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Kapitel 9.

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»Ich mein, daß kein Teufel mehr in der Hölle sei,

sondern allzumal in die Bauern sind gefahren.

Drum, liebe Herren, erlöset hie,

rettet hie, helft hie! Erbarmet Euch der armen Leut!

Steche, schlage, würge sie, wer da kann.

Unerträglich ist Aufruhr.«

Martin Luther, Mai 1525

Im Heerlager am Ufer der Unstrut war an Ruhe nicht zu denken. Seit dem Morgen kreisten die Bierkrüge, die Troßweiber hatten in mächtigen Bottichen die Galganwurzel mit Honigseim angesetzt und ihr kräftiges Grutbier gebraut. Immer noch war der Siegeszug zu feiern, und ein beständiger Rausch half auch, das Schreien und Flehen der Gefangenen und Verwundeten zu ertragen. Die Dirnen suchten und fanden ihre flüchtigen Liebhaber und lockten sie zum Flußufer, wo die bezahlte Lust im Gebüsch dem Gesetz nach gebilligt wurde. In späteren Jahren sollten die Freudenhäuser darum Bordelle heißen, der Name erinnerte an die Anfänge der käuflichen Liebe am »bord d’eaux«, dem Flußufer.

Hans war es recht mulmig zumute, als er sich in der Verkleidung des Possenreißers und Spielmanns unter die Landsknechte mischte. Er bemerkte wohl, daß einige andere Sänger, Gaukler oder Jongleure, deren Vortrag keinen Anklang fand, gefangen und mit brennenden Fidibussen an den Fersen unter Gejohle aus dem Lager in den Fluß gejagt wurden.

Die Söldner neigten zu handfesten Scherzen, nachdem sie den Tag damit verbracht hatten, die gefangenen Bauern auf alle erdenkliche Weisen zu quälen. Abgeschnittene Ohren hatte Hans im faulenden Abfall hinter den Zielten entdeckt.

Nun gut, in früheren Zeiten waren das Unterpfänder für Kopfjäger gewesen, die, um ihren Beutepfennig zu kassieren, den Toten abgeschnitten und den Herrn vorgelegt werden mußten. Aber in diesem Moment noch die Leichen verstümmeln? Das war schierer Mutwillen. Die Rache der Herren war maßlos. Hans zitterten alle Glieder, seine Pausbacken waren merkwürdig blaß.

Längst galt nicht mehr das alte Gesetz Mose, das lediglich »Auge um Auge, Zahn um Zahn« forderte. Einem Dieb die räuberische Hand abtrennen, nun gut, das entsprach dem Willen Gottes. Einem, der seinem Nachbarn das Haus über dem Kopf angezündet hatte, selbst die Habe zu verbrennen, das war rechtens. Das hatte Maß und Ziel, daran zweifelte niemand, auch nicht Hans. Doch so maßvoll wurde unter den Bauern nicht gerichtet.

Sie alle wurden bis aufs Blut gequält und ohne Ansehen ihrer tatsächlichen Verbrechen in schärfster Form gerichtet. Wo solche Zügellosigkeit herrschte, konnte einem auch ein falsch gesungener Ton zum Verhängnis werden. Die Söldner hatten Blut geleckt und waren nun nicht mehr zufriedenzustellen. Es waren rohe Gesellen.

Hans verlegte sich deshalb auf derbe, zotige Lieder, die von verwerflichen Liebesspielen zwischen Ochs und Hirten oder tumben Bauern, die sich wie die Hunde den Dirnen von hinten näherten, und ähnlichen Sünden handelten. Es paßte zur Laune der Kriegsschar.

Der Rabe Hesekiel tanzte dazu auf einem Bein auf Hans’ Schulter und stimmte bei besonders deftigen Stellen, die er wohl am steigenden Tempo erkannte, ein verächtliches »Quä, Quä« aus.

Erleichtert bemerkte Hans, daß solche Gesänge sehr willkommen waren. Man warf ihm bereits halb abgenagte Ferkelschlegel und sogar einige Pfennige vor die Füße, doch er hütete sich, sie aufzulesen, denn ein beliebtes Spiel war es, dem gebückten Bettelsänger einen festen Tritt zu verpassen, auf daß er ins Feuer fiel und sich kräftig das Haar versengte.

Märthe hatte den Bauern Rufus, der von seinem Lauschgang merklich erschöpft zurückgekehrt war, überredet, über Marie zu wachen. Beide ließ sie gut verborgen und eine halbe Stunde vom Lager entfernt im Flußdickicht zurück. Dann hatte sie den rumpelnden Faßkarren gepackt und zum Uferweg hinaufgezerrt. Mit großem Kraftaufwand schob sie ihn nun auf das Lager zu.

Leise wie die Katzen schlichen derweil Sebastian und Katharina, die sich beide Gesicht und Beine geschwärzt hatten, um vollends mit der Dunkelheit zu verschmelzen, am Flußufer durchs Dickicht. Ihr Feind war der immer noch recht runde Mond, der die Unstrut silbern schimmern ließ und auch für gute Nachtsicht sorgte.

Je näher sie dem Lager kamen, desto vorsichtiger mußten sie sein, denn in den Büschen tummelten sich nun Huren und wollüstige Söldner. Katharina sah so manchen blanken, wippenden Hintern vor sich aufleuchten und biß sich auf die Lippen, um nicht laut aufzulachen, so komisch sah das aus, und so häufig ging das unzärtliche Liebeswerben in Rülpsern unter.

Sebastian, der voranschlich, errötete hingegen in der Dunkelheit. Wiewohl ihm die fleischliche Liebe nicht fremd war – er dachte an die Szenen in der engen Hütte seiner Eltern –, schien ihm dieses Getümmel unschicklich. Noch unschicklicher schienen ihm seine davon ausgelösten Gedanken an Katharina, die nur wenig hinter ihm durchs Gebüsch kroch.

Bald hatten sie unbehelligt das Lager erreicht. Forschend ließen sie ihre Blicke über das große, lärmende Zechgelage schweifen. Es ging wohl bereits auf Mitternacht, die Heerführer verzichteten anscheinend auf einen Zapfenstreich, um die Krieger bei Laune zu halten. Um das größte Feuer scharten sich immer mehr Trunkenbolde und Weibsleute. Sie kauerten und lagerten auf dem nachtfeuchten Gras. Katharina machte Sebastian ein Zeichen, indem sie den rechten Daumen hob. Ja, inmitten dieses Kreises griff Hans tapfer und mit beachtlichem Erfolg in die Saiten.

Zur rechten Seite hin wurden die Feuerstellen kleiner. Da lagerten die bereits besinnungslos Trunkenen und schnarchten kräftig ihren Met- und Weinrausch aus. Einige, die den Kopf noch gerade trugen, taten Wachdienste, denn ein jeder wußte, daß im Troß neben Huren, Spielleuten und Bettlern auch Diebesgesindel mitreiste, das solche Feste gerne nutzte, um leichte Beute zu machen.

Diese Wachleute galt es geschickt zu umgehen, um zu dem Pferch zu gelangen, in den man die Gefangenen gesperrt hatte. Märthe wollte die Söldner mit ihrem billig feilgebotenen Wein, dem sie Baldrian, Opium und ein geheimes, stark abführendes Kraut beigemischt hatte, außer Gefecht setzen. Sebastian sah sie mit dem Faßkarren über die steinige Wiese bereits zu den Feuern rumpeln.

An den groben Zäunen rings um das Gefangenenlager lehnten noch fast nüchterne Landsknechte, denen nur ein Maß Bier zu jeder Mahlzeit erlaubt war und die scharf aufpaßten.

Diese Wachmänner sollte die schöne Katharina in der Maske der lästerlichen Hure ablenken. Eine gefährliche Pflicht, falls einer der Soldaten sich ernsthaft in sie vergucken und ihre Dienste einfordern würde.

Sebastian sollte die Nachhut bilden, um im geeigneten Moment unbeobachtet das Gatter zu öffnen und so viele Bauern wie möglich in die Freiheit der Nacht zu entlassen. Märthe wollte derweil ihren Wein verteilen und schließlich ein Wehgeschrei über eine entwendete Börse anstimmen, so daß der Großteil der Leute abgelenkt wäre.

Märthe kam gut voran, keiner der Halbbetrunkenen widerstand ihrem günstig angebotenen Trank. Immer wieder reichte sie ihre Trinkschale an Durstige weiter, die alsbald in tiefen und unverdient seligen Schlummer verfielen. Am Morgen würde es ein böses Erwachen mit brummenden Schädeln und starkem Magengrimmen geben.

Auch Hans machte seine Sache weiterhin gut, so daß Katharina schließlich mit feuchtem Gras Gesicht und Arme reinigte, ihre Röcke raffte und durchs Gebüsch die Böschung hinaufkletterte. Mit schnellen Schritten schlich sie dann an den kleinsten Feuerstellen vorbei und stieg vorsichtig über die leblos wirkenden Körper der Schlafenden. Märthe winkte ihr aus der Ferne zu. Schließlich straffte Katharina den Rücken, verlangsamte den Schritt und schlenderte mit wiegenden, breiten Hüften auf das Gefangenengatter zu. Große Pechfackeln staken im Boden und leuchteten die Nacht hell aus.

Ein Landsknecht trat mit festem Tritt auf die vermeintliche Dirne zu und bellte grimmig. »Scher dich fort, liederliches Weib! Hier hast du nichts zu suchen.« Unbeirrt schürzte Katharina noch weiter die Röcke und legte ihren Kopf schief. Sebastian beobachtete es vom Gebüsch aus mit großem Zorn. Das Mädchen zeigte nun schon fast die blanken Knie. Was für eine Sünde! Nur mit Mühe konnte er sich zurückhalten, nicht nach vorne zu stürzen und Katharina von dem Kriegsknecht wegzureißen.

Der zeigte weiter nur Zorn und Mißbilligung. Katharina tänzelte in den Lichtkegel der Pechfackel an seiner Seite, und endlich fing der Söldner Feuer. Beim Teufel, dieses Weibsbild war auch gar zu schön, das sah er sogar durch die Schmutzreste hindurch, die ihr Gesicht bedeckten. Nie hatte er bei einer Dirne so weiße Haut und solch schwellende rote Lippen gesehen. Auch ihr Busen war fest und prall, fast könnte man meinen, sie sei eine Jungfrau, so rein wirkte sie bei dem koketten Spiel, das sie trieb. Und ihre weißen Beine erst, nie hatte er bei einer billigen Lagerhure so wohlgeformte Fesseln gesehen, geschweige denn solch glatte Haut, ganz ohne Pokkennarben, Schrammen und Ausschläge. Bei anderen Frauen freilich auch nicht, die letzte, die er in einem Weiler bei Frankenhausen genommen hatte, war über und über mit Schrund bedeckt gewesen.

»Hei, du, Jörg, was will diese Sausuhle hier, treib sie fort!« Sein Wachkamerad wunderte sich nun schon lange genug darüber, daß Jörg seine Pflicht vergaß und ein Weibsbild anstarrte, als sei sie etwas Besonderes. Weil Jörg immer noch nicht reagierte, schritt er den Zaun entlang auf ihn zu. »Pack dich, elendes Weib, such dir dort drüben einen Freiersmann. Hier bist du nicht geduldet«, rief er. Doch als auch er in den Schein der Fackel trat und einen Blick auf Katharina werfen konnte, verschlug es ihm die Sprache.

»Ihr dauert mich, weil man euch gar kein Vergnügen gönnt«, gurrte Katharina und ließ ihren Oberkörper sanft kreisen, als wolle sie sich zum Tanze drehen. Dann schob sie beide Hände in ihr gelöstes Haar, fuhr mit den Fingern durch und ließ die Wellenpracht langsam zurück auf ihren Rücken rieseln. Nichts war begehrenswerter in diesen Zeiten als eine Frau mit solcher Haarpracht. Zwar galten schwarze und rote Haare immer noch als Zeichen der Sünde, doch eben dies machte die Sünde um so verlockender. Wundersame Berichte machten unter einfachen Söldnern und selbst edelsten Herren die Runde über die Freuden, die das Liebesspiel mit einer schwarzen Schönen versprach.

Katharina blinzelte den beiden verdutzten Wachmännern noch einmal zu und lockte: »Kommt. Einer kann den anderen auf kurze Zeit vertreten. Ich will dafür sorgen, daß keinem die Zeit mit mir allzu lang wird. Nun kommt, wer schert sich um diese elenden, schmutzigen Bauern. Die sind ohnehin des Todes. Ich aber biete euch das Leben mit allen seinen Freuden. Wer von euch will mich zuerst umarmen? Ich mach’ euch einen guten Preis.«

Die Landsknechte tauschten kurz einen Blick, dann nickte der, der Jörg hieß, dem anderen zu und schritt zu Katharina, die sogleich ihren Arm um seine Hüfte schlang.

Sebastian schloß im Gebüsch angewidert die Augen. Unmöglich, daß diese angebliche Melkerin noch einen letzten Rest Unschuld in sich trug. Ein verlogenes Lotterweib war sie, eine Hure und er ein Tölpel, den eine hübsche Larve über die verderbte Seele hinweggetäuscht hatte. Still schickte er ein kleines Gebet gen Himmel und bat um Verzeihung für all seine sündigen Gedanken. So innig war sein Stoßgebet, daß er eine Weile das Fauchen und Keifen wenige Meter von sich entfernt überhörte.

»Nimm deine Pranken von meiner Hüfte, du elender Drecksbeutel«, zischte da in gar nicht koketter Weise Katharina. Herrje, sie rechnete ja mit seiner Hilfe. Ungelenk sprang Sebastian auf, zerteilte das Gestrüpp neben sich und wurde Zeuge eines heftigen Ringkampfes. Der Landsknecht Jörg hatte sich über Katharina geworfen, die sich kratzend und beißend gegen seine rohen Liebkosungen wehrte. Fluchend zerrte hingegen der Kämpe an seinen Hosenbeinen und wollte sich mit Gewalt die versprochenen Freuden nehmen. Katharinas Kratzbürstigkeit steigerte nur sein Begehren, hielt er es doch für ein Teil des ungewohnten Liebesspiels. Die Sache stand heikel.

Sebastian griff nach seinem rohen Knüppel und zog dem Soldaten den Scheitel nach. Stöhnend brach der Kerl zusammen. Katharina kroch keuchend die Böschung empor.

Zischend verfluchte sie nun Sebastian. »Was zum Teufel denkst du dir, mich mit so einem rohen Kerl allein in die Büsche zu lassen. Das hätte mich leicht die Unschuld kosten können, du sturer, stummer Tölpel. Ich hätt’ dir wohl mehr Witz und Feingefühl zugetraut. Sieh nur, er hat mir schon das Brusttuch herausgerissen.«

Märthes flüsternde Stimme erklang plötzlich neben ihnen und unterbrach den Streit. »Mach voran, Katharina, der zweite wird bereits ungeduldig, und bald wird die Wache abgelöst. Was treibt ihr beiden denn da nur?« Zornig blickte sich Katharina noch einmal zu Sebastian um, der ganz betreten neben seinem Prügelopfer stand und einmal mehr die Tatsache verfluchte, daß er keine Stimme hatte, um sie zu seiner Verteidigung zu erheben. Da werde einer klug aus den Weibern. Eben noch war Katharina ganz die erfahrene Hure gewesen und dann ein junges Mädchen, das wie eine Besessene um ihre Unschuld kämpfte.

Katharina hatte sich längst durch die Büsche geschlagen und schritt nun, stolz die Haare schüttelnd, auf ihr zweites Opfer zu. »Wo ist Jörg?« fragte der Wächter mißtrauisch als die schöne Frau nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war. »Oh, nicht weit«, flötete Katharina, »er würd’ sich gern zu einem zweiten Ritt bequemen und fragt nach dir.« Der Landsknecht stutzte. Was war das für ein Frauenzimmer, das sich so freizügig verschenkte, und das gleich an zwei Kerle? So sehr ihn die Vorstellung solcher Liebesfreuden lockte, widerstand er. Das ging nicht mit rechten Dingen zu.

Mit laut erhobener Stimme herrschte er die Frau an: »Du täuschst mich nicht, ich nehme an, du gehörst zu diesem Diebes- und Zigeunerpack, das uns ehrliche Leut’ in eine Falle lockt und bös’ bestiehlt. Oder bist du gar eine Geliebte des Teufels? Die Haare dazu hast du ja. Warte nur, wir werden dich schon festsetzen und –«, weiter kam er nicht. Ein gut gezielter Keulenhieb beförderte ihn dahin, wo seine Kameraden schon durch Märthes gefährlichen Opiumtrank vorgereist waren. Keck grinsend stand Sebastian hinter dem niedergestreckten Kerl.

Im Hintergrund nahe am großen Feuer, wo Hans sich redlich durch alle ihm bekannten Lieder spielte, ertönte nun das Zetern von Märthe, die nach Gerechtigkeit schrie: »Ich wurde bestohlen, sucht den Dieb! Ich wurde bestohlen!« Alle Köpfe wandten sich dem Trubel zu.

Der Augenblick war günstig. Sebastian und Katharina eilten auf das Gatter zu, hinter dem im Dreck und eigenen Kot die verwundeten und gefolterten Gefangenen lagen. Für viele, das sahen die beiden Retter sofort, kam jede mögliche Hilfe zu spät.

Sie verendeten wie angestochene Schweine, wälzten sich benommen unter fürchterlichen Schmerzen. Einigen hing die Haut in Fetzen von den Knochen, ihr blutiges Fleisch lag bloß. Man hatte sie mit Dornenruten und Nagelstöcken durchgepeitscht. Katharina und Sebastian rissen das Gatter auf. Sebastian zückte ein Messer und stach mit geschickter Hand den elendsten unter den Sterbenden die Kehle durch. Tränen brannten ihm bei diesem Gnadendienst in den Augen, aber er wußte, daß es so besser war. Diese Bauern hatten keine Kraft zur Flucht und kein Geld, mit dem sie den Henkern die Hand hätten salben können, um vor dem quälenden Tod auf Rad oder Scheiterhaufen mit geschicktem Griff erwürgt zu werden. Selbst im Tod waren die Ärmsten den Edelleuten nicht gleich.

Katharina gab es einen wehen Stich, als sie sah, wozu sich der sanfte Sebastian hier durchrang. Im stillen verfluchte sie sich für ihre vorangegangene Kratzbürstigkeit. Sebastian war besser als alle Männer, die ihr je begegnet waren.

Dann suchte sie unter den mehr als zweihundert Männern nach denen, die noch gehen und stehen konnten. Rasch eilte sie von einem zum anderen. »Das Tor ist offen, fliehe«, flüsterte sie ihnen zu und mußte doch enttäuscht feststellen, daß nur wenige ihre Worte begriffen, geschweige denn glaubten. So kam sie auch zu einem arg gefolterten stämmigen Mann im dunklen Predigergewand. Die Kappe mit den Ohrenklappen saß ihm schief auf dem Kopf, Schweiß und Blut mischten sich auf seiner Stirn zu einem beständigen Rinnsal.

Neben ihm hielten zwei Bauern eine Art Ehrenwache. Der Prediger lehnte mit dem Rücken am Zaun. Katharina sah, daß er mehr tot als lebendig war.

Sie hockte sich trotzdem zu ihm hin. Die Bauern, die ihn flankierten, wollten sie wegstoßen, doch Müntzer hob die Hand und murmelte: »Laßt sie gewähren, ich sehe, sie kommt in guter Absicht.«

»Flieht, gute Männer, wir haben euch das Tor geöffnet. Unten am Fluß hilft man euch weiter.«

Müntzer hob wieder müde die Hand und sagte schwach: »Laßt mich hier, ich werde den Tod als Freund begrüßen. Aber nehmt die beiden Gesellen mit, es sind wackere Diener und Christen, die etwas Besseres verdienen als den Tod.« Umsonst versuchte Katharina, in ihn zu dringen. Er selbst hatte sein Schicksal beschlossen und blieb stur bis zuletzt.

Müntzers Kopf sank schließlich kraftlos zur Seite, und die beiden Bauern weigerten sich ebenso standhaft, den Mann zu verlassen. Katharina gab auf und schlich zu den nächsten Gefangenen. Seltsame Heilige waren das alle, dachte sie ärgerlich bei sich, ihr Mut hatte die meisten ganz und gar verlassen. Wie die biblischen Lämmer ließen sie sich willig zur Schlachtbank führen. Katharina war solche Demut fremd. Warum wollten sie nicht leben? Ein leichter Regen ging nun auf die Erde nieder, dankbar hoben die Gefangenen ihre Gesichter gen Himmel. Das Wasser kühlte ihre brennenden Wunden.

Am Ende waren es wohl weniger als fünfzig Männer, die meist hinkend und humpelnd durch das Tor entwichen und in die Nacht entkamen.

Sebastian wies ihnen den Weg zur Flußquerung, dahin, wo Bauer Rufus sie empfangen und mit einigen Hellern aus Märthes Schatz ausstatten und weiterschicken würde. Das weitere Schicksal der armen Rebellen lag in Gottes Hand. Viele würden sich als Bettler in die Städte durchschlagen müssen, mehr als ihr nacktes Leben hatten sie nicht zu retten. In ihre Dörfer konnten sie nicht zurück.

Sebastian bemerkte nun, daß sich aus der Gruppe um das große Feuer einige Söldner lösten. Durch das nasse Gras stapften sie in Richtung des Gatters. Sebastian befürchtete, daß es sich um die Wachablösung handelte. Deshalb zog er den bewußtlosen Landsknecht ins Gefangenenlager, dessen Boden sich unter dem stärker fallenden Regen langsam in einen sumpfigen Morast verwandelte. Dann packte er Katharina bei der Hand und floh über die glitschige Böschung zurück ins Dickicht. Keine Sekunde zu früh, denn tatsächlich marschierten die Landsknechte mit klirrenden Sporen auf den Pferch zu und erhoben lautes Geschrei nach ihren verschwundenen Kameraden.

Unruhe kam im ganzen Lagerabschnitt auf, torkelnd erhoben sich viele Zechbrüder, auch weil der Regen immer stärker fiel. Nur die, welche Märthe bedient hatte, schliefen selig weiter. Sebastian wurde angst und bange. Was, wenn die Truppen nun das Uferdickicht durchkämmten? Einer von ihnen hatte seinen niedergeschlagenen Kameraden gerade entdeckt, tat den Mund zu einem alarmierten Schrei auf. Doch der wurde verschluckt von einem mächtigen, donnernden Knall, der lauter als jedes Gewitter war.

Einen jeden riß es herum. In der Ferne, dort, wo Mühlhausen lag, schoß eine große, blutrote Flamme in den Himmel und erleuchtete für kurze Zeit Hausdächer, Kirchtürme und Stadtmauer. Im Höllenschein des brennenden Lichts sah man Holzbalken und Räder durch die Luft fliegen. Schwach war alsbald das Läuten der Feuerglocke zu vernehmen. Verdutzt griffen diejenigen unter den Landsknechten, die noch annähernd nüchtern waren, zu ihren Waffen. Konnte es sein, daß die Aufständischen ein weiteres Nest in Mühlhausen hatten und doch noch ihr Unwesen trieben? Wo blieben die Heerführer? Mußten sie alle noch einmal gegen die freie Reichsstadt ziehen?

Der Kapuzinermönch

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