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4. Kapitel
ОглавлениеAm Montag trifft Robert auf dem Flur des Verwaltungsgebäudes im Erdgeschoss Felix. Er kam aus dem Sekretariat.
„Guten Morgen, Felix. Wie waren die Stunden bei Opa Heinrich?"
„Woher wissen Sie das, Herr Wille?"
„Von Opa selbst. Ich war bei ihm, da hat er es mir erzählt. Kommen Sie eben mal mit in mein Zimmer."
„Setzen Sie sich, bitte. Ich finde es toll, dass Sie das Abi nachmachen wollen. Was hat Sie daran gehindert, es nicht gleich zu machen, schlau genug sind Sie doch allemal?"
Felix: „Herr Wille, das ist eine lange und schreckliche Geschichte. Bitte nicht jetzt. Ich will weiter kommen, ich will später studieren, ich will Lehrer werden. Opa Heinrich hat mir gesagt, was man will, kann man auch."
„Wenn Sie mal mit mir sprechen wollen, jederzeit. Geht das mit der Nachhilfe in Ordnung?"
„Nur beim Latein hapert es noch, Herr Wille. Mathe ist okay, das kann Opa Heinrich wirklich gut erklären."
„Dann müssen wir bei Latein die Schlagzahl erhöhen. Sie hören von mir."
Felix verlässt glücklich das Zimmer.
Robert erwischt sich dabei, den Donnerstag als einen besonderen Tag einzuordnen, für den Nachmittag wird er sich zwei Stunden eher aus dem Staub machen. Nimmt er sich vor.
Er spricht bei der nächsten Gelegenheit mit seinem Chef, Dr. Kuhn, – Endfünfziger, vital, hat die Firma voll im Griff, Techniker durch und durch, in Menschenführung erste Klasse – über Felix. Dr. Kuhn ist sofort einverstanden, wie von Robert vorgeschlagen, dass Felix an einem Nachmittag in jeder Woche frei kriegt
Plötzlich fragt sein Chef: „Wissen Sie, wer den Jungen unterrichtet?"
„Na klar, Herr Doktor, sonst hätte ich ihm doch nicht den Vorschlag unterbreitet."
Dr. Kuhn ist neugierig, „Wer ist es denn?"
„Einer aus Ihrer Fakultät" Robert lässt das Folgende genüsslich auf der Zunge zergehen. „Herr Professor Dr. Ing. Heinrich Lehnhardt, der ist fast sechs Jahre im Seniorenheim hier in der Stadt."
Die Wirkung seiner Worte ist für Robert nicht vorhersehbar.
„Was?", fast schreit der Chef. „Höre ich richtig, Dr. Heinrich Lehnhardt? In dessen Vorlesungen bin ich gewesen, er hat meine Dissertation begleitet und der spielt vielleicht gut Schach!"
Robert muss lachen. „Herr Doktor, das tut er mit Felix auch, der Junge ist Stadtmeister im Schachklub."
Dr. Kuhn schüttelt den Kopf „Und warum weiß ich das nicht?", fragt der sichtlich in Aufregung geratene Chef.
Robert erwidert trocken „Das stand in der vorigen Woche in der Zeitung!"
Die diesem Gespräch folgende Beratung dienstlicher Art wird von Dr. Kuhn immer wieder unterbrochen. Der Professor beschäftigt ihn über die Maße.
„Robert", sagt er schließlich, „wenn Sie ihn wieder einmal sehen, fragen Sie ihn, ob er sich noch an mich erinnert. Das ist ja alles so unheimlich lange her."
Und er schüttelt seinen Kopf.
Robert „Selbstverständlich werde ich ihn fragen. In dieser Woche sehe ich ihn bestimmt wieder."
Mittwochmorgen. Heute will Robert sich die freien Stunden für morgen Nachmittag beim Chef holen, nur der Form halber. Robert ist so fröhlich wie selten, fährt früh los, ist eine Viertelstunde vor Dienstbeginn an seinem Schreibtisch. Was ihn total verwundert hat, der Chef ist schon da. Normalerweise kommt er so gegen neun. Das Telefon läutet.
„Sie sollen gleich zum Chef kommen!" Frau Wiedemann überbringt diese Botschaft so, wie man sie nicht anders kennt, in aller Freundlichkeit. „Trotzdem Guten Morgen, Herr Wille." Ihm wird flau in der Magengegend War das ironisch gemeint?
Als er in das Chefzimmer eintritt, blafft Dr. Kuhn ihn an „Na, endlich."
Robert entgegnet entrüstet: „Es ist noch vor acht Uhr, Herr Doktor, und Guten Morgen."
„Guten Morgen. Aber ich bin schon da. Setzen Sie sich."
Irgendetwas muss ganz schief gelaufen sein, so kennt er seinen Chef nicht
„Morgen um zwölf Uhr haben Sie einen Termin in Kapstadt, aber Wolterman ist verschwunden." Das ist der Repräsentant für das südliche Afrika.
Robert sieht rot. „Was haben wir da zu suchen?"
Dr. Kuhn haut beide Hände auf die Schreibtischplatte. „Da läuft der Großauftrag Reading aus dem Ruder, den haben Sie begleitet!"
Robert: „Vielleicht ist Wolterman auf seiner Farm?"
„Haben Sie die Nummer?", kläffte der Chef „Ich kenne sie jedenfalls nicht!"
Robert: „Darf ich die Akte haben?" Mit Schwung kommt der blaue Ordner angerauscht. Robert blättert. „Hier steht sie."
Ungläubiges Staunen bei Dr. Kuhn. „Zeigen Sie." Mit Kugelschreiber steht am unteren Rand eines Aktenvermerkes eine Zahlenreihe. Die Landesvorwahl dazu, das passt.
Dr.Kuhn: „Rufen Sie dort an, machen Sie das von Ihrem Zimmer aus. Problem ist, morgen will Reading entscheiden. Hier das Fax von ihm. Die Konventionalstrafe ist neu. Die akzeptiere ich nicht."
Robert: „Da brauchen wir doch nur nein zu sagen, dann ist die Sache doch erledigt."
Dr. Kuhn läuft rot an, antwortet scharf: „Leider hat Wolterman ohne Rücksprache mit uns, unser Angebot abgegeben, Reading hat akzeptiert mit diesem nachgeschobenen Fax. Ich will diesen Auftrag, aber ohne Zusatz. Was jetzt?"
Robert geht in sein Zimmer. Wolterman ist erkrankt, hörte sich schlimm an. Die Farm liegt ja auch nur 400 Kilometer von Kapstadt entfernt. Und da liegt er nun.
Es gibt viel Getöse im Chefzimmer. Das Ergebnis: Robert fliegt nach Kapstadt, wird die Vertragsprobleme mit Reading im Sinne der Firma regeln und besucht den kranken Mann auf der Farm im Busch.
Originalton Dr. Kuhn: „Bringen Sie Ordnung in den Laden. Die Maschine fliegt um 22 Uhr."
Robert ist verfeindet mit der Welt. Wenigstens stellt der Chef Dienstwagen mit Fahrer für die Fahrt zum Flughafen und zurück zur Verfügung.
Soviel Zeit ist noch übrig. Robert fährt zu Opa Heinrich, den er gleich vorne in der Eingangshalle beim Schachspielen antrifft. Opa Heinrich ist ebenso wie Robert enttäuscht, dass sie Seelchen nicht gemeinsam verabschieden können.
Dann läuft alles nach Plan. Er ruft nach seiner Ankunft in Kapstadt Opa Heinrich an, spricht mit Seelchen.
„Die Flucht ist unser Schicksal", hat Robert gesagt, „dieses Mal war ich dran. So ist es mit dem Job." Sie verabschieden sich ganz herzlich.
Dann hat ihn die raue Wirklichkeit wieder. Er löst das Vertragsproblem mit Reading ganz elegant im Sinne von seinem Chef, nachdem er gemerkt hat, dass Reading pokert. Der Auftrag ist erteilt, vom ärgerlichen Zusatz keine Rede mehr. Und 400 Kilometer Autofahrt gibt es auch noch dazu und einen Rückflug von der Nachbarfarm ebenfalls. Wolterman muss dafür sorgen, ständig erreichbar zu sein. Den Fehler sieht Robert eher bei der Geschäftsleitung als bei Wolterman. Die Handynummer hätte sie ja amtlich machen können.
Sonntagabend, sehr spät, setzt Friedrich ihn vor seiner Haustür ab. Robert ruft noch Opa an, verspricht am nächsten Tag zum Besuch zu kommen.