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3. Kapitel

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Am nächsten Morgen macht sich Robert bereit, im Seniorenheim Opa Heinrich zu besuchen. Er will die endlose Geschichte zu einem Ende bringen

Das Telefon musiziert seinen unmöglichen Gesang in die beschauliche Ruhe der Räume. Robert vermutet seinen Chef, Dr. Kuhn, hinter dieser Attacke und legt alle ihm zur Verfügung stehende Unfreundlichkeit in seine Stimme, als er knurrt: „Robert Wille hier!"

Was er dann hört, lässt ihn sprachlos werden. Da flötet es ganz fröhlich aus dem Hörer, verblüffte ihn total. Das Gespräch nimmt einen ganz anderen Verlauf, als er es sich beim Läuten vorgestellt hat.

„Hier ist Hanna Lehnhardt, habe ich gestern mit Ihnen auf dem Bahnsteig gesprochen?"

Robert muss sich setzen, so überrascht ist er.

„Ja, in der Tat. Aber woher haben Sie meine Telefonnummer?"

Richtig lustig klingt es aus dem Hörer.

„Aber, aber, Herr Wille. Google macht es möglich. Ich möchte mich entschuldigen für meinen Überfall wegen Opa Heinrich. Sind Sie mir böse?"

„Ich will gerade zu Opa Heinrich gehen, zehn Minuten später hätten Sie mich nicht mehr erwischt."

„Sehen wir uns nächsten Freitag?", fragt sie.

„Na, sicher doch, schließlich möchte ich etwas mehr über Sie erfahren außer der Erkenntnis, Sie dauernd auf der Flucht anzutreffen"

„Das waren doch ganz unglückliche Zufälle, glauben Sie mir das. Ich werde mich am Freitag von Opa für die nächsten sieben Monate verabschieden. Ich fahre in die Antarktis."

„Was?!" Robert glaubt nicht richtig gehört zu haben.

„Das ist mein Job. Nicht traurig sein", sagt sie lachend und fährt fort:

„Ich erzähle Ihnen dann Näheres, grüßen Sie bitte meinen Opa Heinrich. Er freut sich über jeden Besuch. Spielen Sie Schach?"

„Ja", erwiderte Robert, „heftig mit meinem Chef. Der kann schlecht verlieren."

„Opa wird glücklich sein, einen neuen Schachpartner zu haben. Vielen Dank, Herr Wille."

„Nennen Sie mich einfach Robert, das ist nicht so kompliziert", flötet Robert in das Telefon.

„In Ordnung, Hanna genügt auch. Ich danke für das Interview. Bis Freitag, Robert. Tschüss und auf Wiedersehen."

„Auf Wiedersehen", ganz automatisch antwortet Robert. Irgendwie hat er die Situation nicht voll im Griff. Piep. Piep. Sie hat aufgelegt

Hm, meint Robert zu sich selbst sprechend, eine gute Figur hast du bei diesem Gespräch aber nicht gemacht.

Er nimmt seine Mütze, Schlüssel. Auf zu Opa Heinrich.

Robert wundert sich über die vielen Autos vor dem Seniorenheim um diese Zeit. Er muss ziemlich weit hinten einparken, Der Gebäudekomplex ist beeindruckend groß. In der geräumigen Eingangshalle strebt er der Rezeption entgegen, wo eine recht kompakte Dame residiert.

Robert fragt mit unschuldiger Miene: „Können Sie mir sagen, wo Opa Heinrich zu finden ist?"

„Sie meinen den Professor?" Robert nickt einfach und sagt: „Den kennt jeder, hat seine Enkelin gesagt."

„Eben war er noch hier. Er wird wohl jetzt auf seinem Zimmer sein. Und wer sind Sie?"

„Seine Enkelin schickt mich, um ihn zu besuchen."

„Da wird er sich aber freuen. Zimmer 114, geradeaus, dann rechts!" Wohin es geradeaus geht, zeigt sie mit weit ausholender Armbewegung. Robert stellt auf seinem Weg zu Opa Heinrich fest, blitzsauber ist es hier und die Menschen, die er sieht, machen einen zufriedenen Eindruck.

Da ist die Tür mit der Nummer 114 mit einem Namensschild:

Heinrich Lehnhardt

Dr. Ing .

Von der gleichen Fakultät wie mein Chef ist das Erste, was ihm dazu einfällt.

Er klopft. Auf das Herein öffnet Robert die Tür. Etwas weiter hinten im Zimmer sitzt er, den jeder im Haus kennt, Opa Heinrich, im Rollstuhl und sagt: „Sie sind Robert Wille. Ich freue mich, dass Sie gekommen sind."

Robert ist ganz auf der Höhe der Situation und erwidert:

„Guten Tag, Herr Doktor, dann brauche ich mich gar nicht erst vorzustellen. Welch gut funktionierender Nachrichtendienst verschafft Ihnen denn solche brandaktuellen Informationen?"

Opa Heinrich lacht laut. „Kommen Sie, setzen Sie sich und lassen Sie den Doktor weg, machen Sie es nur nicht zu kompliziert."

„Danke." Robert nimmt Platz.

Opa: „Ich bin zwar alt. Aber mein Seelchen hält mich technisch auf dem Laufenden. Wir kommunizieren per SMS über Handy. Die Meldung kam vor einer Viertelstunde mit einem beigefügten Satz, den ich bisher noch nicht gelesen habe."

Robert: „Seelchen?"

Opa lehnt sich zurück. „Ach, das ist eine lange Geschichte, Robert, ich darf Sie doch so nennen?"

Robert: „Natürlich, wir wollten unkompliziert sein. Also, was hat es mit Seelchen auf sich?"

Opa: „Ich glaube, den Namen Hanna hat nur der Pastor bei der Taufe zu ihr gesagt. Bei uns hieß sie Seelchen, unser Sonnenschein. Robert, wie haben Sie denn Seelchen überhaupt getroffen? Mit Männern wollte sie doch nichts mehr zu tun haben."

Robert: „Auch das ist eine lange Geschichte. Sie beginnt mit diesem hier." Robert holt aus der Innentasche seiner Jacke das Lesezeichen hervor.

„Da ist es ja wieder!", ruft Opa Heinrich und klatscht begeistert mit den Händen. „Sie war ganz traurig, als sie den Verlust des Lesezeichens bemerkte. Das war vor Monaten."

Robert: „Das war am 27. April um 16.30 Uhr."

Opa ist überrascht. „Hoppla, was war das denn? Können Sie mir diese präzisen Angaben erklären?"

„Ja, Herr Lehnhardt, aber erst möchte ich dem Zusatz in der SMS nachgehen, der offensichtlich mit mir zusammenhängt."

Opa: „Jetzt, wo ich ihn lese, dieser Zusatz ist für mich deswegen auffällig, weil, wie ich schon sagte, Seelchen keinerlei Verbindungen mit Männern mehr suchte. Sie hatte die Nase voll von dieser Spezies."

Robert schaut auf das Handy in Opas Hand: „Und?"

Opa druckst etwas herum. „Also gut. Ich soll lieb zu Ihnen sein. Wörtlich danach: ‚Iich mag Robert.‘"

Robert: „Toll, und dann dauernd auf der Flucht, mit diesem Ding hier … " Robert hält das Lesezeichen hoch.

Opa unterbricht ihn: „Dieses Ding ist von mir und meiner Frau, eingepackt in ein Buch, das wir ihr zu ihrer Konfirmation geschenkt haben."

„Entschuldigen Sie, mit diesem Lesezeichen beginnt die Geschichte am 27. April." Robert erzählt haarklein das Geschehen vom ersten Zusammentreffen bei der Bank am Waldrand bis zum Wiedersehen auf dem Bahnsteig.

Opa schüttelt mit dem Kopf. „Sie erzählt doch sonst alles, was sie bewegt. Sie hat nur noch mich. Ihr Vater, mein Sohn, – weitere Kinder hatten wir nicht – starb vor sechs Jahren. Er war Pädagoge. Herzinfarkt. Er war Seelchens Bezugsperson. Zwei Jahre später verunglückt sein Sohn tödlich, Tauchunfall im Roten Meer. Seelchen verliert also auch noch ihren Bruder. Ein Herz und eine Seele waren die Beiden. Andreas hat sich für seine Schwester eingesetzt, keine Prügelei gescheut die ganze Schulzeit lang. Zu allem Überfluss hält die Mutter die Last des Schicksals nicht mehr aus. Sie packt ihre Koffer, wandert in die Vereinigten Staaten aus, zieht zu ihrer dort lebenden Schwester. Ich habe gerade einen Brief von ihr gekriegt."

Robert: „Seltsam, ich bin auch allein. Meine Eltern leben nicht mehr, meine Schwester ist in Australien, ich habe seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr, Ich selbst, um das gleich der Vollständigkeit wegen hinzuzufügen, bin Diplomkaufmann, habe Betriebswirtschaft studiert in England und hier, bin 36 Jahre alt, spreche Englisch und Spanisch fließend, habe auch die Nase voll von einer Beziehung zu dem anderen Geschlecht seit dem letzten Crash im Frühjahr, aber ich mag die fliehende Lichtgestalt"

Unvermittelt fragt Robert „Sie spielen Schach? Diese Information habe ich von Ihrer Nachrichtenquelle."

Wieder dieses verschmitzte Lachen bei Opa. Das macht richtig Freude, es anzusehen.

Opa: „Ja, aber meistens nur dann, wenn man sich nichts mehr zu sagen hat. Und wir haben uns doch etwas zu sagen.

So zum Beispiel: Ich sitze im Rollstuhl, MS. Aber ich kann gut damit umgehen. Am schwersten hat mich der Tod meiner Frau im Februar getroffen. Seelchen war der Lotse, der mich wieder ans Licht zurückgeführt hat. Meine Frau und ihre Enkelin, das hätten Sie erleben müssen, der Umgang miteinander eine einzige großartige Herrlichkeit …"

Ping, Ping. Opas Handy gibt Laut.

Robert: „Ihr Nachrichtendienst." Opa lacht und liest laut vor: „Opa, ist Robert da?" Er sieht Robert fragend an. „Was soll ich schreiben?"

Robert: „Erlauben Sie mir, dass ich ihr antworte?"

Opa. „Aber natürlich, reden Sie mit ihr."

Robert: „Nein, ich schreibe." Robert tippt mit geübter Hand und mit Blick auf das auf dem Schreibtisch liegende Lesezeichen den Antworttext ein und zeigt ihn Opa. Der liest und staunt, was im Display steht:

Seele an Seelchen,

habe auftragsgemäß Opa Heinrich aufgesucht.

Keine Sorge, wir kommen klar.

Alles wird gut.

Robert.

Bitte um Empfangsbestätigung.

Opa: „Donnerwetter, das ist richtig Klartext, das schicken wir so jetzt ab."

Der Spruch ist auf der Reise, sagt sich Robert. Das Problem bringt jetzt auch noch richtig Spaß.

Opa blickt auf die Uhr. „Es ist Zeit zum Mittagessen. Kommen Sie mit? Seelchen hat mir immer Gesellschaft geleistet. Die Küche ist gut. Kommen Sie."

Robert nickt: „Ich komme mit, vorausgesetzt, es gibt keinen Kochfisch."

Opa: „Das habe ich hier noch nicht erlebt, aber drei Gerichte stehen zur Auswahl."

Robert steckt das Lesezeichen wieder ein, schiebt den Rollstuhl und Opa gibt die Richtung an. Sie erreichen den großen Esssaal. Opa Heinrich steuert auf einen bestimmten Tisch in einer Ecke zu.

„Das ist mein Stammtisch seit bald sechs Jahren." Beide nehmen das gleiche Gericht, Königsberger Klopse.

Opa sagt plötzlich: „Heute Nachmittag bin ich total besetzt, bin auf meine alten Tage wieder Lehrer. Latein und Mathematik. Es macht mir einen Riesenspaß."

Robert: „Wer ist denn der Glückliche, der einen so liebenswerten Lehrer gefunden hat?"

Opa: „Wirklich der Glückliche. Er heißt Felix, hinterher gibt es eine Schachpartie. Und der ist gut, der junge Mann."

Robert; „Etwa Felix Huchter?"

Opa staunt. „Wie? Den kennen Sie?"

Robert: „Felix hat die Stadtmeisterschaft im Schach gewonnen und ist außerdem Auszubildender in der Firma, in der ich auch arbeite. Wie sind Sie an diesen Jungen gekommen?"

Opa: „Eine Frau Wiedemann hat mich angesprochen, deren Mutter hier im Heim lebt."

Robert: „Die kenne ich auch, Sie ist Chefsekretärin in der Firma."

Opas Handy meldet sich energisch. Er nimmt es an sein Ohr.

„Ja?" Er beginnt zu lächeln und sagt nach einer Weile, den Blick auf Robert gerichtet: „Ich werde es ihm sagen, mein Seelchen, pass auf Dich auf." Klapp, die Verbindung ist beendet.

Opa sagt: „Robert, Seelchen freut sich auf ein Wiedersehen schon am Donnerstag. Freitag muss sie in Kiel sein, ihren Job antreten."

„Na denn, also freuen wir uns auf Donnerstag."

Sie gehen zum Nachtisch über, schweigen.

Dann Opa: „Ich will jetzt noch ein wenig ruhen. Begleiten Sie mich zum Zimmer, Robert?"

„Selbstverständlich."

Opa: „Ich denke mit Grausen an die Zeit nach Donnerstag. Robert." Er blickt zu ihm herauf. „Man kann sich so daran gewöhnen, Liebe und Herzlichkeit um sich zu haben, sei es auch nur tageweise."

Ohne weiter nachzudenken, sagt Robert: „Keine Angst, dem helfe ich ab."

„Wirklich? Danke, Robert."

Sie verabschieden sich vor der Tür, Robert öffnet sie und bringt Opa Heinrich in sein Zimmer. Beim Herausgehen dreht sich Robert noch einmal um und fragt: „Darf ich die Handynummer Ihrer Enkelin haben?"

„Aber natürlich,. hier ist die Visitenkarte. Da ist die Handynummer vermerkt."

„Danke und auf Wiedersehen, Opa Heinrich."

„Wiedersehen, Robert, ich freue mich!"

Robert schließt die Tür, stellt sich ans Fenster und liest auf der Karte:

Dr. Hanna Lehnhardt

Dozentin

Robert ist überrascht. Jetzt wird es aber richtig interessant. Er packt die Karte zu dem Lesezeichen in die rechte Innentasche, murmelt dazu: Ich brauche euch ja nicht einander vorzustellen. Ihr kennt euch ja.

Seele an Seelchen

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