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Kapitel 3.

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»Fein ordentlich hat Gott die Welt

mit drei Ständen wohl bestellt:

Ein Stand muß lehren, der andere nähren,

der dritt muß bösen Buben wehren.«

Erasmus von Rotterdam

Der Ritter von Bogenwald bezog nach langem, anstrengendem Ritt längs des Kyffhäusers und durch die Dörfer und Weiler der letzten Rebellen gegen Abend ein Quartier in Mühlhausen, wo die hessischen Fürsten das Regiment übernommen und Ruhe und Ordnung wiederhergestellt hatten. Harte Geldstrafen waren gegen aufmüpfige Bauern und Bürger und ihren Rat, der sich frech »Ewiger Rat« nannte, erlassen worden. Mit dem Titel einer freien Reichsstadt hatte es für Mühlhausen nun ein Ende, selbst die dicksten Pfeffersäcke würden bluten.

Seinen Knecht hieß der von Bogenwald, die schweißnassen Pferde zu versorgen. Seine achtzig Gefolgsleute schlugen ihre Zelte im fürstlichen Feldlager vor den Stadtmauern und an den Ufern der Unstrut auf, wo an die siebentausend Mann lagen. Er selbst bezog die einzig noch freien Zimmer eines recht annehmbaren Gasthofes, dessen Wirt sich nicht den aufständischen Bürgern angeschlossen hatte.

Mit kräftigen Tritten und klirrenden Sporen stieg der Ritter die Treppe zur hölzernen Galerie hinauf, wo die Kammern lagen.

Der ängstlich dreinblickende Wirt – Kleinmut hatte ihn vor einem Bündnis mit den Rebellen bewahrt – hatte ihm eine wächserne Sonntagskerze statt einer stinkenden Öllampe gereicht.

Ja, dachte der Ritter zufrieden, er selbst war ein Mann, den man fürchtete und achtete. Und sein Ruf ging ihm endlich voraus. Vorbei die Wegelagerei und das Maskenspiel als Führer des tumben Pöbels von Frankenhausen. Diese Wochen im Bauernlager, diese Gleichmacherei mit dem gemeinsten Volk ließen ihn nach Ehrerbietungen, die seinem Stand gebührten, dürsten.

»Bringt mir einen Krug Eures besten Weines, macht voran! Aber wehe, ich entdecke eine Kröte oder sonstiges Gewürm in deinem sauren Gesöff, die wirst du mir lebendig verspeisen müssen. Und führt den Mönch, sobald er kommt, in meine Kammern«, brüllte der Ritter noch die Stiegen herab. Der Wirt nahm die Beine in die Hand und flitzte nach dem Schlüssel für seinen Weinkeller.

Die Fenster der Kammer gingen zum Marktplatz, wo bereits der Henkersblock für den Lumpen Müntzer und eine Richttribüne gezimmert worden waren. Grimmig lächelnd und mit Wohlgefallen betrachtete der Ritter die Vorkehrungen, dann schloß er das teure Bleiglasfenster – den Mühlhausern ging es allzugut – und trat ins Zimmer zurück. Es schien recht reinlich. Der Boden war mit frischem Heu bedeckt, anders als in der stinkenden Schankstube unten, wo sich Mist und Auswurf unters Bodenstroh mischten und die Ratten zwischen den Fässern umherflitzten.

Im Schein der Kerze vermochte der Ritter in einem Mauerspalt nur zwei träge Wanzen zu entdecken, die er mit bloßem Daumen zerdrückte, so daß ihre Panzer zerknackten und das Blut des letzten Gastes emporspritzte. Der mit Leinen überspannte Strohsack auf dem Holzbettgestell schien frisch gefüllt und geschüttelt, auch die Bettvorhänge waren gereinigt; also würden nur seine eigenen Flöhe heute ihr blutiges Festmahl auf seinem Leib feiern.

Der Ritter stellte den Kerzenhalter aus Zinn auf eine mächtige Truhe, dann brüllte er nach seinem Knappen, der ihm beim Ablegen von Brustpanzer und Kettenhemd behilflich war. Ein leichtes, italienisches Kettenhemd, dicht geschmiedet und doch nicht so beschwerlich wie die alten deutschen Eisenhemden. Es hatte ihm gute Dienste geleistet und die lächerlichen Heugabeln der Bauern mühelos abgewehrt.

Der Herr von Bogenwald schnallte die Beinpanzer ab und warf sich auf den Strohsack, dann brüllte er erneut nach dem Wirt, der keuchend nach oben eilte.

»Soll ich dir hiermit Beine machen«, rief er dem armen Mann drohend zu, als der sich mit einem Krug und einem Tablett mit kaltem Fleisch und Brot durch die Tür zwängte, und fuchtelte mit einem blitzenden Sarazenerdolch.

»Schau nur, du kleiner, fettwanstiger Krämer, da klebt noch Blut daran. Das Blut von deinesgleichen. Von Strolchen, die ihren Stand vergessen und Gott gelästert haben. Nimm dich in acht, ich bin des Tötens noch lange nicht müde. Erst wenn der letzte deiner Art von der Erde vertilgt ist, werde ich ruhen. Mir steht die Lust auf einen hübschen Tanz. Spring, Wirt, spring.« Der Ritter war vom Bett aufgestanden und trieb den armen Mann mit dem Messer in eine Ecke des Raumes. Zitternd stand er da und ließ am Ende das Tablett klappernd fallen, das Fleisch ging zu Boden, der Krug mit dem Wein drohte zu folgen.

Doch den schnappte der Ritter im letzten Moment geschickt auf, setzte an und nahm einen kräftigen Zug, der Wein lief in Strömen seine Mundwinkel herab, färbte sein schmutzigweißes Unterhemd mit roten Flecken. Der Wirt nutzte die Gelegenheit zur Flucht. Dröhnend lachte der Ritter und schrie ihm hinterher: »Schickt mir eine Magd, das Bett muß gerichtet werden. Aber nicht die alte, grobe Funz, die unten am Tor deine Hühner rupft. Ich will junges, frisches Blut.« Der Befehl war allzu deutlich.

Am Ende war es die Tochter des Wirts, Susanna, die sich für den Gang opferte, da sie ernstlich um Leib und Leben ihres armen Vaters fürchtete.

Diesem Herrn zu Bogenwald war alles zuzutrauen, schreckliche Geschichten waren seiner Ankunft vorausgeeilt. Und nun lebte man einmal in einer rechtlosen Zeit, in der die Herren das Gesetz ganz nach ihrem Gutdünken machten. Zumal die Mühlhausener einen aufständischen Rat eingesetzt hatten und nun heftig büßen mußten. Einfache Leute wie sie, die sich nicht loszukaufen vermochten, baumelten schneller am Galgen, als der Floh einen Sprung tat.

Was half’s. Er verlangte nach einem Weibe. Wenn es dem häuslichen Frieden diente, so wollte sie den Opfergang tun. In diesen Zeiten gab es Schlimmeres, und Susanna, eine nicht mehr ganz junge Witwe, deren Mann als Landsknecht vor Pavia gefallen war, war den fleischlichen Umgang mit Mannsleuten gewohnt. Was predigte der Luther von unzüchtiger Hurerei? Wußte er denn nicht, wie schwer es war, sich dem Treiben dieser zügellosen Herren zu widersetzen?

Gebe Gott, flehte Susanna, daß der grausame Gast nicht ihre jungfräuliche Schwester entdeckte. Sie war so zart und scheu, gerade zwölf Jahre alt und eben heiratsfähig, dabei so rein im Herzen. Sie würde einen Übergriff dieses Unholds gewiß nicht überleben, obgleich sie dem Vater so tapfer zugeredet hatte: »Laß mich nur hin zu ihm, mein Vater. Ich werde ihn mit Gottes Wort zu überzeugen wissen, daß er nicht recht tut, wenn er Euch so schilt und quälen tut.«

Was für ein Kind! Aufgewachsen in diesen wirren Zeiten, hatte sie zu viele Predigersleut gehört und den schönen, bunten Bildern von Gottes Paradies auf Erden geglaubt, das einige Prediger weit entfernt im Osten kurz hinter einem Land mit dem Namen Indien vermuteten. Als könne man geradewegs zu Fuß dorthin spazieren.

Susanna wußte es besser. Sie war eine nüchterne Natur. Ein Paradies auf Erden gab es nicht, schon gar nicht für die einfachen Leut. Die hatten nichts als Arbeit und Kummer dazu. Ihren Mann hatte man vor bald drei Jahren als Lanzenknecht für das Heer des Kaisers verpflichtet. Da gab es kein Entrinnen; als einfacher Mann und Bürger war er zum Dienst mit dem Spieß verpflichtet. So stand es in seinem städtischen Freibrief, ein Spießbürger war er eben. Ja, die reichen Bürgersleut von altem Geschlecht, die kauften sich vom Dienst mit der Waffe einfach frei. Ihr Michael aber hatte im Heerbann des Fürsten mitmarschieren müssen.

Die besten Burschen, die davon verschont blieben, und die unfreien Bauern aus den umliegenden Dörfern hatten hingegen gerade eben ihr Leben im sinnlosen Aufstand gegen die Herrschaft gelassen. Was hatten Leute wie sie zu hoffen? Nicht viel, denn allenthalben zettelten die vielen Herren neue Kriege an. Paradies! Die Hölle war’s und blieb es. Mit einem unterdrückten Seufzen klapperte Susanna auf ihren derben Holzpantinen die Stiege hoch.

Sie trug einen Krug frischen Brunnenwassers in der Hand und sauberes Leinen über dem Arm, obwohl sie das Bett am Morgen erst frisch bezogen hatte. Was für eine Plackerei, nur weil einem Tunichtgut der Sinn nach Unzucht stand. Mit pochendem Herzen klopfte sie an die Kammertür.

»Wer da?«

»Herr, ich bringe Euch sauberes Leinzeug und einen Krug Wasser.«

Die Tür wurde aufgerissen. Der Ritter musterte die dralle, wohlgeformte Magd mit den blonden Flechten unter der züchtigen Haube mit unverhohlener Gier. Susanna betrachtete den Mann verstohlen und mit gewisser Erleichterung. Er mochte grausam und brutal sein, häßlich war er nicht. Seine Hakennase war Zeichen edler Herkunft, die hochgewachsene Gestalt kräftig, sein braunes Haar ringelte sich zu unzähligen, seidigen Locken, was auf eine italienische Linie hindeuten mochte, ebenso wie seine fast schwarzen Augen, die kalt auf sie hinabblickten.

Kurz, er war ein Mann, der jede Frau, auch eine vornehme, haben konnte, ohne sie groß überreden zu müssen.

Er würde wohl keine mit Gewalt nehmen, wie diese schäbigen, lumpigen Söldner vor den Stadttoren, denen niemand Einhalt zu gebieten wagte.

Susanna neigte ehrfürchtig den Kopf und wartete, daß der Ritter ihr den Weg freigab. Dann klapperte sie über die Dielen zum Bett, zog den Vorhang beiseite, das Leintuch vom Strohsack und ward im selben Moment derb auf das Lager geworfen.

Der Mann warf sich über sie und war so schwer, daß sie nach Luft ringen mußte.

»Der Wirt beginnt zu begreifen, wonach der Sinn mir steht«, flüsterte der Kerl böse in ihr Ohr. Dann riß er ihre Röcke hoch, zerrte an den Leibtüchern, die sie fest um ihre Schenkel geschlagen hatte. Aus Wut über dieses Hindernis, zog er schließlich jenen Dolch hervor, von dem ihr Vater zitternd vor Furcht berichtet hatte.

Was sollte ihm die Waffe nutzen? Susanna wehrte sich ja nicht. Dennoch spürte sie in diesem Moment die scharfe Klinge an ihrer Kehle, sie ritzte ganz sanft in ihre Haut, ein warmer Tropfen Blut sickerte hervor und lief langsam ihre Kehle herab. Susanna wimmerte. Der Teufel hatte sie zur Liebhaberin gewählt.

»Bist du noch unberührt, meine Schöne?« Der Mann zerrte an seinem Gürtel, streifte schließlich seine Hosen herab, hielt sein Opfer aber mit einem Arm eisern umklammert. Susanna zitterte. Dieser Kerl war ein Tier, eine Bestie, schlimmer als jeder dahergelaufene Bauernbursche, der sich betrunken in der Schankstube an sie herangemacht hatte.

»Herr«, preßte Susanna hervor, »was wollt Ihr?« Besser, sie spielte von nun an die unberührte Unschuld, schien ihm doch danach und nach einem verschreckten Wesen der Sinn zu stehen.

Der Ritter riß sie herum. Susanna erschrak unter seinem wilden Blick. Das Hemd bedeckte seine Blößen, und doch wich sie wie schamhaft zurück. Der Ritter lächelte amüsiert. Susanna atmete auf, endlich hatte sie das Spiel wohl verstanden.

»Oh, ein unbeflecktes Täubchen ist mir in die Kammer geflattert. Heb noch mal deine Röcke.« Susanna wich weiter zurück. »Herr, ich verstehe Euch nicht.«

Der Dolch schnellte vor, ihr Wams wurde mit einem Schnitt zerrissen, dann zerfetzte der Ritter mit einem Ruck ihr Leinenhemd. Susanna hob schützend die Arme vor ihren blanken Busen. Das schien den Mann vor ihr erneut und noch heftiger als zuvor zu erzürnen. Was nur hatte sie falsch gemacht, er wollte doch eine wehrhafte Unschuld bezwingen?

»Hältst du mich für einen Tölpel? An diesen Schöpsenkeulen hast du bereits eine ganze Kinderbrut gesäugt, du Metze, du betrügerisches Weibsbild! Ich seh’ es wohl. Willst mir die Unschuld spielen, he? Nicht mit mir.«

Wieder schwang er den Dolch. Susanna drehte sich heftig zur Seite, die Klinge drang in den Strohsack ein, der wütende Mann wirbelte zu der Magd herum, die kroch unter seinem erhobenen Arm hindurch und wollte zur Tür fliehen, doch sein kräftiger Arm riß sie wieder herum.

Susanna schickte ein Gebet gen Himmel und sah ihr letztes Stündlein gekommen, als die Kammertür aufgestoßen wurde und ein dürrer Mönch in weißem Habit hereintrat. »Haltet inne! Ihr habt genug Blut vergossen in diesen Tagen, bescheidet Euch, mein Herr, und laßt das Mädchen gehen. Auf Euch warten größere Taten.«

Tatsächlich ließ der Ritter nun ab von Susanna und begrüßte den Mann als »Bruder Claudius«. Susanna ging vor dem Mönch kurz in die Knie und küßte seine Hand. Dann floh sie aus dem Zimmer, als sei der Leibhaftige ihr auf den Fersen.

Und ebenso beschrieb sie später in der Küche bei einem großen Krug Würzbier den Herrn Ritter und empfahl, die kleine Schwester sofort zur Tante in Obhut zu schicken.

»Wiewohl der Mönch, ich glaub’, ein Dominikaner ist es, Macht über den Herrn zu haben scheint und ihm die zügellosen Freiheiten, die er sich nehmen will, verwehrt.«

»Traue dem nicht«, warnte hingegen die Hausmutter und scheuerte mit Sand den großen Eisenkessel, »traue ihm nicht. Es gehen auch über diesen Mönch böse Geschichten um. Man hört’s schon auf allen Gassen. Er soll mit dem Teufel im Bunde stehen und hat seine Seele für das Zweite Gesicht verkauft. Man erzählt, er habe Kindern das Herz bei lebendigem Leib herausgerissen, um sie Satan zur Speise darzubringen. Mir scheint, der Mönch ist schlimmer als sein Herr.«

Mutter Dörthe mißtraute Pfaffen und allem römischen Gesindel zutiefst. Luthers Wort von der römischen Büberei hatte bei ihr, wie in weiten Teilen Sachsens und Thüringens, gläubiges Gehör gefunden. Klare Worte für schlichte Gemüter ohne lateinisches Geschnörkel.

»Hüte dich, Susanna, am Ende wird der falsche Mönch es sein, der seine Gier an dir stillt und dir einen Bastard anhängt.« Susanna nahm einen weiteren Schluck Bier und schüttelte den Kopf. Mutter Dörthe war eine kluge Frau, doch wenn es um die Verbrechen der Kirche ging, dann glaubte sie noch die gemeinsten und die dümmsten Lügen.

Sicher, auch sie selbst war keine Freundin jener dem irdischen nur allzu zugewandten Kirchendiener, aber dieser hatte ihr das Leben gerettet. Außerdem sah er nicht aus wie einer dieser feisten Heuchler, die ihren Bierbauch kaum unter ihre Kutten zwängen konnten und jedem Weiberrock nachschielten. Nein, dieser Mann hielt sich an das Gebot der Askese, seine hohlen, fast blau schimmernden Wangen, sein hagerer, vogelartiger Hals waren deutliche Zeichen von Entbehrung. Unheimlich sah er freilich aus, dieser dürre Mönch mit dem Vogelgesicht ...

In der Kammer des Ritters hielten Herr und Mönch inzwischen Kriegsrat ab. »Das wahllose Sengen und Brennen muß nun ein Ende haben, werter Ritter.« Der Mönch wußte die Ruchlosigkeit des Bogenwaldlers zu schätzen, sie machte ihn zu einem vollkommenen Werkzeug des Teufels, doch nun galt es, geschickter vorzugehen. Adligen Wegelagerern und Raubrittern gehörte die Zukunft gewiß nicht, und der Aufstand der Bauern, der alle Regeln der Barmherzigkeit unter den Herren aufgehoben hatte, war niedergeschlagen im Thüringischen.

Bald würde wieder Ordnung einkehren, denn die Äcker mußten neu bestellt werden, damit die Fürsten sich nähren und bereichern könnten, hatten doch viele kaum ein anderes Einkommen, weil sie den Wandel nicht begriffen, den Wert des Geldes unterschätzten und statt dessen an der Scholle klebten.

»Nicht mehr brennen, nicht mehr plündern? Wer sollte mich daran hindern? Die ganze Welt ist aus den Fugen, der Antichrist wird – wie du sagst – bald die Herrschaft haben und ich sein treuester Diener sein. Wer will sich uns noch in den Weg stellen, Bruder Claudius? Der Kaiser ist schwach und in den Händen der Fugger, ihn kümmert unser Deutschland nicht. Die wichtigsten Landesfürsten habe ich auf meiner Seite, bin ich doch ihr treuester Gesell und Richter. Wer sollte mich auf dem Weg nach oben noch aufhalten?«

Der Ritter von Bogenwald wußte nicht, daß das, was er für oben hielt, im Sinne des Mönches ein bei weitem zu bescheidenes Ziel war und nicht in den Grenzen Thüringens lag.

»Die Zeiten ändern sich, werter Ritter. Wer in dieser Welt etwas werden will, muß sich in Sitte und Anstand zumindest äußerlich kleiden. Glaubet mir. Die reichen Bürger machen’s den Fürsten bald vor und scheffeln im Mantel der neuen Moral die Dukaten. Der Reichtum sitzt bei den Patriziern und Pfeffersäcken in den großen Städten. Sie gehen prächtiger einher und wohnen fürstlicher als viele Edelleute.«

Der Ritter spuckte widerwillig aus und zeigte sich unbeeindruckt. »Was gehen mich die Städte an, ich hol’ mir genug aus dem Land, das scheint mir sicherer.« Dem Bogenwaldler waren, wie vielen seines Standes, die großen freien Reichsstädte – in Deutschland waren es neunzehn an der Zahl mit neuntausend bis hin zu vierzigtausend Einwohnern – mit ihren festen Mauern und oft gut bewaffneten Bürgern nicht geheuer. Er haßte sie als Nester des reichen Aufsteigerpacks und gröbsten Pöbels.

»Auch träumte mir von einem Maskenzug«, wechselte deshalb Claudius das Thema, weil sein Herr ihm nicht folgen wollte, »in dem der Tod mitmarschierte. Und dieser Mummenschanz ging gegen Euch. Ihr mühtet Euch redlich, die Gesellen abzuwehren, und starbet einen qualvollen Tod.«

Der Ritter von Bogenwald wurde bleich. Zu gut wußte er, daß sein religiöser Berater nicht leichtfertig von Traumgesichten berichtete und daß in der Vergangenheit oft das zur Wahrheit geworden war, was ihm bei Nacht erschienen war.

Den Sieg über die Bauern, den rechten Zeitpunkt für den endgültigen Wechsel ins fürstliche Lager, alles das hatte Claudius ihm prophezeit.

»Was kann diese Maske bedeuten?« fragte er heftig den hageren Mann in der weißen Kutte.

Bruder Claudius wiegte sein vogelartiges Haupt bedächtig hin und her. »Ich habe alle meine Traumbücher befragt und fand bei der Maske vieles, sehr vieles. Vielleicht droht Euch Gefahr von einem, der nicht ist, was er vorgibt zu sein. Von einem, der sich in der Maske des Freundes nähert. Ich weiß es nicht. Doch sicher ist, daß wir nun selbst uns wieder neue Masken wählen sollten. Die Bauern werden in nur wenigen Schlachten vollends vernichtet sein. Einige Dörfer werden wir im Namen der Sache noch plündern können. Doch dann scheint es an der Zeit, sich den reichen Pfeffersäcken zu nähern. In den Städten, mein Herr, sitzt das Geld, nicht auf dem Land, und Ihr braucht Geld, um Euch ein gutes Leben und Ruhm sichern zu können.«

Es ging bereits auf Mitternacht, der Herr von Bogenwald war müde und unleidlich nach seinem mißglückten Schäferstündchen. Sollte der Mönch alleine seine Pläne schmieden. Er war ein Krieger, kein Krämer.

»Schicke mir die Magd noch einmal!«

Der Mönch hob warnend seine linke Hand, der Ritter sollte den Bogen nicht überspannen, schließlich waren auch die Abgesandten der Landesfürsten in der Stadt, der Tod einer einzelnen Magd würde schwer zu erklären sein. Vergewaltigung einer ehrlichen Frau stand unter Strafe, und welches Weibsbild konnte man einfach so des Aufruhrs bezichtigen, um seinen Kopf hintennach aus der Schlinge zu ziehen?

»Schon gut«, warf der Ritter widerwillig ein, »ich verspreche Euch, keine Spiele zu treiben. Sie wird meinen Liebesdolch und Hosenteufel zu spüren bekommen, so daß es ihr eine Freude ist, das versprech ich Euch.«

Bruder Claudius schüttelte mißbilligend den Kopf. »Habt Ihr in den Dörfern nicht genug Mägde auf Euer Lager gezerrt und unglücklich gemacht?«

Der Ritter lachte heiser. »Ja, da waren hübsche Gänschen drunter. Das jüngste noch ganz ohne Flaum. Werden einige Bastarde ausbrüten, die tumben Dinger, wenn sie meine derbe Minne überhaupt überlebt haben. Das soll ihren Vätern und Brüdern eine Lehre sein. Wie sagte Hutten, dieser Hurensohn? Es ist eine Lust zu leben. Fürwahr. Nein, Claudius, dies ist etwas anderes. Es ist nur die Natur. Wenn ich Hunger habe, eß ich, brauche ich ein Weib, dann nehme ich es mir. Schick mir die Magd nur herauf. Sie wird ihre Freude haben bei dem kleinen Ritt.«

Mit dem Ritter konnte man nicht rechten, wenn seine Lüste ihn trieben, deshalb machte Claudius sich auf die Suche nach der drallen, hübschen Magd. Sie würde ihm gewiß vertrauen, nachdem er sie vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Der Stallbursche wies ihm den Weg zu einer Stiege, die in die Kammern über dem Stall führte. Der Mönch griff ein Öllämpchen und machte sich auf den Weg.

Susanna war noch nicht entkleidet. Sie kniete vor dem Bett und sprach ihre Gebete, als der Mönch zur Tür hereintrat. Sie erschrak.

»Ruhig, gute Frau. Ich sehe, Ihr lebt gottgefällig und vergeßt auch die Gebete nicht. Ihr seid ein braves Frauenzimmer. Und das habe ich auch dem rauhen Ritter, meinem Herrn, gesagt und ihm kräftig in sein Gewissen geredt. Er tut sich auch ordentlich schämen und will Abbitte leisten. Verzeiht einem Kämpfer seine rohen Sitten.«

Susanna dachte an die warnenden Worte der Hausmutter. Auf wessen Seite stand dieser Mönch?

»Sagt ihm, ich schließe ihn in mein Gebet ein und verzeihe, wie es meine Christenpflicht ist.«

Der Mönch seufzte und schüttelte den Kopf. »Liebs Fräulein, ich dächt, das tat nicht helfen. Er ist ein großer Herr, mein Herr, und vertrüge es nicht, speiste ich ihn mit solch dürren Worten ab. Allein, sähe er dazu Eure hübschen Lippen, dann würd’ ich meinen, er wäre alsbald milde gestimmt.«

Susanna starrte ihren Lebensretter, der so kunstvoll zu reden verstand, ungläubig an. Wie konnte dieser Bruder in Christo sie zurückschicken in die Höhle der Bestie? Er war doch ein Mann der Kirche, der zumindest öffentlich die Unzucht verurteilen mußte. Mehr noch, er gehörte dem Orden der Dominikaner an, die sich so redlich der Hexenverfolgung widmeten und alle Unzucht besonders hartnäckig verfolgten. Streng legten sie die ohnehin schon strengen Sittengesetze aus. Nicht einmal unter Eheleuten war die Vereinigung im Fleische allzu oft erlaubt. Wie die Hunde durften sie es nicht treiben, und vor hohen Feiertagen war es ganz verboten, sich als Weib und Mann zu erkennen, wie es in der Bibel hieß. Ein ehrliches, unvermähltes Frauenzimmer aber, das sich wann und wie auch immer der Schande hingab, durfte mit Ruten und Reisigbesen durch die Stadt gejagt werden. Was also wollte dieser Mönch?

»Herr, ich danke Euch für Eure Hilfe, doch ich wage nicht, dem Ritter noch einmal gegenüberzutreten. Habt Mitleid mit mir.«

Der Mönch zog einen Lederbeutel unter seiner Kutte hervor, darin gluckerte eine Flüssigkeit. Er zog ein versiegeltes Wachstuch vom Beutel und führte ihn zu seinem Mund.

»Ah, das ist ein gutes Tröpflein, trinkt, Mägdlein, nur zu.«

Susanna war froh über die Ablenkung und nahm gehorsam einen Schluck. Was für ein Teufelszeug war das? Wie Feuer brannte dieser Wein in ihrer Kehle.

Das Gebräu nahm ihr den Atem, die Holzdecke begann zu kreisen, dann war ihr, als beuge der Leibhaftige sich über sie. Mit gelben Katzenaugen blickte der Gehörnte sie gierig an, dann breitete er seine gezackten Schwingen aus und trug sie davon. Dunkle Nacht umfing sie.

Der Stallbursche wunderte sich nicht schlecht über den Mönch, der mitten in der Nacht die leblose Susanna über den Hof trug, aber er hütete sich, auch nur einen Laut zu geben. Im ganzen Haus war die Geschichte um Susanna wie ein Lauffeuer verbreitet worden, und selbst der Wirt hatte Angst, dem Ritter entgegenzutreten. So drehte der Stallbursche der huschenden Gestalt einfach den Rücken zu, streifte seine Beinkleider ab und erleichterte sich ins nachtfeuchte Stroh. Das konnte ihm schlecht einer ankreiden, daß die Natur ihn übermannt hatte bei seiner Wache.

Sollte er vielleicht für ein Weibsbild sein Leben riskieren? Ein jeder mußte in Zeiten wie diesen zunächst um sein eigenes Leben fürchten. Der Henkersblock und die Richttribüne auf dem Markt waren ihm eine Warnung. Viele von seinesgleichen würden in den nächsten Tagen hier gerädert und gevierteilt, geblendet und der Zunge beraubt werden. Recht geschah’s ihnen. Und dann erst der Müntzer, der jetzt im Stadthaus festsaß und zuvor in der Burg Heldrungen ordentlich unter die Folter genommen worden war. Der Stallbursche war gespannt, welche neuen Kunststücke der Henker und seine Knechte an diesem Ketzer ausprobieren wollten. Das waren einfallsreiche Leute, die ihr Handwerk wohl verstanden. Von eisernen Ochsen mit hohlen Bäuchen ging die Rede, in die man die Sünder sperrte und sodann über einem mächtigen Feuer am Spieß drehte. Hoffentlich gewährte man Müntzer nicht die Gnade des Schwertes. – Hei, das würde ein Schauspiel werden. Das wollte er nicht verpassen. Nicht für sein Leben.

Er sollte die Blutarbeit in einer Weise genießen, von der er nicht zu träumen vermocht hätte.

Der Kapuzinermönch

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