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Kapitel 6.

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»Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde,

denn der erste Himmel und die erste Erde verging, und

das Meer ist nicht mehr.«

Geheime Offenbarung des Johannes, 21. Kapitel

Vom köstlichen Braten gesättigt hockte die Schar um Mutter Märthe im Feuerschein, der das Erz der Höhlenwände zum Glitzern und Schimmern brachte. Fast erwartete man, daß eine wundermilde Fee um die Ecke lugen würde, so schön und prachtvoll war der Glanz.

Hans, der Drucker, hatte sie alle mit munteren Geschichten um einen gewissen Till Eulenspiegel amüsiert, der mit allerlei List und Kunstfertigkeit die hohen Herren, Handwerksmeister und Patrizier an der Nase herumführte und selbst den Höchsten auf den Kopf schiß. Geschichten, die Hans vor einigen Jahren schon in Druck gelegt und gern gelesen hatte.

Sebastian hörte sie mit Entzücken und Marie mit staunenden Augen. Sie kannte bislang nur die recht grauenhaften Mären von Hexen und Teufeln, Drachen und Zauberern, die sie immer so sehr verschreckt hatten, daß sie dabei ihrer Mutter unter den Rock gekrochen war. Diese Erzählungen um den Eulenspiegel waren anders, lichter, fröhlich und zum Lachen gemacht.

Nun lag sie bei der Mutter Märthe im Schoß und blinkerte mit den Augen, der Rauch biß darin, sie war müde und satt. Katharina salbte und verband nach Anweisung Märthes die Wunde des Bauern neu. Er dankte ihr mit leuchtendem Blick, sie ließ es geschehen, denn der Bauer war kein übler Kerl, er betete sie nur still an, als halte er stille Andacht vor einer geschnitzten Madonna.

In acht nahm sie sich freilich vor dem munteren, feisten Hans und aus schierem Argwohn auch vor dem Landsknecht. Keinem Söldner traute sie recht über den Weg. Kriegsmänner nahmen es mit der Sitte nie genau, überkam sie die Lust, so griffen sie zu, und Katharina war ein stolzes Mädchen, das ihre Jungfernschaft nicht unter Gewalt verlieren wollte.

Der Graf döste neben dem flackernden Feuer, hing ziellosen Gedanken nach. Wohin sollten sie sich nun wenden? Ein Braten, gut und schön, eine Höhle für die Nacht, doch sie konnten nicht auf ewig in den Wäldern leben, schon gar nicht im Winter, wenn der Frost einkehren würde. Winter! Wie lang war das noch hin.

Seine Burg lag fern, doch war sie nun sicher schon geschleift und geplündert, da er, der Herr, nie einen Hehl daraus gemacht hatte, auf welcher Seite er sich im Bauernkrieg schlug.

Nachdem er mit Michael von Pavia zurückgekehrt und sich den Rotten im Schwarzwald und zu Hegau angeschlossen hatte, war er nicht mehr auf seine alte, heruntergekommene Festung zurückgekehrt. Nichts wartete dort auf ihn, keine Frau, keine Rinder und so wenig Brot und Einkünfte, daß er kaum sein Gesinde ernähren konnte. Preßzölle oder weitere Abgaben zu erheben lag nicht in seinem Sinn. Ihn dauerte es, wenn seine Leute zu sehr darbten. Seinem Landesherrn hatte er treu den Kriegsdienst geleistet, sein Steuereintreiber wollte er hingegen nicht sein.

Ein hartes, freudloses Leben lag hinter ihm, doch nun lebte er zudem in Acht und Bann, ein Recht- und Ehrloser, dem sein Stand nur wenig nützte. Wie sollte er in Zukunft sein Leben sichern?

Die armen Leut um ihn herum schien das weniger zu kümmern. Sie lebten in den Tag hinein, nachdem ihnen alles, was wenig genug war, genommen worden war. Lag ihre Hoffnung vielleicht in den großen Städten, wo sie untertauchen und als Bettler von der Armenspeisung, den Almosen der Kirchgänger und in Hospitälern leben könnten? Eine höchst heikle Zukunft, denn immer wieder erließen die Stadträte Gesetze gegen zugezogene Bettler, um die Zahl derer, die sie zu verpflegen hatten, gering zu halten. Tagelöhner, Krüppel und Aussätzige hatte jede Stadt ohnehin schon genug.

Märthe summte leise ein Lied für Marie. Als das Kind eingeschlafen war, zog sie ihre Jacke aus grobem Filztuch aus, breitete sie neben sich aus und hob sanft Marie darauf. Die kuschelte sich friedlich in das kratzige, nach geheimnisvollen Kräutern duftende Tuch, seufzte kurz wie ein milchsattes Kätzchen und schlief dann weiter.

Mit leiser Stimme sagte Märthe: »Ich glaube, es ist an der Zeit.« Die anderen richteten ihre Augen auf sie, wieder gebannt von ihrer seltsam schönen Stimme. Hesekiel, der an einigen Knochen pickend seinen Hunger gestillt hatte, flatterte auf seine Herrin zu und setzte sich auf ihren ausgestreckten Arm. Wieder, so befand der Graf, sah sie ganz wie eine Hexe aus. Und Hexenwerk begann sie nun. Aus einem Beutel zog sie ein Bündlein Kräuter hervor. Die warf sie ins Feuer und sprach eine Formel: »Brenn, Kraut, brenne, sende empor, befrage die Himmel und halt uns nichts vor.«

Ein fein duftender Rauch kräuselte sich unter dem schönen Gewölbe der Tropfsteinhöhle, das Feuer flackerte lodernd auf und beleuchtete die prachtvolle Decke. Tausende von Kalkfingern glitzerten und leuchteten, staunend wandte die ganze Gruppe ihre Köpfe empor. Wie eine schöne Kathedrale wirkte nun der Felsendom über ihnen. Hesekiel plusterte sein Gefieder und krächzte: »Gott sei mit uns.« Katharina verkniff sich ein Kichern.

Märthe schloß die Augen, und Sebastian tat es ihr nach. »Ich spüre deine Gegenwart, himmlischer Bote«, flüsterte Märthe. Die Höhlenwände schienen ihre Stimme hundertfach zurückzuwerfen. Der Bauer wandte unruhig den Kopf zum Höhleneingang, die anderen beobachteten Märthe. »Himmlischer Bote, öffne dich uns, gebe uns kund und zu wissen, was der Wille des Herrn ist.«

Noch einmal schwor sich der Graf, diesem Spuk ein Ende zu machen. War er denn von Sinnen, solchen Unfug zu dulden? Doch etwas hielt ihn zurück, seine Glieder waren bleischwer, seine Zunge ließ sich nicht bewegen, das mußte dieses vermaledeite Kraut bewirkt haben, das leicht nach Myrrhe roch und nun einen gelben Qualm erzeugte, der sich wie ein Schleier über die Gruppe legte.

Jetzt öffnete Sebastian den Mund. Erschrocken richteten sich alle Blicke auf ihn, als der Stumme plötzlich mit tiefer, angenehmer Stimme zu sprechen begann.

»Ich bin gekommen, um euch zu unterweisen. Hört, was der Herr befiehlt. Es geht ein Sturm über das Land, der nicht nach seinem Willen ist. Ihr seid gewählt, den Sturm zu bannen. In der Maske der Gaukler sollt ihr ziehen und eine Plage unter die Gottlosen streuen, um ihnen und ihrer Maßlosigkeit Einhalt zu gebieten. Ich werde euch nähren und führen. Fürchtet euch nicht, denn viele werden euch folgen.«

Atemlos lauschte die Gruppe der Stimme. Sebastian schien weit entrückt, seine Augen waren geschlossen, seine Lider flatterten. Ein Zischen ging durch das Feuer, noch einmal blitzte es auf, dann sank es in sich zusammen. Der gelbe Nebel verzog sich, der Zauber war vorbei. Märthe öffnete die Augen, der Graf sprang auf.

»Teufelsblendwerk«, donnerte er so laut, daß die Wände erbebten. »Komm, Michael, hier ist unseres Bleibens nicht. Ich will vergessen, was ich sah und hörte. Märthe, für diesmal sollst du mir entkommen, doch ich dulde nicht, was du tust.« Der Graf packte sein Schwert, auch der verdutzte Michael erhob sich. Da sprach Bauer Rufus, dessen einfältiges Gemüt tief erschüttert war. Nie hatte er dergleichen erlebt.

»Herr, ich glaube, Ihr tut unrecht. Dies war ein Ruf des guten Gottes. Da bin ich sicher. Es wäre ein Frevel, ihm nicht zu folgen. Der Befehl war klar. Wir sollen durch die Lande ziehen und dem furchtbaren Sturm der Fürsten Einhalt gebieten. Das könnte der Teufel nicht wollen, denn er regiert die weltlich Herren und hat Freude an ihrer Mordlust. Ich hatte keine Hoffnung mehr bis jetzt.«

Michael geriet ob dieser ihm einleuchtenden Überlegungen ins Schwanken. Doch der Graf blieb fest. »Ich bin ein aufrechter Verfechter der Reformation, doch Worte aus dem Mund eines Stummen, das geht nicht mit rechten Dingen zu. Auch verwendet die Alte ein seltsames Zauberkraut, das mir Sinne und Stimme raubte ...«

»Um sie Sebastian zu leihen«, sprach sanft Katharina, die von der Zeremonie ebenfalls tief bewegt war und Sebastian mit einem neuen Gefühl warmer Zuneigung betrachtete.

»Was zweifelt Ihr«, hob jetzt auch Hans an, »spricht nicht die Bibel von viel größeren Wundern, der Speisung der Zehntausend, den Lahmen, die wieder gehen lernten. Ist es nicht Frevel, Wunder zu verneinen? Ich hab’ so manche Frau als Hexe brennen sehen und auch die Herren, die hinterher ihre Habe plünderten oder ihr Handwerk übernahmen. Ich sage Euch, nichts als Habgier und der Pesthauch übler Nachrede entzündet die Scheiterhaufen in diesem Land. Hexen, pah! Das ist so manchem frommen Herren von Nutzen. Genau wie die Judenlüge. Brennt ein Wucherer, dann brennen die Schuldverschreibungen einiger Herrn mit ihm. Es gibt keine Hexen, oder seid Ihr ein Heide und glaubt an derlei. An beseelte Bäume und Menschenopfer, wie unsere Urahnen es taten? Das, guter Herr, nenn’ ich die wahre Ketzerei. Was wir eben erlebten, aber ein Wunder reinen Wassers.«

Der Graf schnaubte wütend. Er war ein stolzer Mann, der solchen Widerspruch in Teufelsfragen nicht duldete. Wie tapfer und aufrecht er auch die Sache des Volkes vertrat, dem Aberglauben Vorschub zu leisten war er nicht gewillt. Also machte er sich auf den Weg und brummte nur ein »Gott behüte euch«.

Märthe hatte die ganze Zeit über geschwiegen, nun rief sie ihm hinterher: »Graf Traubstedt, ich verstehe Eure Zweifel, doch wir werden uns wiedersehen und verbünden. Glaubt mir, unsere Wege werden sich kreuzen. Habt acht bei Eurem Gang durch die Nacht. Nur wenige Stunden von hier lauert eine wilde Rotte. Wenn Ihr klug seid, werdet Ihr keinen Schaden nehmen, sondern gerechten Gewinn machen.«

Der Graf beschleunigte seine Schritte und strebte dem Höhlenausgang zu, widerwillig folgte ihm der Landsknecht. Er war dem Grafen verpflichtet, da der ihn als persönlichen Knappen genommen und vor weiteren Kriegsdiensten im Heer des ungeliebten Kaisers bewahrt hatte. Nur darum würde es ihm einmal vergönnt sein, sein geliebtes Weib wiederzusehen, statt schmählich in einer Schlacht fern von hier zu verenden, im Kampf für eine Sache, an die er gewißlich nicht glaubte. Dessen eingedenk, wandte er sich schulterzuckend noch einmal der Gruppe zu. Wie eine Familie aus seltsamen Heiligen hockten sie einträchtig um das müde glimmende Feuer. Gaukler also sollten sie werden, wie zerlumpte Gaukler des Glücks sahen sie jetzt schon aus.

Die stolze Katharina mit dem verführerischen Katzenblick, der muntere Hans mit dem üppigen Bäuchlein, seiner prallen Lebenslust und dem entschlossen gereckten Kinn, Bauer Rufus, den ein heiliger Ernst umhüllte, und die geheimnisvolle alte Märthe, die gerade die kleine Marie liebevoll mit dem Tuch zudeckte. Gottes Waffenknechte gegen den Blutdurst der Fürsten? Was für ein Bündnis. Ein Bündnis der verzweifelten oder der verlorenen Seelen.

Michael, obwohl von nüchterner Natur, wäre gerne bei der Schar geblieben, doch er hob die Hand zu einem letzten Gruß.

Der Kapuzinermönch

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