einschließen möchte, der vielleicht gar nicht existiert und es zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann und 2. ist dieses Jesus-Bild etwas beschränkt, bei aller Leidenschaft, die gut ist, aber nicht unkritisch betrachtet werden sollte. Das geschieht hier schon am Beispiel des Jesus-Bildes in den Kirchen in den USA, sodass es erste kritische Tendenzen von mir in dieser frühen Studienzeit schon gibt, aber das noch nicht ausreichend, sondern zu ambivalent war. Klar ist aber, dass Religion und Theologie aus ihrer jeweiligen Zeit, auch der Moderne und ihrer Technologien, heraus sprechen und die Kontextualisierung hier schon angedeutet wird, dass Jesus-Bilder in den zeitlichen Kontext gestellt werden müssen und nicht einfach (auch für eigene Machtinteressen) missbraucht werden dürfen.

18 Vgl. Hallesby, Ole (1982): Vom Beten. Eine kleine Schule des Gebets (Brockhaus Taschenbuch, 13), Credo: Oslo.

19 An der Stelle muss der Kritik auch Grenzen gesetzt werden, weil nicht jede Kritikfähigkeit auch gut ist bzw. auch Ausdruck von Respektlosigkeit sein kann. Nein, darum geht es nicht. Es geht mehr darum, Praktiken zu kritisieren, die anderen Menschen oder auch dem "Quellenursprung" schaden könnten und die Ansichten über eine Thematik unterschiedlichen Seins-Systemen und Denkkontexten entspringen können, die auch in ein Spannungsfeld geraten können. Es geht dabei immer um ein Können, nicht um ein missionarisches, halbbarbarisches Müssen, auch wenn diese Form von Kritik manchmal gerechtfertigt sein kann. Generell geht es im Theologiestudium mehr um einen "Ausgleich der Meinungen" und ihre kritisch-konstruktive Betrachtung, mit dem Ergebnis einer eigenen Meinung, die gut begründet ist, aber sicher nicht die einzige ist, sondern Kritikfähigkeit auch immer auch Dialogfähigkeit ist.

20 Das klingt etwas barbarisch, sodass wissenschaftliche Fragen oder andere kritische Fragen auch immer selbstkritisch betrachtet werden sollten. Es ist auch mehr eine Anfrage, ein Anstoß über einen möglichen Missstand nachzudenken, dass die "Leidenschaft" doch etwas zu sagen hat, aber immer kritisch betrachtet werden sollte. Ich lasse den Text trotzdem stehen, weil er dennoch die Lernbewegung zwischen Leidenschaft und (Selbst-) Kritik zeigt, auch jetzt durch die Fußnote(n). Als Angriff sollte dieser Text im Nachhinein nicht verstanden werden.

21 Wichtig ist hier schon die kritische Übertragung von Lebenswelt und Tradition, sodass diese als "Quellenursprung" schon als eine kritische Folie auf die Lebenswelt betrachtet werden kann. Die kritische Betrachtung der Gegenwart und der Forschungsmeinungen in der Sekundärliteratur zu den Quellen anhand der Quellen selbst, die aber auch selbst deutend sein können und die Kontexte von "Fakten" genau festgestellt und abgeglichen werden müssen, ist ein Kernpunkt des Studiums, auch in anderen Studiengängen, z.B. dass man im Bereich der Soziologie die Meinungen in der (möglicherweise auch veralteter) Sekundärliteratur anhand von Diagrammen oder aktuellen Interviews abgleicht: Was hat sich verändert? Muss die Theorie aktualisiert werden?

Aus der Demut zur Freiheit und Liebe (Gottes)

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