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Kapitel 5.
Оглавление»Und sieg’ ich nicht, so will ich ein Kind sein des
zeitlichen und ewigen Todes.
Ich hab’ kein höheres Pfand zu geben.«
Thomas Müntzer
Im feuchten, stinkenden Stroh raschelten die Ratten. Der Gestank verfaulender Reste einer jämmerlichen Rübenspeise mischte sich mit dem Geruch von Kot, Urin und dem Angstschweiß Todgeweihter. Der Mann, der hier in schweren Ketten lag, achtete nicht der erbärmlichen Gerüche, zu denen sich die eitrige Ausdünstung seiner Wunden gesellte.
Diese Zelle im Stadthaus zu Mühlhausen war ihm lieber als der Folterkeller von Heldrungen, wo die Knechte des Grafen Mansfeld ihn ordentlich und mit aller Kunst und rechter Disziplin in die Mangel genommen hatten. Thomas Müntzer versuchte seinen geschundenen Leib auf den Bauch zu drehen, sein Rücken, ach was, jedes einzelne seiner Glieder schmerzte und brannte. Taub waren allein die Stellen, an denen man ihn so arg verbrannt hatte, daß jeder einzelne Nerv unter der Haut verschmort war. Seine Hände und Füße waren dick geschwollen, die Daumenschrauben hatten seine Finger gebrochen, seine Gelenke waren zerschmettert. Nun hatte die Pein zunächst ein Ende. Morgen wollte man ihn ins Heerlager des Landgrafen von Hessen und des Fürsten von Sachsen führen, auf daß er öffentlich widerrufe.
Eine Unterschrift unter einen demgemäßen Brief hatte man ihm bereits abgerungen und schon zu Luther, diesem Doktor Lügner und Leisetreter, nach Wittenberg entsandt, auf daß er ein Pamphlet gegen den Hurensohn Müntzer verfasse und in alle Städte und Dörfer schicke.
Der ehemalige Prediger von Allstedt stöhnte leise. Vor der Zelle stampfte ein Landsknecht hin und her und spuckte seinen Rotz ab und an durch die Luke in der Zellentür. Was für ein Bursche, er hatte gut verdient an der Festnahme Müntzers, wohl hundert Gulden Judaslohn. Müntzer vergab ihm im stillen, denn dieser wußte nicht, was er tat.
Jetzt hielt der Lanzenträger in seinem Wachgang inne. Müntzer hörte ein leises Zwiegespräch, machte die derbe Stimme des Landsknechts und eine rauhe, doch recht angenehme Männerstimme aus. Man schien über etwas zu verhandeln, dann wurde rasselnd ein Schlüssel ins Schloß geschoben.
Das Schloß zu seiner Zelle. Langsam nur arbeitete das gequälte Hirn des Predigers. War es schon soweit, wollte man ihn zu den Herren führen, um ihn noch einmal einem peinlichen Verhör zu unterziehen?
Müntzers Erstaunen war nicht gering, als er einen kräftig gebauten Mönch mit kantigem Gesicht durch die Tür treten sah. Luther? zuckte es im ersten Moment durch sein Hirn. Das konnte doch nicht sein! Auch trug der doch längst nicht mehr seine Mönchskleidung. Vergangenheit und Gegenwart waren für den Gemarterten nur schwer zu trennen. Alles mischte sich zu einem zuckenden, schmerzenden Gedankengewitter, in das hell, aber selten kleine Blitze der Erkenntnis leuchteten.
Die dunkle Gestalt kniete neben ihm nieder. Müntzer blickte aus trüben, gebrochenen Augen in ein ernstes Gesicht mit stark ausgeprägten Wangen- und Stirnknochen. Grimmig und bedrohlich wirkte dieser Mann mit den Kampfesnarben auf ihn. Müntzer selbst war in seinem fünfunddreißigsten Lebensjahr, und obwohl dieser Mann bei weitem älter wirkte, sah er vitaler aus.
Flüsternd wandte sich die kniende Gestalt nun an den zerschlagenen Menschen: »Ich grüße Euch, geliebter Bruder in Christo«, ein leichtes Zögern, dann sprach Fresenius die Formel der Verschwörer, die er sehr wohl kannte: »Nichts als die Gerechtigkeit Gottes. Das Wort des Herrn bleibe in Ewigkeit.« So hatte es auf dem Regenbogenbanner gestanden. Müntzer stöhnte nur, als visitiere ihn ein Teufel der Hölle. Fresenius bereute, daß er nicht zu den heilkundigen Ordensbrüdern, den Benediktinern etwa, gehörte. Nichts hatte er zur Linderung von Schmerzen bei sich. Ihm blieb allein die heilsame Kraft des Gebetes, also sprach er leise ein Paternoster. Am Ende stimmte der Gefangene schwach in sein Amen mit ein. Der Bann schien gebrochen. Müntzer wandte seinem Besucher einen gequälten Blick zu.
»Wer seid Ihr?« stammelte er mühsam.
»Ein Abtrünniger der letzten Stunde, geliebter Bruder. Zu spät für den Kampf, aber gewillt, die Sache weiterzuführen. Ich wurde berufen von einer heiligen Frau und bin gekommen, um die Wahrheit zu hören. Die Wahrheit, die Ihr verkündet.« Müntzer schrak zurück, als nun die eiserne Faust seines Besuchers kurz aufblitzte, drohte ihm eine weitere Folter? Doch sein Gegenüber verbarg eilig die furchterregende Klaue unter seiner Kutte. Mißtrauisch musterte Müntzer den Mönch, der mehr wie ein Kämpe aussah. Das mußte ein gedungener Kundschafter der Fürsten sein, der überprüfen sollte, wie ernst ihm der Widerruf seiner Lehren sei. Fresenius scheuchte mit wütender Geste eine Ratte fort, die sich gierig und mit zitternder Schnauze einer eiternden Wunde am Bein des Predigers näherte.
»Hört, lieber Müntzer, ich sah Eure greuliche Niederlage, das Morden und Brennen, aber ich sah auch den Regenbogen am Himmel. Er leuchtete klar und kräftig. Es muß ein Zeichen Gottes gewesen sein.« Die Stimme klang aufrecht.
»Zu früh, es war alles zu früh«, stöhnte Müntzer schließlich, er hatte nichts mehr zu verlieren. Die Erinnerung an das göttliche Zeichen schmerzte ihn mehr als alle Wunden. So sicher war er sich gewesen, so sicher und nun verantwortlich für den Tod von Tausenden und noch mal Tausenden, wenn die Herren ihre Rache am gemeinen Volk fortsetzen würden, was gewiß war.
»Gott gefällt es, daß ich von hinnen scheide, es ist nicht nötlich, daß andere solch Schlappen erleiden«, flüsterte Müntzer mühsam, Blut rann aus seinem Mund, denn auch einige Zähne hatte man zerschlagen.
Fresenius verstand die Verzagtheit des Mannes, sie rührte ihn sehr, sie erinnerte ihn an seine eigene Verzagtheit, mit der er einst geschworen hatte, niemals mehr eine Waffe zu tragen. Auch argwöhnte er, daß der Gefangene ihm nicht recht traute.
»Seht Bruder, ich will beweisen, wie ernst es mir ist«, sagte er deshalb und zog ein scharfes Bartmesser aus seinem Bündel. Müntzer zuckte wieder zurück, wohl an die zehn Tage hatte man ihn gequält mit glühenden Zangen und anderem Werkzeug, der Anblick einer blitzenden Scheide weckte die nackte Angst.
Der Mönch aber schob den Ärmel seiner braunen Kutte hoch und schnitt sich vor den Augen des Predigers drei übereinanderliegende Halbmonde tief in den linken Unterarm. Blut sickerte hervor und tropfte dick ins stinkende Stroh.
»Dies ist der Regenbogen, den ich sah. Ich werde ihn immer als Zeichen tragen und damit dein Gefolgsmann sein, denn du hast recht gesprochen.«
»Aber nicht recht getan«, murmelte Müntzer, »ich hab’ gewütet wie die Tyrannen, und der Herr leidet’s nit.« Der letzte Satz kam aus tiefstem Innern. Zweifel hatte sich unter seinen heiligen Zorn gemischt, denn Gott hatte ihm bei seiner heiligen Schlacht nicht beigestanden, also mußte er an ihrer Rechtmäßigkeit zweifeln, wollte er an dem Glauben an Gottes Gerechtigkeit festhalten.
»Euer Wille war stark, Eure Waffen schwach«, unterbrach ihn sein Besucher, »es muß sein, wie Ihr sagtet. Herr, dein Reich wird kommen hier auf Erden. Müntzer, nehmt dieses Messer, vielleicht kann es Euch dienlich sein. Ich will sinnen, wie ich Euch noch retten kann. Wir brauchen Euch, Euer Werk ist nicht vollendet.«
Fresenius sprach beschwörend, doch umsonst, Müntzer war zurückgesunken in den Dämmerzustand vollkommenen Schmerzes, unfähig, seine Umgebung oder gar sein Gegenüber noch wahrzunehmen. Fresenius mußte wohl oder übel das Bartmesser wieder einstecken. Zu gefährlich wäre es gewesen, es hier bei einem Ohnmächtigen liegen zu lassen. Würden die Wächter es entdecken, dann wären weitere Folterungen gewiß.
Der Landsknecht wummerte gegen die Tür. »Genug der Beichte, Mönchlein, der Schurke wird wohl trotzdem auf ewig in der Hölle schmoren, und die Herrn werden’s nit leiden, daß Ihr so lange bei einem verbohrten Ketzer kniet.«
Fresenius erhob sich rasch. Noch einen letzten Blick warf er auf den Leidenden. »Gott sei mit dir, und wie du gesagt hast, alle Macht soll vom gemeinen Volke ausgehen.«
Dann packte er sein Bündel und trat am mürrischen Landsknecht vorbei ins mager erleuchtete Kellergewölbe. »Seid bedankt«, log Fresenius tapfer den Wächter an, »der bischöfliche Abt von Pernau wird Euch in seine Gebete einschließen, denn nun kann ich ihm selbst die Kunde tun, daß der freche Müntzer widerrufen will.«
Der Landsknecht spuckte nur aus. Nichts als die Furcht vor der Hölle, die ihn wie jeden Söldner ab und an nach Schlachten packte, hatte ihn veranlaßt, diesen Pfaffen in grober Kutte hereinzulassen. Vielleicht war’s dem Seelenheil zuträglicher als ein teurer Ablaßzettel.
Bruder Fresenius stieg die Steintreppe hinauf und betrat an weiteren Wächtern vorbei die dunklen Gassen des nächtlichen Mühlhausen. Still war es, denn die furchtsamen Bürger der einst freien Reichsstadt hatten sich in die Hände der Fürsten begeben, saßen in den Häusern bei spärlichem Licht und hofften nun auf mildere Strafen für ihre Erhebung.
Einige unter ihnen hatten gemeinsame Sache mit dem Bauernhaufen gemacht, den Rat der Aufständischen mit gewählt. Andere, die kluge Zurückhaltung geübt hatten, harrten nun der Dinge, die da kamen, und zeigten Demut statt Hoffart. Ihre Reichtümer hatten sie einstweilen in den Kellern vergraben und in Truhen verborgen. Sie wollten den Neid der Fürsten nicht wecken.
Fresenius, der nun am Richtplatz vorbeischritt, wußte, daß viele vergebens hofften. Er lenkte seinen Schritt zum Dominikanerkloster, wo er um Aufnahme für die Nacht bitten wollte. Er verlief sich ein wenig in den Gassen und entdeckte plötzlich zur rechten Hand – streng bewacht – das Pulvermagazin der Stadt. War dies ein Fingerzeig Gottes? Fresenius kam eine verwegene Idee.