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Kapitel 2.
Оглавление»Magd, hol Wein,
Knecht, schenk ein,
Edelmann trink aus,
Bauer zahl’s – dem Schmalztopf ist der Boden aus.«
Spottgedicht, 1525
Der Stumpf wurde bereits brandig, verzweifelt rieb Bauer Rufus Salz in die Wunde, so wie es der reisende Bartscherer im Dorf bei kleinen Schnitten und Wunden tat. Ein stechender, brennender Schmerz war der Lohn. Stöhnend sank er auf den feuchten, harten Stein des Bergwerkschachts nieder.
Er war der Hölle von Frankenhausen entkommen, indem er sich tot gestellt hatte. Die Häscher waren auf dem Schlachtfeld an ihm vorbeigeritten, während er, schwer verletzt, Wasser und reinstes Blut geschwitzt hatte, halb ohnmächtig vor Schmerz, Furcht und bitterem Zorn.
Wasser sammelte sich jetzt über ihm in den Rillen der Stollendecke und tropfte in sein müdes Gesicht. Ausruhen, er wollte endlich ausruhen.
Der Himmel wußte, ob er diese Wunde würde überleben können. Irgendwo, in einer schmutzigen Ackerfurche vor Frankenhausen, lag nun sein halber rechter Arm, abgehauen mit einem Hieb, und faulte mit dem Unrat und Kot. Blutig waren die Felder gewesen. So dicht hatten die Leichen darin gelegen, daß die Pferde ins Stolpern gerieten. Die übermenschliche Wut und der Schock hatten den Bauern überleben lassen, des Nachts war er geflohen. Erst war er über den Acker gekrochen, immer und immer wieder sich duckend, das Gesicht in den Schmutz pressend, um Atem zu schöpfen und sich nicht den Truppen der Herren zu verraten, die das Schlachtfeld durchstreiften, um den Gefallenen ihre letzte Habe zu rauben. Endlich hatte er den rettenden Wald entdeckt, hatte sich unter Aufbietung aller Kräfte aufgerappelt und auf den Weg zu dem verlassenen Bergwerk gemacht. Verbissen hatte er gegen jede Schwäche angekämpft und hatte es tatsächlich in den sicheren Tunnel geschafft.
Doch jetzt, im Moment der Ruhe, spürte Rufus den nagelnden Schmerz der Wunde doppelt schwer. Das Schwert des Söldners war gut geschärft gewesen. Ein einziger, gezielter Hieb hatte ihn gefällt. Ja, die Soldaten der Herren waren wohl geübt gewesen und gut vorbereitet zur Schlacht.
Anders als wir tumben Schwärmer, dachte Bauer Rufus bitter. Wir, die wir einen Gottesdienst hielten, statt mit der Heimtücke der Angreifer zu rechnen. Der Herr war nicht mit uns, durchzuckte es ihn. Dann umhüllte ihn gnädig das weiche Dunkel der Bewußtlosigkeit.
Lange war im finsteren Stollen nichts zu hören als das träge Plätschern kleiner Wassertropfen, das im Gewirr der Gänge verhallte. Dann – ohne daß Bauer Rufus es vernahm – näherten sich tastende Schritte, begleitet von leisem Sporengeklirr. Eine Fackel wurde in den Stollen gehalten.
»Schaut, Herr, dort, das Häuflein, mir scheint, das ist ein Mensch.« Aufgeregt deutete Landsknecht Michael mit seiner Pechfackel auf die zusammengekrümmte Gestalt, die den sauren Schweiß des Sterbenden ausschwitzte.
»Nenn mich einmal noch Herr, und es wird dir übel bekommen, Bursche! Nach dieser Schlacht ist ein jeder Fürst und Ritter dieses Titels verlustig gegangen, Herr«, knurrte Graf Albert von Traubstedt und folgte widerwillig dem kargen Lichtschein. Im Kegel der Flamme entdeckte dann auch er den Sterbenden. »Fürwahr, ein Mensch. Ein Bauer dünkt mich, schau nur, Michael, das stumpfe Kurzmesser in seinem Gürtel, die kreuzweise gebundenen Schuhe. Bei Gott, es muß einer der unseren sein. Der ist mehr tot als lebendig.«
Der Herr und sein Knecht bückten sich und stolperten in den niedrigen Stollen vor, der tief in den Berg hineinreichte.
»Was für ein Kerl«, staunte Michael, »schaut nur, sein Arm ist ihm halb vom Rumpfe abgeschlagen, und doch hat er sich hierher gerettet. Zwei Tagesmärsche sind es von Frankenhausen bis hierher. Weiß nicht, ob er das überlebt, die Wunde scheint brandig. Herr, dieser Gestank! Sein Gesicht sieht aus, als habe er bereits Gott geschaut oder den Teufel.«
Der Graf nickte. Sinnend betrachtete er den hageren, kleingewachsenen Mann vor sich. Die groben Züge, die wettergegerbte Haut, das struppige dunkle Haar. Alles wies ihn als Landarbeiter aus, der vielleicht um die fünfunddreißig Sommer gesehen hatte. Das Alter war bei diesen hart arbeitenden Leuten schwer zu schätzen.
»Ja, egal, was einer auch behaupten mag, diese Bauersleut waren tapfere Kämpen, wünschte, meine Schar wäre so wohlgemut bei Pavia auf die Franzen losgezogen.« Unbeholfen näherte er sich dem Ohnmächtigen, streckte eine Hand vor und zog sie im selben Moment wieder zurück, ohne den Mann zu berühren. Wie befaßte man sich mit einem Sterbenden? Sein Handwerk war das Töten, nicht das Heilen. Dafür waren die Feldscherer und Apotheker da, aber bei Frankenhausen hatte es keinen Feldscherer gegeben. Nur Gottvertrauen.
»Laßt ihn ruhig liegen«, sagte plötzlich eine Stimme. Eine weibliche sanfte Stimme, die aus dem Dunkel direkt vor ihnen kam. Michael ließ vor Schreck die Pechfackel fallen. »Wer da?« rief in barschem Ton der Graf und zog zugleich sein Schwert aus der Scheide. Die Stimme lachte. Kein höhnisches Lachen, sondern ein sanftes liebliches Lachen aus einem Frauenmund. Michael griff, von diesem Klang erleichtert, zur Fackel und leuchtete in das dunkle Ende des Tunnels hinein.
»Ihr werdet Euch nicht fürchten vor einem schwachen Weib«, sprach die Stimme sanft, und doch war es Michael, als läge leichter Spott in den Worten. Die Flamme leuchtete ein Gesicht von grotesker Häßlichkeit aus. Es war zerlöchert von Pockennarben. Michael zuckte zurück, war das eine Aussätzige, eine, die die Türkenpest am Leib trug?
Das alte, verhutzelte Weiblein blickte aus klugen, haselbraunen Knopfaugen auf die beiden Kämpfer. »Hab’ ich euch die Sprache verschlagen? Laßt gut sein, mein Gesicht ist mein Fluch, aber euch nicht gefährlich, alle Krankheiten, die es gezeichnet haben, habe ich wohl überstanden. Ich trage keine Waffen bei mir, keine Waffen, wie ihr sie kennt. Ihr seid Eindringlinge in mein stilles Reich. Auf zwei Jahre sah ich hier nicht einen Menschen, und nun ist es, als sei Kirchmeß in meinem Salzstollen. Wollt ihr schürfen? Ich rate euch ab, hier ist lange nichts mehr zu holen.«
Der Graf von Traubstedt erholte sich dank dieser munteren Rede von seinem ersten Schrecken. »Weib, wer bist du?«
»Das tut nichts, edler Mann. Nennt mich Märthe. Mehr braucht es nicht. Mir ist bekannt, was Euch hierher verschlagen hat. Die verlorene Schlacht von Frankenhausen, nicht wahr? Gott gab mir Kunde von dem schrecklichen Sterben.«
Der Graf musterte sie verächtlich, Märthe lächelte wissend und zuckte mit den Schultern. »Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes lautete Eure Losung, nicht wahr? Was hilft’s? Ich muß mich um diesen Mann hier kümmern. Er ist zu retten, also tretet beiseite.«
Der Graf, sonst nicht gewohnt, Befehle zu empfangen, gehorchte den bestimmten Worten des Weibleins sofort. Märthe kniete neben dem halbtoten Bauern nieder und zog einen Beutel unter ihren lumpigen Röcken hervor.
»Sammelt Wasser«, wies sie Michael an und reichte ihm zugleich einen silbernen Becher aus den unergründlichen Falten ihres Gewandes. Gehorsam hielt Michael den Becher unter ein Rinnsal, das sich seinen Weg von der feuchten, mit bizarren Kalkfingern übersäten Decke zum Boden suchte. Als das Gefäß halbvoll war, reichte er es der seltsamen Frau. Märthe entnahm ihrem Beutel ein stark riechendes Kräutersträußlein und zerrieb es über dem Becher.
Der Graf erkannte nur den Duft von Lorbeer und Bilsenkraut, von dem es hieß, daß es eine stark schmerzlindernde und betäubende Wirkung habe.
Dann zog Märthe ein kleines Fläschchen hervor und träufelte daraus eine Flüssigkeit auf ein erstaunlich sauberes Leintuch. »Das wird die Wunde reinigen und dem armen Mann seine Kraft wiedergeben«, erklärte sie. Der Graf zuckte nur die Schultern.
Sie sprengte Kräuterwasser über den brandigen Stumpf und verband die Wunde mit dem Tuch. Dann strich sie dem Bewußtlosen den Rest des seltsamen Gebräus und eine Salbe mit Bilsenkraut auf die Lippen und murmelte heiser eine uralte heidnische Formel: »Wie die Beinrenke, so die Blutrenke, so die Gliederrenke: Bein zu Bein, Blut zu Blut, Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien.«
»Seid Ihr mit dem Teufel im Bunde?« fragte jetzt zornig der Graf, dem alles Heidentum noch mehr zuwider war als die gottlosesten Katholiken.
»Wenn Ihr die Erde als von Gott bestellt erachtet und alles gutheißt, was in der Welt vorgeht, so sage ich ja. Ich bin mit dem Teufel im Bunde, denn mir ist danach, die Dinge nicht so zu lassen, wie sie sind. Glaubt Ihr aber nicht, daß all dies Elend und die allgemeine Unwissenheit Gottes Wille ist, so wage ich zu sagen, mein Bündnis ist oben im Himmel gemacht.«
»Oho, du scheinst mir ein weises, gewitztes Weib zu sein«, sprach der Graf voll Spott.
»Nenn mich lieber eine Unbelehrbare, edler Herr. Wie ich sehe, gehörst auch du meinem Geschlecht an, denn du scheinst eine Vorliebe für aussichtslose Schlachten und das Los des Entrechteten zu hegen.« Märthe lächelte sanft und musterte die zerfetzten Beinkleider des Grafen, die so gar nicht zu seinem herrischen Auftreten paßten. Glomm da nicht ein Funken stillen Triumphs in ihren schelmischen Augen?
»Still«, mahnte plötzlich Michael, »mir scheint, ich höre Schritte.« Die seltsame kleine Gemeinde lauschte atemlos. Tatsächlich, da näherte sich einer mit festem Tritt, ein feines Trappeln folgte ihm wie von Rehhufen, so sanft und unbestimmt. Michael löschte die Pechfackel.
Und doch, der Geruch würde sie verraten. Welch ein Ärgernis. Drei Tage nun waren sie auf der Flucht, den Schergen der Landesfürsten entkommen, und nur nachts hatten sie sich durch die thüringischen Wälder geschlagen auf der Suche nach der verlassenen Salzsode. Glücklich hatten sie schließlich den von dichtem Gestrüpp überwachsenen Eingang zu den bald fünfzig Jahre alten Stollen und Schächten gefunden, frohgemut, nun ein sicheres, einsames Versteck zu haben, in dem sie ausruhen und neue Pläne schmieden konnten.
Michael umfaßte mit hartem Griff seinen Morgenstern, der Graf zückte wieder sein Schwert, die festen Tritte kamen näher. So still waren die beiden Kämpfer und das Kräuterweib, daß sie wieder das Tropfen des Wassers auf den Stein im Gewirr der verlassenen Tunnel vernahmen.
Einzig das Stöhnen des Verwundeten zu ihren Füßen verriet sie. Graf von Traubstedt hob das Schwert. Er würde ein Dutzend seiner Verfolger noch mit ins Grab nehmen, das schwor er sich mit dem Übermut des jungen, unermüdlichen Kämpfers. Er war eisern entschlossen.
»Hab acht, Katharina, der Boden ist feucht. Soll ich dich ein wenig um die Taille fassen und stützen?«
»Wage es, und du wirst eine Antwort bekommen, die dir nicht schmeckt, lieber Hans, und rote Backen beschert«, antwortete kratzbürstig eine Jungmädchenstimme.
Der Graf ließ sein Schwert sinken, Michael ärgerte sich über den vorschnellen Verlust der Fackel, und Märthe lachte perlend. Seltsam, dachte der Graf, ihre Stimme ist die eines lieblichen jungen Mädchens und ihr Gesicht das einer Hexe. Teufelei, fürwahr! Doch was sollte jede Furcht, er hatte Satan ins Antlitz gesehen in der Schlacht zu Frankenhausen. Was nun noch kam, konnte nicht schlimmer sein. Er war ein wirklich junger Mann, trotz seiner dreißig Jahre, trotz seines Kriegszugs über den Brenner.
Der unbekannte Hans und seine Katharina waren dem Lachen gefolgt, darauf vertrauend, daß ein Lachen kein böses Omen sein konnte. Beide waren einfache Leut. Hans, der Druckergeselle, und Katharina, Tochter einer armseligen Melkmagd.
»Hallo, gute Leute«, klang es denn auch zuversichtlich vom Anfang des Stollens, und ein mageres Lichtlein beschien die kleine Versammlung, die mit ihren Rücken den verletzt daliegenden Bauern verdeckte.
»Holla! Wir sind finstere Gestalten wie Ihr, habt Ihr wohl einen Bissen Brot oder besser ein Ende Schinken, wir sind hungrig wie die Tanzbären.« Munter plauderte Hans, der eine Laute mit bunt flatternden Bändern auf dem Rücken trug, auf die hohen Herren zu.
Ihren Stand erkannte er am Harnisch und den edlen Handschuhen. Und ein Blick in die Gesichter verriet ihm, wer der Herr war, der mit dem fast beilförmigen Gesicht und dem harten, angriffslustigen Blick aus klaren Augen. Der Landsknecht neben ihm war wohl an die zehn Jahre älter, mißtrauisch sah er aus; seine Stirn trug tiefe Linien, er legte sie wohl oft in Falten, so wie jetzt. Um den schmalen Mund lag ein erbitterter Zug, der von großer Entschlossenheit, aber auch von mannigfaltigen Enttäuschungen erzählte. Ihm fehlte die vorpreschende Art und das leicht entflammbare Temperament seines Herrn. Ungefährlicher war er nicht.
Dennoch wußte Hans, er war in Sicherheit. Denn der edle Ritter vor ihm trug einen gemalten Regenbogen, das Zeichen der Aufständischen, auf seinem Brustpanzer. Die geschlitzten Pluderhosen des baumlangen, kräftigen Landsknechtes leuchteten in den Farben der Rebellen. Hans streckte ihm die Hand entgegen. »Seid mir gegrüßt, liebe Brüder in Christo.« Michael nannte den munteren Lautenspieler insgeheim einen »lachhaft Gecken«, reichte ihm aber doch die Pranke, die stark genug schien, eine junge Birke auszureißen.
Zögernd, einer Katze gleich, folgte Katharina. Hans hatte sie aus einem brennenden Stall in einem Weiler nahe Frankenhausen befreit. Sein erster Findling. Besser, sie mitzunehmen, so hatte sich Hans gedacht, und auf einer Flucht nicht allein zu sein, zumal Katharina ein bildschönes Mädchen war.
Noch besser, so dachte Hans jetzt, einen bewaffneten Kämpfer zu finden, einen, der zudem einen Gefährten dabei hatte, an dessen Gürtel ein Leinenbeutel hing, wie man ihn zum Transport von Trocken- oder Räucherfleisch und Brotkanten nutzte. Doch bevor er den Landsknecht um einen Bissen davon angehen konnte, mischte Märthe sich ein.
»Gottes Wille hat uns zusammengeführt, laßt uns beten.« Verwundert betrachtete Hans die geheimnisvolle Alte mit der singenden Stimme, die hier dem Anschein nach das Kommando führte. Dann erblickte er den Bauern und wich zurück. »Ein Toter?« fragte er entsetzt. »Einer, der bald wieder unter den Lebenden weilen wird. Glaubt mir, und laßt uns für ihn beten«, sagte Märthe mild und leise.
Niemand widerstand der seltsamen Macht ihrer Stimme, selbst Katharina – die Katze zog ihre Krallen ein und wartete, was nun geschehen sollte. Märthe sank neben dem verwundeten Bauern auf die Knie. Die anderen taten es ihr nach, sogar Graf Traubstedt beugte die Knie, so daß die Scharniere seiner geschmiedeten Beinpanzer knirschten.
»Herr, wir danken dir für unsere wundersame Rettung. Errette diesen armen Knecht, der für dich seine Gesundheit gab, denn deine Güte ist ohne Grenzen. Du bist die Kraft und die Herrlichkeit. In deinem Namen haben sich gefunden – wie du geweissagt – die letzten Aufrechten. Zu folgen deinem Befehl, vertrauend auf deine Güte und deinen Ratschluß. Wir, die Kämpfer unter dem Regenbogen. Du wirst uns speisen mit Worten und mit Brot, und wir werden immerdar deine Diener sein. Amen.«
Zögerlich kam das Amen nun von allen Seiten und verhallte in mächtigem Chor im Stollen. Hans, seltsam ergriffen und den Worten noch nachsinnend, erholte sich nur langsam. Mitleidig schaute er auf den bewußtlos daliegenden Bauern hinab. Und doch war er der erste, der sprach.
»Hat einer von Euch Edlen schon jetzt einen Bissen Brot?«
Märthe lachte wieder. Der Graf blickte grimmig. Was für eine seltsame Versammlung von Narren. Was sollte dieser Pakt, den Märthe für sie alle geschlossen hatte? Und das im Angesicht eines Sterbenden. Sterbenden?
Der Bauer Rufus regte sich. Aus einem Röcheln wurde ein Seufzer, dann schlug er die Augen auf. »Danke, Gott, ich bin gerettet.« Der Blick war klar und fest, mühsam schob der Bauer seinen geschundenen Leib zur Wand des Stollens und richtete sich daran auf, jede Hilfe abwehrend. Bauer Rufus war ein stolzer Mann.
»Mir träumte, ich sah eine heilige Frau, und Rettung war mir gewiß. Nun sehe ich, daß ich lebe und wohlauf bin. Ihr lieben Leut, es ist eine Lust zu leben.«
Es ist eine Lust zu leben. Die Worte des großen Ulrich von Hutten, Reichsritter und poeta laureatus, aus dem Munde eines Bäuerleins. Graf Traubstedt stutzte, dann gab er Michael Befehl – so ganz hatte er sich das Herrsein nicht abgewöhnt –, den Beutel mit seinem Feldproviant zu öffnen.
»Verteile, was wir noch haben, denn wir feiern ein Fest der Wiederauferstehung.«
Hans kaute schon auf einem recht saftigen, in Honig eingelegten Schinken herum, dennoch zieh er – mit vollem Mund – den edlen Herrn der Gotteslästerung: »Euer Hochwohlgeboren, gestattet, daß ich Einspruch erhebe. Die Wiederauferstehung gebührt einzig dem Herrn. Wir kämpfen in seinem Namen, aber wir lästern ihn nicht und sind durchaus sterblich, alle, wie wir hier sind.«
Märthe schnitt einen kräftigen Batzen Schinken ab und reichte ihn dem matten Bauern, der schweigend das Wunder genoß. »Laßt gut sein, Bruder Hans, Gott ist mit uns allen«, sagte Märthe.
Dann verschwand sie für kurze Zeit im dunklen Ende des Tunnels und kehrte mit einem Krug zurück. Auf ihrer Schulter hockte nun ein weißer Rabe mit roten Äuglein, die im Licht der Fackeln wie Rubine glitzerten. Der Graf war nun sicher, sie mußte eine Hexe sein, zumal der Rabe sich krächzend zu Wort meldete: »Lustig, lustig, ihr lieben Brüder, leget alle die Arbeit nieder, es lebet keiner mehr als ich und du.« Der Vogel legte nach dieser langen Ansprache keck den Kopf schief, als erwarte er Applaus. Katharina lachte laut, und Märthe kraulte zart das Brustgefieder des merkwürdigen Gesellen.
»Das ist Hesekiel, mein liebster Gefährte, und das hier guter alter Wein, den ich lange schon aufbewahre für ein Fest wie dieses. Trinkt, denn wir sind in Sicherheit, und große Aufgaben warten auf uns. Ein Kreuzzug für den wahren Glauben.« Sie reichte den Krug Hans, der brav und arglos einen tiefen Schluck nahm.
»Ei, das ist guter, süßer Wein. Ich möcht’ wetten, besseren bekommt kein Pfaffe zu trinken.« Gierig wollte er ein zweites Mal ansetzen, doch Katharina entriß ihm mit strafendem Blick den Krug. »Du derber Hundsfott, nichts als Fressen und Saufen hast du im Sinn. Gib mir, ich bin durstig. Oh, verzeiht, ich vergaß, hoher Herr, wollt Ihr zuerst?«
Sie schlug demütig die Augen nieder und reichte den Krug dem Grafen. Der nahm ihn widerwillig und nur, weil er ihm von so schönen, weißen Händen gereicht wurde. Dazu dieser blitzende Blick aus smaragdgrünen Katzenaugen. Das Mädchen war betörend jung und schön. Der Kontrast zwischen ihrer blühenden Schönheit zur Häßlichkeit der Hexe konnte größer nicht sein. Doch mit dem irdenen Krug in den Händen wußte der Graf nicht recht, wie er sich weiter verhalten sollte.
Märthe war ihm zunehmend unheimlich, eine Wunderheilerin, eine Kreatur Satans. War das wirklich Wein, was sich da im Inneren des Gefäßes spiegelte? Von merkwürdigen Zaubertränken war immer noch die Rede, und nicht lange war es her, daß Graf von Traubstedt die letzte Hexe hatte munter brennen sehen, weil sie das Vieh vergiftet und die Wöchnerinnen eines Weilers so besprochen hatte, daß sie zweiköpfige Wechselbälger gebaren. Mißtrauisch sog er den Geruch des Tranks durch die Nase. Ein feines, süßes Aroma von Mandeln und Muskat schlug ihm entgegen.
Fürwahr, das roch wie der Wein, mit dem er zuletzt den Sieg der kaiserlichen Truppen in Pavia begossen hatte. Guter, sizilianischer Wein, der den Höchsten gebührte, kein saures Gewächs, wie es die einfachen Leut zu trinken bekamen. Woher hatte die alte Hexe einen so guten Tropfen?
»Nun macht schon, trinkt«, drängte ihn Michael, der selbst sehr durstig war und nie etwas auf das allgemeine Geschwätz von Hexerei und Teufelsbrut gegeben hatte. Der Graf setzte an, was sollte noch passieren? In einer Welt, die ohnehin zum Teufel war.
Hans, der leidlich gesättigt war, griff zur Laute. »Mir scheint, wir alle könnten ein kleines Lied gebrauchen, mag sein, daß es unser letztes ist.« Er schlug die Saiten und stimmte das »Bündisch Liedlein« an.
»Die Bauern sind einig geworden
Und kriegen mit Gewalt.
Sie han ein großen Orden,
Sind aufständig mannigfalt,
Und tun die Schlösser zerreißen
Und brennen Klöster aus.
So kann man uns nit bescheißen,
Was soll ein bös’ Raubhaus?«
Mächtig hallte der Gesang durch das Tunnelsystem. Bauer Rufus blickte traurig in die Ferne, als der letzte Ton verklungen war, räusperte sich und hob zu sprechen an: »Lieber Gesell, dies ist eitel Fröhlichkeit. Unsere Sache ist verloren, wir Bauern hätten bei unseren Pflugscharen bleiben sollen. Es war nicht Gottes Wille, daß wir unser Recht erkämpfen.«
Graf Traubstedt schüttelte zornig den Kopf. »Was soll das, Bursche, jammere nicht wie ein Weib! Die hohen Herren haben eure Rechte genommen. Sie reiten durch eure Ernte, jagen euer Wild und eure Fische, es sind klägliche Gesellen, die rauben, was von alters her euer war. Als Adam grub und Eva spann, wer war da der Edelmann?«
Hans, über dessen Druckstock viele aufrührerische Pamphlete gegangen waren, musterte belustigt den Grafen. »Mir scheint, wir haben hier ein Lamm im Gewand des Löwen. Wie kommt es, Herr, daß Ihr unsre Sache so sehr zu der Eurigen macht?« Michael warf dem vorwitzigen Handwerker einen warnenden Blick zu. Hans war ein selbstbewußter Kerl, aufgewachsen mit einer mächtigen Zunft im Rücken und stolz auf seiner Hände Arbeit, die ihm früher, bevor die Landesfürsten immer neue Steuern auch für die Städter ersannen, ein gutes Brot eingebracht hatte und Fleisch und viele Krüglein Bier dazu. Nun war er freilich geächtet und verfolgt, vogelfrei für jeden Bauernschlächter, denn er hatte vor Frankenhausen zumindest mit seinen Liedern gekämpft.
Der Graf nahm die vorlaute Frage des Druckers nicht übel. »Ich verstehe Euer Mißtrauen. Viele von meinem Stande haben sich nur zum Schein der Sache der Bauern angeschlossen, in der Hoffnung auf reiche Beute beim Plündern von Klöstern und Städten. Die Ritter sind eine verkommene Brut, die das Kriegshandwerk für falsche Fehden nutzen. Denk ich nur an diesen Götz von Berlichingen, den mit der eisernen Hand, der seinen Bauernhaufen verriet, als es ihm brenzlig wurde und kein Verdienst durch wildes Plündern mehr in Aussicht stand, so packt mich der Zorn.«
»Friede sei mit Euch«, krächzte Hesekiel. Hans legte seine Hand um den vorlauten Schnabel, ihm gefiel der Disput mit dem Edelmann.
Bauer Rufus lehnte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht vor. Märthe legte ihm ein feuchtes Leintuch auf die Stirn, der Bauer riß es ungeduldig herab.
»Schmäht nicht den von Berlichingen. Er verließ die Bauern, weil die den unschuldigen Grafen von Helfenstein, seinen Freund und Schwiegersohn des edlen, seligen Kaisers Maximilian, durch die Spieße schickten. Das war nicht wohlgetan. Und Spott übten sie auch, ließen den Pfeiffer Melchior von Nonnenmacher vor ihm die Gasse abschreiten, wo er ein frevlerisches Lied auf den armen Grafen pfiff, bevor ihn Spieß um Spieß durchbohrte. Fürwahr, ich schäme mich für meine Brüder.«
Von der langen wütenden Rede erschöpft, sank der Bauer an die Wand zurück und schloß die Augen.
Dennoch traf ihn der Zorn des Ritters mit voller Wucht. »Was redet Ihr, tumber Mann! An Euch wird unser armes, gequältes Reich nie genesen. Welche Lügen glaubt Ihr noch? Freilich, der Graf mußte raus zum Spießrutenlauf, aber, was meinst du, hat den Zorn seiner Leute erregt? Er ließ ihre Kinder blenden, wenn sie vor Hunger einen Apfel stahlen, er schändete ihre Töchter und preßte ihnen das letzte Körnchen Weizen ab. Seine Untertanen hungerten und starben wie die Fliegen. Auch überfiel der Graf ihre Herolde und Unterhändler, brach alle Waffenruhen. Er war eine Schande in seinem Stand. Ich hätte ihm gerne den Handschuh hingeworfen. Und auch der Berlichingen ist ein solch feiger Mann.«
Hans nickte. »Ja, Bauer Rufus. Viele von den hohen Herrn haben uns aus Eigennutz schändlich betrogen. Die Kunde, die Ihr habt, ist dreist erlogen, dessen seid gewiß. Für jeden, der von Bauershand starb, töteten die Fürstenleut an die hundert von uns. Selbst vor Frankenhausen blieben nur sechs von ihnen für tot liegen. Sechs! Die Zahl sagt alles. Und erinnert Ihr Euch nicht an den Ritter von Bogenwald in unseren eigenen Reihen? Diesen hochgewachsenen Kerl von schlanker, edler Gestalt?«
Der Bauer bejahte. Er kannte den von Bogenwald, hatte oft seine grobe Filzkappe gezogen, wenn der Edle die Reihen durchritten und das Wagenlager des Haufens kontrolliert hatte. Froh und stolz waren die Bauern und Tagelöhner gewesen, einen solchen Führer zu haben. Der blitzende Helm mit dem Federbusch war zwar eitel Tand, genau wie die polierten Eisenhandschuhe, doch die stolze, vorspringende Nase bewies alten Adel und heroischen Eigensinn, der ihr Glück hätte sein können.
»Nun«, fuhr Hans fort und strich wütend über die Saiten seiner Laute, so daß ein greller Mißklang entstand, »eben dieser Ritter hat euch verraten, ärger als der Berlichingen die Seinen. Er war und ist ein Fürstenknecht, mit nichts als seiner eigenen Bereicherung im Sinne. Er war es, der dem Landgrafen von Hessen empfahl, zuzuschlagen, während ihr alle dem Müntzer lauschtet. Er kannte eure Pläne und war der Judas in euren Reihen.«
Bauer Rufus stöhnte. Ja, das wußte er bereits. Er selbst hatte seinen Arm eingebüßt, als er einem Reitertrupp, angeführt vom Ritter von Bogenwald, entgegenrannte. In der unsinnigen Hoffnung, daß diese den Gegenstoß aufs Fürstenheer anführten. Ein fataler Irrtum. Einer der Landsknechte hatte einfach ausgeholt, sein Schwert sausen lassen, und nur weil Rufus im letzten Moment zur Seite sprang, war nicht sein Kopf blutend vom Rumpf gesprungen, sondern nur sein Arm. Man hatte ihn für tot gehalten und liegen lassen. Und war weiter der Stadt zugesprengt, um sie einzunehmen.
Die Gruppe schwieg, ein jeder hing seinen Erinnerungen nach, die von Blut getränkt und von Schmerzen durchzogen waren. Katharina hob als nächstes ihre Stimme, nicht kratzbürstig und schroff, wie es meist ihre Art war, um ungewollte Annäherungen abzuwehren, sondern leise und spröde vor Kummer.
»Auch ich sah den Ritter. Es war vor dem Gemeindestall, in dem ich als Melkerin arbeitete. Er sprengte mit drei Mordgesellen in den Hof und hieb alle nieder, die er erreichte. Dabei hatten sie alle nichts mit dem Aufstand zu tun, so alt, krank oder unschuldig wie sie waren. Selbst den kleinen Tobias, der erst voriges Jahr zu Johannis das Laufen lernte, schonte er nicht. Den riß er am Schopfe nach oben und warf ihn gegen die Wand, sein kleiner Körper zerbarst, die Knochen zersplitterten. ›Du wirst keinen Fürsten mehr foppen‹, schrie er, dann lud er einige Malter Getreide auf, führte das Vieh hinweg und befahl, Feuer an allen Enden zu legen, auf daß wir elendiglich verbrennen sollten. Nie habe ich einen gottloseren Mann gesehen. Ich schwöre, ich könnte ihn töten.«
Märthe rückte näher an Katharina heran und legte ihr einen Arm um die Schulter, das Mädchen legte seinen Kopf hinein und bemühte sich, ihr Schluchzen als Schluckauf zu tarnen. Sie zeigte nur ungern Gefühl, das führte zu nichts. Die Männer schwiegen betroffen.
Märthe sagte leise, aber deutlich: »Und genau das werden wir tun. Wir töten den Ritter von Bogenwald und all die Herren, die uns verraten und verkauft haben und nun schrecklich unter dem Volke wüten.«
»Frau, sprich keinen Unsinn! Wir sind aller rechten Waffen und unserer Pferde beraubt«, unterbrach Michael das Weib unwirsch. Unwirsch auch deshalb, weil er nichts zu kämpfen hatte und feige fliehen mußte, das ließ seine Lippen so schmal werden und seinen Mund so bitter wirken. »Die Sache ist verloren, und das Blutgericht der Herren wird grausam sein«, erklärte er nun hart, »habt Ihr nicht gehört, daß der Ritter von Bogenwald alle, die das Gemetzel überlebten, auf Räder flocht, mit Eisenruten peitschte, wie er sie an Bäume band und Feuer rundherum legte, so daß sie greulich verschmorten, auf eine halbe Stunde bei Bewußtsein blieben und jämmerlich verreckten. Der Ritter ist ein mächtiger, grausamer Mann. Wir«, bei diesem Wort zögerte er und blickte abschätzig in die Runde, »können ihm nicht entgegentreten.«
Hesekiel hüpfte frech auf den Landsknecht zu, legte den Kopf zur Seite und schrie: »Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes, Prrrüh!«
»Weg, Hesekiel«, befahl Märthe, und der Vogel flatterte in ihre Richtung. »Lieber Mann, ich sagte schon, ich trage keine Waffen. Doch es bedarf nicht immer eines Schwertes, um Männer hinzustrecken. Auch die stärksten unter ihnen sind nicht gefeit gegen Plagen, die Gott uns zur Strafe schickt. Gevatter Tod mäht nicht nur mit der Sense.«
Märthe zog eine von Kupferdrähten umhüllte Glasphiole nach oben. Der Graf beäugte das kleine Gefäß mißtrauisch, Katharina zog jäh ihren Kopf aus Märthes linkem Arm.
»Ach Weib«, sprach der Graf bitter, »wie soll dies unschuldig Gläslein dem Mann das Verderben bringen? Willst du mit Gift dich an –«
»Still«, zischte in diesem Moment Bauer Rufus. »Hört ihr nicht dieses Klirren in der Ferne?« Die Gruppe lauschte angestrengt ins Dunkel hinein. Tatsächlich, vom weit entfernten Stolleneingang her klang ein leises, metallisches Klimpern herüber, nur wenig später schwoll es zum mächtigen Rasseln von Schwertern an, die aneinander schlugen. Der beißende Geruch von vielen brennenden Pechfackeln strömte in den niedrigen Gang, in dem sich die Flüchtigen verbargen.
»Wir sind verloren«, flüsterte Katharina entsetzt, »wir sind verloren! Hört die Sporen, die über den Boden schaben. Das sind die Söldner und Reisigen, die das Land nach Flüchtenden durchkämmen, um Beutepfennig zu machen.«
Und es waren tatsächlich Söldner, denn nun drangen rauhe Stimmen herüber. »Das Rattenpack muß hier stecken, Hauptmann. Die Spuren waren deutlich. Seht, ein zerrissenes Lautenband und hier, Blut. Das wird uns ein feines Sümmchen bringen, wenn wir sie halbtot schlagen und dann zum Lager schleppen. Der von Bogenwald hat uns auf jeden Strolch zehn Heller versprochen. Sie können uns nicht entkommen.«
Der Graf blickte sich um, nein, tatsächlich, sie konnten nicht entkommen. Hinter ihnen lag nur das dunkle Ende des Gangs. Vermaledeite Hurensöhne! Er sprang im gleichen Moment wie Michael auf und zog behende sein Schwert. Selbst Bauer Rufus zog mit seiner linken Hand sein Kurzmesser aus dem Gürtel. Hans zögerte kurz und packte dann seine Laute mit beiden Händen, hob sie über seinen Kopf. Michael mußte trotz der gefährlichen Lage grinsen. Was für ein Taugenichts dieser Wortdrechsler und Sangesbruder doch war! Mit der Laute gegen scharfe Klingen.
Dann besann sich Hans, riß eine Saite vom Steg herunter, prüfte sie durch einen kräftiges Zerren an beiden Enden. Ja, das war eine treffliche Schlinge, mit der er jedem Kerl die Kehle durchschneiden könnte, als sei’s ein Laib Käse. Dummerjan, schalt er sich bei diesem Vergleich selbst, immerzu denkst du ans Fressen ...
Drei der Verfolger leuchteten nun mit gewaltigen Pechfackeln in den Schacht. Der Graf war geblendet, doch Michael sprang auf den Trupp zu und ließ seinen Morgenstern kreisen. Scheppernd und krachend ging er auf einem Brustpanzer nieder. Stöhnend brach ein Gegner zusammen, doch der Rest des Trupps drängte sofort mit gebeugtem Rücken und gezückten Schwertern in den Stollen. Andere drängten nach.
Schon focht der Graf tapfer und geschickt ein Sträußlein mit einem gewaltigen, baumlangen Kerl aus. Ein anderer hob seine Waffe und wollte sie schon auf Rufus niedersausen lassen, als ein schneidender Schmerz an seiner Kehle, der ihm sofort den Atem raubte, ihn zurückriß. Michael registrierte Hans’ listige Kampftechnik mit Anerkennung, auch wenn sie nicht den ständischen Regeln des Ritterkampfes entsprach.
Am Eingang des Stollens drängten immer neue Kämpfer nach. Ein starker Trupp schien ihnen auf den Fersen, die Lage war hoffnungslos. Katharina sprang mit einem einzigen Satz auf einen der Söldner los, tauchte unter seinem Schwert herab und jagte ihm ein Kurzmesser in die Seite. Der Mann stöhnte und hieb ihr im Fall seine eiserne Faust ins Gesicht. Hesekiel ging kreischend auf ihn nieder und hackte ihm zur Strafe die Schulter wund. Katharina spürte, wie warmes Blut ihr Gesicht herablief, sie hob erneut das Messer und stach auf den nächsten Angreifer ein, der mit seiner Schwertspitze den Brustharnisch des Grafen getroffen hatte. Unbändige Wut trieb sie. Sie wollte leben.
»Genug gekämpft, haltet ein«, rief plötzlich Märthe, »beiseite, meine Freunde!« Wieder gehorchten ihr alle aufs Wort, ihre Stimme hatte wahrlich magische Kräfte. Und nicht nur ihre Stimme. Mit einem Zischen ging vor den Angreifern aus dem Tunnel plötzlich ein greller Blitz nieder, der sie zurückwarf, dann stieg ein beißender, ätzender Nebel auf. Märthe riß den Bauern Rufus hoch und rief ihren verdutzten Freunden zu: »Folgt mir! Es gibt einen Ausgang.« Mit einem Bündel über der Schulter warf Märthe sich auf den Boden nieder und kroch in einen niedrigen Spalt.
Verdutzt folgte der Trupp, wenngleich der Graf sich schwor, dem alten Weib noch den Hals umzudrehen, bevor der Hahn oder dieser seltsame Hesekiel am nächsten Morgen den Schnabel auftat. Da kannte sie einen Fluchtweg und ließ die guten Leut doch den Tod begrüßen! Gerade noch waren sie ihm von der Schippe gesprungen.
Was für eine seltsame Heilige. Wutentbrannt bückte sich der Graf als letzter, befreite sich von Brustpanzer und Rüstung, legte sich flach auf den Bauch und robbte in einen schmalen Schacht, der gerade Platz für seine Größe bot. Stöhnend wand sich vor ihm der tapfere Rufus durch den Gang. Höllenschmerzen mußte der arme Mann leiden.
Hinter dem Grafen fluchten und husteten die Söldner. So dicht waren die Nebelschwaden, daß sie den Fliehenden nicht folgen konnten.
Eine verdammt listige Heilige war Märthe außerdem.