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Prolog

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»Laßt uns das Papsttum genießen, da Gott es uns verliehen hat.«

Giovanni di Medici, Papst Leo X. (1513 bis 1521), genannt der Sonnengott

Der Herbst des Mittelalters zog stürmisch herauf. Die Welt schien auf dem Weg zur Hölle. Dürre herrschte auf den Feldern, schwere Unwetter gingen nieder auf magere Ernten. Immer wieder bebte die Erde, und der Schwarze Tod schwang allenthalben seine Sense. Söldnerheere von Kaisern und Päpsten überzogen Europa mit Krieg und Vernichtung. Blut wurde wie Wasser vergossen, Tränen wie Regen. Es war, als wollten die Engel nun die Schalen des göttlichen Zorns ausleeren. Astrologen erkannten in den Konjunktionen der Planeten, daß die Endzeit gekommen und der Antichrist unter ihnen war. Die Kathedralen verloren an Glanz, die Heilsbotschaft an Trost.

Doch kein Mensch ist dafür geschaffen, auf Dauer ganz ohne Glanz und Trost zu leben. Diesseitige Ausschweifungen milderten die Gottesfurcht der Reichen. Den Armen fraß sich der Hunger in den Bauch. Neue Prediger fanden Gehör, die ihnen allein das Himmelreich verhießen. Doch kein Mensch, schon gar nicht der hungrige, ist dafür geschaffen, auf Dauer ganz von Hoffnung zu leben. Die Ärmsten verloren an Gottvertrauen.

So drohte am Ende des 15. Jahrhunderts die Welt für den Herrn verlorenzugehen und – schlimmer noch – die Menschen für die Kirche. Keine Kirche kann solch heillosen Zustand dulden. Blutrot glühte der Himmel über Europa im Feuerschein der Scheiterhaufen, auf denen sie alle Beförderer ihres Untergangs verbrannte. Und doch schien das Paradies entfernter denn je. Selbst die höchsten Diener Gottes begannen am Jenseits zu zweifeln und richteten sich ihr Himmelreich im Diesseits ein.

Giovanni di Medici steigerte von 1513 bis 1521 als Papst Leo X. die paradiesische Pracht und die Schulden der Kurie ins Unermeßliche. Man nannte ihn den Sonnengott – und ärgsten Widersacher Luthers.

Leo, geboren als florentinischer Fürst, war ein der Welt zugewandter Sinnenmensch, der nach seiner Wahl zum höchsten Mann der Kirche erst zum Priester und dann zum Bischof geweiht werden mußte. Seine päpstliche Hofhaltung ließ sich mit der eines Kaisers messen. Zweihundert Stallburschen pflegten seine prachtvollen Jagdpferde, Hunderte von Lakaien und die besten Leibköche sorgten für das Wohl eines Mannes, der nicht nur Mäzen der Künste, sondern auch ein Lukull war. Fast täglich führte sein Hofnarr ihm Vertilgungsspäße vor, bei denen Dutzende Eier und bis zu sechs Hühner im Schlund des Spaßmachers verschwanden.

Nur ein teutonisch strenger Geist, wie der des kantigen Kerls Luther, konnte darin solch abscheulichen Frevel entdecken, daß er von fern schon 1517 wetterte: »Rom ist verderbter als Babylon und Sodom, eine Pflanzschule greulichster Gottlosigkeit.« Die Höflinge Leos waren sich mit dem Papst einig, der das »als schnödes Mönchsgezänk« abtat.

Leo wußte nicht nur zu nehmen, er wußte auch zu geben. Zweitausend käufliche neue Ämter und Pfründe richtete er für aufstrebende Diakone und zahlungskräftige Prälaten ein. Reiche Kaufmannssöhne erwarben Kardinalshüte.

Gegen Geld übersah Leo ebenso großzügig die läßlichen und weniger läßlichen Sünden seiner Schäflein. Das mächtig heiße Höllenfeuer, an das sogar ein käuflicher Kardinal in stiller Stunde manchmal dachte, verlor unter seiner Hoheit an Hitze und Pein. Freilich waren solche stillen Stunden selten, denn im Vatikan verging kein Tag, an dem nicht Musik erscholl oder ein Ballett aufgeführt wurde. Dafür priesen Spielleute, Narren und Müßiggänger den obersten Hirten. Selbst die zahlreichen Dirnen Roms liebten Leo, denn sie wohnten meist unbehelligt den vielzähligen Geistlichen und Pilgern bei, einige zogen gar als Kurtisanen in die Paläste der Purpurträger.

Golden waren die Tage unter Leo und um so finsterer nach seinem Tod. Sein unstillbarer Hunger nach Luxus und seine Kardinäle hatten die römisch-katholisch-apostolische Kirche eine Milliarde Golddukaten gekostet. Der Kirchenstaat, so spottete man, hatte mehr Gläubiger als Gläubige.

Die Lage war ernst, denn immer unwilliger zahlten jene Untertanen Gottes, die fern von Rom und dem Paradies des Papstes lebten, für einen Platz im vergleichsweise schnöden Jenseits. Es galt, den Glauben zu erneuern. Soviel begriff die Kurie vier Jahre nach Luther. Luther selbst begriff sie nicht. Dieser Habenichts faselte von der Freiheit eines Christenmenschen, der ohne bezahlten Beistand die Seligkeit erlangen könne. Für seine Sünden, so behauptete dieser Hundsfott frech, müsse man nur im Himmel, aber nicht auf Erden bezahlen. Doch den höchsten und hochverschuldeten Geistlichen schien die Armut in Christi kaum erstrebenswert. Damit war kein Staat zu machen, schon gar kein Kirchenstaat.

So entschied sich das Kardinalskollegium nach Leos Tod und langer Klausur für die bewährte Tugend der Strenge, die läuternde Kraft des Schreckens und den unbekannten Kardinal von Tortosa für den Heiligen Stuhl. Ein gebürtiger Flame, der in Spanien mit der Verbrennung von dreißigtausend Ketzern hinreichende Glaubensstrenge bewiesen hatte. Sein Feuereifer, so hoffte man, würde wankelmütige Christen in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurücktreiben und ihre Zahlungsmoral bessern.

Von dem designierten Papst hieß es zudem, er gönne sich selbst nicht mehr als etwas Gemüsebrühe und reichlich Gebete zum Mittagsmahl. So viel freiwilliger Verzicht überzeugte das Konklave von dem Kandidaten.

Doch kaum hatte der Flame als Hadrian IV. italienischen Boden betreten, erkannten die Kardinäle ihren Irrtum.

Die Purpurträger selbst bekamen den heiligen Eifer des schmächtigen Männchens zuerst zu spüren. Ihre Dirnen, Spielleute und Narren wurden verbannt, Lakaien entlassen, Höflinge vor die Tür gesetzt. Mit einem Federstrich vernichtete der ehemalige spanische Großinquisitor 1250 wohlbestallte Ämter. Er ernannte gut ein Dutzend neuer Kardinäle in ganz Europa, die ihm treu ergeben und enthaltsam waren.

Die weniger ergebenen und enthaltsamen Gefolgsleute Leos drohten leer auszugehen, obwohl sie den neuen Papst mit Liebe und Geschenken überhäuften. Umsonst.

Mit keinem noch so geringen Hofamt, ja nicht einmal mit einem schäbigen Bajocco, der geringsten Kupfermünze des Kirchenstaats, vergalt Hadrian beispielsweise dem Kardinal von Santi Quattro Coronati das köstliche Geschenk der Tiara Leos X., die der eifrige Kirchendiener auf eigene Kosten bei einem Pfandleiher ausgelöst hatte. Ganz Rom haßte Hadrian bald aus tiefstem Herzen.

Doch den flämischen Geizkragen focht das nicht an. Er blieb einsam und unbeweglich wie ein Fels. Selbst der schweren Pest von 1522 zum Trotz blieb er in Rom und las einer Handvoll unwilliger Kardinäle, die nicht rechtzeitig auf ihre Landgüter geflohen waren, die Leviten und Messen.

So sollte der 14. September 1523 als Freudentag in die Geschichte der Ewigen Stadt eingehen, denn die große Glocke des Kapitols verkündete mit lautem, dumpfem Dröhnen Hadrians Tod. Ein Jahr, acht Monate und drei Tage hatte das Pontifikat des Gelehrten gedauert. Lange genug, wie die Römer befanden, und sie hängten Lorbeerkränze an die Haustür seines Leibarztes nahe der Via del Oro. Dem guten Mann war es nicht gelungen, den Heiligen Vater von den Folgen eines Giftanschlages zu kurieren. Dafür zollte man ihm höchstes Lob.

Als es im Oktober 1523 endlich wieder »Habemus papam« hieß, jubelte ganz Rom, denn das Konklave hatte für einen Neffen Leos gestimmt. Giuliano di Medici bestieg als Clemens VII. den Heiligen Stuhl. Gekrümmt von Gicht, da er das Leben liebte, aber aufrecht und unbeugsam in seiner Demut gegenüber menschlichen Schwächen und Gelüsten. Die goldene Vergangenheit schien wieder eine Zukunft zu haben. Man irrte.

Unter dem neuen Pontifex Clemens VII. sollte nahezu die Hälfte des Abendlandes vom katholischen Rom abfallen. Blutige Schlachten waren die Folge. Erbitterte Kriege, in denen deutsche Fürsten, skandinavische Landesherren und der englische König dem Papsttum schwere Wunden schlugen und im Namen Gottes reiche Beute machten. Kriege, die das Antlitz Europas veränderten und die jahrhundertelang nicht zum Stillstand kamen.

Der Glaube, ob alt oder neu, nahm dabei Schaden oder geriet in Vergessenheit, so wie die ersten und ärmsten Vorkämpfer der Reformation.

Im Jahre 1525 zogen die deutschen Bauern für eine Umgestaltung der Welt nach Gottes Wille und den Worten des Evangeliums ins Feld. Bewaffnet mit Sensen, krummen Gewehren und ihrem aufrechten Glauben. Dem Glauben, daß jeder Mensch frei, Gerechtigkeit auf Erden möglich und der Herr mit ihnen sei.

Der Kapuzinermönch

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